Anspruch auf Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung für stationäre Liposuktionen
Anforderungen an eine Versorgung mit Potentialleistungen im Rahmen eines individuellen Heilversuchs nach Erlass einer Erprobungsrichtlinie
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten noch um die Erstattung von Kosten für selbstbeschaffte stationäre Liposuktionen (Fettabsaugungen)
der Oberschenkel zur Behandlung des Lipödems der Klägerin.
Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte, 1968 geborene Klägerin beantragte am 14.9.2015 befundgestützt die stationäre
Versorgung mit Liposuktionen im Bereich der Oberarme und Oberschenkel wegen eines vom behandelnden Krankenhaus (F Krankenhaus,
D) diagnostizierten Lipödems Grad III. Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit
einer gutachtlichen Stellungnahme und informierte die Klägerin hierüber (Schreiben vom 23.9.2015). Nach negativer MDK-Stellungnahme
lehnte die Beklagte den Antrag ab (Bescheid vom 13.10.2015; Widerspruchsbescheid vom 6.10.2016). Das SG hat die auf Versorgung der Klägerin mit den beantragten Liposuktionen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 13.11.2017).
Während des Berufungsverfahrens hat die Klägerin Liposuktionen beider Oberschenkel vornehmen lassen (26.4. bis 28.4.2018 sowie
10.10. bis 11.10.2018; Kosten jeweils 4265,30 Euro zuzüglich 378,41 Euro bzw 371,99 Euro für Anästhesieleistungen für die
erste und zweite Behandlung).
Das LSG hat die Berufung der Klägerin, mit der sie zuletzt die Erstattung der Kosten für die selbstbeschafften Liposuktionen
in Höhe von 9281 Euro und die Versorgung mit stationären Liposuktionen der Oberarme, hilfsweise die Einholung einer gutachtlichen
Anhörung nach §
109 SGG beantragt hat, zurückgewiesen (Urteil vom 27.11.2019). Ein Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung folge nicht aus §
13 Abs
3a Satz 7
SGB V, da die Beklagte den Antrag der Klägerin fristgerecht beschieden habe. Die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs
nach §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V seien ebenfalls nicht erfüllt. Stationäre Liposuktionen gehörten nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV); sie erfüllten das auch für den Anspruch auf Krankenhausbehandlung nach §
39 SGB V geltende Qualitätsgebot nicht. Die Voraussetzungen von §
2 Abs
1a SGB V lägen ebenfalls nicht vor. Offenbleiben könne, ob der Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Operationen der Oberschenkel
auch daran scheitere, dass es an einer ordnungsgemäßen, die Fälligkeit der Vergütung begründenden Rechnung fehle. Die Klägerin
habe hinsichtlich der durchgeführten Liposuktionen lediglich Honorar- und Behandlungsverträge vorgelegt und bekundet, dass
ihr insoweit gesonderte Rechnungen nicht gestellt worden seien.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von §
137c Abs
3 Satz 1, §
39 und §
13 Abs
3 SGB V. Für die Rechtslage ab 23.7.2015 habe das BSG mit Urteil vom 25.3.2021 (B 1 KR 25/20 R) entschieden, dass §
137c Abs
3 SGB V eine partielle Einschränkung des Qualitätsgebots beinhalte. Die in dieser Entscheidung aufgestellten Anforderungen seien
bei der Klägerin erfüllt.
Hinsichtlich der zunächst noch begehrten Versorgung mit Liposuktionen der Oberarme hat die Klägerin die Revision für erledigt
erklärt, nachdem die Operationen zulasten der Beklagten durchgeführt worden sind.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. November 2019 und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom
13. November 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober
2016 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 9281 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG). Der Senat kann nicht abschließend darüber entscheiden, ob der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung der Kosten der von ihr
selbst beschafften stationären Liposuktionsbehandlungen zusteht.
Ein Kostenerstattungsanspruch gemäß §
13 Abs
3a Satz 7
SGB V (vgl dazu BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 9/18 R - BSGE 130, 200 = SozR 4-2500 § 13 Nr 53) scheidet aus, weil die Beklagte den Leistungsantrag der Klägerin vom 14.9.2015 nach den bindenden
Feststellungen des LSG (§
163 SGG) mit Bescheid vom 13.10.2015 rechtzeitig beschieden hat. Das LSG ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Mitteilung der
Beklagten vom 23.9.2015 nach §
13 Abs
3a Satz 2
SGB V über die Beteiligung des MDK der Klägerin innerhalb von drei Wochen zugegangen ist, sodass der Antrag innerhalb der fünfwöchigen
Entscheidungsfrist (§
13 Abs
3a Satz 1 Fall 2
SGB V) rechtzeitig beschieden wurde. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch kann damit nur §
13 Abs
3 Satz 1 Fall 2
SGB V sein, jedoch ist das Vorliegen von dessen Voraussetzungen bislang nicht festgestellt.
Der Anspruch nach §
13 Abs
3 Satz 1 Fall 2
SGB V setzt voraus, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung Anspruch auf die Liposuktionsbehandlungen als Naturalleistungen
nach §
39 Abs
1 SGB V hatte (stRspr; vgl zB BSG vom 17.12.2019 - B 1 KR 18/19 R - BSGE 129, 290 = SozR 4-2500 § 138 Nr 3, RdNr 8 mwN). Die Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses
alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im
Krankenhaus notwendig sind (§
39 Abs
1 Satz 3
SGB V). Ein Naturalleistungsanspruch der Klägerin auf Versorgung mit einer Liposuktion ist hier einerseits nicht durch einen Beschluss
des GBA von vornherein aus dem GKV-Leistungskatalog ausgeschlossen (dazu 1.), andererseits kann der Anspruch auch nicht unmittelbar
auf Richtlinien (RL) des GBA gestützt werden (dazu 2. und 3.). Die Voraussetzungen des §
2 Abs
1a SGB V hat das LSG zutreffend verneint; insoweit verzichtet der Senat auf weitere Ausführungen. Ein danach verbleibender Naturalleistungsanspruch
setzt voraus, dass die Liposuktionen dem maßgeblichen Qualitätsgebot entsprachen, die vollstationäre Leistungserbringung erforderlich
war (§
39 Abs
1 Satz 2
SGB V) und die Leistungen insgesamt wirtschaftlich (§
12 Abs
1 SGB V) erbracht wurden. Die Liposuktionen erfüllten im Behandlungszeitraum nicht die allgemeinen Qualitätsanforderungen des §
2 Abs
1 Satz 3
SGB V (dazu 4.). §
137c Abs
3 SGB V, der am 23.7.2015 in Kraft getreten und auf das Leistungsgeschehen im Jahr 2018 zeitlich anwendbar ist, hat jedoch das allgemeine
Qualitätsgebot partiell eingeschränkt (Art 1 Nr 64 Buchst b, Art 20 Abs 1 des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der
gesetzlichen Krankenversicherung [GKV-Versorgungsstärkungsgesetz - GKV-VSG] vom 16.7.2015, BGBl I 1211). Ob dessen Voraussetzungen
hier vorlagen, kann der Senat auf Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden (dazu 5. und 6.). Kommt
das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nach Maßgabe des §
137c Abs
3 SGB V Anspruch auf die stationären Liposuktionsbehandlungen hatte, muss es prüfen, ob und wem die Klägerin eine Vergütung schuldete
(dazu 7.).
1. Die Liposuktion als Behandlungsmethode war während der stationären Behandlungen der Klägerin nicht durch einen Beschluss
des GBA vom GKV-Leistungskatalog ausgenommen (§
137c Abs
1 Satz 2
SGB V). Der GBA hat das entsprechende Methodenbewertungsverfahren nur ausgesetzt und ein Erprobungsverfahren auf der Grundlage
der Erprobungs-Richtlinie (Erp-RL) Liposuktion veranlasst (Beschluss vom 20.7.2017 zum auf Antrag der Patientenvertretung
[§ 140f SGB V] vom 20.3.2014 mit Beschluss vom 22.5.2014 eingeleiteten Methoden-Bewertungsverfahren zur Liposuktion bei Lipödem
unter Änderung der RL zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus [Abschnitt B Nr 3.1 der Anlage II der RL Methoden
Krankenhausbehandlung mit Wirkung vom 18.10.2017, BAnz AT 17.10.2017 B3]; mit demselben Beschluss vom 20.7.2017 Einleitung
des Beratungsverfahrens zur RL zur Erprobung gemäß §
137e SGB V der Liposuktion bei Lipödem; Beschluss vom 18.1.2018 über eine RL zur Erprobung der Liposuktion beim Lipödem mit Wirkung
vom 10.4.2018 [Erp-RL Liposuktion; BAnz AT 9.4.2018 B1]). Der GBA hat rechtsfehlerfrei den Potentialbegriff bestimmt und im
Falle der Liposuktion zutreffend angewandt (zur gerichtlichen Kontrolldichte von RL des GBA vgl BSG vom 18.12.2018 - B 1 KR 11/18 R - BSGE 127, 188 = SozR 4-2500 § 137e Nr 2, RdNr 14 ff). Die Erp-RL Liposuktion sieht in § 1 Satz 2 vor, dass die Studie durch eine unabhängige
wissenschaftliche Institution nach Maßgabe der Erp-RL Liposuktion entworfen, durchgeführt und ausgewertet wird. Beginn der
vom Zentrum für Klinische Studien (ZKS) der Universität zu Köln gemeinsam mit der Hautklinik des Klinikums Darmstadt betreuten
Studie war der 15.12.2020 (vgl den Nachweis bei Good Clinical Practice Network, Bewertung zwischen der chirurgischen Therapie
des Lipödems und der komplexen physikalischen Entstauungstherapie allein, https://ichgcp.net/de/clinical-trials-registry/NCT04272827;
siehe auch https://www.g-ba.de/studien/erprobung/lipleg-studie/). Interessentinnen konnten bis 31.12.2019 ihren Teilnahmewunsch
anmelden (https://www.erprobung-liposuktion.de/). Die Studie ist noch nicht abgeschlossen. Das Datum für den primären Abschluss
soll der 1.9.2024 und das Datum für die Fertigstellung der 1.9.2025 sein (vgl den Nachweis bei Good Clinical Practice Network,
aaO).
2. Soweit sich aus der Erp-RL Liposuktion im Rahmen des Auswahlverfahrens zunächst ein Anspruch der Klägerin auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung über ihre Teilnahme am Erprobungsverfahren ergeben hat (vgl BSG vom 24.4.2018 - B 1 KR 13/16 R - BSGE 125, 262 = SozR 4-2500 § 137e Nr 1, RdNr 27 ff), eröffnet dies der Klägerin keinen Kostenerstattungsanspruch.
Ein Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 Satz 1 Fall 2
SGB V erfordert im Falle von Ermessensleistungen, dass der Versicherte aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null einen Anspruch
auf Verschaffung der beantragten Leistung hatte. Ein solcher Anspruch ist hier ausgeschlossen, weil das Auswahlverfahren vorsah,
dass über die Teilnahme der Versicherten, die die Ein- und Ausschlusskriterien erfüllten, durch ein Losverfahren zu entscheiden
war, um die rund 450 Teilnehmerinnen der Studie zu bestimmen (vgl GKV-Spitzenverband, https://www.erprobung-liposuktion.de/pages/faq.html).
Das Losverfahren als Entscheidungsmodus begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, wenn es ordnungsgemäß durchgeführt
wird (vgl BVerwG vom 4.10.2005 - 6 B 63.05 - GewArch 2006, 81 = juris RdNr 5). Gegenteilige Feststellungen hat das LSG nicht getroffen und sind auch nicht ersichtlich. Eine dahingehende
Verfahrensrüge (§
164 Abs
2 Satz 3
SGG) hat die Klägerin nicht erhoben.
3. Die Klägerin kann ihren Anspruch auch nicht auf die RL Methoden Krankenhausbehandlung des GBA stützen. Der Beschluss des
GBA vom 19.9.2019 änderte Anlage I der RL Methoden Krankenhausbehandlung. Deren Nr 14 sieht nunmehr - befristet - vor, dass
die Liposuktion bei Lipödem im Stadium III zu den Methoden gehört, die für die Versorgung mit Krankenhausbehandlung erforderlich
sind (RL Methoden Krankenhausbehandlung, BAnz AT 6.12.2019 B2, iVm der RL über Maßnahmen zur Qualitätssicherung nach §
136 Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGB V bei Verfahren der Liposuktion bei Lipödem im Stadium III, BAnz AT 6.12.2019 B4). Diese Änderung trat jedoch mit Wirkung vom
7.12.2019 in Kraft, und damit hier erst nach Durchführung der letzten der hier noch streitigen Liposuktionen. Auf den Ausprägungsgrad
des Lipödems der Klägerin vor den Behandlungen kommt es deshalb insoweit nicht an.
4. Die durchgeführten Liposuktionen entsprachen nicht dem allgemeinen Qualitätsgebot nach §
2 Abs
1 Satz 3
SGB V. Hiernach haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu
entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Dies erfordert für die Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
den vollen Nutzennachweis im Sinne eines evidenzgestützten Konsenses der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute (stRspr;
näher dazu BSG vom 28.5.2019 - B 1 KR 32/18 R - SozR 4-2500 § 137c Nr 13 RdNr 21 und 33, jeweils mwN; BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 20/19 R - BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18, RdNr 15 mwN). Die Liposuktionsbehandlungen der Klägerin entsprachen im Zeitpunkt ihrer Durchführung
2018 diesem Maßstab nicht, wie gerade die Erp-RL Liposuktion belegt, die dazu dient, eine abschließende Beurteilung darüber
herbeizuführen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Liposuktion bei Lipödem dem allgemeinen Qualitätsgebot entspricht
(vgl auch BSG vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R - BSGE 132, 67 = SozR 4-2500 § 137c Nr 15, RdNr 18).
5. Ob die Klägerin einen Anspruch auf die Liposuktionen nach Maßgabe des §
137c Abs
3 SGB V hatte, kann der Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen.
a) Nach §
137c Abs
3 SGB V idF des GKV-VSG dürfen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA bisher keine Entscheidung nach §
137c Abs
1 SGB V getroffen hat (vgl dazu oben 1.), im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen
Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, die Behandlungsalternative
also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach Abs
1 Satz 1 gestellt worden ist, als auch für Methoden, deren Bewertung nach Abs 1 - wie hier bei Durchführung der Liposuktionen
2018 - noch nicht abgeschlossen ist (dazu oben 1.). Im Anwendungsbereich des §
137c SGB V ist das allgemeine Qualitätsgebot des §
2 Abs
1 Satz 3
SGB V durch §
137c Abs
3 SGB V partiell eingeschränkt und erweitert den Anspruch Versicherter auf Krankenhausbehandlung. An die Stelle des allgemeinen Qualitätsgebots
tritt der Potentialmaßstab. Dies hat der erkennende Senat mit Urteil vom 25.3.2021 unter Aufgabe seiner bisherigen stRspr
entschieden (ausführlich dazu BSG vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R - BSGE 132, 67 = SozR 4-2500 § 137c Nr 15, RdNr 22 ff).
b) Der Senat hat darauf abgestellt, dass der Anwendungsbereich von Potentialleistungen zur Gewährleistung eines ausreichenden
Patientenschutzes für den Fall einer noch nicht existierenden Erp-RL wegen des transitorischen, auf eine abschließende Klärung
ausgerichteten Methodenbewertungsverfahrens eng auszulegen ist. Der Potentialmaßstab des §
137c Abs
3 SGB V geht unter den nachfolgend dargestellten Einschränkungen als lex specialis dem allgemeinen Qualitätsgebot vor. Versicherte
haben außerhalb eines auf einer Erp-RL beruhenden Erprobungsverfahrens vor dessen inhaltlicher Konkretisierung Anspruch auf
neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur im Rahmen eines individuellen Heilversuchs, wenn es 1. um eine schwerwiegende,
die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Standardbehandlung verfügbar
ist und wenn 3. die Leistung das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet (vgl ausführlich dazu BSG vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R - BSGE 132, 67 = SozR 4-2500 § 137c Nr 15, RdNr 30 ff).
c) Diese Voraussetzungen für einen Anspruch auf Potentialleistungen außerhalb eines Erprobungsverfahrens gelten auch für die
Zeit nach Erlass einer Erp-RL weiter. Die Gründe für diese Voraussetzungen sind auch nach dem Erlass einer Erp-RL unverändert
zutreffend, solange und soweit der GBA keine Regelungen nach §
137e Abs
2 Satz 3
SGB V getroffen hat (dazu d).
Auch nach Inkrafttreten einer Erp-RL ist weiterhin die Evidenz dafür, dass die Methode nicht nur Potential hat, sondern tatsächlich
dem Qualitätsgebot entspricht, noch nicht belegt. Nur die Teilnahme an dem durch die Erp-RL und das Studiendesign vorgegebenen
Erprobungsverfahren bietet ein ausreichend schützendes Setting, das die Gefahren einer nur potentiell gleich oder besser als
die Standardbehandlung wirksamen Behandlungsmethode kompensiert. Im Widerstreit zwischen Innovation und Patientenschutz ist
bei fehlenden kompensatorischen Sicherungen in Gestalt des geschützten Settings der Studie dem Patientenschutz Vorrang einzuräumen.
d) Der GBA kann nach §
137e Abs
2 Satz 3
SGB V weitere Qualitätsanforderungen festlegen. Die Vorschrift bestimmt (idF durch Art 6 Nr 18 des Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung [Krankenhausstrukturgesetz - KHSG] vom 10.12.2015,
BGBl I 2229): Für Krankenhäuser, die nicht an der Erprobung teilnehmen, kann der GBA nach den §§ 136 bis 136b Anforderungen
an die Qualität der Leistungserbringung regeln.
Dadurch kann der GBA im Interesse des Patientenschutzes einerseits zusätzliche Qualifikationsanforderungen für die an der
Erprobung nicht teilnehmenden Krankenhäuser festlegen, um der Patientensicherheit außerhalb des geschützten Settings der Studie
kompensatorisch Rechnung zu tragen. Es ist ihm auch nicht verwehrt, aus Gründen der Klarstellung die ohnehin nach dem allgemein
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (§
2 Abs
1 Satz 3
SGB V) zu beachtende Struktur- und Prozessqualität (vgl dazu BSG vom 16.8.2021 - B 1 KR 18/20 R [TAVI]) normativ zu beschreiben oder patientenschützende Vorgaben des Studiendesigns zu übernehmen und den nicht teilnehmenden
Krankenhäusern verbindlich vorzugeben. Der GBA hat im Fall der Liposuktion jedenfalls zum Zeitpunkt des hier maßgebenden Leistungsgeschehens
keine ergänzenden Vorgaben für die nicht teilnehmenden Krankenhäuser nach §
137e Abs
2 Satz 3
SGB V vorgesehen.
e) Begrenzungen für Ansprüche auf Potentialleistungen ergeben sich auch aus den Erp-RLn iVm §
137e Abs
2 Satz 1 und
2 SGB V und dem jeweiligen Studiendesign selbst. §
137e Abs
2 Satz 1 und
2 SGB V (in der Ursprungsfassung durch Art 1 Nr 56 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV-Versorgungsstrukturgesetz
- GKV-VStG] vom 22.12.2011, BGBl I 2983) bestimmt: Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt in der Richtlinie nach Absatz 1 Satz
1 die in die Erprobung einbezogenen Indikationen und die sächlichen, personellen und sonstigen Anforderungen an die Qualität
der Leistungserbringung im Rahmen der Erprobung. Er legt zudem Anforderungen an die Durchführung, die wissenschaftliche Begleitung
und die Auswertung der Erprobung fest.
Diese Vorgaben gelten aber nur für an der Erprobung teilnehmende Krankenhäuser. §
137e Abs
2 Satz 3
SGB V stellt für die nicht an der Erprobung teilnehmenden Krankenhäuser eine abschließende Regelungsermächtigung des GBA dar. Eine
Regelungslücke, die es gebieten könnte, die Regelungsermächtigung nach §
137e Abs
2 Satz 1 und
2 SGB V hinsichtlich patientenschützender Regelungen entsprechend auf nicht an der Erprobung teilnehmende Krankenhäuser zu erstrecken,
liegt nicht vor. Soweit diese Regelungen und das Studiendesign Eingrenzungen vornehmen und Anforderungen an Struktur- und
Prozessqualität aufstellen, kommt ihnen nur im tatsächlichen Sinn eine indizielle Bedeutung zu. Dies betrifft die Frage, ob
die Methode auch für von der Erp-RL nicht erfasste Indikationen Potential hat. Es betrifft auch die Frage, ob und in welchem
Umfang die in der Erp-RL und dem Studiendesign vorgegebene Struktur- und Prozessqualität nach dem Maßstab des gesicherten
Nutzens auch außerhalb des Erprobungsverfahrens zu beachten ist.
f) Der Senat kann offenlassen, ob Krankenhäuser, die an der Erprobung teilnehmen, Versicherte, die keine Studienteilnehmer
sind, mit einer Potentialleistung behandeln dürfen, wenn keine schwerwiegende Erkrankung vorliegt und die Möglichkeiten der
Standardbehandlung noch nicht erfolglos ausgeschöpft sind. Der Senat muss hierüber nicht entscheiden, weil die Klägerin die
Liposuktionen bereits vor Studienbeginn (vgl dazu 1.) in einem nicht an der Erprobung beteiligten Krankenhaus durchführen
ließ.
g) Kann danach bereichsspezifisch der Potentialmaßstab zur Anwendung kommen, gelten die übrigen Voraussetzungen des Anspruchs
auf Krankenhausbehandlung uneingeschränkt (vgl dazu BSG vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R - BSGE 132, 67 = SozR 4-2500 § 137c Nr 15, RdNr 43).
6. Da keine Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, ist die Sache an das LSG zurückzuverweisen. Es hat der
bisherigen, nunmehr aufgegebenen Rechtsprechung folgend und daher von seinem Standpunkt aus zutreffend, keine weiteren Tatsachen
festgestellt. Das LSG muss insbesondere feststellen, ob es sich bei dem Lipödem der Klägerin um eine schwerwiegende, die Lebensqualität
auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelte. Ferner muss das LSG feststellen, ob vor den Operationen keine
andere Standardbehandlung (mehr) verfügbar war und die Operationen auch ansonsten wirtschaftlich erfolgten, also nicht über
das als Naturalleistung Geschuldete hinausgingen.
7. Sofern das LSG zu dem Ergebnis kommt, dass die Klägerin nach Maßgabe des §
137c Abs
3 SGB V Anspruch auf die stationären Liposuktionsbehandlungen der Oberschenkel hatte, muss es prüfen, ob und wem die Klägerin rechtswirksam
eine Vergütung in der von ihr geltend gemachten Höhe schuldete. Anhand der von der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung
vor dem LSG vorgelegten und von diesem in der Niederschrift in Bezug genommenen Behandlungs- und Honorarverträge und Rechnungen
kann der Senat auch dies nicht abschließend beurteilen.
a) Die Selbstbeschaffung von Leistungen kann nur dann einen Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V begründen, wenn Kosten im Rechtssinne entstanden sind (vgl BSG vom 11.7.2017 - B 1 KR 1/17 R = SozR 4-2500 § 13 Nr 37 RdNr 34; BSG vom 26.2.2019 - B 1 KR 33/17 R - juris RdNr 45). Bei einer stationären Behandlung hängt die Wirksamkeit der Zahlungsverpflichtung, für die Erstattung nach
§
13 Abs
3 SGB V begehrt wird, davon ab, wie die der Krankenhausaufnahme zugrundeliegenden Verträge im Einzelfall gestaltet sind.
b) Im Bereich stationärer Krankenhausbehandlung sind verschiedene Vertragsgestaltungen mit jeweils abweichenden Rechtsfolgen
zu unterscheiden: Wäre vorliegend das Krankenhaus selbst einzige Vertragspartnerin der Klägerin geworden und hätte es sich
zur Erbringung sämtlicher Leistungen einschließlich der ärztlichen verpflichtet, wäre eine wirksame Zahlungsverpflichtung
nur unter Einhaltung des zwingenden Preisrechts nach dem KHEntgG begründet; der Anwendungsbereich der GOÄ wäre insoweit nicht eröffnet (sog totaler Krankenhausaufnahmevertrag; hierzu aa). Wären hingegen hinsichtlich der ärztlichen
Leistungen wirksame besondere Behandlungsverträge mit einem selbst liquidationsberechtigten Arzt zustande gekommen, so fände
die GOÄ Anwendung; ein hierauf gestützter Anspruch auf Kostenerstattung würde voraussetzen, dass insoweit Rechnungen erteilt wurden,
die die Voraussetzungen der GOÄ erfüllten (Krankenhausvertrag mit Arztzusatzvertrag oder auch gespaltener Arzt-Krankenhaus-Vertrag; hierzu bb). Da die vorgelegten
Vertragsunterlagen und Rechnungen eine eindeutige Qualifizierung der zugrundeliegenden Rechtsbeziehungen nicht zulassen, muss
das LSG ggf weitere Feststellungen hierzu treffen (hierzu cc).
aa) Beim totalen Krankenhausaufnahmevertrag verpflichtet sich der Krankenhausträger, alle für die stationäre Behandlung erforderlichen
Leistungen einschließlich der gesamten (wahl-)ärztlichen Versorgung zu erbringen. Für die in § 1 Abs 1 KHEntgG genannten DRG-Krankenhäuser
sowie die in § 1 Abs 2 Satz 1 KHEntgG aufgeführten Krankenhäuser gilt dabei - auch bei der Behandlung von Selbstzahlern -
das zwingende Preisrecht des KHEntgG. Diese Krankenhäuser dürfen für allgemeine Krankenhausleistungen nur die in § 7 KHEntgG
aufgeführten Entgelte berechnen. Andere oder höhere Entgelte dürften nicht erhoben werden, auch nicht mittels einer privatrechtlichen
Vereinbarung. Abweichende Vereinbarungen wären wegen Verstoßes gegen ein Gesetz nach §
134 BGB nichtig (vgl HansOLG vom 17.12.2013 - 9 U 108/13 - juris RdNr 35; Gamperl in Dietz/Bofinger, Krankenhausfinanzierungsgesetz, Stand 11/2017, § 7 KHEntgG, unter 2. und 3., S 109 f; Hauck, KrV 2017, 177, 184). Die GOÄ kommt in diesen Fällen nicht zur Anwendung.
bb) Sollen ärztliche Leistungen nach GOÄ abgerechnet werden, bedarf es eines Krankenhausvertrages mit Arztzusatzvertrag oder eines gespaltenen Arzt-Krankenhaus-Vertrages.
Beim gespaltenen Arzt-Krankenhaus-Vertrag beschränkt sich der Vertrag mit dem Krankenhausträger auf die Unterbringung, Verpflegung
und pflegerische Versorgung, deren Kosten sich im Falle der Krankenhäuser iS des § 1 Abs 1, Abs 2 Satz 1 KHEntgG nach dem
KHEntgG bestimmen. Die ärztlichen Leistungen gehören bei dieser Vertragsgestaltung nicht zu den Pflichten des Krankenhauses
und werden aufgrund eines besonderen Behandlungsvertrags mit einem selbst liquidationsberechtigten Arzt erbracht, der nach
der GOÄ abzurechnen hat. Beim Krankenhausvertrag mit Arztzusatzvertrag verpflichtet sich das Krankenhaus - wie beim totalen Krankenhausvertrag
- zur umfassenden Leistungserbringung, die sowohl die allgemeinen Krankenhausleistungen (§ 2 Abs 2 KHEntgG) als auch die Wahlleistungen
(§ 17 Abs 1 KHEntgG) umfasst. Daneben schließt der Patient - ausdrücklich oder stillschweigend - jedoch einen weiteren Vertrag
über die ärztlichen Leistungen mit dem behandelnden Arzt, der neben dem Krankenhaus diesbezüglich weiterer Schuldner des Patienten
ist (vgl zum Ganzen BGH vom 14.1.2016 - III ZR 107/15 - NJW 2016, 3027, 3028; Hauck, KrV 2017, 177, 178 Fn 15; zu aktuellen Rechtsproblemen bei der Gestaltung von Wahlleistungsvereinbarungen Clausen,
KrV 2019, 142).
cc) Die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen folgen keinem der vorgenannten für Krankenhausaufnahmeverträge typischen Gestaltungsmuster.
Die Anästhesieleistungen sind nach den Vorgaben der GOÄ abgerechnet worden, ohne dass hierzu der Abschluss einer Wahlleistungsvereinbarung und eines Arztzusatzvertrages festgestellt
wäre. Hinsichtlich der übrigen Leistungen weisen die vorgelegten Behandlungs- und Honorarverträge lediglich einen Pauschalpreis
aus, der jedoch im KHEntgG nicht vorgesehen und damit auch nicht zulässig ist. Für eine von einem Plankrankenhaus räumlich
abgetrennte Privatkrankenanstalt, die nicht dem KHEntgG unterfällt (vgl BGH vom 17.5.2018 - III ZR 195/17 - BGHZ 219, 1; zum Rechtszustand vor dem 1.1.2012 BGH vom 21.4.2011 - III ZR 114/10 - juris = MedR 2011, 801) ist vorliegend nichts ersichtlich. Bei den F Krankenanstalten handelte es sich um ein dem KHEntgG unterworfenes Plankrankenhaus
(vgl Krankenhausplan NRW 2015, Anhang S 125; zum krankenhausrechtlichen Grundsatz der Einheitlichkeit der Entgelte für allgemeine
Krankenhausleistungen vgl auch BSG vom 11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R - BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23, RdNr 38 ff).
Das KHEntgG stellt zudem in § 8 Abs 9 konkrete Anforderungen an Rechnungen des Krankenhauses für selbstzahlende Patientinnen
oder Patienten, die hier - soweit ersichtlich - nicht erfüllt wurden. Nach § 8 Abs 9 Satz 1 KHEntgG sind diese Rechnungen
in einer verständlichen und nachvollziehbaren Form zu gestalten. Dabei sind gem § 8 Abs 9 Satz 2 KHEntgG insbesondere die
Fallpauschalen und Zusatzentgelte mit der Nummerierung und den vollständigen Texten aus dem jeweils anzuwendenden Entgeltkatalog,
den maßgeblichen Diagnose- und Prozedurenschlüsseln sowie bei Fallpauschalen den effektiven Bewertungsrelationen und dem Landesbasisfallwert
auszuweisen.
Schließlich ist auch im Rahmen eines Kostenerstattungsanspruchs hinsichtlich der Höhe der erstattungsfähigen Kosten zu prüfen,
ob und ggf in welcher Höhe die Klägerin einen Eigenanteil an der stationären Behandlung nach §
39 Abs
4, §
61 Satz 2
SGB V zu tragen hatte (vgl BSG vom 11.7.2017 - B 1 KR 1/17 R = SozR 4-2500 § 13 Nr 37 RdNr 31).
8. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.