Erhebung von Beiträgen zur obligatorischen Anschlussversicherung
Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrags
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich die Klägerin gegen die Erhebung von Beiträgen
zur obligatorischen Anschlussversicherung in den Jahren 2018 bis 2020.
Die Klägerin war bis 31.8.2018 als Bezieherin von Leistungen nach dem SGB II bei der beklagten Krankenkasse in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) pflichtversichert. Nach dem Ende des Leistungsbezugs
setzte die Beklagte die Versicherung als freiwillige Versicherung fort und ab 1.9.2018 Beiträge zuletzt auf der Grundlage
der Mindestbeitragsbemessungsgrenze fest (Bescheide vom 5.10.2018 und 8.10.2018 sowie Widerspruchsbescheid vom 27.2.2019; Bescheid vom 19.1.2019 und Widerspruchsbescheid
vom 27.3.2019; Bescheid vom 11.1.2020 und Widerspruchsbescheid vom 9.3.2020; Bescheid vom 29.10.2020).
Die dagegen gerichteten Klagen hat das SG abgewiesen (Urteile vom 22.9.2020). Die Berufungen hat das LSG nach Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zurückgewiesen. Streitgegenstand
sei die Beitragserhebung für die Jahre 2018, 2019 und 2020, die durch den Bescheid vom 8.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 27.2.2019 und den Bescheid vom 11.1.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.3.2020 geregelt werde. Weitere
Bescheide über die in anderen Zeiträumen zu zahlenden Beiträge seien nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Die
Klägerin unterfalle gemäß §
188 Abs
4 SGB V ab 1.9.2018 der obligatorischen Anschlussversicherung. Die Pflichtversicherung wegen Leistungsbezugs nach dem SGB II habe mit Ablauf des 31.8.2018 geendet, ein anderer Versicherungspflichttatbestand sei nicht erfüllt und die Klägerin sei
auch nicht wirksam ausgetreten. Die Beklagte habe nach §
223 Abs
1, §
240 Abs
1 Satz 1
SGB V zu Recht Beiträge in Höhe des Mindestbeitrags verlangt. Der Mindestbeitrag in der freiwilligen Krankenversicherung sei verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden, da es bei fehlendem Einkommen Ansprüche auf Beitragszuschüsse gegen die Grundsicherungsträger (§ 26 SGB II, § 32 SGB XII) gebe. Im Übrigen habe die Klägerin Angebote der Beklagten zur Beitragsentlastung nicht wahrgenommen. Die Voraussetzungen
für einen Erlass seien nicht gegeben, es fehle insofern auch an einem Antrag der Klägerin (Urteil vom 20.4.2022).
Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dem am 16.5.2022 zugestellten Urteil des LSG mit einem von ihr unterzeichneten
und am 31.5.2022 beim BSG eingegangenen Schreiben Beschwerde eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihrer zuletzt
im Berufungsverfahren bevollmächtigten Rechtsanwältin beantragt.
II
1. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH ist zulässig aber unbegründet.
Nach §
73a SGG iVm §
114 ZPO kann einer Beteiligten für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BSG PKH bewilligt und eine Rechtsanwältin beigeordnet werden, wenn sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Unabhängig von den wirtschaftlichen Voraussetzungen
für die Bewilligung von PKH fehlt es an der hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung.
Nach §
160 Abs
2 SGG darf das BSG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die angefochtene Entscheidung von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Hinsichtlich der vom LSG allein beurteilten Beitragsfestsetzung aufgrund einer obligatorischen Anschlussversicherung in
der GKV in den Jahren 2018, 2019 und 2020 ist weder eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung noch eine Abweichung von
höchstrichterlicher Rechtsprechung ersichtlich. Auch ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen könnte, ist nicht
zu erkennen. Das LSG hat beide Berufungen als zulässig erachtet. Eine ermessensfehlerhafte Verbindung beider Berufungen zur
gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung ist weder dargetan noch ersichtlich.
Überdies ist nach der - verfassungsrechtlich gebilligten - ständigen Rechtsprechung aller obersten Gerichtshöfe des Bundes
(vgl BSG Beschluss vom 5.9.2005 - B 1 KR 9/05 BH - juris mwN) im Verfahren der PKH-Bewilligung ein über die unmittelbare Erfolgsaussicht des konkret angestrebten Rechtsmittels hinaus
erweiterter Beurteilungsspielraum eröffnet, der es erlaubt, eine öffentlich-rechtliche Unterstützung bei der Beschreitung
des Rechtswegs auch dann zu verweigern, wenn der Antragsteller in der Sache letztlich ohne Erfolg bleiben muss. Die soziale
Vergünstigung der PKH soll nämlich - jedenfalls primär - dazu dienen, den mittellosen Prozessbeteiligten die Möglichkeit zu
geben, materielle Ansprüche durchzusetzen. Zumindest bei Verfahrensfehlern ist daher grundsätzlich nicht nur auf die unmittelbare
Erfolgsaussicht der beabsichtigten Beschwerde abzustellen, sondern auch darauf, ob die Rechtsverfolgung insgesamt Aussicht
auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (vgl etwa BSG Beschluss vom 23.1.1998 - B 13 RJ 261/97 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 5.9.2005 - B 1 KR 9/05 BH - SozR 4-1500 § 73a Nr 2 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 9.5.2007 - B 12 KR 1/07 B - juris RdNr 3 mwN). Ein diese Grundsätze einschränkender schwerer Verfahrensfehler ist hier nicht ersichtlich. Insbesondere kommt in Bezug auf
einen erst während des Berufungsverfahrens erlassenen Verwaltungsakt eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter
aus Art
101 GG (vgl hierzu BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 12 KR 8/19 R - BSGE 129, 186 = SozR 4-1500 § 153 Nr 18, RdNr 13 ff) nicht in Betracht, da das LSG nicht durch Beschluss nach §
153 Abs
4 SGG entschieden hat.
Allerdings ist nicht auszuschließen, dass das LSG die Bedeutung von §
96 SGG verkannt hat. Danach wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass
des Widerspruchsbescheids ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Werden mit einem Verwaltungsakt
Beiträge beginnend ab einem bestimmten Datum festgesetzt, ohne das Ende des Beitragszeitraums zu benennen, und ergehen während
des Klage- oder Berufungsverfahrens Folgebescheide zur Beitragsanpassung, die sich nicht auf einen früheren Zeitraum beschränken,
werden diese abändernden Verwaltungsakte nach ständiger Senatsrechtsprechung (vgl BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 12 KR 8/19 R - BSGE 129, 186 = SozR 4-1500 § 153 Nr 18 RdNr 12 mwN) von Gesetzes wegen Gegenstand des Verfahrens. Dass das LSG zwar die Beitragsjahre 2018, 2019 und 2020 wegen der ausdrücklichen
Ausführungen als "Gegenstand des Berufungsverfahrens" ansieht, nicht aber den im Tatbestand seines Urteils genannten Bescheid
vom 19.1.2019 (Festsetzung ab 1.1.2019) sowie den von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Bescheid vom 29.10.2020
(endgültige Festsetzung der Beiträge für die Zeit vom 1.1. bis zum 31.12.2019), ist weder ein die fehlende Erfolgsaussicht
in der Sache außer Acht lassender schwerer Verfahrensfehler, noch ein Verfahrensverstoß, auf dem die Entscheidung des LSG
beruhen könnte. Denn das Berufungsgericht hat ungeachtet der im Urteil bezeichneten Bescheide ausdrücklich über die Beitragsjahre
2018 (ab 1.9.), 2019 und 2020 entschieden. Insoweit hat es die Voraussetzungen für den Eintritt der obligatorischen Anschlussversicherung
(§
188 Abs
4 SGB V) ab 1.9.2018 bejaht und die Festsetzung der Mindestbeiträge zur GKV unbeanstandet gelassen, weil das Gesetz verfassungsrechtlich
unbedenklich geringere Beiträge nicht vorsehe. Diese Beurteilung des LSG steht mit der Gesetzeslage (§ 223 Abs 1, § 240 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 Satz 1 <in der Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007, BGBl
I 378>, §
241 SGB V <in der Fassung des GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetzes vom 21.7.2014, BGBl I 1133>) und der Rechtsprechung des Senats (vgl BSG Urteil vom 30.11.2016 - B 12 KR 6/15 R - SozR 4-2500 § 224 Nr 2; BSG Urteil vom 25.8.2004 - B 12 P 1/04 R - SozR 4-3300 § 25 Nr 1) im Einklang. Eine Revision, deren Zulassung die Klägerin unter Inanspruchnahme von PKH mit der Nichtzulassungsbeschwerde
anstrebt, könnte der Klägerin im Ergebnis nicht - auch nicht teilweise - zu dem von ihr materiell gewünschten Erfolg (GKV
ohne oder mit geringerer Beitragspflicht) verhelfen.
Dass das LSG die Berufung gegen das am 22.9.2020 ergangene Urteil des "SG Hildesheim vom 30. September 2020 (S 60 KR 349/19)" zurückgewiesen hat, begründet ebenfalls keine die Bewilligung von PKH rechtfertigende hinreichende Erfolgsaussicht. Die
fehlerhafte Datumsbezeichnung des vorinstanzlichen Urteils ist als offensichtliche Unrichtigkeit von Amts wegen oder auf Antrag
zu berichtigen (vgl §
138 SGG und BSG Beschluss vom 13.4.2000 - B 7 AL 222/99 B - juris RdNr 10 sowie BSG Beschluss vom 10.1.2005 - B 2 U 294/04 B - juris RdNr 2) und kann jedenfalls nicht zum materiell-rechtlich angestrebten Erfolg führen.
2. Da kein Anspruch auf Bewilligung von PKH besteht, ist auch für eine Beiordnung einer Rechtsanwältin kein Raum (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
121 ZPO).
3. Die von der Klägerin privatschriftlich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht
von einem vor dem BSG nach §
73 Abs
4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt worden ist. Die Verwerfung erfolgt durch Beschluss ohne Zuziehung ehrenamtlicher
Richter (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.