Bestimmung des zuständigen Gerichts und Bindungswirkung eines fehlerhaften Verweisungsbeschlusses im sozialgerichtlichen Verfahren
1. Es kommt nicht darauf an, ob die wechselseitigen Verweisungsbeschlüsse für das jeweils andere Gericht unverbindlich sind,
wenn sich zwei Gerichte jeweils iS einer tatsächlichen, verbindlich gemeinten Kompetenzleugnung iS des §
58 Abs.
1 Nr.
4 SGG rechtskräftig für unzuständig erklärt haben, weil sich der Konflikt gerade an dieser Frage entzündet.
2. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses erstreckt sich nicht nur auf die Zuständigkeitsfrage, deretwegen verwiesen
worden ist, sondern auch sonstige Zuständigkeitsfragen, soweit das verweisende Gericht die Zuständigkeit auch in dieser Hinsicht
geprüft und bejaht hat. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Gründe:
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darüber, ob die Antragsgegnerin, die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein, das
von dem antragstellenden Unternehmen vertriebene Medikament Nexium mups als sog "Me-Too-Präparat" bezeichnen, auf einer im
Internet zugänglichen Liste führen und die Vertragsärzte unter Androhung eines Honorarabzuges dazu auffordern darf, dieses
Präparat nur noch im Rahmen einer bestimmten Quote zu verordnen.
Die Antragstellerin hat beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf eine einstweilige Anordnung gegen die Antragsgegnerin beantragt. Das SG Düsseldorf hat sich für örtlich unzuständig
erklärt und den Rechtsstreit an das SG Itzehoe verwiesen (Beschluss vom 26. Mai 2006). Die örtliche Zuständigkeit richte sich
nicht nach §
57a des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG), da es sich nicht um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handele. Zuständiges Gericht sei nach §
57 SGG wegen des Sitzes der Antragstellerin in W. das SG Itzehoe. Das SG Itzehoe seinerseits hat sich für sachlich unzuständig erklärt
und den Rechtsstreit an das SG Düsseldorf verwiesen (Beschluss vom 22. August 2006). Es handele sich um eine Angelegenheit
des Vertragsarztrechts. Dies habe das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) in einem Beschluss vom 27. Juni 2006 klargestellt.
Deshalb bestehe keine Bindung an den Beschluss des SG Düsseldorf. Nach §
57a SGG sei das SG Düsseldorf örtlich zuständig.
Das SG Düsseldorf hat das Bundessozialgericht (BSG) zur Feststellung der Zuständigkeit angerufen (Beschluss vom 8. September
2006).
Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung durch das BSG nach §
58 Abs
1 Nr
4 SGG liegen vor. Hiernach wird das zuständige Gericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsame nächsthöhere Gericht
bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig
erklärt haben. Sowohl das SG Düsseldorf als auch das SG Itzehoe haben sich jeweils im Sinne einer tatsächlichen, verbindlich
gemeinten Kompetenzleugnung, die den Beteiligten zugestellt wurde, iS des §
58 Abs
1 Nr
4 SGG "rechtskräftig" für unzuständig erklärt. Insofern kommt es nicht darauf an, ob die wechselseitigen Verweisungsbeschlüsse
für das jeweils andere Gericht unverbindlich sind, da sich der Konflikt gerade an dieser Frage entzündet (vgl BSG vom 25.
Februar 1999, B 1 SF 9/98 S, SozR 3-1720 § 17a Nr 11).
Das SG Itzehoe ist für das Verfahren schon deshalb zuständig, weil es an die Verweisung durch das SG Düsseldorf mit Beschluss
vom 26. Mai 2006 gebunden ist (§
98 SGG iVm §
17a Abs
2 Satz 3
Gerichtsverfassungsgesetz). Mit diesem Beschluss hat das SG nicht willkürlich gehandelt. Dem Beschluss liegt für die im Tenor ausgesprochene örtliche Verweisung die Rechtsansicht zu
Grunde, es handele sich um einen Rechtsstreit in Angelegenheiten der Sozialversicherung iS von §
10 Abs
1 SGG und nicht um einen Rechtsstreit des Vertragsarztrechts iS von §
10 Abs
2 SGG. Dieser Rechtsansicht, die vom SG mit dem Wortlaut des §
10 SGG begründet worden ist, fehlt jedenfalls nicht jede gesetzliche Grundlage. Dahingestellt bleiben kann dabei, ob die Bezugnahme
des SG Düsseldorf auf den Beschluss des BSG vom 27. Mai 2004, B 7 SF 6/04 S (SozR 4-1500 § 57a Nr 2) in vollem Umfang zutreffend ist. Ein Verstoß gegen elementare Verfahrensgrundsätze liegt ebenfalls
nicht vor. Für weiter gehende Lockerungen der Bindungswirkung fehlt es im Blick auf die ständige Rechtsprechung aller obersten
Bundesgerichte an der erforderlichen Grundlage. Dagegen war die vom SG Itzehoe mit Beschluss vom 22. August 2006 ausgesprochene
Rückverweisung unzulässig (vgl BSG vom 27. Mai 2004, aaO). Entgegen der im Beschluss vom 22. August 2006 vertretenen Ansicht
handelt es sich bei dieser Entscheidung des SG Itzehoe der Sache nach auch nicht etwa um eine Weiterverweisung aus einem von
der Bindungswirkung der aufdrängenden Entscheidung nicht erfassten anderen Grund. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat bereits
zu dem §
98 SGG entsprechenden §
281 Abs
2 der
Zivilprozessordnung entschieden, dass ein Verweisungsbeschluss nicht nur hinsichtlich derjenigen Zuständigkeitsfrage bindend ist, deretwegen
verwiesen worden ist, sondern auch hinsichtlich sonstiger Zuständigkeitsfragen, soweit das verweisende Gericht die Zuständigkeit
auch in dieser Hinsicht geprüft und bejaht hat (BGH, Beschluss vom 26. November 1997, XII ARZ 34/97, NJW-RR 1998, 1219 mwN - für den Fall der Verweisung vom Familiengericht an das Landgericht, weil es sich nicht um einen familienrechtlichen
Streit handele). Es besteht kein Grund, in sozialgerichtlichen Verfahren die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses
nach §
98 SGG anders zu beurteilen. Dies bedeutet, dass das SG Itzehoe auch hinsichtlich der Beurteilung als Angelegenheit der Sozialversicherung
iS von §
10 Abs
1 SGG an den Beschluss des SG Düsseldorf gebunden und eine (Weiter-)Verweisung wegen einer anderen Beurteilung der Kammerzuständigkeit
nicht zulässig ist.