Auslegung leistungsrechtlicher Vorschriften nach Maßgabe Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005, Arztvorbehalt, Nachweis hinreichender
Erfolgsaussichten durch den Gemeinsamen Bundesausschuss
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für eine "Laserinduzierte Interstitielle Thermotherapie" (LITT), einem
Verfahren zur Zerstörung von Tumoren bzw Metastasen, vor allem der Leber. Dabei wird mittels eines minimal-invasiven Eingriffs
eine Glasfaser direkt in den Tumor bzw die Metastase eingeführt. Durch Laserlicht und die dadurch entstehende Wärme soll der
Tumor/die Metastase zerstört werden.
Bei der 1939 geborenen, bei der beklagten Ersatzkasse versicherten Klägerin wurde im Februar/März 2001 durch Entnahme einer
Leberprobe ein hepatozelluläres (die Leber betreffendes) "Karzinom" diagnostiziert. In der Universitätsklinik Ulm wurde der
Befund im April 2001 als inoperabel angesehen, bei der Klägerin eine Chemotherapie (Zyklus transarterieller Chemoembolisation
mit Novantrons/5-FU/Folinsäure/Mitomycin C) begonnen und - nach Angaben der Klägerin - wegen Unverträglichkeit nach dem ersten
Intervall wieder abgebrochen. Anschließend beantragte die Klägerin am 30. April 2001 die Übernahme der Kosten einer von ihr
beabsichtigten, vom Direktor des Instituts für diagnostische und interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Frankfurt
am Main, Prof. Dr. Vogl, durchzuführenden ambulanten LITT zur Zerstörung einer - lt Prof. Dr. Vogl - 20 x 20 mm großen "Lebermetastase".
Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme ab, weil es sich bei der LITT um eine nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse entsprechende Behandlungsmethode handle (Bescheide vom 3. und 7. Mai 2001). Während des Widerspruchsverfahrens
führte Prof. Dr. Vogl bei der Klägerin die LITT am 17. Mai 2001 ambulant durch. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück,
weil sich der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss, im Folgenden >Bundesausschuss<)
mangels Antragstellung bisher nicht mit der LITT befasst habe; die LITT gehöre bisher nicht zu den von den Krankenkassen zu
erbringenden Sachleistungen (Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2001). Im anschließenden Klageverfahren hat die Klägerin beantragt,
ihr die Kosten für die durchgeführte LITT in Höhe von 10.961,59 DM zu erstatten. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage nach Einholung eines Befundberichtes des Hausarztes der Klägerin, dem Konsiliarberichte ua von Prof. Dr. Vogl
beilagen, mit Urteil vom 10. Oktober 2002 abgewiesen, weil die LITT nicht eine als wirksam und wirtschaftlich anerkannte Behandlungsmethode
sei und auch ein Systemversagen nicht vorliege.
Das Landessozialgericht (LSG) hat ohne Ermittlungen weiterer Tatsachen das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte mit Urteil vom 19. Januar 2006 verurteilt, der Klägerin 5.604,57
EUR zu erstatten. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, es handele sich um einen vergleichbaren Sachverhalt wie bei der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Dezember 2006 (1 BvR 347/98, SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Das hepatozelluläre Karzinom der Leber der Klägerin falle unter die Gruppe der lebensbedrohlichen
Erkrankungen. Die Wirksamkeit der angewandten LITT sei durch den von Prof. Dr. Vogl angegebenen Rückgang des Karzinoms bis
zur Vollremission nachgewiesen. Bereits vor Durchführung der LITT sei diese Therapie von Prof. Dr. S. (Kreiskrankenhaus
G. ) im ärztlichen Zeugnis vom 2. Juli 2001 bezüglich krankheitsfreien Überlebens und Gesamtüberlebens als positiv
gegenüber den etablierten Methoden bewertet worden. Eine Überprüfung der Wirksamkeit der angewandten Behandlungsmethode durch
einen medizinischen Sachverständigen sei daher nicht erforderlich gewesen. Der Klägerin habe als Alternative auch keine zweckmäßige
Standardtherapie der Schulmedizin zur Verfügung gestanden. Der Befund sei inoperabel gewesen; alle übrigen etablierten therapeutischen
Methoden zeigten beim hepatozellulären Karzinom eine nur sehr begrenzte Wirksamkeit. Die Chemotherapie sei nur sehr gering
effektiv. Nach dem neuesten Stand der medizinischen Erkenntnisse könne ein krankheitsfreies Überleben erreicht werden, wenn
der Tumor durch eine direkte, lokale Einwirkung zerstört werden kann, wie dies bei der von der Universitätsklinik Frankfurt
am Main ambulant durchgeführten LITT der Fall sei.
Die Beklagte hat Revision eingelegt, eine Verletzung von §
2 Abs
1, §
12 Abs
1 und §
135 Abs
1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) sowie von §
103 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) gerügt und im Wesentlichen ausgeführt, es hätte geklärt werden müssen, ob im vorliegenden Fall allgemein anerkannte schulmedizinische
Behandlungsmethoden zur Verfügung standen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Januar 2006 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil
des Sozialgerichts Augsburg vom 10. Oktober 2002 zurückzuweisen,
hilfsweise, das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und sieht die Voraussetzungen für Leistungsgewährung unter Berücksichtigung der
im Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 genannten Kriterien als gegeben an.
II
Die Revision der beklagten Krankenkasse ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung begründet.
Eine Kostenerstattung für die von der Klägerin selbst beschaffte und "vorfinanzierte" LITT scheidet im Grundsatz aus, weil
es sich bei der LITT um eine neue Behandlungsmethode handelt, die im Rahmen der ambulanten Versorgung nicht zu Lasten der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erbracht werden darf, solange der Bundesausschuss den therapeutischen Nutzen, die medizinische
Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Methode nicht in dem dafür gesetzlich vorgesehen Verfahren festgestellt hat; an dieser
positiven Feststellung fehlt es. Anhaltspunkte dafür, dass der Bundesausschuss das genannte Verfahren insbesondere in zeitlicher
Hinsicht nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat (sog Systemversagen), liegen nicht vor (dazu unter 1.). Ob der Anspruch ausnahmsweise
unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zu den Leistungsansprüchen Versicherter bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig
tödlich verlaufenden Krankheiten wegen Vorliegens einer notstandsähnlichen Situation bei der Klägerin begründet ist, kann
der Senat auf Grund der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht abschließend beurteilen. Das LSG hat weder hinreichende Tatsachenfeststellungen
zur konkreten Krankheitssituation der Klägerin, zu den regelmäßigen, schulmäßigen Behandlungsmethoden bei Leberkrebs bzw Lebermetastasen
und zu einer Unverträglichkeit dieser Methoden bei der Klägerin getroffen noch hat das LSG eine abstrakte Nutzen-Risiko-Analyse
einer ambulanten LITT-Behandlung sowie eine ebenfalls erforderliche Abwägung der Chancen und Risiken dieser Behandlungsmethode
gerade im Hinblick auf die konkreten Verhältnisse bei der Klägerin vorgenommen (dazu unter 2.). Über den erhobenen Anspruch
kann daher ohne weitere Sachverhaltsaufklärung nicht entschieden werden, sodass die Sache gemäß §
170 Abs
2 Satz 2
SGG an das LSG zurückzuverweisen ist.
1. Die von der Klägerin begehrte Behandlungsmethode - LITT - ist vom Leistungskatalog des
SGB V in der ambulanten Versorgung nicht umfasst. Versicherte haben daher im Regelfall keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen
ihre Krankenkasse, wenn sie sich diese Leistung (zunächst) auf eigene Kosten selbst beschaffen.
a) Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die im Mai 2001 durchgeführte LITT ist §
13 Abs
3 Satz 1 Alt 2
SGB V (hier anzuwenden in der bis zum 30. Juni 2001 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBl
I 2266; seit 1. Juli 2001 § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 idF des Art 5 Nr 7 Buchst b Neuntes Buch Sozialgesetzbuch Rehabilitation
und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001, BGBl I 1046). Diese Vorschrift bestimmt: "Konnte die Krankenkasse eine
unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten
für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten,
soweit die Leistung notwendig war." Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender
Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen
allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, jeweils RdNr 10: Visudyne; SozR 4-2500 § 27a Nr 1 RdNr 3: Künstliche Befruchtung mittels ICSI; zuletzt
Bundessozialgericht >BSG<, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 14/06 R - RdNr 8: Restless-Legs-Syndrom). Hieran fehlt es bei der LITT jedenfalls im Regel- bzw Normalfall (zu Ausnahmefällen bei
einer notstandsähnlichen Situation unter 2.).
Die Beklagte war zwar nach §
27 Abs
1 Satz 2 Nr
1 SGB V zur Gewährung ärztlicher Behandlung der bei ihr versicherten Klägerin verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch
eines Versicherten unterliegt allerdings den sich aus §
2 Abs
1 und §
12 Abs
1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität
und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Die Krankenkassen sind nicht bereits
dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie - wie im vorliegenden Fall - nach eigener Einschätzung des Versicherten
oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende
Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der GKV umfasst sein. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß §
135 Abs
1 Satz 1
SGB V nur dann der Fall, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien
nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
5 iVm §
135 Abs
1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer
(Ärzte, Zahnärzte usw) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen.
Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen
verbindlich festgelegt (vgl zuletzt BSG, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-2500 § 31 Nr 4: Tomudex RdNr
15 mwN; vgl ab 1. Januar 2004 §
91 Abs
9 SGB V).
Wie das BVerfG in seinem Beschluss vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98, SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 26 - 29) ausdrücklich festgestellt hat, ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden,
-
dass die GKV den Versicherten Leistungen (nur) nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs (§
11 SGB V) und nur unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§
12 SGB V) zur Verfügung stellt,
-
dass die gesetzlichen Krankenkassen nicht von Verfassungs wegen gehalten sind, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung
oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (aaO, RdNr 27 mit Hinweis auch auf BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des
Ersten Senats vom 5. März 1997, NJW 1997, 3085) und
-
dass es dem Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verwehrt ist, zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung, im Interesse
einer Gleichbehandlung der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit
ein Verfahren vorzusehen, in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren
diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen
Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden zu Lasten der Krankenkassen
auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen (aaO, RdNr 28).
Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 6. Dezember 2005 zwar offen gelassen, ob das nach §
135 SGB V vorgesehene Verfahren der Entscheidung durch den Bundesausschuss verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, ob vor allem
der Bundesausschuss über eine hinreichende demokratische Legitimation verfügt und welche Rechtsqualität seinen Richtlinien
zukommt (aaO, RdNr 29). Der erkennende Senat zieht jedoch in Übereinstimmung mit dem 6. Senat des BSG (vgl Urteil vom 31.
Mai 2006 - B 6 KA 13/05 R, RdNr 57 ff: Therapiehinweise, zur Veröffentlichung vorgesehen) die hinreichende demokratischen Legitimation des Bundesausschusses
zum Erlass derartiger Richtlinien nicht grundsätzlich in Zweifel. Er behält sich aber vor, die vom Bundesausschuss erlassenen,
im Rang unterhalb des einfachen Gesetzesrechts stehenden normativen Regelungen formell und auch inhaltlich in der Weise zu
prüfen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer untergesetzlichen Norm - etwa einer Rechtsverordnung
- selbst erlassen hätte, wenn und soweit hierzu auf Grund hinreichend substantiierten Beteiligtenvorbringens konkreter Anlass
besteht (vgl Urteil vom 27. September 2005 - B 1 KR 28/03 R: extrakorporale Stoßwellentherapie; Verfassungsbeschwerde hiergegen nicht zur Entscheidung angenommen, vgl BVerfG, Beschluss
vom 2. Februar 2006 - 1 BvR 2678/05, SozR 4-2500 § 135 Nr 7; zuletzt Urteil des Senats vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R, RdNr 20: neuropsychologische Therapie, Aufgabe von SozR 4-2500 § 135 Nr 1).
Unter Zugrundlegung dieser, auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Rahmenbedingungen der Leistungsansprüche Versicherter
ergibt sich für die LITT Folgendes: Der therapeutische Nutzen der LITT sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit
nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse standen zum Zeitpunkt der Behandlung der Klägerin nicht (positiv)
fest. Zwar hat der Bundesausschuss während des Berufungsverfahrens am 18. Oktober 2005 beschlossen, die LITT als Nr 43 den
"nicht anerkannten Methoden" der Anlage B der Richtlinie zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
(BUB-Richtlinie) zuzuweisen (vgl Bekanntmachung, BAnz Nr 8 vom 12. Januar 2006, S 107). Diesem Beschluss lagen ua ein Health
Technology Assessment (HTA)-Gutachten der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) zur LITT vom
18. Januar 2002 sowie ein "Grundsatzgutachten LITT" des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in den Ländern und
des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS/MDK) vom 5. Februar 2003 zu Grunde. Die Zuordnung zu
den "nicht anerkannten Methoden" kann dem Erstattungsanspruch der Klägerin allerdings nicht entgegengehalten werden, denn
der Beschluss vom 18. Oktober 2005 ist erst am Tag nach Veröffentlichung seiner Bekanntmachung, dh am 13. Januar 2006 in Kraft
getreten. Er hat daher keine unmittelbare Rechtswirkung für die bereits im Mai 2001 erfolgte Behandlung der Klägerin. Vielmehr
ist über das Begehren der Klägerin auf Grund der damals geltenden Rechtslage zu entscheiden. Diese zeichnet sich dadurch aus,
dass eine positive Feststellung des Bundesausschusses nicht vorlag.
Bei der LITT handelt und handelte es sich um eine "neue" Behandlungsmethode iS von §
92 Abs
2 iVm §
135 SGB V (dazu zuletzt BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - RdNr 16 ff: neuropsychologische Therapie), die ambulant nur dann zu Lasten der GKV zu erbringen gewesen wäre, wenn bereits
zum Zeitpunkt der Behandlung eine positive Empfehlung des Bundesausschusses vorgelegen hätte. Hieran fehlt es. Im Mai 2001
lag weder eine solche Stellungnahme des Bundesausschusses vor noch war die Methode sonst in der medizinischen Wissenschaft
allgemein als wirksam anerkannt. Von einem sog Seltenheitsfall, bei der eine Ausnahme von diesem Erfordernis erwogen werden
könnte (vgl dazu BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, jeweils RdNr 21 ff: Visudyne), ist angesichts der erheblichen Verbreitung des bei der Klägerin vorliegenden
Krankheitsbildes nicht auszugehen.
b) Ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen des sog Systemversagens.
Ungeachtet des in §
135 Abs
1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des Senats eine Leistungspflicht der Krankenkasse
ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen
ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen
Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (sog Systemversagen). Diese Durchbrechung beruht darauf, dass
in solchen Fällen die in §
135 Abs
1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben ist und deshalb die Möglichkeit bestehen muss, das
Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (vgl BSGE 81, 54, 65 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 21; SozR 3-2500 § 92 Nr 12 S 70: "rechtswidrige Untätigkeit des Bundesausschusses"; zuletzt
Urteil des Senats vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - RdNr 24: neuropsychologische Therapie mwN).
Ein solcher Fall des Systemversagens liegt schon deshalb nicht vor, weil das Verfahren vor dem Bundesausschuss antragsabhängig
ist und ein entsprechender Antrag beim Bundesausschuss erst im März 2004 gestellt worden ist. Der Senat hat keine Anhaltspunkte
dafür, dass eine Antragstellung bis zur Behandlung der Klägerin im Jahr 2001 hintertrieben, verhindert oder in einer den Krankenkassen
oder dem Bundesausschuss sonst zurechenbaren Weise unzulässig verzögert worden sein könnte.
2. Ob sich der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin wegen Vorliegens einer notstandsähnlichen (Krankheits-)Situation ausnahmsweise
unter Berücksichtigung verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung ergibt, kann der Senat auf Grund der festgestellten Tatsachen
nicht abschließend beurteilen.
a) Das BVerfG hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98, BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 5) zu einer ärztlichen Behandlungsmethode entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art
2 Abs
1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art
2 Abs
2 Satz 1
Grundgesetz (
GG) nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung
eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung
einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht
auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Das BVerfG beanstandet insoweit
eine verfassungswidrige Auslegung im Grundsatz verfassungsgemäßer Vorschriften des
SGB V durch das BSG. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode
sei im Rahmen der GKV ausgeschlossen, weil der zuständige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest
in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung des
BVerfG gegen das
GG, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
-
Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor.
-
Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung.
-
Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine
"auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung
auf den Krankheitsverlauf (BVerfG, SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33).
Art
2 GG verlangt eine verfassungskonforme Auslegung nur derjenigen Normen des
SGB V, die einem verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf eine bestimmte Versorgung der Versicherten entgegenstehen. Dagegen
bleibt die Prüfung der allgemeinen Voraussetzungen des
SGB V für einen Leistungsanspruch auch unter Berücksichtigung der Verfassungsmäßigkeit eines abgeschlossenen Leistungskatalogs
der GKV-Leistungen unberührt (vgl dazu Senatsurteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 7: D-Ribose, RdNr 28 ff mwN). Die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten sollen einerseits verhindern,
dass die den Versicherten durch Gesetz eingeräumten Leistungsansprüche in einer dem Zweck des Art
2 GG zuwiderlaufenden Weise eingeschränkt werden; so lag der Fall nach Ansicht des BVerfG in der Entscheidung vom 6. Dezember
2005. - Andererseits setzen die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten dem Leistungsbegehren der Versicherten selbst im Falle
regelmäßig tödlich verlaufender Krankheiten Grenzen. Sie sollen die Versicherten in solchen Fällen auch davor bewahren, auf
Kosten der GKV mit zweifelhaften Therapien behandelt zu werden, wenn auf diese Weise eine nahe liegende, medizinischem Standard
entsprechende Behandlung nicht wahrgenommen wird. Erst wenn feststeht, dass derartige nach allgemeinem Standard anerkannte
Behandlungsmethoden (generell) überhaupt nicht zur Verfügung stehen oder im konkreten Einzelfall ausscheiden, weil der Versicherte
diese nachgewiesenermaßen nicht verträgt, ist der vom BVerfG geforderte Bereich einer weiten, verfassungskonformen Auslegung
der Vorschriften des
SGB V eröffnet, in welchem auf den exakten wissenschaftlichen Nachweis des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit einer bestimmten
Behandlungsmethode verzichtet werden darf und man sich mit einem der notstandsähnlichen Situation angemessenen geringeren
Wahrscheinlichkeitsmaßstab begnügen darf. Die anzuwendende Methode muss allerdings im Allgemeinen wie auch im konkret zu beurteilenden
Fall überwiegend positive Wirkungen haben und es muss feststehen, dass sie "mehr nützt als schadet".
Zur Würdigung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten, denen gerade auch der Arztvorbehalt (§
15 Abs
1 SGB V) Rechnung trägt, bezieht das BVerfG in einem umfassenden Sinne die Regeln der ärztlichen Kunst in die Vorgaben für eine verfassungskonforme
Auslegung des
SGB V mit ein (vgl BSG Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-2500 § 31 Nr 4: Tomudex, RdNr 24), sodass es folgerichtig ist, alle drei vom BVerfG
konzipierten Voraussetzungen entsprechend §
28 Abs
1 Satz 1
SGB V nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen: das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Krankheit, das Fehlen einer anwendbaren
Standardtherapie und das Bestehen von mehr als bloß ganz entfernt liegenden Aussichten auf eine spürbar positive Einwirkung
auf den Krankheitsverlauf durch die streitige Therapie. Gesetzes- und Verfassungsrecht fordern und akzeptieren, dass GKV-Leistungen
allein nach Maßgabe der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zu beanspruchen und zu erbringen sind (vgl § 2 Abs 1 Satz
3; §
15 Abs
1; §
70 Abs
1; §
72 Abs
2; §§
135 ff
SGB V; BVerfG, SozR 4-2500 §
27 Nr
5 RdNr 28; BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - RdNr 35). Andere als medizinische Verfahren - wie etwa lediglich auf rituelle Heilung ausgerichtete Maßnahmen, zB bloßes
Handauflegen eines "Geistheilers" oder "Wunderheilers" (vgl dazu BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 2. März
2004 - 1 BvR 784/03 - NJW-RR 2004, 705 f = MedR 2005, 35 ff; BVerfG, 3. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 3. Juni 2004 - 2 BvR 1802/02 - NJW 2004, 2890 f = BVerfGK 3, 234 f) - sind daher von vornherein ausgeschlossen, selbst wenn sich ein Arzt hierzu bereit finden sollte.
Zudem müssen die Erkenntnisse wissenschaftlicher Art, also objektivierbar sein. Dementsprechend hat das BVerfG das im Recht
der GKV mit dem Arztvorbehalt verfolgte gesetzgeberische Ziel als einen wichtigen Gemeinschaftsbelang anerkannt. Der Arztvorbehalt
soll dafür sorgen, dass eine auf öffentliche Kosten durchgeführte Behandlung durch die Art der angewandten Methoden und die
Qualifikation der behandelnden Personen objektiv Erfolg verspricht (BVerfGE 78, 155, 162 = SozR 2200 § 368 Nr 11, auf BSGE 48, 47, 52 f = SozR 2200 § 368 Nr 4 verweisend). In der Konsequenz dieser Rechtsprechung liegt es auch, dass das BVerfG es als verfassungskonform
angesehen hat, wenn der Gesetzgeber zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung, im Interesse einer Gleichbehandlung
der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ein Verfahren vorsieht,
in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen
Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse
sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methode zu Lasten der Krankenkassen auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige
Grundlage zu stellen (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, aaO, SozR RdNr 28). Besteht ein solches, vom Gesetzgeber vorgesehenes
Verfahren mit dem Ziel, den Versicherten und die Versichertengemeinschaft vor riskanten und/oder ineffektiven medizinischen
Maßnahmen zu schützen, entspricht es den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten auch, den Ergebnissen dieses Verfahrens bei
der Konkretisierung von Leistungsansprüchen Rechnung zu tragen. Ein solches Verfahren sieht das
SGB V in §
135 zum Schutze der Versicherten und der Versichertengemeinschaft vor, in dem generalisierend zu den vorgenannten Kriterien Stellung
zu nehmen ist (vgl zB Senat, BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, jeweils RdNr 22). Für den Zeitraum, bis zu dem in einem solchen Verfahren noch Ergebnisse fehlen,
ist für zumindest hilfsweise eingreifende Sicherungen zu sorgen und für die Zeitdauer bis zu einer Entscheidung des Bundesausschusses
aus verfassungsrechtlichen Gründen unter den Voraussetzungen des Beschlusses vom 6. Dezember 2005 ausnahmsweise ein Anspruch
auf Anwendung einer neuen, noch nicht zugelassenen Behandlungsmethode denkbar; allerdings muss an die Stelle der noch nicht
abgeschlossenen Prüfung durch den Bundesausschuss die generalisierende Prüfung von Risiken und Nutzen anlässlich des - wie
hier - konkret zur Entscheidung stehenden Einzelfalles treten. Andererseits ist für eine Anspruchsbegründung auf Grund grundrechtsorientierter
Auslegung regelmäßig kein Raum mehr, wenn der Bundesausschuss - nach nicht zu beanstandender Prüfung (vgl oben unter 1a)
- zu einer negativen Bewertung gelangt ist: Dann ist auch verfassungsrechtlich gegen den Ausschluss einer Behandlungsmethode
aus dem GKV-Leistungskatalog nichts einzuwenden, weil nach dem maßgeblichen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse medizinische
Notwendigkeit, diagnostischer und therapeutischer Nutzen sowie Wirtschaftlichkeit nicht hinreichend gesichert sind.
Aus der Pflicht, die Regeln der ärztlichen Kunst zu beachten, folgt schließlich die Notwendigkeit, nicht nur abstrakt, sondern
auch konkret bezogen auf den Einzelfall Risiken und Nutzen zu ermitteln. Bei beiden Prüfungen ist es geboten, jeweils das
erreichbare Behandlungsziel iS von §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V zu berücksichtigen. Der bei beiden Analysen von Nutzen und Risiken zu beachtende Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der den Zurechnungszusammenhang
zwischen Therapie, Erfolg und Risiken betrifft, unterliegt - ähnlich wie bei der Anwendung von Pharmakotherapien mit Fertigarzneimitteln
zu Lasten der GKV - auf Grund von Verfassungsrecht (vgl näher 1. Senat, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R, aaO: Tomudex, RdNr 39 f) Abstufungen je nach Schwere und Stadium der Erkrankung und Ausmaß sowie Eintrittswahrscheinlichkeit
von unerwünschten Nebenwirkungen.
Erforderlich ist, dass unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes sowohl die abstrakte als auch die
konkret-individuelle Chancen-/Risikoabwägung ergeben, dass der voraussichtliche Nutzen die möglichen Risiken überwiegt (BSG,
aaO, Tomudex, RdNr 38 - 48). Soweit danach eine solche Behandlungsmethode in Betracht kommt, ist zu prüfen, ob bei Anlegen
des gleichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes auch andere (anerkannte) Methoden diesen Anforderungen genügen. Ist dem so, sind
diese Methoden untereinander hinsichtlich Eignung, Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit zu vergleichen (vgl Urteil des
Senats vom 26. September 2006 - B 1 KR 1/06 R: Ilomedin, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Da die Regeln der ärztlichen Kunst maßgeblich sind, muss ggf auch die nicht dem sonst in der GKV vorausgesetzten medizinischem
Standard entsprechende Behandlungsmethode in erster Linie fachärztlich durchgeführt werden; die Behandlung muss abgesehen
davon, dass ihre Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit durch den Bundesausschuss nicht anerkannt ist, jedenfalls im Übrigen den
Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert werden (zum Arztvorbehalt vgl BVerfG, Beschluss
vom 6. Dezember 2005, SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 26; Urteil des erkennenden Senats vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 4: Tomudex, RdNr 50 zu den Regeln der ärztlichen Kunst und Dokumentationspflichten). Den Regeln der
ärztlichen Kunst entspricht es auch, jedenfalls soweit es in der jeweiligen Berufsordnung (vgl dazu auch die nicht als solche rechtsverbindliche >Muster-<Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte - MBO-Ä 1997, DÄBl 1997 >94<, A-2354; inzwischen § 15 Abs 4 MBO-Ä, DÄBl 2004 >101<, A-1578, A-1580) entsprechend der "Deklaration von Helsinki" vorgesehen ist, bei beabsichtigten Heilversuchen
zuvor die zuständige Ethikkommission einzuschalten und ihre (ggf positive) Beurteilung abzuwarten (zur "Deklaration von Helsinki",
die grundsätzliche Aussagen zur medizinischen Forschung am Menschen enthält und bzgl deren Planung und Durchführung die Beratung
durch eine Ethikkommission empfiehlt, vgl zB Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2005, § 74 III, RdNr 8 ff; Taupitz, MedR 2001, 277, 280 f; Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl 2002, § 4 RdNr 18 f, jeweils mwN).
b) Ob diese Voraussetzungen bei der Behandlung der Klägerin im Mai 2001 vorlagen, kann auf Grund der Tatsachenfeststellungen
des LSG nicht abschließend beurteilt werden. Vielmehr bedarf es weiterer Sachverhaltsaufklärung des LSG vor allem zu den nachfolgend
aufgeführten Punkten.
(1) Das Tatbestandsmerkmal des Vorliegens einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung hat das LSG mit dem
Hinweis darauf bejaht, dass das bei ihr festgestellte hepatozelluläre Karzinom nach Angabe des behandelnden Internisten "keine
günstige Prognose" gehabt habe. Dabei ist unklar, ob das LSG vom Vorliegen eines sog Primärtumors (worauf der Bericht der
Universitätsklinik Ulm hindeuten könnte) oder einer Metastase (wovon Prof. Dr. Vogl spricht) ausgegangen ist. Ebenso bleibt
offen, auf welchen Zeitpunkt sich die "ungünstige Prognose" bezieht, vor allem ob sie auch noch nach der in der Universitätsklinik
Ulm begonnenen, jedoch abgebrochenen Chemotherapie bestand. Gerade bei Krebserkrankungen ist es zur Prüfung des Schweregrads
der Erkrankung erforderlich, durch entsprechende Ermittlungen (zB Arztanfragen) zunächst Art und Stadium der Erkrankung -
ausgehend vom Primärtumor - nach der TNM-Klassifikation möglichst genau festzustellen (zur TNM-Klassifikation vgl Pschyrembel,
Klinisches Wörterbuch, 260. Aufl 2004, T = Tumor, Ausdehnung des Primärtumors, N = Nodus/Lymphknoten, Fehlen bzw Vorhandensein
von regionären Lymphknotenmetastasen, M = Metastasen, Fehlen bzw Vorhandensein von Fernmetastasen). Erst dann kann geprüft
werden, welche Folgen für Leben(serwartung) und Gesundheit des Versicherten im Allgemeinen und im konkreten Einzelfall zu
erwarten sind, wenn eine weitere Behandlung unterbleibt. - Es ist Sache des LSG, zunächst diese zur Beurteilung von Art und
Schwere der Erkrankung unabdingbaren Tatsachenfeststellungen nachzuholen.
(2) Das LSG hat das Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode verneint.
Dies ist nicht zu beanstanden (vgl §
128 SGG), soweit es die Möglichkeit einer operativen Entfernung des betreffenden Gewebes verneint. Das LSG hat sich diese Meinung
auf Grund des Berichtes der Universitätsklinik Ulm gebildet, wo eine operative Entfernung erfolgen sollte und an der besonderen
Lage des Tumors scheiterte. Indessen durfte sich das LSG nicht damit begnügen, das Fehlen weiterer Behandlungsalternativen
mit den allgemeinen Hinweisen zu begründen, "alle übrigen etablierten therapeutischen Methoden" zeigten beim hepatozellulären
Karzinom eine nur sehr begrenzte Wirksamkeit und auch die Chemotherapie sei "nur sehr gering effektiv". Diese wertenden Feststellungen
lassen weder erkennen, worauf die Hypothese eines hepatozellulären Primärtumors gestützt wird, noch welche weiteren Behandlungsmethoden
das LSG in Erwägung gezogen hat und worauf das LSG seine Erkenntnisse stützt. Vor allem aber hätte ermittelt werden sollen,
mit welchem Erfolg bei der Klägerin die in Ulm begonnene Chemotherapie durchgeführt und aus welchen Gründen diese Therapie
abgebrochen wurde; die Angabe der Klägerin, sie habe die Chemotherapie "nicht vertragen", hätte insoweit weiterer Aufklärung
bedurft, etwa durch eine Anfrage in der Universitätsklinik Ulm. Dabei hätte auch geklärt werden können, ob die Chemotherapie
der Vorbereitung (Verkleinerung) einer operativen Entfernung des Gewebes dienen sollte oder ob mit ihr ein isolierter eigenständiger
Therapiezweck alternativ zur Operation verfolgt wurde. Aus dem im SG-Verfahren vorgelegten Gutachten des Kompetenz Centrums Onkologie vom Mai 2002 ergeben sich Hinweise auf das HTA-Gutachten
der KÄBV vom 18. Januar 2002, das den Erkenntnisstand der vergangenen Jahre bis zu diesem Zeitpunkt aufarbeitet. Dieses setzt
sich ausführlich mit der LITT auseinander und nimmt zu den denkbaren Behandlungsansätzen bei Lebertumoren und Lebermetastasen
Stellung (Gliederungspunkt 8, S 29 ff des Berichts, zB Radiofrequenztherapie, Alkoholinjektionen usw). Ob die dort erwähnten
Behandlungsmethoden bei Leberkrebs auch im Falle der Klägerin in Betracht gekommen wären, hätte das LSG durch ein Sachverständigengutachten
oder zumindest entsprechend aussagekräftige Auskünfte der behandelnden Ärzte, zB der Universitätsklinik Ulm, klären müssen.
Hieran fehlt es. Erst wenn auf diesem Wege festgestellt worden wäre, dass es zur Behandlung des genau festgestellten Leidens
(Primärtumor oder Metastase?) entweder überhaupt keine Behandlungsalternative gab oder Behandlungsalternativen jedenfalls
auf Grund bei der Klägerin vorliegender besonderer Verhältnisse ausscheiden, kam die Durchführung der LITT in Betracht.
In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass bei der Frage, ob Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, zunächst
das konkrete Behandlungsziel der streitigen Methode iS von §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V zu klären ist. Es muss festgestellt werden, ob es um die Heilung einer Krankheit, die Verhütung ihrer Verschlimmerung oder
die Linderung von Krankheitsbeschwerden geht, ob eine Behandlung kurative oder palliative Ziele verfolgt. Ausgehend hiervon
ist die Wirksamkeit der Therapie zu ermitteln und das Vorhandensein alternativer Methoden gerade auf das mit ihr beabsichtige
Behandlungsziel abzufragen.
(3) Die Frage, ob bei der LITT eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens
auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht, hat das LSG mit dem Hinweis darauf bejaht, die Wirksamkeit
sei durch den Rückgang des Karzinoms bis zu einer Vollremission nachgewiesen. Zudem habe Prof. Dr. S. vom Kreiskrankenhaus
G. die LITT bzgl des krankheitsfreien Überlebens und Gesamtüberlebens als "positiv gegenüber den etablierten
Methoden" bewertet. Das LSG bezieht sich dabei auf eine Einzeläußerung eines Arztes, die dieser nicht im Rahmen einer Befragung
durch das Gericht, sondern im Rahmen eines der Klägerin erteilten und von dieser dem SG vorgelegten "Ärztlichen Zeugnisses" abgegeben hat. Eine Auseinandersetzung mit gegenteiligen Expertenmeinungen, die sowohl
im HTA-Gutachten als auch im Grundsatzgutachten LITT des MDS/MDK vom 5. Februar 2003 geäußert werden und auf die auch der
Bericht des Bundesausschusses vom 4. November 2005 Bezug nimmt, geht das LSG nicht ein. In diesen Gutachten wird der LITT
nicht jegliche Wirksamkeit abgesprochen und im Gutachten des Kompetenz Centrums Onkologie des MDK Nordrhein vom 3. Mai 2005
wird zur Durchführung der LITT an der Universitätsklinik Frankfurt am Main ausgeführt: "Wir möchten nicht versäumen, anzumerken,
dass es unverständlich ist, warum diese an sich vielversprechende Methode, welche die Klinik bereits seit nunmehr 5 Jahren
routinemäßig einsetzt, bisher wissenschaftlich nicht evaluiert ist. Aussagekräftige Daten einer Phase-III-Studie finden sich
eben nicht in den von der Klinik zitierten Publikationen. Dass die Notwendigkeit für eine solche Evaluation besteht, hat die
Klinik ja selbst dadurch dokumentiert, dass sie die von ihr selbst zitierte Studie mitinitiiert hat. Diese Studie ist auch
von Seiten des Bundesministeriums für Forschung und Technologie für wichtig erachtet und mit einem insgesamt siebenstelligen
Betrag gefördert. Es ist daher schwer nachvollziehbar, warum auf der einen Seite von der Klinik diese Studie zum Nachweis
der überlegenen Wirksamkeit gegenüber dem bisherigen Standard begonnen wird, andererseits aber auch in Fachkreisen versucht
wird, den Eindruck zu erwecken, es handle sich hierbei bereits um ein gesichertes Therapieverfahren. Dabei wäre allein aufgrund
der Frequenz der Eingriffe, wie sie von der Klinik angegeben wird, eine mehr als ausreichende Datenbasis für eine sichere
Beurteilung schon jetzt möglich, ..."
Angesichts dieser Gutachtenlage durfte sich das LSG zum Nachweis der Wirksamkeit der LITT nicht allein auf den Befundbericht
Prof. Dr. Vogl, der von einer Vollremission und damit "rückblickend" von einem Erfolg seiner Behandlung berichtet, stützen.
Vielmehr hätte das LSG die voraussichtlichen Erfolgschancen einer LITT vor Beginn der Behandlung anhand der bereits damals
vorliegenden Erkenntnisse über den Einsatz, Wirksamkeit, Chancen und Risiken der LITT durch einen gerichtlichen Sachverständigen
prüfen lassen müssen (zur insoweit erforderlichen abstrakten und konkreten Chancen-/Nutzen-Abwägung vgl Urteil des Senats
vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 4: Tomudex, RdNr 38 ff). Dabei hätte auch Anlass bestanden, dem Stand der genannten Studie, ihren Ergebnissen
oder den Gründen ihres eventuellen Abbruchs nachzugehen.
(4) Ob die LITT - abgesehen vom bislang nicht festgestellten Wirksamkeitsnachweis - jedenfalls im Übrigen entsprechend der
Regeln der ärztlichen Kunst - ggf nach Einschaltung einer Ethikkommission - durchgeführt und ausreichend dokumentiert worden
ist, erscheint im Hinblick auf die vorliegenden Gutachten ebenfalls zweifelhaft. Aus diesen Gutachten ergibt sich, dass Prof.
Dr. Vogl die LITT während seiner Tätigkeit an einem Berliner Krankenhaus stationär durchgeführt hat, während er die LITT an
der Universitätsklinik Frankfurt am Main später ambulant mit einer Nachkontrolle 24 bis 48 Stunden nach dem Eingriff durchführte.
Im HTA-Gutachten wird die Ansicht vertreten, die LITT stelle ein experimentelles Verfahren dar, das ausschließlich im Rahmen
kontrollierter, prospektiver Studien eingesetzt werden solle und - wie in der Charité - auch bei der palliativen Anwendung
eine 24-stündige stationäre Überwachung erfolgen sollte (Bl 46). Im Grundsatzgutachten des MDS/MDK wird kritisiert, dass bei
der ambulanten LITT die Patienten in einem (der Klinik nahe gelegenen) Hotel untergebracht werden und eine Begleitperson stellen
müssen; angesichts der Komplikationsraten stelle sich die Frage, ob dieses Vorgehen gerechtfertigt sei; als denkbarer Grund
für diese Art der ambulanten Behandlung wird im Gutachten angedeutet, dass es möglicherweise nicht gelungen sei, die LITT
im stationären Budget zu verankern (Bl 25 des Gutachtens). Im Bericht des Bundesausschusses vom 4. November 2005 heißt es,
für das Verfahren der LITT würden in der Literatur eine Reihe von unerwünschten Effekten sowie schwerwiegende Komplikationen
bis hin zu Todesfällen berichtet, sodass dieses "experimentelle Verfahren" ausschließlich unter stationären Bedingungen durchgeführt
werden sollte (Bl 78 des Berichts).
Das LSG wird insoweit prüfen müssen, in welchen Krankenhäusern die LITT im Jahre 2001 als Maßnahme der stationären Krankenhausbehandlung
angeboten worden ist (vgl insoweit §
137c SGB V). Dabei kommt zB die "Referenzliste LITT" der Firma SOMATEX, Berlin (vgl Bl 55 des MDS/MDK-Grundsatzgutachtens vom 5. Februar
2003), als Ausgangspunkt weiterer Tatsachenermittlungen in Betracht. Bei einem Behandlungsverfahren, das regelmäßig im stationären
Bereich erfolgt, ausnahmsweise aber von einem vereinzelt gebliebenen Arzt ambulant erbracht wird, ist schon im Rahmen der
medizinisch erforderlichen Aufklärung zu erwarten, dass der Behandler auf die Alternative der stationären Behandlung hinweist.
Denn für die ärztliche Entscheidung, Behandlungsverfahren ambulant oder stationär durchzuführen, müssen vor allem Risikoabwägungen
ausschlaggebend sein, die zur erforderlichen Aufklärung des Patienten gehören. Zudem ist im Rahmen der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht
zu erwägen, den Arzt für verpflichtet zu erachten, darauf hinzuweisen, dass die von ihm ambulant angebotene Behandlungsmethode
von der Krankenkasse (möglicherweise) nicht übernommen wird, während sie die Kosten bei stationärer Behandlung tragen würde
(vgl Urteil des Senats vom 4. April 2006 - B 1 KR 5/05 R, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-2500 § 13 Nr 8 RdNr 27: Uterus-Arterien-Embolisation mwN). In diesem Zusammenhang
wird das LSG auch die Folgen einer etwaigen Verletzung ärztlicher Aufklärungspflichten für den Erstattungsanspruch Versicherter
beachten müssen. Verletzt der behandelnde Arzt seine Aufklärungspflichten, kann dies zum Ausschluss eines Vergütungsanspruchs
des Arztes und damit dazu führen, dass in der Person des Versicherten ein Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 SGB V von vornherein nicht entsteht (vgl auch Urteil des Senats vom 18. Juli 2005 - B 1 KR 24/05 R, RdNr 22 mwN: ambulante Psychotherapie).
Soweit der 3. Senat des BSG in seinem Urteil vom 3. August 2006 (B 3 KR 24/05 R, zur Veröffentlichung vorgesehen) unter RdNr 20 ausführt, die Frage, ob der Kostenaufwand des Versicherten auf der Erfüllung
einer vertraglichen Vergütungspflicht beruhe, auf einer sonstigen zivilrechtlichen Zahlungspflicht basiert oder gar rechtsgrundlos
entstanden sei, spiele für die Kostenerstattung nach §
13 Abs
3 SGB V grundsätzlich keine Rolle, tragen diese Ausführungen das Urteil des 3. Senats aus Sicht des erkennenden Senats nicht. Dies
ergibt sich für den erkennenden Senat aus dem Leitsatz, den weiteren Ausführungen des 3. Senats in RdNr 21 aaO und dem Umstand,
dass der 3. Senat nicht zu erkennen gegeben hat, von der anders lautenden Rechtsprechung des erkennenden 1. Senats (vgl zB
BSGE 79, 125, 127 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 52 mwN; BSGE 80, 181, 186 = SozR 3-2500 § 13 Nr 14 S 72; BSGE 93, 94 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4, jeweils RdNr 19 mwN) abweichen zu wollen.
Schließlich ist die Inanspruchnahme einer Ethikkommission in Erwägung zu ziehen (vgl oben 2a zur "Deklaration von Helsinki").
3. Bei seiner neuerlichen Entscheidung hat das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.