Unzulässigkeit der Feststellungklage im sozialgerichtlichen Verfahren
Kein Feststellungsinteresse bei Geltendmachung einer ausschließlich in der Vergangenheit liegenden angeblichen Pflichtverletzung
der Behörde – hier einer zu früh beendeten Heilbehandlung in der gesetzlichen Unfallversicherung
Anforderungen an ein Feststellungsinteresse zur Vorbereitung von Amtshaftungsansprüchen
Tatbestand
Die Beklagte bewilligte dem 1960 geborenen Kläger aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 15.04.2009 mit Bescheiden vom 25.05.2011
und 12.12.2011 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. Ein auf die Gewährung einer
Rente nach einer MdE von 40 v.H. gerichtetes sozialgerichtliches Verfahren wurde rechtskräftig abgeschlossen und blieb für
den Kläger ohne Erfolg (Urteil des Senats vom 15.08.2017 - L 15 U 259/14 Beschluss des BSG vom 22.03.2018 - B 2 U 228/17 B -). Gleiches gilt für einen Antrag des Klägers auf Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Berufungsverfahrens (Urteil
des Senats vom 11.12.2018-L 15 U 555/18 WA; Beschluss des BSG vom 20.02.2019 - B 2 U 16/19 B -). Ein weiterer Antrag auf Wiederaufnahme ist bei dem Senat unter dem Aktenzeichen L 15 U 10/19 WA anhängig.
Der Kläger hat am 14.02.2018 beim Sozialgericht Köln unter Bezugnahme auf den Arbeitsunfall vom 15.04.2009 eine "Feststellungsklage
nach §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG" erhoben. Er hat behauptet, die Beklagte habe die Heilbehandlung sowohl auf orthopädischem-chirurgischem als auch auf dem
psychologischen Fachgebiet zu früh beendet, wodurch eine Chronifizierung der Erkrankungen eingetreten sei. Die Beklagte habe
zu spät erkannt, dass bei dem Arbeitsunfall das SL-Band teilweise gerissen sei. Deshalb sei das SL-Band nicht mehr operationsfähig
gewesen. Zudem sei eine psychologische Therapie indiziert gewesen. In rechtlicher Hinsicht hat der Kläger die Auffassung vertreten,
er könne sich auf den sozial-rechtlichen Herstellungsanspruch berufen. Die eingereichte Feststellungsklage sei notwendig,
um anschließend einen Amtshaftungsprozess gegen die Beklagte vor den zuständigen ordentlichen Gerichten zu führen. Mit der
Klage werde deshalb die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses zur Durchsetzung von Amtshaftungsansprüchen begehrt.
Der Kläger hat schriftsätzlich ausdrücklich beantragt,
festzustellen, dass (1) die Beklagte "pflichtwidrig in vorgenannter Angelegenheit, durch die Leistungen nach §
27 Abs.
1 Nr.
6 und
7 SGB VII vorzeitig eingestellt hat und dass (2) hierdurch eine Chronifizierung der Erkrankungen eingetreten sei."
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Voraussetzungen für eine Feststellungsklage für nicht gegeben gehalten.
Nach Anhörung der Beteiligten (mit Postzustellungsurkunde vom 27.03.2019 dem Kläger zugestellter Richterbrief vom 25.03.2019)
hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12.09.2019 als unzulässig abgewiesen. Auf die Begründung wird Bezug
genommen.
Gegen den ihm am 14.09.2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 07.10.2019 Berufung eingelegt, die er trotz Erinnerung
nicht begründet hat. Einen ausdrücklichen Antrag hat der Kläger nicht gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streit- und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten,
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat durfte die Streitsache mündlich verhandeln und durch Urteil entscheiden, obwohl die Beteiligten in der mündlichen
Verhandlung vom 19.05.2020 nicht erschienen sind, weil die Beteiligten in der ihnen ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung
auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die vom Kläger ausdrücklich erhobene Feststellungsklage zu Recht
abgewiesen, weil sie unzulässig ist.
Unabhängig davon, ob es sich bei der vom Kläger geltend gemachten pflichtwidrigen vorzeitigen Einstellung von "Leistungen
nach §
27 Abs.
1 Nr.
6 und
7 SGB VII" um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne von §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG oder vielmehr um ein nicht gesondert feststellungsfähiges Element des zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Rechtsverhältnisses
handelt, fehlt das nach §
55 Abs.
1 SGG erforderliche Feststellungsinteresse des Klägers.
Der Kläger macht eine ausschließlich in der Vergangenheit liegende angebliche Pflichtverletzung der Beklagten sowie einen
dadurch angeblich entstandenen, auch nach dem Vorbringen des Klägers selbst nicht mehr korrigierbaren Zustand, nämlich eine
angebliche Chronifizierung von Leiden, geltend. Es geht ihm damit erkennbar nicht darum, dass die Beklagte zukünftig weitere
Heilbehandlungsmaßnahmen zu seinen Gunsten durchführt. Er erhebt nach seinem eigenen Vorbringen die Feststellungsklage ausschließlich
deshalb, weil er zukünftig Amtshaftungsansprüche gegen die Beklagte geltend machen möchte. Ein Feststellungsinteresse zur
Vorbereitung von Amtshaftungsansprüchen besteht jedoch nur dann, wenn sich nach Erhebung einer Anfechtungs-, Verpflichtungs-
oder Leistungsklage das Rechtsschutzbegehren erledigt hat. In diesem Fall sollen dem betroffenen Kläger die Vorteile der bisherigen
Prozessführung erhalten bleiben. Wenn sich jedoch das Rechtsschutzbegehren vor Erhebung der sozialgerichtlichen Klage erledigt
hat oder weggefallen ist, besteht für die Erhebung einer sozialgerichtlichen Feststellungsklage zur Vorbereitung eines Amtshaftungsanspruchs
kein Bedürfnis. Vielmehr kann die Frage eines etwaigen rechtswidrigen Verwaltungshandelns voll umfänglich im Amtshaftungsprozess
vor den zuständigen ordentlichen Gerichten geprüft werden (vgl. zum Ganzen Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2018, §
131 Rn. 10h). So liegt der Fall auch hier. Ein etwaiger Anspruch des Klägers auf unfallversicherungsrechtliche Heilbehandlung
hat sich nach dem eigenen Vorbringen des Klägers weit vor Erhebung der Klage im vorliegenden Verfahren erledigt, weil die
aus Sicht des Klägers angeblich erforderlich gewesenen medizinischen Maßnahmen nicht mehr rückwirkend erbracht werden und
die nach Auffassung des Klägers bereits eingetretene Chronifizierung seiner Leiden nicht mehr verhindern können. Von einer
gesonderten Feststellung eines etwaigen pflichtwidrigen Handelns der Beklagten durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit
hätte der Kläger deshalb im Hinblick auf die von ihm beabsichtigte Amtshaftungsklage gegen die Beklagte keinen nennenswerten
Vorteile. Vielmehr steht dem Kläger ein effektiverer Weg zur Verfügung, indem er direkt Amtshaftungsklage gegen die Beklagte
vor dem sachlich zuständigen Landgericht erhebt. Dass dieses Verfahren Gerichts kostenpflichtig ist, vermag ein Feststellungsinteresse
für eine Feststellungsklage vor dem Sozialgericht nicht zu begründen.
Die Klage ist darüber hinaus auch unbegründet. Für etwaige Rechtsverstöße der Beklagten bei der Durchführung und im Hinblick
auf die Dauer der unfallversicherungsrechtlichen Heilbehandlung ist nichts ersichtlich. Der Senat hat im Urteil vom 15.08.2017
- L 15 U 259/14 - entschieden, dass auf unfallchirurgisch-orthopädischem Fachgebiet andere als die von der Beklagten anerkannten Unfallfolgen
nicht vorliegen. Die vom Kläger geltend gemachte Teilruptur des SL-Bandes war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht Folge
des Arbeitsunfalls vom 15.04.2009. Ebenso wenig lagen nach den Feststellungen des Senats auf neurologisch-psychiatrischem
Fachgebiet weitere Unfallfolgen als die von der Beklagten anerkannte vorübergehende Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik
vor. Vielmehr beruhte nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme die vom Kläger beklagten psychischen Beschwerden
wesentlich auf unfallfremden Ursachen. Dass und warum diese Feststellungen des Senats unzutreffend sein sollten, ist nicht
ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht dargelegt. Vielmehr hat sich der Senat in dem genannten Urteil ausführlich mit
den Einwänden des Klägers befasst. Neue Gesichtspunkte trägt der Kläger nicht vor. Der Senat ist deshalb nach wie vor von
der Richtigkeit seiner Feststellungen in dem genannten Urteil überzeugt. Es bestehen deshalb keinerlei Anhaltspunkte dafür,
dass die Beklagte notwendige Heilbehandlungsmaßnahmen, die zur Behandlung von Unfallfolgen bei dem Kläger erforderlich gewesen
sind, nicht durchgeführt oder zu früh beendet hat. Eine etwaige Chronifizierung von Leiden des Klägers, deren Eintritt der
Senat ausdrücklich dahinstehen lässt, ist deshalb auf keinen Fall durch etwaige Handlungen oder Unterlassungen der Beklagten
verursacht worden.
Soweit sich der Kläger auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch beruft, ist sein Vorbringen unverständlich und abwegig.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist von seinen Rechtsfolgen her auf eine Amtshandlung der Beklagten gerichtet, durch
die derjenige Rechtszustand hergestellt werden soll, wie er bei rechtmäßigem Verwaltungshandeln bestünde. Eine solche Amtshandlung
begehrt der Kläger erkennbar nicht. Zudem macht er gerade geltend, dass bei ihm ein Gesundheitszustand eingetreten sei, der
chronifiziert sei und dementsprechend auch nicht mehr günstig beeinflusst werden kann. Gerade deshalb meint er ja auch, dass
ihm ein Schaden entstanden sei, aufgrund dessen ihm ein Amtshaftungsanspruch gegen die Beklagte zustehe. Mit dem sozialrechtlichen
Herstellungsanspruch hat dies alles nichts zu tun.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), liegen nicht vor.