Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls.
Der 1949 geborene Kläger erlitt in Ausübung seiner Tätigkeit als Maler einen Arbeitsunfall, als er am 19. Juni 2000 um 7.45
Uhr beim Verspachteln einer Decke seitlich von der Leiter kippte und mit dem Rücken auf die Verstrebungen der Leiter fiel.
Er wurde bereits um 8.10 Uhr in die P-Klinik W eingeliefert, wo eine LWK-1-Fraktur festgestellt wurde. Als Befund wurden Schmerzen
im LWS-Bereich angegeben. Kopf, Thorax, Abdomen und Becken sind unauffällig und die Extremitäten frei gewesen, neurologische
Ausfälle bestanden nicht (Durchgangsarztbericht von Dr. A, P-Klinik W, vom 20. Juni 2000). Der Kläger wurde dann in das Ukrankenhaus
B verlegt. Die bildgebenden Befunde ergaben einen Berstungsbruch mit Knochenfragmenten im Spinalkanal des LWK 1, der insgesamt
als instabile Fraktur gewertet wurde. Es fanden sich keine peripheren neurologischen Defizite oder Sensibilitätsausfälle und
keine offenen Verletzungen am Rücken. Die Diagnose lautete: instabile LWK-1-Fraktur. (Durchgangsarztbericht von Prof. Dr.
E, Ukrankenhaus B, vom 20. Juni 2000). Aufgrund der Diagnose einer LWK-2-Kompressionsfraktur mit Hinterkantenbeteiligung und
Dislokation eines 3 mm großen Fragments in den Spinalkanal wurde die Fraktur am 23. Juni 2000 operativ versorgt mittels eines
Fixateurs interne von L 1 auf L 3. Am 28. Juni 2000 erfolgte eine ventrale Gegenstabilisierung mit Wirbelkörper- und Bandscheibenausräumung
sowie Implantation eines spongiosagefüllten Titankörbchens und lateraler Implantation einer Stangenkonstruktion am. Am 11.
Juli 2000 wurde der Kläger nach einem komplikationslosen postoperativen Verlauf und krankengymnastischer Mobilisierung bei
subjektiver Beschwerdearmut, reizlosen Wundverhältnissen und ohne neurologische Ausfallerscheinungen entlassen (Zwischenbericht
des Ukrankenhauses B vom 10. Juli 2000). Es folgte zunächst eine stationäre Rehabilitation in der M-Klinik H (vom 11. Juli
bis zum 15. August 2000) und anschließend eine ambulante Behandlung in Form einer intensiven Krankengymnastik bei dem Chirurgen
T in dem Reha-Zentrum im Forum P. Ausweislich des weiteren Zwischenberichts des Ukrankenhauses B vom 04. Oktober 2000 klagte
der Kläger jedoch über ständige Schmerzen im Rücken. Die Auswertung der Röntgenbilder vom 30. August 2000 ergab eine gute
Lage des Osteosynthesematerials und der Fraktur. An der Hinterkante bestand keine Stufenbildung, auch eine Gibbusbildung war
nicht zu verzeichnen. Lediglich im Bereich der Vorderkante war der 2. LWK etwas ausladend. Daraufhin wurde im Ukrankenhaus
eine neurophysiologische Therapie nach Vojta durchgeführt. In dem Zwischenbericht vom 10. Januar 2001 berichtete das Ukrankenhaus
von einem schleppenden Heilverlauf. Die neurologische Konsiliaruntersuchung habe eine Neuralgie des Nervus iliohypogastricus
und ilioinguinalis erbracht. Die erfolgte ambulante Behandlung sei bisher nicht in der Lage gewesen, die angegebene Schmerzproblematik
zu lindern. Die Röntgenuntersuchung am 12. Oktober 2000 habe eine beginnende ventrale Abstützreaktion bei L 1/L 2 gezeigt,
die Materiallage sei reizlos ohne Zeichen einer Lockerung, das Wirbelkörperinterponat habe eine mittelständige Lage. Da die
angegebene Beschwerdesymptomatik bei guter operativer Versorgung und regelrechter Metalllage ohne Fehlstellung nicht hinreichend
zu erklären sei, sei eine nochmalige neurologische und ggf. auch psychosomatische Vorstellung im Rahmen eines stationären
Aufenthaltes geplant. Der Kläger befand sich daraufhin vom 23. Januar bis zum 05. Februar 2001 in stationärer Behandlung des
Ukrankenhauses B. Ausweislich des Zwischenberichts vom 05. Februar 2001 war die LWK-2-Kompressionsfraktur mittlerweile knöchern
konsolidiert, wie die nochmals gefertigten Röntgenaufnahmen gezeigt hätten. Die weitere Röntgendiagnostik habe unfallunabhängige
deutliche degenerative Veränderungen im Bereich der übrigen LWS wie auch degenerative Veränderungen in beiden Iliosakralgelenken
gezeigt. Nachdem sich unter intensiven krankengymnastischen Übungsbehandlungen sowie begleitender physikalischer Therapie
auch unter stationären Bedingungen keine wesentliche Beschwerdelinderung habe erzielen lassen, sei eine CT-gestützte Infiltration
beider Iliosakralgelenke vorgenommen worden, in denen sich unfallunabhängige degenerative Veränderungen manifestierten. Danach
sei es zu einer deutlichen Beschwerdelinderung gekommen, so dass der Kläger zum jetzigen Zeitpunkt praktisch beschwerdefrei
sei. Es bestehe Arbeitsfähigkeit ab dem 19. Februar 2001.
Die ab dem 19. Februar 2001 begonnene berufliche Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell brach der Kläger am 09. März
2001 ab. Nach dem Zwischenbericht des Ukrankenhauses B vom 09. März 2001 fand sich ein deutlicher Druckschmerz im Bereich
beider Iliosakralgelenke, weniger im unteren Bereich der LWS. Eine wettbewerbsfähige Wiedereingliederung in seinen Beruf als
Maler erscheine aussichtslos. Die Heilbehandlung wurde zum 30. April 2001 abgeschlossen (Zwischenbericht des Ukrankenhauses
B vom 23. März 2001)
Mit Bescheid vom 27. April 2001 stellte die Beklagte die Verletztengeldgewährung mit Ablauf des 29. April 2001 ein. Den Antrag
auf Überprüfung dieses Bescheids lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 09. September 2005 ab. Die dagegen bei dem Sozialgericht Berlin erhobene Klage, die unter dem Aktenzeichen S 69 U 747/05 geführt wurde, nahm der Kläger am 30. Juni 2006 zurück.
In einem Nachschaubericht vom 28. Mai 2001 berichtete der Chirurg Dr. H, C-Kliniken P, von starken Sensibilitätsstörungen
im Bereich der Bauchdeckennerven von der Spongiosa-Entnahmestelle am linken Beckenkamm bis hin zur Symphyse. Es würden Steh-Geh-Beschwerden,
Belastungsbeschwerden, Sitzbeschwerden sowie Durchschlafstörungen wegen der Beschwerden lumbal geklagt. Der Kläger bedürfe
weiterer physiotherapeutischer Behandlung. In dem Arztbrief des Facharztes für Neurologie Dr. J vom 31. Mai 2001 berichtete
der Arzt, neben Rückschmerzen und neuropathischen L-1-Schmerzen falle eine Störung der Tiefensensibilität im linken Bein auf
und eine subjektive Überempfindlichkeit der Fingerspitzen. Hier wäre als eine plausible Ursache eine Contusio spinalis anzunehmen,
die aber mittels SEP nicht habe verifiziert werden können.
Zur ersten Rentenfeststellung beauftragte die Beklagte den Chirurgen Dr. A mit der Untersuchung und Begutachtung des Klägers.
Dieser kam in seinem Gutachten vom 02. August 2001 unter Mitarbeit des Stationsarztes Dr. A zu dem Ergebnis, als Unfallfolge
bestehe objektiv eine deutlich eingeschränkte schmerzhafte Bewegungseinschränkung der gesamten Wirbelsäule, insbesondere jedoch
des thorakolumbalen Übergangs. Zum jetzigen Zeitpunkt stünden neuralgieforme Schmerzen und Parästhesien im Bereich der linken
Leiste im Vordergrund, die anscheinend durch eine Irritation von Nerven bei der Spongiosaentnahme aus dem linken Beckenkamm
bei der zweiten Operation verursacht worden seien. Die MdE durch die Verletzungsfolgen betrage für die Zeit vom 30. April
2001 bis zum 16. August 2001, dem Tag vor der Untersuchung, 100 v. H. und vom 19. Juni 2001 bis zu dem Zeitpunkt, an dem die
Beschwerden in der linken Leiste erfolgreich therapiert sein würden, betrage sie ebenfalls 100 v. H. Wenn das Ilioinguinalis-Syndrom
beseitigt werde, verbleibe nur die durch die Folgen der Lendenwirbelkörperfraktur bedingte MdE, die voraussichtlich 20 v.
H. betrage.
Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme erkannte die Beklagte in dem Bescheid vom 28. August 2001 über eine
Rente als vorläufige Entschädigung den Unfall vom 19. Juni 2000 als Arbeitsunfall an. Wegen der Folgen des Versicherungsfalls
bestehe Anspruch auf eine Rente als vorläufige Entschädigung ab dem 30. April 2001 bis auf weiteres nach einer MdE von 20
v. H. Als Folgen des Versicherungsfalls wurden anerkannt: Neuralgieforme Schmerzen und Parästhesien im Bereich der linken
Leiste nach Spongiosaentnahme, Bewegungseinschränkung im Bereich der Wirbelsäule mit leichter linkskonvexer Schiefhaltung
nach Kompressionsbruch des 2. Lendenwirbelkörpers mit Hinterkantenbeteiligung. Als Folgen des Versicherungsfalls wurden nicht
anerkannt: Diskrete Psoriasis an beiden Ellenbogen, geringe degenerative Randkantenappositionen an der Brustwirbelsäule in
mehreren Höhen und Bandscheibendegeneration an der Lendenwirbelsäule.
Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, angesichts der im Bescheid anerkannten Unfallfolgen
und der Tatsache, dass er insbesondere im Bereich der Wirbelsäule unter anhaltenden starken Schmerzen leide, erscheine die
anerkannte MdE mit 20 v. H. als zu gering, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2001 zurück.
Dagegen hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er die Zahlung einer Verletztenrente nach einer
MdE von 100 v. H., mindestens aber von 60 v. H. begehrt hat. Er leide bis heute massiv unter den Folgen des Arbeitsunfalls
vom 19. Juni 2000. Im Bereich des Oberkörpers sei er in seiner Bewegungsfreiheit fast gänzlich eingeschränkt. Die eingeschränkte
Bewegungsmöglichkeit sei zurückzuführen auf die ergriffenen operativen Maßnahmen infolge des Unfalls. Vereinfacht ausgedrückt
sei der zerstörte Lendenwirbel entfernt und überbrückt und die Wirbelsäule in diesem Bereich mit zwei Schienen stabilisiert
worden. Durch die Stabilisierung der Wirbelsäule verliere diese in diesem Bereich jegliche Elastizität, was dazu führe, dass
er sich weder drehen noch bücken noch beugen könne. Er klage bis heute darüber, weder sitzen, liegen, noch stehen zu können
und alle fünf bis zehn Minuten die Position wechseln zu müssen, da er es ansonsten vor Schmerzen nicht aushalte. Hinzu kämen
ständige Schmerzen im Bereich des linken Beckenkamms, welche eine Folge der Operation zur ventralen Stabilisation mit Spongiosaentnahme
aus dem linken Beckenkamm seien. Es stehe fest, dass bei dieser unfallbedingt notwendig gewordenen Operation die Nervenstränge
durchtrennt und dadurch die Schmerzen ausgelöst worden seien.
Zur Ermittlung des Sachverhalts hat das Sozialgericht ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Berlin mit Vorerkrankungen ab
dem 19. Juli 1993 bis zum 18. Juli 1997, ein Arbeitsamtsärztliches Gutachten vom 17. Oktober 2001 sowie Befundberichte der
Ärztin Dr. N vom 15. Juni 2002, des Chirurgen T vom 16. Juni 2002, des Dr. H vom 24. Juni 2002 und des Facharztes für Neurologie
und Psychiatrie Dr. S vom 01. Juli 2002 über eine einmalige Behandlung am 21. September 2000 eingeholt. Außerdem hat das Sozialgericht
den Bericht der Klinik für Neurochirurgie der C vom 29. November 2001 über die konsiliarische Betreuung des Klägers beigezogen.
Anschließend hat das Sozialgericht den Orthopäden Dr. Wr mit der Untersuchung und Begutachtung des Klägers beauftragt. Der
Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 13. März 2003, ergänzt durch die Stellungnahme vom 22. April 2003, zu dem Ergebnis
gelangt, bei dem Kläger bestehe ein Zustand nach operativ stabilisierter LWK-1-Fraktur durch Spondylodese mit Hilfe eines
Fixateur interne, eine hochgradige Recessusenge LWK 5/S 1 und LWK 4/5 bds. mit Claudicatio spinalis, ein schweres, degeneratives
LWS-Syndrom durch Osteochondrose und Spondylarthrose LWK 4 - S 1 und neuropatische Beschwerden linke Leiste (Verdacht auf
L-1-Syndrom, differenzialdiagnostisch Irritation Nervus iliohypogastricus/ilioinguinalis). Im Sinne der erstmaligen Entstehung
sei die LWK-1-Fraktur mit nachfolgender operativer Versorgung auf den Unfall vom 19. Juni 2000 zurückzuführen. Die daraus
resultierenden morphologischen Veränderungen mit leichter Steilstellung des Segments und dezenter konvexer Verkippung seien
ebenfalls Folge des Unfalls. Ebenfalls könnten hieraus regionale Beschwerden mit reaktiven Myogelosen und Schmerzhaftigkeiten
bei schweren körperlichen Belastungen oder Körperzwangshaltungen abgeleitet werden. Die darüber hinaus beschriebenen Veränderungen
an der LWS seien jedoch unfallunabhängig. Auch für das klinisch im Vordergrund stehende Beschwerdebild einer Claudicatio spinalis
und der tiefen lumbalen Beschwerden sei die Erkrankung aus innerer Ursache heraus verantwortlich. Strittig und nicht eindeutig
zu klären seien die Beschwerden im Bereich der linken Leiste. Aus seiner Sicht liege eine Verdeutlichungstendenz vor. Eine
neurologische Zusatzuntersuchung erscheine erforderlich. Die Degeneration der unteren LWS sei nicht im Sinne einer wesentlichen
Verschlimmerung durch den Unfall vom 19. Juni 2000 zu erklären. Eine entsprechende Brückensymptomatik sei nicht zu konstruieren,
eine entsprechende auf die untere LWS einwirkende statische Fehlposition nicht erkennbar. Er halte eine MdE von 30 v. H. für
den Zeitraum von April 2001 bis April 2002 für gerechtfertigt. Auf Dauer werde die MdE auf 20 v. H. unter Würdigung auch der
regionalen Schmerzsyndrome der linken Leiste geschätzt.
Zunächst hat die Beklagte mit Bescheid vom 23. Mai 2003 dem Kläger ab dem 01. Juni 2003 statt der Rente als vorläufige Entschädigung
eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v. H. gewährt. Als Folge des Versicherungsfalls hat sie anerkannt: Geringe
segmentale Steilstellung bzw. dezente rechtkonvexe Verkippung der Wirbelsäule im Bereich des 12. Brustwirbelkörpers bis zum
2. Lendenwirbelkörper mit daraus resultierenden belastungs- und haltungsbedingten Schmerzsyndromen und Neuropathien nach Spongiosaentnahme
im Bereich der linken Leiste nach stabil in achsengerechter Position ausgeheiltem Bruch des ersten Lendenwirbelkörpers. Als
Folgen des Versicherungsfalls sind nicht anerkannt worden: schwere degenerative Veränderungen der Wirbelsäule im Bereich LWK
4 bis S 1 durch Osteochondrose und Spondylarthrose, hochgradige Recessusenge in den Segmenten L 4/5 und L 5/S 1 mit Claudicatio
spinalis.
Der Kläger hat sich daraufhin auf ein für das Sozialgericht Berlin in dem Verfahren wegen der Gewährung einer Rente wegen
voller statt teilweiser Erwerbsminderung (Az.: S 20 RJ 2119/02) erstattetes Gutachten des Orthopäden Dr. H vom 21. Mai 2003 berufen, in dem dieser u. a. ein chronisches Schmerzsyndrom
posttraumatisch, Stadium III nach Gerbershagen, sowie eine Läsion des Nervus iliohypogastricus postoperativ diagnostiziert
hat.
Der Empfehlung des Sachverständigen Dr. W-R folgend hat das Sozialgericht dann ein neurologisches Gutachten eingeholt, das
am 09. Juni 2004 von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B erstattet worden ist. Dr. B hat bei dem Kläger ein nichtobjektivierbares
Schmerzsyndrom diagnostiziert, das dem Nervus iliohypogastricus links zugeordnet werden könne. Darüber hinaus hätten sich
aus der Divergenz der objektivierbaren Befunde und der subjektiven Beschwerde- und Symptomschilderung des Klägers Hinweise
auf eine dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörung (F44.6) ergeben. Eine Schädigung des Nervus iliohypogastricus
(Th 12 und L 1) und ilioinguinalis (L 1) linksseitig habe durch die elektroneurographischen und -myographischen Untersuchungen
nicht nachgewiesen werden können. Auch eine Stimulation mittels Nadelelektroden habe keinen Nachweis einer Schädigung der
somato-sensiblen Leitungsbahnen des Nervus tibialis und Nervus iliohypogastricus linksseitig erbracht. Die Reizung des Nervus
iliohypogastricus links sei ursächlich auf das Unfallgeschehen bzw. auf die unfallspezifische Behandlung (Knochenspanentnahme)
zurückzuführen. Die Beschwerden seien als so genanntes Postfusionssyndrom durch Reaktivierung der Nozizeptoren und traumatisierter
Nervenstümpfe aufzufassen, mit der Symptomatik tiefer Rückenschmerzen und Hypersensibilität der Haut. Die dissoziative Sensibilitäts-
und Empfindungsstörung im Bereich des gesamten linken Beins sei als unfallunabhängige Beschwerdeausweitung aufzufassen. Auf
neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet werde das Schmerzsyndrom der linken Leiste als unter 10 v. H. eingeschätzt. Da motorische
Ausfälle überhaupt nicht vorlägen und die Allodynie sich eher vage und überlagert darstelle, werde der Nervenschaden auf unter
10 v. H. beschränkt. Unter Einbeziehung der chirurgischen Traumafolge nach instabiler LWK-1-Fraktur, die mit einer MdE von
20 v. H. bemessen worden sei, ergebe sich unter Berücksichtigung des eigenen Fachgebiets eine MdE von 20 v. H. auf Dauer.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2006 hat das Sozialgericht den Sachverständigen Dr. B zur Erläuterung seines
Gutachtens gehört. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30. Juni 2006 verwiesen. Anschließend hat
es die Klage durch Urteil vom 30. Juni 2006 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Kläger stehe wegen der Folgen des
Arbeitsunfalls vom 19. Juni 2000 eine höhere Rente als nach einer MdE von 20 v. H. nicht zu. Die Folgen der Fraktur des 1.
LWK, die er bei dem Unfall am 19. Juni 2000 erlitten habe, nämlich die Ausräumung des frakturierten LWK 1 und der angrenzenden
Bandscheiben sowie die Versteifungs-Operation mit nachfolgender Steilstellung des thorakolumbalen Übergangs von Th 12 bis
LWK 2 sei mit einer MdE von 20 v. H. ausreichend bewertet. Dies folge sowohl aus dem von der Beklagten in Auftrag gegebenen
Gutachten von Dr. A vom 27. Juni 2001, der eine höhere MdE lediglich mit der Annahme weiterer erheblicher Unfallfolgen auf
neurologischem Fachgebiet begründe, als auch aus dem Sachverständigengutachten von Dr. W-R. Dieser habe ausführlich dargelegt,
dass es trotz der Schwere der nach der LWK-Fraktur erforderlichen operativen Intervention zu keinen wesentlichen Folgeschäden
gekommen sei, die eine höhere MdE als 20 v. H. begründen könnten. Insbesondere sei es zu keinen nennenswerten Achsabweichungen/-verkippungen
und zu keinen degenerativen Schäden und Sekundärinstabilitäten der den Frakturbereich umgebenden LWS-Segmente gekommen. Soweit
Dr. H in seinem zeitnah zu der Begutachtung durch Dr. W-R erstellten Gutachten vom 21. Mai 2003 ausführe, röntgenologisch
zeige sich eine Progredienz der Schäden im Sinne einer Segmentinstabilität bei L 1/2, sei dies für die Kammer weder aus sich
heraus noch unter Beachtung der sonstigen aktenkundigen medizinischen Unterlagen und der insoweit stets unauffälligen klinisch-funktionellen
Befunde nachvollziehbar. Allerdings habe Dr. H in seinem Gutachten auch ein chronisches Schmerzsyndrom schwersten Grades diagnostiziert,
ohne dass es hierfür ausweislich der Darlegungen des neurologischen Sachverständigen Dr. B auch nur ansatzweise eine tragfähige
Grundlage geben würde. Seine Ausführungen seien auch nicht geeignet, die gegenteiligen Feststellungen und Bewertungen des
sich um eine objektive Darstellung und Bewertung der Unfallfolgen und auch eine kritische Bewertung der Beschwerdeangaben
des Klägers bemühenden Sachverständigen Dr. W-R zu erschüttern. Nicht gefolgt werden könne der MdE-Bewertung von Dr. W-R allerdings
insoweit, als er für das erste Jahr nach Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit ab dem 30. April 2001 eine höhere unfallbedingte
MdE von 30 v. H. annehme. Dass es sich um einen schweren operativen Eingriff im Bereich des fakturierten LWK handele, stehe
außer Zweifel, begründe für sich genommen jedoch keine klinisch funktionellen relevanten Unfallfolgen, die eine vorübergehende
Höherbewertung der MdE über die unstreitig bestehenden 20 v. H. hinaus hinreichend begründen könnten. Soweit sich Dr. W-R
auf eine zumindest einzuräumende vorübergehende Irritation des Nervus iliohypogastricus und/oder ilioinguinalis beziehe, könne
diese nach dem Ergebnis der Ermittlungen allenfalls als möglich, jedoch nicht als nachgewiesen bewertet werden. Die bloße
Möglichkeit des Bestehens weiterer Unfallfolgen genüge aber nicht, um sie zur Grundlage der MdE-Bewertung zu machen, die sich
nur auf im Vollbeweis nachgewiesene gesundheitliche Störungen, die hinreichend wahrscheinlich durch den fraglichen Versicherungsfall
verursacht würden, stützen könne. Unabhängig davon, dass die von Dr. W-R unterstellte Nervenirritation infolge der Spongiosaentnahme
bei den unfallbedingt erforderlich gewordenen Operationen nach den überzeugenden und schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen
Dr. B lediglich eine MdE von unter 10 v. H. begründen und an der Gesamtbewertung der Unfallfolgen mit 20 v. H. nichts ändern
würde, sei sie nicht nachgewiesen. Elektrophysiologische Untersuchungen hätten keinen Nachweis einer Nervenschädigung erbracht.
Dies schließe zwar eine Nervenirritation auch schmerzhafter Art nicht aus, eine hinreichend sichere Schlussfolgerung aus der
vom Kläger angegebenen klinischen Beschwerdesymptomatik verbiete sich jedoch in Anbetracht dessen, dass seine Beschwerdeschilderungen
sowohl von Dr. W-R als auch von Dr. B mit guten Gründen und überzeugend als problematisch und im Sinne eines aggravierenden
Verhaltens bewertet würden. Insbesondere sei das Ausmaß der geschilderten Beschwerden und Funktionsstörungen mit bloßen Nervenirritationen,
die sich elektrophysiologisch nicht zwingend darstellen müssten, nicht mehr zu erklären. Auch wäre in Anbetracht der Dauer
der vom Kläger geschilderten Beschwerden und funktionellen Beeinträchtigungen mit einem deutlichen Rückgang der Muskulatur
der linken unteren Extremität zu rechnen. Da entsprechende objektivierbare Befunde nicht vorlägen und die Beschwerdeangaben
des Klägers zumindest unzuverlässig seien, halte die Kammer eine zwischenzeitliche oder länger anhaltende Irritation des Nervus
iliohypogastricus und/oder ilioinguinalis auch nicht wie der gerichtliche Sachverständige Dr. B für wahrscheinlich, sondern
allenfalls für möglich. Auf keinen Fall könne eine derartige Gesundheitsstörung als nachgewiesen bewertet und der MdE-Bewertung
zugrunde gelegt werden. Zusammenfassend sei festzuhalten, dass chirurgisch-orthopädisch durchaus erhebliche Unfallfolgen bestünden
mit einer MdE von 20 v. H.
Zur Begründung der dagegen eingelegten Berufung hat der Kläger geltend gemacht, entscheidend für die Beurteilung der Höhe
der MdE sei vorliegend insbesondere eine Irritation der Nervus iliohypogastricus sowie die durch die Nervenirritation verursachte
Schmerzsymptomatik und die diesbezügliche Einordnung als schwergradiges chronisches Schmerzsyndrom nach Gerbershagen. Dr.
B habe in seinem Gutachten und in seiner Erläuterung des Gutachtens in dem Termin am 30. Juni 2006 ausgeführt, dass eine Nervenirritation
nicht unbedingt messbar sein müsse. Aufgrund des Befunds der Reha-Klinik über eine Überempfindlichkeit betreffend das Dermatom
L 1 und die spätere Konzentration des Schmerzbildes auf die Leisten- und Hodengegend deute dies auf den Nervus iliohypogastricus
und Nervus ilioinguinalis infolge der Spongiosaentnahme hin. Solche Schmerzirritationssyndrome kämen vor, ohne dass sich diese
elektrophysiologisch nachweisen ließen. Diese wesentliche Äußerung des Dr. B habe das Sozialgericht in seinem Urteil nicht
erwähnt. Dr. A habe infolge der Nervenirritation eine MdE von 100 v. H. angenommen. Dr. A und Dr. H hätten definitiv aufgrund
der Symptomatik im Zusammenhang mit der Spongiosaentnahme und den weiteren Befunden die Diagnose einer Nervenirritation getroffen.
Auch Dr. B habe eine solche Diagnose getroffen, indem er die Symptomatik mit den weiteren Befunden und der Spongiosaentnahme
diagnostisch in Verbindung gebracht und zu diesem Schluss gelangt sei. Er habe darüber hinaus erklärt, dass ein negativer
physiologischer Befund ein Schmerzsyndrom infolge einer Nervenirritation nicht ausschließe.
Der Kläger weist zudem darauf hin, dass Dr. W-R irrtümlich von einer LWK-1-Fraktur ausgegangen sei, während sich bei ihm eine
LWK-2-Fraktur ereignet habe. Insoweit bezieht er sich auf einen Arztbrief der Klinik für Orthopädie der C vom 06. Februar
2007. Außerdem seien bei ihm zwischenzeitlich weitere gesundheitliche Beschwerden aufgetreten. Er leide unter einer Gesichtsfeldeinschränkung,
außerdem sei ein Tinnitus diagnostiziert worden und der Verlust der Fähigkeit, tiefe Töne wahrzunehmen. Dies seien Spätfolgen
des Unfallereignisses.
Der Kläger hat sich vom 14. bis zum 23. November 2007 in stationärer Behandlung der Klinik für Neurologie der Charité befunden.
Dort ist ein Zustand nach frontalem Sturz im Kindesalter sowie ein Sturz auf den Hinterkopf im Jahr 2000, ein Zustand nach
hämorrhagischem transformierten ischämischem Hirninfarkt im posterioren Stromgebiet rechts mit residualer Hemianopsie links
diagnostiziert worden (Entlassungsbericht vom 19. Dezember 2007).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juni 2006 aufzuheben und den Bescheid vom 28. August 2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 30. November 2001 sowie den Bescheid vom 23. Mai 2003 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 19. Juni 2000 eine Verletztenrente ab dem 30. April 2001 nach einer Minderung
der Erwerbsfähigkeit von mindestens 40 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, die Ausführungen des Klägers krankten daran, dass er im Rahmen seiner Argumentation ständig
vom Vorliegen von Nervenirritationen und eines Schmerzsyndroms ausgehe, welche jedoch nicht voll beweislich nachgewiesen seien.
Das mögliche Vorliegen von Nervenirritationen und eines Schmerzsyndroms sei jedoch in keinem Fall ausreichend, vielmehr müsse
Gewissheit über deren Vorliegen bestehen. Das im Rentenverfahren eingeholte Gutachten von Dr. H sei für die Entscheidungsfindung
im vorliegenden Verfahren schon deshalb nur am Rande zu beachten, weil die Rentenversicherung anderen Maßstäben und Kriterien
unterliege als die Unfallversicherung.
Der Senat hat die gutachterlichen Stellungnahmen des Dr. H vom 12. Mai 2005 und 26. August 2005 in dem Rentenverfahren S 20 RJ 2119/02 (Berufungsverfahren L 30 R 1428/06) in den Rechtsstreit eingeführt. Hierin hat Dr. H ausgeführt, in dem Gutachten des Dr. W-R werde die dauerhafte MdE infolge
der Wirbelkörperfraktur bemessen, hierbei entfielen natürlicherweise Leistungseinschränkungen aufgrund der von ihm als erheblich
beschriebenen degenerativen Veränderungen. Die Diagnose einer Plexus-lumbosacralis-Läsion postoperativ halte er nach dem Gutachten
des Dr. B nicht mehr aufrecht.
Auf Antrag des Klägers gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hat der Nervenarzt Dr. B am 07. Juni 2008 unter Berücksichtigung einer Psychometrie als Zusatzuntersuchung durch Dipl.-Psych.
K festgestellt, der Kläger leide an einer Halbseitenlähmung links, beinbetont, einer Polyneuropathie, einer schweren Myopathie,
einer schweren Hörminderung, einer erheblichen Leistungsminderung in der Psychometrie und einer chronischen Gelenkentzündung
mit ständiger Schmerzhaftigkeit bei zwei bekannten Ursachen: einer langjährigen toxischen Belastung in den Berufen als Maler
und LKW-Fahrer und einem Sturz von der Leiter aus vier Meter Höhe am 19. Juni 2000 mit Wirbelsäulen- und Rückenmarksverletzung.
Alle diese beschriebenen Schäden seien wahrscheinlich durch den Unfall und seine Folgen verstärkt worden.
Als konkurrierende Faktoren hat der Sachverständige die ca. 15-jährige Arbeit als Maler mit Lösungsmitteln, Farben und Stäuben,
eine Kopfverletzung mit Schädelbruch mit ca. fünf Jahren und den Sturz von der Leiter mit Bewusstlosigkeit von ca. einer Stunde,
also auch bei Hirnbeteiligung, aufgeführt. Diese seien die wesentliche Ursache für die jetzige Erkrankung, aber nicht die
einzige. Seit dem Unfall liege eine MdE von 100 v. H. vor. Die unfallbedingten Schäden seien nicht genau abzugrenzen von den
anderen, vor allem toxisch bedingten, Schäden, aber seines Erachtens sei eine Einordnung zwischen 40 und 50 % am Gesamtschaden
gerechtfertigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte
der Beklagten sowie auf die beigezogene Gerichtsakte in dem Verfahren S 69 U 747/05 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf
Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von mehr als 20 v. H.
Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 28. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. November
2001, mit dem dem Kläger eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 20 v. H. ab dem 30. April 2001 gewährt
worden ist. Der Bescheid vom 23. Mai 2003, mit dem die Beklagte dann ab dem 01. Juni 2003 statt der vorläufigen Rente eine
Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v. H. gewährt hat, ist gemäß §
96 Abs.
1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, denn der Bescheid ändert den Ursprungsbescheid teilweise ab.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf eine höhere Verletztenrente ist §
56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII).
Nach Abs. 1 S. 1 dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Rente, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls
über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist.
Nach §
56 Abs.
2 Satz 1
SGB VII richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens
ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.
Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung
festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann. Innerhalb dieses Zeitraums kann der
Vomhundertsatz der MdE jederzeit ohne Rücksicht auf die Dauer der Veränderung neu festgestellt werden (§
62 Abs.
1 SGB VII). Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte
Zeit geleistet (§
62 Abs.
2 Satz 1
SGB VII).
Wegen §
62 Abs.
2 Satz 2
SGB VII besteht bei der erstmaligen Feststellung einer Rente auf unbestimmte Zeit nach der vorläufigen Entschädigung keine Bindung
an die Höhe der MdE, die der Gewährung der vorläufigen Entschädigung zugrunde gelegen hat. Dies gilt selbst dann, wenn sich
die Verhältnisse nicht geändert haben. Es kommt damit auf eine Verschlimmerung der Unfallfolgen nicht an, auch bei einem unveränderten
Zustand der Folgen des Versicherungsfalls kann die MdE anders bewertet werden (vgl. Kasseler Kommentar - Ricke §
62 SGB VII RN 11).
Die Bemessung des Grades der MdE, also die auf Grund des §
56 Abs.
2 SGB VII durch eine Schätzung vorzunehmende Festlegung des konkreten Umfangs der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und
geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, ist nach
der ständigen Rechtssprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß §
128 Abs.
1 Satz 1
SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (vgl. u. a. BSG in SozR 3-2200 §
581 Nr. 8). Neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ist dabei die Anwendung medizinischer
oder sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen
Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis dieser Wertung ergibt
sich die Erkenntnis über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten. Hierbei kommt es stets auf die
gesamten Umstände des Einzelfalls an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten
durch die Folgen des Unfalls beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Hierbei sind
aber auch die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen
Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend
sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden
und einem ständigen Wandel unterliegen.
Die Feststellung der Höhe der MdE erfordert als tatsächliche Feststellung stets die Würdigung der hierfür notwendigen Beweismittel
im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung gemäß §
128 Abs.
1 Satz 1
SGG. Beachtet das Tatsachengericht einen bestehenden Erfahrungssatz nicht oder wendet einen nicht existierenden Erfahrungssatz
an, überschreitet es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung (vgl. BSG vom 18. März 2003 - B 2 U 31/02 R - zitiert nach juris).
Die MdE-Festsetzung ist also eine rechtliche Wertung in Form einer Schätzung, weshalb die tatsächliche Feststellung dem Unfallversicherungsträger
bzw. Sozialgericht obliegt. Die der Schätzung zugrunde liegende Rentenbegutachtung ist im Kern Funktionsbegutachtung unter
medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten (so Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall
und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Kap. 3.6.1 m. w. N.).
Schmerzen, die mit den Unfallfolgen einhergehen, werden nicht gesondert bei der MdE-Schätzung berücksichtigt, da die MdE-
Richtwerte die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mitberücksichtigen. Etwas anderes gilt nur bei einer weit über das Übliche
hinaus gehenden Schmerzempfindlichkeit mit Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit (Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO. Kap.
5.5.10).
Die prozentuale Einschätzung der MdE durch Schmerzzustände aller Art ist naturgemäß außerordentlich schwierig. Denn es kommt
nicht auf den Schmerz selber an, sondern nur seine Wirkung auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten fließt in die MdE-Bewertung
ein. Da in der gesetzlichen Unfallversicherung die MdE auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entschädigt wird, können allgemeine,
diffuse und unqualifizierte Störungen des körperlichen Wohlbefindens nicht berücksichtigt werden. Das gilt auch für leichtere
Schmerzen. Entscheidend ist nur, ob sich subjektive Behinderungen solcher Art tatsächlich und zur Überzeugung des Gutachters
nachhaltig auf die Erwerbsfähigkeit auswirken. Nur dort, wo nach Sitz und Ausmaß pathologischer Veränderungen eine über das
übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit - mit Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit - wahrscheinlich ist, muss von diesen
Sätzen abgewichen werden. Die erhöhte Einschränkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt liegt vor, wenn der Betroffene nur unter
besonderem Energieaufwand und unter Hinnahme außergewöhnlicher Schmerzen arbeiten kann. Dass setzt einen dauernden Schmerzzustand
voraus; Schmerzen allein bei häuslicher Ruhe beeinflussen die Bewertung der MdE in der Regel nicht (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin
aaO. Kap. 5.5.10)
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die von der Beklagten in den Bescheiden vom
28. August 2001 und 23. Mai 2003 anerkannten Arbeitsunfallfolgen eine höhere MdE als 20 v. H. seit dem 30. April 2001 auf
Dauer rechtfertigen. Dies ergibt sich aus den Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr. W-R vom 13. März 2003 und des Neurologen
und Psychiaters Dr. B vom 09. Juni 2004, der sein Gutachten in dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2006 außerdem
erläutert hat. Die Gutachten sind nachvollziehbar und berücksichtigen die unfallmedizinische Fachliteratur. Beide Sachverständigen
haben sich mit der diskrepanten Abweichung in der MdE-Einschätzung durch den im Verwaltungsverfahren tätig gewordenen Chirurgen
Dr. A auseinandergesetzt und überzeugend begründet, aus welchen Gründen diesem nicht gefolgt werden kann. Gleiches gilt für
die Bewertungen durch den Orthopäden Dr. H in seinem für die gesetzliche Rentenversicherung erstatteten Gutachten. Das Sozialgericht
hat die Gutachten sorgfältig ausgewertet und seine Entscheidung detailliert begründet. Es hat dabei die Einwendungen des Klägers
berücksichtigt. Seine Schlussfolgerung, dass eine höhere MdE als 20 v. H. nicht gerechtfertigt ist - auch nicht für die Zeit
vom April 2001 bis April 2002 eine MdE in Höhe von 30 v. H. - ist überzeugend begründet. Der Senat hat keine Bedenken, dem
Urteil zu folgen und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung (§
153 Abs.
2 SGG).
Der Kläger hat keine Einwendungen vorgebracht, die der Berufung zum Erfolg verhelfen könnten.
Eine Irritation des Nervus iliohypogastricus wird von Dr. B mit einer MdE von unter 10 v. H. gewertet. Dies ist nachvollziehbar,
denn nach den unfallmedizinischen Erfahrungswerten wird sogar eine Teilschädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis (Inguinaltunnelsyndrom),
die hier ja gerade nicht nachgewiesen ist, mit einer MdE von nur 0 bis 10 v. H. bewertet (Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO.
Kap. 5.6). Damit hat diese Gesundheitsschädigung keinen Krankheitswert, der zur Erhöhung der MdE wegen der LWK-Fraktur und
der dadurch bedingten Funktionseinschränkungen führen könnte. Das Gutachten des Dr. H vom 21. Mai 2003 kann ebenfalls nicht
für das Begehren, eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 40 v. H. zu erhalten, herangezogen werden, da es nicht,
und das war auch nicht die Aufgabe des Gutachters, nach den unfallversicherungsrechtlichen Kausalitätskriterien erstattet
worden ist. Bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit eines Versicherten nach §
43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) kommt es auf den Gesundheitszustand und die Funktionsbeeinträchtigungen im Ganzen an, unabhängig von der Ursache. Dies hat
Dr. H, der in dem Verfahren S 20 RJ 2119/02 mit den Gutachten von Dr. W-R und Dr. B konfrontiert worden ist, in seiner Stellungnahme vom 12. Mai 2005 auch eingeräumt
und die unterschiedlichen Bewertungen mit den erheblichen degenerativen - und damit unfallfremden - Veränderungen begründet.
Dr. H hat im Hinblick auf die Begutachtung durch Dr. B auch die Diagnose einer Plexus-lumbosacralis-Läsion postoperativ fallen
lassen. Der in dem Bericht der C vom 06. Februar 2007 beschriebene Segmentaufbrauch bei L4 bis S1 ist nicht unfallbedingt,
denn wie sich aus dem Gutachten des Dr. W-R ergibt, befanden sich bereits bei seiner Untersuchung am 12. März 2003 erhebliche
Einengungen durch anlagebedingte Veränderungen in den genannten Segmenten, die auch durch Röntgenaufnahmen vom 12. März 2002
belegt sind. Die Aussagekraft seines Gutachtens wird auch nicht dadurch entwertet, dass er unter Nennung von Gründen von einer
LWK-1-Fraktur ausgeht. Selbst das Ukrankenhaus B hat die Fraktur an dem LWK 1 in dem Durchgangsarztbericht vom 20. Juni 2000
genannt. Warum davon im Entlassungsbericht vom 10. Juli 2000 abgewichen wird oder ob nur eine Verwechslung (Übertragungsfehler)
vorliegt, lässt sich nicht nachvollziehen und muss der Senat auch nicht entscheiden. Denn letztlich entscheidend sind ohnehin
die aus der mittelbar unfallbedingten Versteifung der Segmente L1 bis L3 resultierenden Funktionsstörungen.
Letztlich vermag auch das nach §
109 SGG erstattete Gutachten des Nervenarztes Dr. B vom 07. Juni 2008 nicht zu überzeugen. Das Gutachten entspricht in keiner Weise
den Anforderungen an eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Beweisthema und beachtet auch nicht die unfallmedizinischen
Kausalitätskriterien. Der neurologische Befund besteht aus einer Vermischung selbst erhobener Befunde mit der Beschwerdeschilderung
des Klägers. Angesichts des äußerst knappen Befunds (eine Seite) und der nicht durch eigene Untersuchungen verifizierten Feststellungen
z. B. zum Hör- und Sehvermögen, sind die zum Teil gravierenden Diagnosen wie Halbseitenlähmung links, schwere Myopathie, schwere
Hörminderung nicht nachvollziehbar. Dr. B geht von einer schweren Hirnverletzung nach dem Sturz von der Leiter aus und begründet
diese Annahme mit einer einstündigen Bewusstlosigkeit des Klägers. Eine Bewusstlosigkeit wird aber an keiner Stelle in der
Vielzahl der Berichte des Ukrankenhauses B bzw. der P-Klinik W erwähnt. Nicht einmal eine Schädelbeteiligung durch den Sturz
mit entsprechenden Verletzungszeichen (Hämatom, Prellmarke, Hautabschürfung) ist dokumentiert. Soweit in dem Entlassungsbericht
der C vom 19. Dezember 2007 ein Sturz auf den Hinterkopf 2000 diagnostiziert worden ist, kann diese Feststellung nur auf den
in der Vorgeschichte vom Kläger aufgestellten Behauptungen beruhen. Eigene Befunde sind in der C diesbezüglich nicht erhoben
worden. Außerdem hat die C, wie sich aus der zusammenfassenden Beurteilung des Entlassungsberichts ergibt, keine Schlussfolgerungen
aus dem vermeintlichen Sturz auf den Hinterkopf im Hinblick auf den diagnostizierten Hirninfarkt gezogen. Sie hat vielmehr
die occipital rechts liegende Läsion am ehesten als Ausdruck einer hämorrhagischen transformierten Ischämie bei bekannten
Risikofaktoren wie Adipositas und Dyslipoproteinämie bewertet und als Konsequenz daraus eine Sekundärprophylaxe mittels ASS
100 begonnen.
Eine Kausalitätsdiskussion findet bei Dr. B ebenfalls nicht statt. Der Gutachter selbst erklärt, eine genaue Trennung der
Unfallfolgen von den vorausgehenden Leistungsschäden und Persönlichkeitsveränderungen sei nicht möglich. Er ist der irrigen
Auffassung, dass dieser Umstand von geringer Bedeutung sei, da ja alle Schäden berufsbedingt seien. Zusammenfassend ist das
Gutachten, wie die Beklagte zutreffend erklärt hat, nicht verwertbar.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.