Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Formgerechte Darlegung einer Divergenz
Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen
Entwicklung eigener rechtlicher Maßstäbe
1. Zur formgerechten Darlegung einer Divergenz genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht
die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte.
2. Nur die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz, nicht die Unrichtigkeit
der Entscheidung im Einzelfall.
3. Divergenz ist nicht schon dann anzunehmen, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das
BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere
rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat.
Gründe:
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob der Kläger in der
Zeit vom 24.6.2010 bis 13.6.2013 gemäß §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Krankenkasse und der beigeladenen Pflegekasse war.
Der Kläger ist bulgarischer Staatsangehöriger. Er leidet ua an einer paranoiden Schizophrenie. Er reiste am 24.6.2010 nach
Deutschland ein. Nach eigenen Angaben war er nie erwerbsfähig. Mit Beginn des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II am 14.6.2013 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und
sozialen Pflegeversicherung fest. Für die Zeit davor lehnte sie dies ab, weil in dieser Zeit auch eine Auffangpflichtversicherung
nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V wegen §
5 Abs
11 S 2
SGB V nicht bestanden habe. Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen (LSG-Urteil vom 20.4.2018). Der Kläger habe seinen Aufenthalt nur auf das Freizügigkeitsrecht von EU-Angehörigen
stützen können (§ 2 Abs 1, 4 Freizügigkeitsgesetz/EU [FreizügG/EU]). Ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs 1 S 1 FreizügG/EU iVm § 36 Abs 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) im Rahmen eines Familiennachzugs habe nicht bestanden, weil ihm keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei und er hierauf
auch wegen Überschreitens der Altersgrenze von 21 Jahren keinen Anspruch gehabt habe. Gegen die Nichtzulassung der Revision
im Urteil des LSG hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte Beschwerde eingelegt, die diese innerhalb der Begründungsfrist
begründet hat. Zugleich hat er zur Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
(PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwältin A. beantragt.
II
1. Der Antrag auf Bewilligung von PKH des Klägers, den er trotz Ankündigung in der Beschwerdeschrift nicht um die Erklärung
über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
117 Abs
2 ZPO) ergänzt hat, ist abzulehnen. Nach §
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
114 ZPO kann einem Beteiligten für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet. Hieran fehlt es.
2. Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl
BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 = Juris RdNr 9).
Revisionszulassungsgründe sind in der bereits vorliegenden Beschwerdebegründung vom 12.7.2018 nicht in der gebotenen Weise
dargelegt worden. Die Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Begründungserfordernissen des §
160a Abs
2 S 3
SGG und ist deshalb in entsprechender Anwendung von §
169 S 2 und 3
SGG als unzulässig zu verwerfen.
Der Kläger beruft sich in der Beschwerdebegründung ausschließlich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG). Dieser setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung
beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen
rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen
Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht
die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern
die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon
dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere
rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).
Der Kläger führt aus, das LSG habe den Rechtssatz aufgestellt, ein über § 11 Abs 1 S 1 FreizügG/EU iVm § 36 Abs 2 AufenthG abgeleitetes Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers zum Familiennachzug bestünde nicht bereits beim Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen,
sondern werde nur durch eine Erteilung der Erlaubnis durch die Ausländerbehörde im Ermessenswege begründet. Demgegenüber habe
das BSG (Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 28) entschieden, dass es für das Bestehen eines Aufenthaltsrechts eines Unionsbürgers vor dem
Hintergrund einer - bis zur Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlusts einer Freizügigkeitsberechtigung - bestehenden
Freizügigkeitsvermutung und der damit verbundenen Vermutung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht darauf ankomme, dass
das Aufenthaltsrecht in einem Aufenthaltstitel dokumentiert sei. Vielmehr sei ein weiteres Aufenthaltsrecht entscheidend.
Hierdurch legt der Kläger das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Divergenz nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen
nach §
160a Abs
2 S 3
SGG entsprechenden Weise dar. Es ist schon zweifelhaft, ob der Kläger hinreichend dargelegt hat, dass der von ihm gebildete Rechtssatz
dem angefochtenen Urteil entnommen werden kann. Jedenfalls fehlen Ausführungen dazu, inwieweit die angefochtene und die in
Bezug genommene Entscheidung überhaupt zum selben Gegenstand ergangen sind. Hierzu hätte aber Anlass bestanden, weil die angefochtene
Entscheidung zum Ausschluss des Tatbestands einer Auffangpflichtversicherung in der GKV nach §
5 Abs
11 S 2
SGB V, die in Bezug genommene Entscheidung des BSG aber zu Leistungen nach dem SGB II und dort insbesondere zum Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II ergangen ist. Inwieweit die Regelungen und die hierdurch normierten Rechtslagen deckungsgleich sind, legt die Beschwerdebegründung
nicht hinreichend dar. Hierzu hätte aber schon deshalb Anlass bestanden, weil der Leistungsberechtigungsausschluss nach §
7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II ua auf das Fehlen einer Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU abstellt, §
5 Abs
11 S 2
SGB V hingegen EU-Angehörige von der Versicherungspflicht nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V ausschließt, wenn Voraussetzung für die Wohnortnahme in Deutschland die Existenz eines Krankenversicherungsschutzes nach
§4 FreizügG/EU ist. Darüber hinaus hat bereits das LSG im angefochtenen Urteil auf Seite 6 darauf hingewiesen, dass es nicht darauf ankomme,
dass Freizügigkeitsbescheinigungen nur deklaratorische Bedeutung hätten, und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf das vom
Kläger in Bezug genommene Urteil des BSG verwiesen. Soweit der Kläger möglicherweise geltend machen will, das angefochtene Urteil sei wegen Verstoßes gegen die Rechtsprechung
des BSG unrichtig, kann hierauf eine Nichtzulassungsbeschwerde - auch wegen Divergenz - nicht gestützt werden: Erforderlich wäre
hierzu (mindestens) der Nachweis einer Abweichung im Grundsätzlichen. Daran fehlt es.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.