Gründe:
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die rückwirkende Einführung der Lohnsteuerfreiheit der Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge
durch das Steueränderungsgesetz vom 26. Juni 1973 (BGBl I, 676) - StÄndG 1975 - auch die rückwirkende Beitragsfreiheit dieser
Zuschläge in der Sozialversicherung zur Folge hat.
Die Betriebskrankenkasse der Klägerin zu 1) hatte die auf den Kläger zu 2) für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai 1973 u.a.
zur Rentenversicherung der Arbeiter entfallenden Beiträge unter Einbeziehung der von der Klägerin zu 1) dem Kläger zu 2) gezahlten
Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge berechnet.
Die Kläger beantragten im April 1975 bei der Beklagten, die auf diese Zuschläge entrichteten Beitragsteile zur Arbeiterrentenversicherung
zurückzuzahlen, weil das StÄndG 1973 nicht nur die unbeschränkte Steuerfreiheit dieser Zuschläge, sondern auch deren Beitragsfreiheit
rückwirkend ab 1. Januar 1973 eingeführt habe. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Juli 1975 ab. Der Widerspruch
blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 1975). Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 22. Juni 1976 die Beklagte zur Rückzahlung der Beitragsanteile in Höhe von je 40,28 DM an die Kläger
verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG mit Urteil vom 25. Januar 1978 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat dazu ausgeführt: Die Wirksamkeit der Beitragsleistung
richte sich allein nach der Rechtslage im Zeitpunkt ihrer Entrichtung. Zu dieser Zeit seien die Zuschläge nicht beitragsfrei
gewesen und infolgedessen auch nicht ohne rechtlichen Grund entrichtet worden. Es handele sich vom Zeitpunkt der Entrichtung
an um ein "abgewickeltes" Versicherungsverhältnis, das mangels einer entsprechenden gesetzlichen Regelung nicht habe rückwirkend
geändert werden dürfen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision wenden sich die Kläger gegen diese rechtliche Beurteilung. Sie führen dazu aus:
Das Verbot des Eingriffes in ein abgewickeltes Versicherungsverhältnis gelte nur für die versicherungsrechtlich bedeutsamen
tatsächlichen Verhältnisse und auch hier nicht ausnahmslos. überdies habe der Gesetzgeber auch mit dem StÄndG 1973 eine gesetzliche
Regelung für die Sozialversicherung getroffen, weil dieses Gesetz sich im Hinblick auf den Gemeinsamen Erlass des Reichsministers
der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 - AN 1944, 281 - (RFM/RAMErl vom 10.9.1944) unmittelbar
auf die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht auswirke.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 25. Januar 1978 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Lüneburg
vom 22. Juni 1976 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision der Kläger ist unbegründet. Ihnen steht ein Anspruch auf Rückerstattung der Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung
(§ 1424
Reichsversicherungsordnung -
RVO-) für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai 1973, soweit sie unter Einbeziehung der von der Klägerin zu 1) dem Kläger zu 2)
gezahlten Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge berechnet sind, nicht zu. Das LSG hat die Frage, ob die durch das StÄndG
1973 rückwirkend zum 1. Januar 1973 eingeführte Steuerfreiheit der Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit auch
deren Beitragsfreiheit zur Rentenversicherung bewirkt, zu Recht verneint.
Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision, dass nach dem RFM/RAMErl vom 10.9.1944 - die §
14 bis
18 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB IV) finden auf diesen Fall noch keine Anwendung - die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von dem Betrag zu berechnen
sind, der für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend ist. Die Revision verkennt aber, dass die gemeinsame Bemessungsgrundlage
nur in den Fällen von Bedeutung sein kann, in denen nach den übrigen Rechtsvorschriften tatsächlich ein gemeinsamer Lohnabzug
stattfindet (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand: 8. Aufl. bis 50. Nachtrag, S. 310 f. I). Eine Abweichung vom
Steuerrecht ist also stets dann gerechtfertigt, wenn sich die steuerrechtliche Regelung nicht mit den sozialversicherungsrechtlichen
Auswirkungen vereinbaren lässt (Urteil des erkennenden Senats vom 1. Dezember 1977 - 12 RK 11/76, SozR 2200 § 160 Nr. 5 S. 15). Deshalb bewirkt die rückwirkende Einführung der Steuerfreiheit der Sonntags-, Feiertags- und
Nachtarbeitszuschläge durch das StÄndG 1973 allein noch nicht die rückwirkende Beitragsfreiheit dieser Zuschläge zur Rentenversicherung.
Vielmehr setzt, wie bereits das LSG zutreffend ausgeführt hat, die rückwirkende Beitragsfreiheit dieser Zuschläge voraus,
dass die im StÄndG 1973 getroffene Regelung mit dem für das Sozialversicherungsverhältnis geltenden allgemeinen Grundsatz
der Unveränderlichkeit eines "abgewickelten" Versicherungsverhältnisses in Einklang steht.
Bereits das Reichsversicherungsamt (RVA) hatte den Begriff des "abgewickelten" Versicherungsverhältnisses eingeführt (AN 1919,
291; 1935, 221), wonach für die Beitragsberechnung und für die Höhe der Geldleistungen aus der Versicherung allein der Zeitpunkt
der Beitragsleistung oder der Entstehung des Versicherungsanspruchs maßgeblich ist. Es hat hierzu insbesondere auf die Wechselwirkung
von Beiträgen und Versicherungsleistungen hingewiesen und entschieden, dass durch rückwirkende Änderungen der Grundlagen des
Versicherungsverhältnisses grundsätzlich weder die Beiträge noch die Versicherungsleistungen für die zurückliegende Zeit berührt
werden (RVA AN 1919, 291). Diese Rechtsprechung hat der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in den Urteilen vom 17. Dezember
1964 - 3 RK 74/60 (BSGE 22, 162, 166) für die rückwirkende Lohnerhöhung und vom 30. April 1968 - 3 RK 100/64 (SozR Nr. 24 zu § 160
RVO) für die nachträgliche Zahlung einer Barabgeltung für einen nicht gewährten Hausarbeitstag fortgeführt. Der 3. Senat hat
nachträgliche Änderungen im Entgelt nicht für einen bereits abgeschlossenen Lohnzahlungszeitraum berücksichtigt, weil im Sozialversicherungsrecht
jeweils nur diejenigen Bezüge erfasst werden, die dem Versicherten im Zeitpunkt der Fälligkeit zugeflossen sind. Nicht einschlägig
sind hingegen das von der Revision angeführte Urteil des 4. Senats des BSG vom 10. Juni 1955 - 4 RJ 9/54 (BSGE 1, 52, 53) sowie die Urteile des 3. Senats vom 28. Februar 1967 - 3 RK 72/64 (BSGE 26, 120, 123) und des 1. Senats des BSG vom 14. Februar 1973 - 1 RA 241/71 (BSGE 35, 195, 198), die alle nicht die rückwirkende Gestaltung des Versicherungsverhältnisses, sondern nur den Eintritt einer auflösenden
Bedingung betreffen.
Der Revision ist zuzustimmen, dass die vorgenannten Entscheidungen des RVA und des BSG nur Fälle zum Gegenstand hatten, die
rückwirkende Eingriffe in das Versicherungsverhältnis durch nachträgliche Änderung tatsächlicher Umstände des Arbeitsverhältnisses
betreffen. Es ist aber nicht ersichtlich, weshalb der Grundsatz der Unabänderlichkeit des abgewickelten Versicherungsverhältnisses
nicht auch für alle anderen möglichen Fälle der nachträglichen Änderung der Grundlagen des Versicherungsverhältnisses gelten
soll. Denn in dem gesetzlichen Versicherungsverhältnis stehen sich die laufende Beitragspflicht des Versicherten und die ständige
Leistungsbereitschaft oder die Leistung oder die Begründung entsprechender Anwartschaften des Versicherungsträgers deckungsgleich
und gegenwärtig gegenüber. Wie jede Änderung der tatsächlichen Grundlagen des Versicherungsverhältnisses, die auch den zurückgelegten
Teil dieses Dauerrechtsverhältnisses erfasst, müsste auch die rückwirkende Änderung der rechtlichen Verhältnisse zwangsläufig
zu einer entsprechenden rückwirkenden Änderung der zurückgelegten Abschnitte des Versicherungsverhältnisses führen. Ein so
erheblicher Eingriff in den abgewickelten Teil des auf Dauer angelegten Versicherungsverhältnisses bedarf infolgedessen einer
ausdrücklichen gesetzlichen Abgrenzung zur Art und zum Umfang der Rückwirkung. Die Revision weist zu Recht auch darauf hin,
dass der Gesetzgeber in der Vergangenheit stets besondere gesetzliche Regelungen getroffen hat, soweit er rückwirkend die
Umgestaltung bereits abgewickelter Teile eines Versicherungsverhältnisses regeln oder zulassen wollte.
Für die hier streitigen Zuschläge ist jedoch keine gesetzliche Ausnahmeregelung ergangen. Zunächst enthält das StÄndG 1973
keine Vorschrift, durch die §§ 160, 1385
RVO ausdrücklich geändert worden sind. Das StÄndG 1973 ist auch nicht deshalb für das Beitragsrecht verbindlich geworden, weil
nach dem RFM/RAMErl vom 10.9.1944 die Beiträge grundsätzlich von dem Betrag zu berechnen sind, der für die Berechnung der
Lohnsteuer maßgebend ist. Wie bereits erwähnt, schließt der RFM/RAMErl vom 10.9.1944 eine unterschiedliche Behandlung der
Einkünfte in steuerrechtlicher und in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht dann nicht aus, wenn nach den übrigen Vorschriften
beider Rechtsgebiete tatsächlich kein gemeinsamer Lohnabzug stattfindet. Auch hier gebietet die verschiedene Struktur des
Sozialversicherungsverhältnisses einerseits und des Steuerrechtsverhältnisses andererseits die unterschiedliche Behandlung
des gleichen Tatbestandes im Steuer- und im Sozialversicherungsrecht. Das Versicherungsverhältnis ist mit dem Beitragsabzug
für den ihm entsprechenden Zeitraum "abgewickelt", es kann nur noch unter besonderen Bedingungen nachträglich geändert werden.
Dagegen gilt im Einkommensteuerrecht das System der Veranlagung für die Vergangenheit, verbunden mit Vorauszahlungen; der
Veranlagungszeitraum entspricht dem Kalenderjahr (§
25 des Einkommensteuergesetzes -
EStG-). Änderungen der Besteuerungsgrundlagen haben infolgedessen steuerrechtlich jedenfalls dann keine Rückwirkungen, wenn sie
- wie hier - während des laufenden Steuerjahres erfolgen. Dies gilt auch für die Lohnsteuer, die ebenfalls eine Jahressteuer
ist und nur eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer darstellt (vgl. Blümich/Falk
EStG, 11. Aufl., §
38 Rdn. 2). Eine der Änderung des Steuerrechtsverhältnisses entsprechende Änderung der Bemessungsgrundlagen der Beiträge für
die Sozialversicherung (§§ 160 Abs. 1, 1385 Abs. 3a
RVO) kann deshalb hinsichtlich der hier streitigen Zuschläge durch das StÄndG 1973 nicht angenommen werden. Infolgedessen besteht
für diesen Teil des Entgelts für den zurückliegenden Zeitraum zwar keine Lohn- (Einkommen-)Steuerpflicht; es handelt sich
aber bei den Zuschlägen um Entgelt i.S. der §§ 160 Abs. 1, 1385 Abs. 3a
RVO, für das im Rahmen des abgewickelten Teiles des Versicherungsverhältnisses entsprechende Beiträge wirksam geleistet worden
sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.