Übernahme der Kosten für die Entfernung eines Blasensteins mittels einer Laserlithotripsie in einer Privatklinik
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Verletzung des rechtlichen Gehörs
Gründe
I
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger beantragte Ende 2016 ua die Übernahme der Kosten für die Entfernung
eines Blasensteins mittels einer Laserlithotripsie in der zur Behandlung gesetzlich Krankenversicherter nicht zugelassenen
Klinik für Prostata-Therapie in H (im Folgenden: Privatklinik). Er befürchtete bei einem chirurgischen Vorgehen die Entfernung
der Prostata mit nachfolgender Inkontinenz. Daneben beantragte er eine photoselektive Vaporisation der Prostata mit Greenlight-Laser
zur Behandlung seiner vergrößerten Prostata. Letzteren Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.1.2017 ab, weil der
Gemeinsame Bundesausschuss hierzu noch keine Empfehlung ausgesprochen habe. Nach Stellungnahme des Medizinischen Dienstes
der Krankenversicherung lehnte die Beklagte mit einem weiteren, bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 10.3.2017 (Betreff:
"Inanspruchnahme von Nichtvertragskrankenhäusern") die Übernahme der Kosten für eine stationäre Behandlung in der Privatklinik
ab, weil es zugelassene Krankenhäuser gebe, die die gleiche Leistung in der gleichen Zeit erbringen könnten, ohne dass aus
dem Bescheid hervorgeht, um welche Leistung es konkret geht. Beispielhaft führte der Bescheid sechs in der Region des Klägers
zugelassene Krankenhäuser auf.
Der Kläger gab rund 1 ½ Jahre nach dem ersten Antrag am 13.7.2018 einen erneuten Antrag ua auf Übernahme der Kosten für eine
Lithotripsie in der Privatklinik persönlich in einer Geschäftsstelle der Beklagten ab und führte hierzu ein Gespräch mit einem
Geschäftsstellenmitarbeiter. Der Kläger ließ die Laserlithotripsie vom 24. bis 25.7.2018 stationär in der Privatklinik durchführen.
Sein Begehren auf Übernahme der Behandlungs- und Fahrkosten (3016,40 Euro) ist bei der Beklagten wegen der fehlenden Zulassung
nach §
108 SGB V der Privatklinik ohne Erfolg geblieben. Auch habe der Kläger den Beschaffungsweg nicht eingehalten. Ein Notfall habe nicht
vorgelegen (Bescheid vom 30.7.2018, Widerspruchsbescheid vom 19.2.2019). Das SG hat die Klage abgewiesen und ua ausgeführt: Ein Kostenerstattungsanspruch ergebe sich nicht aus §
13 Abs
3 Satz 1 Alt 1
SGB V. Die Behandlung sei nicht unaufschiebbar gewesen. Der Kläger habe selbst darauf hingewiesen, dass ihm von einem Krankenhaus
in I eine Aufnahme für Ende Juli 2018 in Aussicht gestellt worden sei; dort unter Anwendung einer chirurgischen Vorgehensweise.
Ein Kostenerstattungsanspruch wegen rechtswidriger Leistungsablehnung scheitere auch bei Annahme einer rechtswidrigen Ablehnung
daran, dass es am Kausalzusammenhang fehle, weil der Kläger sich schon vor der ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom
30.7.2018 zur Behandlung in die Privatklinik begeben habe. Unbeachtlich wäre es, wenn ihm der Eindruck vermittelt oder gar
mündlich zugesichert worden sein sollte, dass eine Kostenübernahme erfolgen werde. Ein Rückgriff auf den sozialrechtlichen
Herstellungsanspruch werde durch die abschließende speziellere Regelung des §
13 Abs
3 SGB V ausgeschlossen (Urteil vom 23.9.2020).
Das LSG hat unter Bezugnahme auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils die Berufung zurückgewiesen und ergänzend ua ausgeführt:
Ein Kostenerstattungsanspruch scheitere am fehlenden Sachleistungsanspruch. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Behandlung
in der Privatklinik gehabt. Diese sei kein zugelassenes Krankenhaus iS des §
108 SGB V. Ein Rückgriff auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch sei ausgeschlossen. Zudem sei ein Beratungsfehler nicht ersichtlich.
Der Kläger sei sich mangels verbindlicher Aussage der Beklagten am 13.7.2018 bewusst gewesen, dass er das Kostenrisiko trage.
Selbst wenn man die Pflichtverletzung in einer verspäteten Entscheidung erblicken könnte, scheitere ein sozialrechtlicher
Herstellungsanspruch jedenfalls an der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden. Der Kläger habe auf die Behandlung
in der Privatklinik keinen Sachleistungsanspruch gehabt. Dies sei ihm aufgrund des Bescheides vom 10.3.2017 bekannt gewesen
(Urteil vom 27.5.2021).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des hier allein geltend gemachten Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
1. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet
werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen.
a) Soweit der Kläger einen entscheidungserheblichen Verstoß des LSG gegen das jedermann gewährleistete Recht auf rechtliches
Gehör rügt (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 EMRK), ist dieser Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet.
Das Recht auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen
und in Erwägung zu ziehen. Es soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, die
ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben könnten. Dieses
Gebot verpflichtet die Gerichte allerdings nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen. Die Gerichte sind auch nicht
verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Sie müssen nur
das wesentliche, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeiten
(vgl BSG vom 14.4.2022 - B 5 R 4/22 C - juris RdNr 4 mwN zur Rspr des BVerfG).
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten
zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Um eine Verletzung des Gehörsanspruchs durch Nichtberücksichtigung von
Beteiligtenvortrag annehmen zu können, müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen
eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.
Geht das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer
Frage nicht ein, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags
schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl BSG vom 31.8.2021 - B 11 AL 31/21 B - juris RdNr 6 mwN zur Rspr des BVerfG).
Um einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darzulegen, hätte der Kläger deshalb substantiiert nicht nur vortragen müssen,
dass es sich bei dem vom LSG in seinen Entscheidungsgründen nicht erwähnten Vorbringen um seinen Kernvortrag handelt, sondern
auch, dass das LSG - insbesondere ausgehend von seiner Rechtsansicht - sich damit nicht befasst hat, aber hätte befassen müssen.
Hieran fehlt es.
Der Kläger trägt vor, Kern seiner Berufungsbegründung sei, dass die Beklagte bei der Abgabe des erneuten Antrags am 13.7.2018
den ihr obliegenden Beratungspflichten nicht ausreichend nachgekommen sei. Sie hätte ihn darüber informieren müssen, dass
gegen die Behandlungsmethode keine Bedenken bestünden, sondern lediglich ein zur Versorgung gesetzlich Krankenversicherter
zugelassenes Krankenhaus aufgesucht werden müsse, da die Privatklinik diese Voraussetzung nicht erfülle.
Der Kläger trägt nichts dazu vor, warum der von ihm benannte Beratungsfehler entscheidungserheblich sein kann. Das LSG hat
unter Bezugnahme auf die Gründe des SG-Urteils und außerdem selbst nochmals ausdrücklich in seinen Entscheidungsgründen mit Verweis auf Rechtsprechung des BSG darauf abgestellt, dass ein auf einen Beratungsfehler gestützter sozialrechtlicher Herstellungsanspruch durch die spezielle
und abschließende Regelung des §
13 Abs
3 SGB V verdrängt werde. Der Kläger legt danach nicht dar, dass es auch nach der Rechtsauffassung des LSG auf den von ihm geltend
gemachten Beratungsfehler ankommen kann und das LSG sich mit seinem Vorbringen hätte deshalb auseinandersetzen müssen.
Der Kläger zeigt im Hinblick auf die Hilfserwägungen des LSG auch nicht auf, warum die vom LSG vorgenommene weitere rechtliche
Prüfung nicht den Kern des klägerischen Vorbringens erfasst. Das LSG spricht ausdrücklich den Beratungsfehler als solchen
an, verneint ihn aber ua damit, dass der Kläger sich mangels verbindlicher Aussage der Beklagten am 13.7.2018 bewusst gewesen
sei, dass er das Kostenrisiko trage. Auch sei ihm aufgrund des Bescheides vom 10.3.2017 bekannt gewesen, dass er keinen Sachleistungsanspruch
auf eine Behandlung in der Privatklinik habe. Der Kläger geht hierauf nicht näher ein.
b) Der Kläger rügt ferner, das LSG sei nicht auf einen Anspruch aus Amtshaftung eingegangen.
Damit legt der Kläger auch dann nicht die Voraussetzungen einer Verletzung des §
123 SGG dar, wenn man in der Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruchs neben einem sozialrechtlichen Kostenerstattungsanspruch einen
eigenständigen Klaganspruch erblickt.
Nach §
140 Abs
1 Satz 1
SGG wird ein Urteil auf Antrag nachträglich ergänzt, wenn es einen von einem Beteiligten erhobenen Anspruch oder den Kostenpunkt
ganz oder teilweise übergangen hat, wobei ein solcher Ergänzungsantrag binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils gestellt
werden muss (§
140 Abs
1 Satz 2
SGG). Grundvoraussetzung für eine derartige Urteilsergänzung ist, dass das Gericht über den Rechtsstreit in vollem Umfang entscheiden
wollte, versehentlich aber nicht erschöpfend entschieden hat. Von diesem Fall des versehentlichen Übergehens eines Teils des
Klagebegehrens ist der Fall zu unterscheiden, in dem ein Gericht in einem Vollurteil bewusst über einen Teil des Klagebegehrens
nicht entschieden und auf diese Weise gegen das in §
123 SGG enthaltene Gebot der umfassenden Entscheidung über die vom Kläger erhobenen Ansprüche verstoßen hat. Das bewusste Ausklammern
eines Teils des Streitgegenstandes aus einem Vollurteil ohne Beschränkung auf ein Teilurteil (§
202 SGG iVm §
301 ZPO) wird von der Regelung des §
140 SGG über die Möglichkeit der Urteilsergänzung nicht erfasst (vgl BSG vom 2.4.2014 - B 3 KR 3/14 B - SozR 4-1500 § 140 Nr 2 RdNr 8).
Der Kläger macht nicht geltend, das LSG habe zu Unrecht bewusst einen Anspruch ausgeklammert und ein Vollurteil erlassen,
weil es davon ausgegangen sei, über diesen speziellen Punkt nicht (mehr) entscheiden zu dürfen bzw zu müssen.
Auch fehlt es an Ausführungen dazu, warum das LSG entgegen höchstrichterlicher Rechtsprechung befugt gewesen wäre, über einen
Amtshaftungsanspruch zu entscheiden (vgl dazu und zum Problem der unzulässigen Teilverweisung BSG vom 20.10.2010 - B 13 R 63/10 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 23 f; BSG vom 31.10.2012 - B 13 R 437/11 B - juris RdNr 10 und 13; BSG vom 30.7.2014 - B 14 AS 8/14 B - juris RdNr 5; BSG vom 25.4.2019 - B 2 U 19/18 BH - juris RdNr 4).
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.