Leistungen nach dem SGB II
Bedarfe für Unterkunft und Heizung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um höhere Leistungen nach dem SGB II für die Monate September bis Dezember 2016. Streitig waren aufgrund der unklaren Wohnanschrift der Kläger insbesondere die
Bedarfe für Unterkunft und Heizung, die das beklagte Jobcenter nicht berücksichtigte (Bescheid vom 22.12.2016; Widerspruchsbescheid vom 18.5.2017). Das SG hat die Kläger erfolglos zur Vorlage des Mietvertrags und zu näheren Angaben zu ihrer Wohnanschrift im streitigen Zeitraum
aufgefordert. Die sich anschließende Nachfrage, ob noch Interesse am Rechtsstreit bestehe, blieb unbeantwortet. Nachdem sich
der Kläger zu 1 in späteren Klageverfahren nicht mehr von dem vorliegend auftretenden Prozessbevollmächtigten vertreten ließ,
hat das SG Zweifel an einer wirksamen Bevollmächtigung im vorliegenden Verfahren geäußert. Nach Aufforderung und Erinnerung, eine (aktuelle)
Vollmacht zu übersenden, hat der im Namen der Kläger auftretende Prozessbevollmächtigte die unvollständige Kopie einer Vollmacht
vorgelegt. Das SG hat die Klage sodann nach Hinweis wegen des fehlenden Nachweises einer Bevollmächtigung als unzulässig abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 28.5.2019). Im Berufungsverfahren hat der auftretende Prozessbevollmächtigte eine Generalvollmacht vorgelegt (Vollmacht vom 16.1.2017). Das LSG hat den Prozessbevollmächtigten aufgefordert, eine aktuelle Vollmacht zu übersenden, was dieser unter Hinweis auf
die Generalvollmacht vom 16.1.2017 abgelehnt hat. Das LSG hat die Berufung daraufhin als unzulässig verworfen (Urteil vom 16.3.2021). Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihren Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision.
II
Die Beschwerden haben keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob sie zulässig sind (BSG vom 16.10.2019 - B 13 R 175/18 B - RdNr 8; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160a RdNr 17a). Insbesondere bedarf es keiner Entscheidung, ob die Kläger den für sie auftretenden Prozessbevollmächtigten wirksam zur Einlegung
der Nichtzulassungsbeschwerden bevollmächtigt haben, zumal von der Beantwortung der Frage, ob die Generalvollmacht vom 16.1.2017
als Nachweis der Bevollmächtigung insoweit ausreicht, zugleich die Begründetheit der Beschwerden abhängt (vgl zu solchen "doppelrelevanten Tatsachen" nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, Vor §
51 RdNr 13a). Die Beschwerden sind aber jedenfalls unbegründet, weil der von den Klägern allein geltend gemachte Verfahrensmangel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), den sie mit einer Verletzung von §
73 Abs
6 Satz 5
SGG und - hiermit zusammenhängend - mit einer Verletzung von Art
19 Abs
4 GG und §
128 Abs 2
SGG begründen, nicht vorliegt.
Gemäß §
73 Abs
6 SGG ist die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen (Satz 1). Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen (Satz 2). Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden (Satz 4). Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt
auftritt (Satz 5). Diese Regelung geht zurück auf das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12.12.2007 (BGBl I 2840). Zweck der Neuregelung war es, dass die Sozialgerichte in Übereinstimmung mit allen übrigen Verfahrensordnungen den Mangel
der Vollmacht nicht mehr von Amts wegen überprüfen sollen, wenn als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt (BT-Drucks 16/3655 S 96). Daraus folgt, dass bei einer fehlenden Rüge der vermeintlich fehlenden Prozessvollmacht durch den Prozessgegner das Berufungsgericht
den Prozessbevollmächtigten zur Vorlage einer konkret auf das Berufungsverfahren bezogenen Prozessvollmacht nur auffordern
und anschließend die Berufung des Klägers unter Hinweis auf die fehlende Vorlage als unzulässig verwerfen darf, wenn iS von
§
73 Abs
6 Satz 5
SGG von Amts wegen ernstliche Zweifel an der Bevollmächtigung bestanden haben (vgl BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 180/15 B - SozR 4-1500 § 73 Nr 10 RdNr 10 ff; BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 188/15 B - RdNr 9 ff; BSG vom 17.3.2016 - B 4 AS 684/15 B - RdNr 8 ff; zuletzt BSG vom 12.5.2021 - B 4 AS 76/21 B - RdNr 5). Ob ernstliche Zweifel an der Bevollmächtigung bestehen, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls (Hauck, jurisPR-SozR 18/2008 Anm 4).
Solche Anhaltspunkte, wonach eine Bevollmächtigung jedenfalls zur Einlegung der Berufung ernstlich zweifelhaft war, lagen
hier vor. Das LSG hat insoweit ua beispielhaft auf mehrere frühere beim Senat anhängige Verfahren Bezug genommen, in denen
die damaligen Kläger erklärt hatten, von den Berufungsverfahren, die der auch hier auftretende Prozessbevollmächtigte eingeleitet
hatte, keine Kenntnis zu haben und sie nicht führen zu wollen (L 15 AS 233/19, L 15 AS 234/19 und L 15 AS 253/19) oder der Kläger bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung unbekannt verzogen war (L 15 AS 322/18). Hierauf hat das LSG den Prozessbevollmächtigten der Kläger vor seiner Entscheidung hingewiesen (Schreiben vom 20.8.2020 und vom 2.10.2020), der diese Zweifel nicht ausgeräumt hat. Stellung genommen hat er im Berufungsverfahren nur zu den Aussagen der Klägerin
in den Verfahren L 15 AS 233/19 und L 15 AS 234/19, die er für nicht plausibel hält. Das LSG hat zudem die fehlende Mitwirkung der Kläger bzw ihres Prozessbevollmächtigten
im vorliegenden Verfahren gewürdigt und in der Gesamtschau den Schluss gezogen, es bestünden Zweifel an einer Bevollmächtigung
zur Einlegung der Berufung. Dies ist nicht zu beanstanden. Ernstliche Zweifel an einer im Berufungsverfahren (weiterhin) bestehenden
Bevollmächtigung, die eine Prüfung des Mangels der Vollmacht auch ohne Rüge des Prozessgegners von Amts wegen rechtfertigten,
lagen vor. Diese Zweifel hätten - wie vom LSG angefordert - durch Vorlage einer aktuellen oder konkret auf das Berufungsverfahren
bezogenen Vollmacht ausgeräumt werden können, was nicht erfolgt ist.
Zu Recht hat das LSG die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen, nachdem der Prozessbevollmächtigte weder innerhalb
der gesetzten Frist noch bis zur Entscheidung des LSG eine aktuelle Vollmachtsurkunde zu den Akten gereicht hat. Eine Prozesshandlung,
die ohne wirksame Prozessvollmacht vorgenommen und auch nicht wirksam genehmigt wird, ist unwirksam. Ein ohne Vollmacht eingelegtes
Rechtsmittel ist als unzulässig zu verwerfen (vgl BSG vom 13.12.2000 - B 6 KA 29/00 R - SozR 3-1500 § 73 Nr 9 S 23 f - juris RdNr 16; zuletzt BSG vom 12.5.2021 - B 4 AS 76/21 B - RdNr 9; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
73 RdNr 66). Auf diese Rechtsfolge hat das LSG den Prozessbevollmächtigten zuvor hingewiesen. Die vorgelegte Generalvollmacht vom 16.1.2017
reichte angesichts der Aufforderung des LSG, eine aktuelle Vollmachtsurkunde vorzulegen, nicht aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§
183,
193 SGG. Der im Namen der Kläger auftretende Prozessbevollmächtigte trägt nicht die Kosten des Verfahrens. Es ist auch kein Streitwert
festzusetzen. Nach dem Ergebnis des berufungsgerichtlichen Verfahrens ist er zwar auch im vorliegenden Verfahren als vollmachtloser
Vertreter anzusehen. Die gerichtlichen Entscheidungen ergehen aber gleichwohl gegen diejenigen, die vertreten werden sollten,
hier also die Kläger, die als angeblich Vertretene Beteiligte des Verfahrens sind (BVerwG vom 25.9.2006 - 8 KSt 1.06 - juris RdNr 1; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
73 RdNr 76 mwN). Vor diesem Hintergrund verbleibt es hier bei der Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens (vgl §
183 SGG; so auch LSG Berlin-Brandenburg vom 21.3.2019 - L 31 AS 2727/15 - juris RdNr 26 ff und - im Ergebnis - BSG vom 12.2.2020 - B 4 AS 8/20 B - RdNr 8; BSG vom 12.5.2021 - B 4 AS 76/21 B - RdNr 10; aA zB Sächsisches LSG vom 26.6.2014 - L 3 AS 318/12 B ER - juris RdNr 21 ff; LSG Berlin-Brandenburg vom 18.12.2013 - L 29 AL 88/13 - juris RdNr 67).