Parallelentscheidung zu LSG Hamburg - L 2 AL 68/16 - v. 05.04.2017
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt höheres Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung ihres nach erfolgter unwiderruflicher Freistellung von
der Arbeitsleistung erzielten Einkommens aus abhängiger Beschäftigung bei der Bemessung.
Die 1957 geborene Klägerin war seit Mitte 1990 als verantwortliche Redakteurin bei A. beschäftigt. Nach betriebsbedingter
Kündigung durch Letztere vom 27. Juni 2014 und Erhebung einer Kündigungsschutzklage durch die Klägerin schlossen beide am
5. August 2014 durch arbeitsgerichtlichen Vergleich eine Vereinbarung über die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum 30.
Juni 2015, nach der die Klägerin darüber hinaus - nach widerruflicher Freistellung seit dem 1. Mai 2014 - ab 5. August 2014
unter Fortzahlung ihrer Vergütung bis zur rechtlichen Beendigung des Anstellungsverhältnisses von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung
unwiderruflich freigestellt wurde.
Nach persönlicher Arbeitsuchendmeldung am 9. März 2015 meldete die Klägerin sich am 17. Juni 2015 bei der Beklagten arbeitslos
und beantragte Arbeitslosengeld, das ihr mit Bescheid vom 9. Juli 2015 für 720 Kalendertage - ausgehend von einem täglichen
Bemessungsentgelt in Höhe von 164,51 Euro, der Lohnsteuerklasse I ohne steuerliche Berücksichtigung eines Kindes sowie einem
Leistungsentgelt in Höhe von 91,50 Euro - mit einem täglichen Leistungsbetrag von 54,90 Euro bei zusätzlicher Zahlung von
Beiträgen zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung bewilligt wurde.
Hiergegen legte die Klägerin am 31. Juli 2015 Widerspruch ein und bat vor dem Hintergrund um Neuberechnung, dass sie im Zeitraum
von Mai bis Oktober 2014 noch ein weiteres versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bei der F. Mediengruppe gehabt
habe.
Nach Vorliegen ergänzender Arbeitsbescheinigungen erließ die Beklagte unter dem 12. Oktober 2015 zunächst einen Bewilligungsänderungsbescheid,
der nach §
86 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Gegenstand des Verfahrens wurde, und mit dem das Bemessungsentgelt auf 173,90 Euro heraufgesetzt wurde, sodass sich ein
tägliches Leistungsentgelt von 95,02 Euro und ein Leistungsbetrag von 57,01 Euro ergaben.
Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit am Folgetag abgesandtem Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober
2015 zurück. Der gemäß §
150 Abs.
3 Satz 1 Nr.
1 SGB III auf 2 Jahre erweiterte Bemessungsrahmen umfasse die Zeit vom 1. Oktober 2013 bis 30. September 2015. Der Bemessungszeitraum
umfasse die Entgeltabrechnungszeiträume vom 1. Juli 2013 bis 31. Oktober 2014. In diesem sei in 488 Tagen ein beitragspflichtiges
Arbeitsentgelt von insgesamt 84.865,34 Euro erzielt worden, woraus sich ein durchschnittliches tägliches Entgelt (Bemessungsentgelt)
von 173,90 Euro ergebe. Die Klägerin sei bei der Firma A. ab 5. August 2014 unwiderruflich freigestellt gewesen, sodass das
Beschäftigungsverhältnis dort am 4. August 2014 geendet habe. Beim Beginn der unwiderruflichen Freistellung seien die folgenden
Monate noch nicht abgerechnet gewesen und gehörten deshalb nicht zum Bemessungszeitraum. Damit könne das in der Zeit vom 1.
August 2014 bis 30. Juni 2015 bei der Firma A. erzielte Arbeitsentgelt bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes nicht berücksichtigt
werden.
Mit der hiergegen am 16. November 2016 beim Sozialgericht (SG) Hamburg erhobenen Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, dass die Monate August 2014 bis Juni 2015 zum Bemessungszeitraum
gehörten. Die Tatsache, dass sie bei Beginn der Freistellung noch nicht abgerechnet gewesen seien, spreche nicht dagegen.
Die Beklagte ist dem mit dem Hinweis entgegengetreten, dass bei der Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses auf die leistungsrechtliche,
nicht auf die versicherungsrechtliche Komponente abzustellen sei. Hiernach habe das Beschäftigungsverhältnis mit der unwiderruflichen
Freistellung der Klägerin geendet.
Nach entsprechender Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27. Oktober 2016 unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheids der Beklagten
abgewiesen. Maßgebend für die Ermittlung der Entgeltabrechnungszeiträume im Sinne von §
150 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) sei das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis (Hinweis auf Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 30. April 2010 - B 11 AL 160/09B). Das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis sei aber im August 2014
beendet gewesen, sodass die Gehälter ab diesem Zeitpunkt der Bemessung nicht hätten zugrunde gelegt werden können.
Gegen diesen, ihren Prozessbevollmächtigten am 2. November 2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 2. Dezember
2016 eingelegte Berufung der Klägerin, die auf ihren bisherigen Vortrag Bezug nimmt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 27. Oktober 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung deren Bescheids
vom 9. Juli 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 12. Oktober 2015 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
12. Oktober 2015 zu verurteilen, der Klägerin höheres Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer Rechtsauffassung fest und nimmt Bezug auf die Ausführungen in ihrem Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober
2015 sowie in dem angefochtenen Gerichtsbescheid des SG.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten, die Sitzungsniederschrift
vom 5. April 2017 sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der ausweislich der Sitzungsniederschrift beigezogenen Akten.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§
151 SGG) Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist nicht
rechtswidrig im Sinne von §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung höheren Arbeitslosengelds.
Der Senat nimmt zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids
des SG (§
153 Abs.
2 SGG) sowie des angefochtenen Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 29. Dezember 2015 (§
136 Abs.
3 SGG). Die von der Beklagten und dem SG den jeweiligen Entscheidungen zu Grunde gelegte Rechtsauffassung entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, das zuletzt mit seinen Entscheidungen vom 8. Juli 2009 - B 11 AL 14/08 R, SozR 4-4300 § 130 Nr. 6, und 30. April 2010 - B 11 AL 160/09 B, juris, bekräftigt hat, dass im Bemessungszeitraum nach §
150 Abs.
1 Satz 1
SGB III lediglich die Entgelte berücksichtigt werden können, die aufgrund einer Beschäftigung im leistungsrechtlichen Sinn gezahlt
wurden. Hierzu gehören nicht Entgelte, die für Zeiträume nach einer erfolgten Freistellung von der Arbeit gezahlt werden.
Diese Rechtsfrage ist geklärt (so ausdrücklich zuletzt Bayerisches LSG, Beschluss vom 18. Juli 2016 - L 10 AL 133/16 NZB, juris).
Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes der Klägerin in den Bemessungszeitraum
(§
150 Abs.
1 Satz 1
SGB III) innerhalb des erweiterten Bemessungsrahmens (§
150 Abs.
1 Satz 2 in Verbindung mit Abs.
3 Satz 1 Nr.
1 SGB III) lediglich die bis einschließlich Juli 2014 für die Beschäftigung bei dem Unternehmen A. erzielten Entgelte sowie die noch
bis Oktober 2014 für die Beschäftigung bei der F. Mediengruppe erzielten Entgelte fallen.
Dieses Ergebnis läuft auch nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift bzw. den Grundrechten der Klägerin zuwider. Der Gesetzgeber
und das BSG legen zu Recht zu Grunde dass nach längerer Beschäftigungslosigkeit bei einer Neueinstellung nicht mehr das bisherige Gehalt
erzielt werden kann. Unabhängig davon, ob ein Arbeitnehmer bei fehlender Beschäftigung z.B. aufgrund einer Freistellung formal
in einem Arbeitsverhältnis steht und ob er trotzdem noch beitragspflichtiges Arbeitsentgelt bezieht, fehlt es an der zur Beibehaltung
des "Marktwertes" erforderlichen tatsächlichen Arbeitsleistung in seinem Beruf. Das Bestreben, ein Leistungsniveau zu verhindern,
das über einen Ausgleich für das aktuell erzielbare Entgelt hinausgeht, rechtfertigt sich ohne Weiteres aus der Lohnersatzfunktion
des Arbeitslosengeldes, und es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass nach einer unwiderruflichen Freistellung erzielte
Arbeitsentgelte in der Arbeitslosenversicherung zwar beitragspflichtig sind, bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes - anders
als bei der Erfüllung der Anwartschaftszeit - jedoch nicht berücksichtigt werden. Entgegen den klägerischen Ausführungen wird
weder einfach- noch verfassungsrechtlich eine strenge Beitragsäquivalenz der Leistungen gefordert.
Die Berechnung der Höhe des zu Grunde zu legenden Bemessungsentgelts sowie des hieraus resultierenden Leistungsentgelts und
Leistungsbetrags ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die gemäß den vorliegenden Arbeitsbescheinigungen erzielten beitragspflichtigen
Arbeitsentgelte aus den Beschäftigungen beim Unternehmen A. im Zeitraum von Juli 2013 bis Juli 2014 sowie aus der Beschäftigung
bei der F. Mediengruppe im Zeitraum von Mai 2014 bis Oktober 2014 zu Grunde gelegt, die zusammen einen Betrag von 84.865,34
Euro ausmachen. Da der Bemessungszeitraum von Juli 2013 bis Oktober 2014 488 Kalendertage (zur Maßgeblichkeit von deren Anzahl
nach den seit dem 1. Januar 2005 geltenden Vorschriften vgl. BSG, Beschluss vom 19. November 2008 - B 11 AL 94/08 B, juris, m.w.N.) umfasst, ergibt sich ein durchschnittliches tägliches Arbeitsentgelt von 173,90 Euro.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.