Anspruch eines Patienten auf Kostenerstattung für eine Behandlung in einem Heilstollen in Österreich wegen Morbus Bechterew
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in Form einer Überraschungsentscheidung
Gründe
I
Der Kläger, der an Morbus Bechterew leidet, begehrt im zugrunde liegenden Rechtsstreit die Erstattung von Kosten iHv 1832,13
Euro, die ihm im Zusammenhang mit einer 2017 erfolgten Behandlung im Heilstollen in G, Österreich, entstanden sind.
Dem Kläger wurden ab 1995 zu Lasten wechselnder Träger nahezu jährlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in G erbracht.
Seinen im Frühjahr 2017 gestellten Antrag auf Gewährung von medizinischen Rehabilitationsleistungen lehnte die Beklagte ab,
weil die Vier-Jahres-Frist des §
12 Abs
2 Satz 1
SGB VI noch nicht verstrichen sei (Bescheid vom 31.5.2017; Widerspruchsbescheid vom 18.7.2017). Während des daraufhin angestrengten, jedenfalls zunächst auf Gewährung der begehrten Sachleistung gerichteten Klageverfahrens
absolvierte der Kläger die erstrebten Maßnahmen in G von Ende August bis Anfang September 2017 auf eigene Kosten. Im April
2018 hat er einen neuerlichen Leitungsantrag gestellt, dem die Beklagte stattgegeben hat. Im Mai 2018 ist die Beklagte in
einem parallelen Klageverfahren verurteilt worden, dem Kläger die Kosten für eine 2015 erfolgte Behandlung in G zu erstatten.
Im vorliegend zugrunde liegenden Klageverfahren hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem SG - durch Bezugnahme auf die Klageschrift - wörtlich seinen auf Kostenübernahme gerichteten Klageantrag gestellt. Das SG hat dies als Kostenerstattungsantrag ausgelegt, gerichtet auf Erstattung der im Zusammenhang mit der Behandlung in G in 2017
entstandenen Behandlungs-, Fahr- und Übernachtungskosten, und die Beklagte entsprechend verurteilt (Urteil vom 17.9.2019). Auf deren Berufung hat das LSG - im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter
- die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es würden bereits
erhebliche Bedenken im Hinblick auf die Zulässigkeit der Klage bestehen. Es sei ausgeschlossen, dass der Klageantrag sich
noch auf die Erstattung der 2017 entstandenen Kosten bezogen habe, nachdem der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren zwischenzeitlich
selbst Kostenerstattung begehrt, dann aber zum ursprünglichen, auf Kostenübernahme gerichteten Antrag zurückgekehrt sei. Das
Rechtsschutzbedürfnis für einen solchen Kostenübernahmeantrag erscheine mit Blick auf das Parallelverfahren fraglich, zudem
habe die Beklagte dem Kläger im April 2018 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation bewilligt und seinem Leistungsbegehren
damit entsprochen. Hinsichtlich des vorliegend angefochtenen Bescheids der Beklagten vom 31.5.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 18.7.2017 komme daher nur eine Fortfestsetzungsfeststellungsklage in Betracht. Im Übrigen sei die Klage, soweit man ihre
Zulässigkeit unterstelle, unbegründet. Der Kläger könne für die in 2017 durchgeführten Maßnahmen keine Kostenerstattung verlangen.
Dies könne sich allein aus §
15 Abs
1 Satz 3 und 4
SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung ergeben. Die vom Kläger nachgewiesenen Aufwendungen seien jedoch schon nicht
erstattungsfähig, weil sie für Leistungen angefallen seien, die die Beklagte im Rahmen einer rechtmäßigen Leistungserbringung
nicht habe gewähren können (Urteil vom 2.7.2020).
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil. Er macht als Verfahrensmangel
(Zulassungsgrund nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG) eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör in Form einer Überraschungsentscheidung geltend, indem das LSG vor
seiner Entscheidung nicht auf die Bedenken gegenüber der Zulässigkeit der Klage hingewiesen habe. Zudem macht er eine grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG) geltend.
II
Die Beschwerde ist insgesamt zurückzuweisen (§
170 Abs
1 Satz 1
SGG). Hinsichtlich der gerügten Gehörsverletzung (dazu unter 1.) ist die noch zulässige Beschwerde unbegründet. Hinsichtlich der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung ist die Beschwerde
schon unzulässig, weil die Beschwerdebegründung insoweit nicht die maßgeblichen Darlegungsvoraussetzungen erfüllt (dazu unter 2.).
1. Die vom Kläger gerügte Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG; §
62 Halbsatz 1
SGG) in Form einer Überraschungsentscheidung stellt jedenfalls keinen Verfahrensmangel dar, auf dem das angegriffene Urteil beruhen
kann. Von einer Überraschungsentscheidung ist auszugehen, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf
einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf
nicht zu rechnen brauchte (stRspr; zuletzt etwa BVerfG <Kammer> Beschluss vom 13.2.2019 - 2 BvR 633/16 - juris RdNr 24 mwN; s auch BSG Urteil vom 23.5.1996 - 13 RJ 75/95 - SozR 3-1500 § 62 Nr 12 = juris RdNr 24 ff; BSG Beschluss vom 20.12.2016 - B 5 R 242/16 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 21.1.2020 - B 13 R 287/18 B - juris RdNr 13; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
62 RdNr 8b mwN). Gemessen hieran sind die vom LSG erstmals in den Urteilsgründen formulierten Bedenken gegenüber der Zulässigkeit der Klage
zwar überraschend gewesen. Damit musste der Kläger nicht rechnen, nachdem weder vom SG noch zwischen den Beteiligte Fragen zum statthaften Klageantrag wie zum Rechtsschutzbedürfnis des Klägers erörtert worden
waren und das LSG auf entsprechende Bedenken nicht hingewiesen hatte. Auf einem darin möglicherweise liegenden Verfahrensmangel
beruht die angegriffene Entscheidung jedoch nicht.
Wie die Entscheidungsgründe zeigen, hat das LSG seine Entscheidung auf eine zweifache Begründung gestützt. Es hat die Berufung
des Klägers mit der selbstständig tragenden Begründung zurückgewiesen, diese sei bei unterstellter Zulässigkeit unbegründet.
Ausgehend von der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG wäre die Berufung mithin selbst dann erfolglos geblieben,
wenn das LSG die Klage nach einem entsprechenden Hinweis und klarstellendem Vortrag des Klägers als zulässig erachtet hätte.
2. Der Kläger legt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise dar. Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt,
deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen
Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit).
In der Beschwerdebegründung ist deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre
nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und der Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage
im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 13 R 289/18 B - juris RdNr 9; vgl auch BVerfG <Kammer> Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 §
160a Nr 7 S 14; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160a RdNr 14 ff mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger formuliert als Rechtsfrage,
"ob nicht vor Ablauf von 4 Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen zur Rehabilitation erneut Kosten für
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder ähnlicher Leistungen zur Rehabilitation übernommen werden können, wenn durch
die entsprechend beantragten Leistungen nachgewiesenermaßen eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes verhindert werden
kann".
Er bringt vor, wie sein eigener Fall zeige, würden Morbus Bechterew-Patienten von einer intensiveren Behandlung in einem Heilstollen
profitieren. Gleichwohl bringe die Beklagte die Ausnahmeregelung in §
12 Abs
2 Satz 2
SGB VI in einer Vielzahl vergleichbarer Fälle nicht zur Anwendung.
Es sei dahingestellt, ob der Kläger damit trotz des starken Einzelfallbezugs eine hinreichend bestimmte und aus sich heraus
verständliche abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit von §
12 Abs
2 Satz 1
SGB VI oder einer anderen Vorschrift des Bundesrechts (§
162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert. Er legt jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht anforderungsgerecht
dar. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar
aus dem Gesetz ergibt. Der Kläger erwähnt selbst die Regelung in §
12 Abs
2 Satz 2
SGB VI. Danach werden Leistungen zur medizinischen Leistung vor Ablauf von vier Jahren erneut erbracht, wenn vorzeitige Leistungen
aus gesundheitlichen Gründen dringend erforderlich sind. Der Kläger versäumt es darzulegen, dass und warum sich dieser gesetzlichen
Regelung seines Erachtens keine Antwort auf die aufgeworfene Rechtsfrage entnehmen lässt.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von §
193 Abs
1 und 4
SGG.