Entschädigung von Zeugen im sozialgerichtlichen Verfahren; Abgrenzung von Zeugen und sachverständigen Zeugen; Keine Bemessung
der Entschädigung nach der Gebührenordnung für Ärzte
Gründe:
I.
Im Verfahren S 6 KR 6672/11 vor dem SG Nordhausen (SG) begehrte die Klägerin die Übernahme der Kosten einer stationären Anschlussrehabilitation. Mit Verfügung vom 24. Oktober
2013 richtete die Vorsitzende der 6. Kammer an 173 niedergelassene Psychotherapeuten aus dem Raum E. und N. folgende Anfrage:
"Hätten Sie ab Oktober 2009 eine blinde Patientin mit den Diagnosen Depression und Somatisierungsstörung in Ihre ambulante
Betreuung aufnehmen können? Wie lange wäre ggf. die Wartezeit bis zum Beginn der Behandlungen gewesen, wenn Sie die Patientin
noch im Oktober 2009 auf Ihre Warteliste gesetzt hätten?". In ihrer Antwort vom 7. November 2013 schilderte die Beschwerdegegnerin
die Verfahrensweise bei der Aufnahme neuer Klienten und teilte mit, sie könne heute nicht mehr zurückverfolgen, ob sie zum
relevanten Zeitpunkt eine Patientin neu hätte aufnehmen können. Ggf. hätte diese mit einer Wartezeit von einem 3/4 Jahr rechnen
müssen. Mit Schreiben vom gleichen Tag beantragte sie eine Entschädigung in Höhe von 27,60 Euro nach Ziffer 75 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) teilte ihr unter dem 21. Januar 2014 mit, der Kostenersatz richte sich nach
§ 10 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) und die Gesamtentschädigung errechne sich auf 2,91 Euro. Am 27. Januar 2014 hat die Beschwerdegegnerin ausgeführt, sie habe
eine ausführliche Zuarbeit geleistet und erwarte eine finanzielle Entsprechung für ihren Zeitaufwand von mindestens einer
¾ Stunde in Höhe von mindestens 26,03 Euro (GOÄ-Ziffern 80, 95, 96 (für 2 Kopien); Porto für zwei Briefe).
Nach Anhörung des Beschwerdeführers hat das SG mit Beschluss vom 15. Januar 2015 "die Vergütung für die schriftliche Äußerung der sachverständigen Zeugin" auf 21,58 Euro
festgesetzt und die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Beschwerdegegnerin sei zweifelsfrei als sachverständige
Zeugin vom SG beauftragt worden und nach Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG mit 21,00 Euro zu entschädigen. Es handle sich bei der Beantwortung der Fragen zweifelsohne um eine schriftliche Auskunft
ohne nähere gutachterliche Äußerung. Nicht in Betracht komme eine Kostenerstattung für Portokosten im Rahmen des Festsetzungsverfahrens.
Gegen den Beschluss hat der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt und ausgeführt, die bei Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG erfasste Tätigkeit gehe in Umfang und Aufwand über die in der ärztlichen Praxis übliche Tätigkeit für Erstellung von Befund-
und Krankheitsberichten hinaus und erfasse eine ins Einzelne gehende Darstellung der Krankheitsgeschichte mit detaillierten
Angaben zu den erhobenen Befunden. Sie sei hier nicht ausgeübt worden. Die Beschwerdegegnerin sei wie eine Zeugin nach § 19 Abs. 1 JVEG nach dem Zeitaufwand zu entschädigen. Nachdem ein Verdienstausfall nicht eingetreten sei und die Beschwerdegegnerin für die
Beantwortung der Fragen nicht mehr als 30 Minuten benötigt haben dürfte, belaufe sich deren Anspruch auf 3,50 Euro sowie 0,59
Euro Portoauslagen, insgesamt 4,09 Euro.
Die Beschwerdegegnerin hat sich zur Sache nicht geäußert.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 25. Februar 2015) und sie dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt.
Der Senatsvorsitzende hat das Verfahren mit Beschluss vom 12. März 2015 dem Senat übertragen.
II.
Zuständig für die Entscheidung ist nach der Geschäftsverteilung des Thüringer Landessozialgerichts der erkennende Senat. Er
ist u.a. für alle Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren nach dem JVEG zuständig.
Die Beschwerde ist zulässig und überwiegend begründet. Die Beschwerdegegnerin hat lediglich Anspruch auf Zeugenentschädigung
in Höhe von 5,09 Euro.
Der von der Vorinstanz angenommene Anspruch aus Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG kommt nicht in Betracht, weil nach § 10 Abs. 1 JVEG in Anlage 2 nur die Honorierung von Leistungen eines Sachverständigen oder eines sachverständigen Zeugen geregelt ist. Die
Beschwerdegegnerin wurde aber entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht als sachverständige Zeugin, sondern als Zeugin herangezogen.
Zeuge ist eine am Verfahren nicht selbst als Partei oder als gesetzlicher Vertreter einer Partei unmittelbar beteiligte Auskunftsperson,
die durch Aussage über Tatsachen und tatsächliche Vorgänge Beweis erbringen soll (vgl. Greger in Zöller,
ZPO, 30. Auflage 2014, §
373 Rdnr 1). Sofern sie dies nur wegen ihrer besonderen Fachkenntnisse vermag, ist sie nach §
414 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) sachverständiger Zeuge (vgl. BSG, Urteil vom 26. November 1991 - 9a RV 25/90, nach juris). Allein der Zusammenhang mit einem ärztlichen Fachgebiet begründet
allerdings nicht die Eigenschaft als sachverständiger Zeuge. Bestimmte Angaben, wie z.B. die bloße Wiederholung von Aufzeichnungen,
sind auch einer medizinisch nicht vorgebildeten Schreibkraft anhand der Aktenunterlagen möglich. Die Tätigkeit des sachverständigen
Zeugen ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass er regelmäßig neben der reinen Tatsachenmitteilung auch sachverständige Schlussfolgerungen
ziehen muss (vgl. BSG, Urteil vom 26. November 1991 - 9a RV 25/90, nach juris; Senatsbeschluss vom 26. September 2013 - L 6 SF 1107/13). Hierfür sind im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte ersichtlich. Die Fragen des SG bezogen sich nur auf die Praxisorganisation. Medizinische bzw. psychotherapeutische Schlussfolgerungen waren nicht erforderlich.
Kein Anspruch auf die beantragte Vergütung ergibt sich aus den Ziffern 75, 80 der GOÄ. Unabhängig davon, ob sie überhaupt einschlägig wären (Ziffer 75: Ausführlicher Krankheits- und Befundbericht (einschließlich
Angaben zur Anamnese, zu dem(n) Befund(en), zur epikritischen Bewertung und gegebenenfalls zur Therapie, Ziffer 80: Schriftliche
gutachtliche Äußerung), scheidet eine Entschädigung nach der GOÄ bereits deshalb aus, weil bei einer Heranziehung durch Gerichte die Vergütung oder Entschädigung von Zeugen nur nach dem
JVEG erfolgt (§ 1 Abs. 1 S. 2 JVEG). Die GOÄ findet nur in den im JVEG ausdrücklich normierten Fällen Anwendung und zwar nach § 10 Abs. 2 JVEG für Leistungen der in Abschnitt O des Gebührenverzeichnisses für ärztliche Leistungen (Anlage zur Gebührenordnung für Ärzte) bezeichneten Art von Sachverständigen. Die Beschwerdegegnerin ist dazu vom Gericht nicht ernannt worden.
Damit kommt nur eine Entschädigung nach § 19 JVEG in Betracht. Nach Absatz 1 erhalten Zeugen - auch bei schriftlicher Beantwortung der Beweisfrage (Satz 1) - Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG), Ersatz für sonstige Aufwendungen (§ 7 JVEG), Entschädigung für Zeitversäumnis (§ 20 JVEG), Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung (§ 21 JVEG) und Entschädigung für Verdienstausfall (§ 22 JVEG). Nach § 20 JVEG beträgt die Entschädigung für Zeitversäumnis 3,50 Euro/Stunde, soweit sie - wie hier - weder für einen Verdienstausfall noch
für Nachteile bei der Haushaltsführung zu gewähren ist. An diese gesetzlichen Vorgaben ist der Senat gebunden. Er folgt der
Beschwerdegegnerin, soweit sie einen Zeitaufwand von mehr als ½ Stunde vorträgt. Zusätzlich zu erstatten sind nach § 7 JVEG Kopierkosten von 1,00 Euro (2 x 0,50 Euro) und Portokosten in Höhe von 0,59 Euro.
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).