Tatbestand
Der Kläger verlangt eine Entschädigung nach dem
Opferentschädigungsgesetz (
OEG) in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nach einem Grad der Schädigung (GdS) von mindestens 50.
Der Kläger wurde Opfer eines rechtswidrigen schädigenden Angriffs. Am 07.04.2012 wurde der Kläger von seinem psychisch kranken
Nachbarn angegriffen. Als der Kläger die Tür öffnete, wurde er von dem Nachbarn mit ca. 30 %iger Salzsäure überschüttet.
Der Angreifer ist dafür strafrechtlich verurteilt worden. Er wurde als schuldunfähig angesehen und in eine psychiatrische
Klinik eingewiesen.
Der Schädigungsfall als solcher ist anerkannt und zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Zur Feststellung der Folgen des Angriffs ließ der Beklagte den Kläger psychiatrisch-psychotraumatologisch begutachten.
Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass das Ereignis beim Kläger zu einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt habe.
Aufgrund der Therapie sei der Kläger stabilisiert. Bei Begutachtung waren noch Reste der posttraumatischen Belastungsstörung
feststellbar. Die Einschränkung im sozialen Leben wurde mit "leicht" eingeschätzt und der GdS auf 10 vorgeschlagen.
Wegen der Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten vom 19.10.2014 verwiesen (153 V - Zahlen in Klammer sind Blattzahlen
der Akte; das "V" weist auf die Verwaltungsakte des Beklagten hin).
Der Beklagte informierte sich über den Angriff durch Beiziehung der Strafakten. Das Landgerichts-Urteil gegen den Schädiger
wurde zur Akte genommen (27 V).
Außerdem wurden eine Reihe von Befundunterlagen bezüglich der Behandlung des Klägers ausgewertet und zur Akte genommen.
Darüber hinaus holte der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme von dem Sozialmediziner Dr. H ein. Nach seiner Einschätzung
ist das psychiatrische Gutachten nicht zu beanstanden und die Einschätzung des GdS korrekt (199 V).
Mit Bescheid vom 25.02.2015 erkannte der Beklagte eine psychoreaktive Störung als Schädigungsfolge an. Eine Rentenzahlung
wurde abgelehnt (168 V).
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.09.2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (207 V).
Hiergegen hat der Kläger am 17.10.2015 Klage erhoben und die Auffassung vertreten, seine psychische Erkrankung sei aufgrund
des Angriffes sei mindestens mit einem GdS von 50 zu bewerten.
Das Sozialgericht (SG) hat Beweis erhoben durch Einholung eines Befundberichtes des behandelnden Psychiaters Dr. G.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 09.08.2016 als unbegründet abgewiesen und dazu ausgeführt:
"Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Rente gegen den Beklagten. Ein Rentenanspruch setzt voraus, dass die Schädigungsfolgen
mindestens einen GdS von 25 bedingen. Diese Voraussetzung liegt nicht vor.
Dies ergibt sich aus einer Auswertung der Verwaltungsakten und aus der gerichtlichen Beweisaufnahme.
Aus den Befundunterlagen ergibt sich, dass beim Kläger keine erhebliche Sehstörung verblieben ist. Ein GdS aufgrund einer
Sehstörung liegt nicht vor.
Der Kläger ist durch den Säureangriff nicht entstellt worden. Dies wird ebenfalls durch die umfangreichen Arztberichte bestätigt.
Hiervon konnte sich die Kammer in der mündlichen Verhandlung auch persönlich überzeugen.
Die Erkrankung, die den Kläger belastet, ist die krankhafte psychische Reaktion auf den Angriff.
Allerdings erreicht der GdS für diese Erkrankung nicht die Rentenschwelle von 25.
Dies folgt aus dem Sachverständigengutachten des Dr. L.
Das Gericht hat dieses Sachverständigengutachten im Wege des Urkundenbeweises ausgewertet, denn es erfüllt die Anforderungen
an ein wissenschaftlich-medizinisches Gutachten.
Der Gutachter hat den Kläger eingehend untersucht und die Aktenunterlagen ausgewertet. Als Facharzt für Neurologie, Psychiatrie
und Psychotherapie ist der Gutachter besonders geeignet, um psychische Reaktionen beurteilen zu können.
Es handelt sich um einen unbefangenen Gutachter, denn der Ausgang des Verfahrens ist für ihn ohne Bedeutung.
Das Gutachten ist schlüssig, nachvollziehbar und überzeugend. Die Bewertung des GdS muss mit den objektiv feststellbaren Einschränkungen
korrelieren. Ein höherer GdS als 10 ließ sich nicht rechtfertigen, denn es fanden sich nur leichte Einschränkungen der Erlebnis-
und Gestaltungsfähigkeit.
Die Richtigkeit der Einschätzung wird durch die versorgungsärztliche sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. H noch gestützt.
Die gerichtliche Beweisaufnahme hat das Ergebnis aus dem Verwaltungsverfahren in vollem Umfang bestätigt.
Der behandelnde Psychiater des Klägers hat sich der Einschätzung von Dr. L in vollem Umfang angeschlossen. Er schreibt wörtlich:
" stimme ich mit den Feststellungen des ausführlichen psychiatrischen Gutachtens von Herrn Nervenarzt Dr. med. L - Institut
für Medizinische Begutachtungen - überein." Diese Einschätzung ist von besonderer Bedeutung, denn der Kläger beruft sich bei
seiner Klage gerade auf den Behandler Dr. G.
Zusammengefasst ergibt sich das Bild, dass alle Fachleute, die sich mit dem GdS befasst haben, zum selben Ergebnis kommen.
Auch objektiv gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Kläger schwerwiegender eingeschränkt wäre. Bei Erstellung des Befundberichts
für das Gericht hatte der Kläger den behandelnden Arzt schon fast ein halbes Jahr nicht mehr aufgesucht. Dies ist ein weiteres
schwerwiegendes Indiz dafür, dass gerade kein erheblicher Leidensdruck vorliegt."
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitige Berufung des Klägers, der sein erstinstanzliches Begehren unter Wiederholung
seines bisherigen Vorbringens in vollem Umfang aufrecht hält.
Er trägt vor die Stellungnahme des Dr. G sei unergiebig. Zudem stehe die Stellungnahme in Widerspruch zu den vorangegangenen
Attesten des Dr. G vom 04.02.2013 und vom 08.01.2015. Das Sozialgericht habe es versäumt, ein unabhängiges fachpsychiatrisches
Gutachten einzuholen und sich stattdessen einseitig auf die Feststellungen des von dem Beklagten im Widerspruchsverfahren
beauftragten Gutachters Dr. L bezogen.
Auch der Beklagte ist der Auffassung, dass ein weiteres ärztliches Gutachten erforderlich gewesen wäre.
Beide Beteiligte sind auf die Absicht des erkennenden Gerichts, das Urteil aufzuheben und die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen
angehört worden.
Sie haben einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Im Übrigen
wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
Das SG konnte hier angesichts der in Frage stehenden psychischen und sonstigen Erkrankungen des Klägers nicht ohne eigene medizinische
Ermittlungen entscheiden. Das im Wege des Urkundenbeweises herangezogene Gutachten des Beklagten ist zum einen nicht mehr
aktuell und zum anderen hinsichtlich des Befunds - anders als vom SG dargelegt - nicht in vollem Umfang vom behandelnden Arzt bestätigt. Denn die Aussage von Dr. G, das vom Beklagten eingeholte
Gutachten von Dr. L sei "nicht fehlerhaft", ist unzureichend, da nicht bekannt ist, in welchem Umfang dem behandelnden Arzt
die Grundsätze einer versorgungsrechtlichen Kausalitätsbewertung und GdS-Einschätzung vertraut sind. Bei einer solchen Sachlage
bedarf es einer Klärung durch ein eigenes gerichtliches Gutachten - so wie es die Beteiligten hier auch beantragen.