Elektrorollstuhl als Hilfsmittel in der gesetzlichen Unfallversicherung
Gründe:
I
Der Kläger begehrt von der beklagten Unfallkasse die Übernahme der Kosten für den Ladestrom seines Elektrorollstuhls.
Der 1982 geborene Kläger erlitt am 10. Juni 1998 als Schüler einen von der Beklagten zu entschädigenden Badeunfall, der zu
einer kompletten Querschnittslähmung unterhalb des 5. Halswirbelkörpers führte. Die Beklagte bewilligte ua eine Verletztenrente
nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 vH und versorgte den Kläger auch mit einem Elektrorollstuhl. Den Antrag
auf Übernahme der Kosten für den Ladestrom des Elektrorollstuhls lehnte sie ab, weil in der Verletztenrente ein pauschaler
Ausgleich für den durch den Gesundheitsschaden auftretenden Mehrbedarf, wie die Stromkosten für den Elektrorollstuhl, enthalten
sei (Bescheid vom 24. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 1999).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die Stromkosten für den Elektrorollstuhl zu erstatten und zukünftig zu übernehmen (Urteil vom
9. Juni 2000). Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) hat den Sachverhalt hinsichtlich der entstehenden Kosten (monatlich
knapp 3 Euro) weiter aufgeklärt und die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 5. Februar 2003). Es hat zur Begründung im Wesentlichen
ausgeführt: Der Anspruch des Klägers auf Versorgung mit dem Hilfsmittel eines Elektrorollstuhls gemäß §§
26,
31 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (
SGB VII) umfasse zugleich die Übernahme der Kosten für den Ladestrom, um den Rollstuhl funktionsfähig zu halten. Die Pflicht zur
Übernahme der Ladestromkosten folge aus dem Sinn und Zweck der Bereitstellung des Hilfsmittels, weil nur ein funktionsbereites
Hilfsmittel seine Funktion erfüllen könne (Hinweis auf BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 11, 24 zur gesetzlichen Krankenversicherung).
Zur Versorgung mit einem Hilfsmittel zählten daher auch die Stromkosten für die Energieversorgung des Hilfsmittels. Dem könne
nicht entgegengehalten werden, dass es vorliegend nur ca 3 Euro im Monat seien, da es keine Geringfügigkeitsgrenze im
SGB VII oder in der Verordnung über die orthopädische Versorgung Unfallverletzter gebe. Der Mehrbedarf werde auch nicht durch die
Verletztenrente abgedeckt, die nicht nur die Kompensation des Einkommensverlustes, sondern auch einen Ausgleich für immaterielle
Schäden beinhalte (Hinweis auf BSGE 82, 83 ff = SozR 3-2600 § 93 Nr 7). Zu den durch die Verletztenrente ausgeglichenen Schäden gehörten nicht die Mehrkosten für den
Betrieb von Hilfsmitteln. Für das soziale Entschädigungsrecht habe das Bundessozialgericht >BSG< (Hinweis auf SozR 3-3100
§ 11 Nr 6) entschieden, dass die Allgemeinheit den Mehraufwand für die Heilbehandlung im vollen Umfang zu übernehmen habe,
ohne dass der Beschädigte die Grundrente nach § 31 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) antasten müsse. Nichts anderes gelte für die gesetzliche Unfallversicherung: Es sei ein allgemeiner Grundsatz, dass die
Ausgleichsfunktion, die der Verletztenrente innewohne, nicht durch eine Abschmelzung der Leistung der Heilbehandlung geschmälert
werden dürfe.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Sie macht geltend: Es gebe keine konkrete Regelung
und keine Rechtsgrundlage zur Übernahme der Ladestromkosten, da diese weder unter den Begriff der Instandsetzung noch des
Zubehörs fallen würden. Ein Vergleich mit den Batterien der Hörgeräte gehe fehl, weil diese im Gegensatz zu Strom nicht überall
und jederzeit verfügbar seien. Auch bei der Kraftfahrzeughilfe seien die Betriebs- und Unterhaltskosten vom Versicherten zu
erbringen. Die Rechtsprechung zur gesetzlichen Krankenversicherung sei nicht ohne weiteres übertragbar. Denn in der gesetzlichen
Unfallversicherung erfolge die Rehabilitation "mit allen geeigneten Mitteln", während die gesetzliche Krankenversicherung
auf die notwendigen Kosten beschränkt sei. Die in § 93 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Rentenversicherung deutlich
werdende Doppelfunktion der Verletztenrente und der Bezug auf die Grundrente nach dem BVG sprächen gegen eine Übernahme der Ladestromkosten. Die Höhe der Kosten würde durch die persönliche Lebensführung des Klägers
und die von ihm zurückgelegten Wege beeinflusst. Die Hilfsmittelrichtlinien würden zwar keine Geringfügigkeitsgrenze enthalten,
angesichts einer Rente nach einer MdE von 100 vH sei die Übernahme der geschätzten Kosten von rund 3 Euro monatlich dem Kläger
aber zumutbar.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 5. Februar 2003 und des Sozialgerichts Stendal vom 9. Juni 2000 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Der Kläger stellt keinen Antrag.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht die Berufung gegen das klagestattgebende Urteil des SG zurückgewiesen. Denn die Beklagte ist verpflichtet, die laufenden Kosten für den Ladestrom des Elektrorollstuhls des Klägers
zu übernehmen.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes >SGG<) zulässig, weil
der Kläger eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, nämlich die Versorgung mit Strom (oder eine entsprechende Kostenübernahme)
als Annex-Leistung zu der ihm schon gewährten Sachleistung "Versorgung mit einem Elektrorollstuhl" nach §
31 Abs
1 SGB VII begehrt. Der Umstand, dass die Zahlungen zum Teil erst in Zukunft fällig werden, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen
bzw fordert keine entsprechende Beschränkung derselben, weil vorliegend der Anspruch auf Stromversorgung dem Grunde nach umstritten
ist und es sich nur um Leistungen handelt, die ausgehend von dem Grundanspruch in die Zukunft hineinreichen (BSGE 15, 228). Dass die von der Beklagten genau zu zahlenden Beträge nicht feststehen, ist ebenfalls unschädlich, da sie insofern dem
Grunde nach verurteilt werden kann (§
130 SGG).
Rechtsgrundlage auch für die Versorgung mit Ladestrom ist §
31 Abs
1 SGB VII. Danach sind Hilfsmittel alle ärztlich verordneten Sachen, die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder die Folgen von
Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen. Dazu gehören insbesondere Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel
einschließlich der notwendigen Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie die Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel.
Dass der Kläger Anspruch auf Versorgung mit einem Elektrorollstuhl nach dieser Vorschrift durch die Beklagte hat, ist zwischen
den Beteiligten nicht umstritten und steht aufgrund der für den Senat bindenden (§
163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG fest. Die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl umfasst jedoch nicht nur den Rollstuhl
als solchen, sondern auch den notwendigen Strom, damit der Rollstuhl rollen kann. Dies hat das BSG für die Hilfsmittelerbringung
in der gesetzlichen Krankenversicherung nach §
33 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V) (BSGE 80, 93 = SozR 3-2500 § 33 Nr 24) sowie im sozialen Entschädigungsrecht nach § 13 Abs 1 BVG (BSG SozR 3-3100 § 11 Nr 6) schon entschieden und für die gesetzliche Unfallversicherung gilt dies entsprechend (ebenso die gesamte einschlägige Literatur
zu den Betriebskosten von Hilfsmitteln: Krasney in: Handbuch der Sozialversicherung,
SGB VII, Stand: Januar 2004, §
31 RdNr 10; Benz in: Hauck,
SGB VII, Stand: Januar 2004, §
31 RdNr 22; ders, BG 1999, 42, 48; Franz in: Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung,
SGB VII, Stand: November 2003, §
31 RdNr 20; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand: Januar 2004, §
31 SGB VII RdNr 7.3). Denn der Anspruch auf ein Hilfsmittel umfasst nach der Rechtsprechung des BSG alles, was erforderlich ist, um
dem Versicherten den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Hilfsmittels zu ermöglichen (BSGE 80, 93 = SozR 3-2500 § 33 Nr 24). Daher umfasst die Versorgung mit einem Hilfsmittel grundsätzlich auch die Versorgung mit der Energie,
die zur Nutzung des Hilfsmittels erforderlich ist (vgl zu Hörgerätebatterien: BSGE 46, 183 = SozR 2200 § 182b Nr 7).
Dies mag nicht ausschließen, dass der Gesetzgeber eine Geringfügigkeitsgrenze einführt (vgl zB allgemein für Hilfsmittel in
der gesetzlichen Krankenversicherung: §
34 Abs
4 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14. November 2003, BGBl I 2190 iVm
der dazugehörigen Verordnung). In der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es eine derartige Grenze jedoch nicht (vgl neben
§
31 SGB VII insbesondere auch die schon genannte Verordnung über die orthopädische Versorgung Unfallverletzter vom 18. Juli 1973 (BGBl
I 871), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. August 1996 (BGBl I 1254 - OrthVersorgUVV). Von daher kann der Einwand der Beklagten,
dass die monatlichen Ladestromkosten nur auf rund 3 Euro zu schätzen sind, keine Berücksichtigung finden. Im Übrigen kennt
die gesetzliche Unfallversicherung im Gegensatz zur gesetzlichen Krankenversicherung zB auch keine Zuzahlungen bei Arznei-,
Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (vgl einerseits §§
29 bis
31 SGB VII, andererseits §
31 Abs
3, §
32 Abs
2, §
33 Abs
2 Satz 5
SGB V) und für eine allgemeine Geringfügigkeits- oder Zumutbarkeitsgrenze in der gesetzlichen Unfallversicherung ist keine Rechtsgrundlage
ersichtlich. Die von der Beklagten angeführte Gegenüberstellung, dass die gesetzliche Krankenversicherung nur die "notwendigen"
Leistungen erbringe (vgl §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V) während die gesetzliche Unfallversicherung "alle geeigneten Mittel" (vgl §
26 Abs
2 SGB VII) einzusetzen habe, spricht gerade für eine Übernahme der Ladestromkosten auch in der gesetzlichen Unfallversicherung, zumal
die Entschädigungsleistungen aufgrund eines Arbeitsunfalls nicht geringer sein können, als die Leistungen in der gesetzlichen
Krankenversicherung (vgl Krasney in: Handbuch der Sozialversicherung,
SGB VII, Stand: Januar 2004, §
31 RdNr 5). Nichts anderes folgt aus der allgemeinen Verfügbarkeit von Strom im Gegensatz zu den Batterien für Hörgeräte (zur
Vereinbarkeit der vorliegenden Kostenerstattung mit dem Sachleistungsprinzip vgl BSGE 80, 93, 95 = SozR 3-2500 § 33 Nr 24), weil dies ein rein tatsächlicher Gesichtspunkt ohne erkennbare rechtliche Auswirkungen ist.
Der Vergleich mit der Kraftfahrzeughilfe nach §
40 SGB VII iVm der Verordnung über Kraftfahrzeughilfe zur beruflichen Rehabilitation vom 28. September 1987 (BGBl I 2251), zuletzt geändert
durch Gesetz vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2848) führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Kraftfahrzeughilfe ist eine grundsätzlich
andere Leistung als die Hilfsmittelversorgung (vgl nur die systematische Stellung beider Regelungen im
SGB VII) und die Beschränkung auf die Leistungen zur Beschaffung sowie der Ausschluss der laufenden Betriebs- und Unterhaltskosten
ergeben sich bei der Kraftfahrzeughilfe schon aus dem eindeutigen Wortlaut des §
40 Abs
2 SGB VII. Im Übrigen besteht zwischen einem Kraftfahrzeug und einem Elektrorollstuhl ein grundsätzlicher, erheblicher Unterschied
(vgl auch § 6 OrthVersorgUVV). Dass der Umfang der von der Beklagten zu erbringenden Leistung - vorliegend die Menge des verbrauchten
Stroms - von den persönlichen Gewohnheiten des Verletzten abhängt, ist bei der Versorgung mit Hilfsmitteln nichts Ungewöhnliches.
Nach § 3 Abs 5 Satz 1 OrthVersorgUVV sind die Körperersatzstücke und Hilfsmittel "bei Bedarf" in Stand zu setzen oder zu ersetzen.
Die Zahlung von Verletztenrente nach einer MdE von 100 vH gemäß §
56 SGB VII durch die Beklagte an den Kläger aufgrund des Versicherungsfalls ändert an diesem Ergebnis nichts. Dass der Verletztenrente
verschiedene Funktionen zukommen, hat das BSG wiederholt betont (vgl BSGE 71, 299, 301 f = SozR 3-2500 § 61 Nr 2; BSGE 82, 83, 89 f = SozR 3-2600 § 93 Nr 7, zuletzt SozR 3-5910 § 76 Nr 4). Aus keiner dieser Funktionen folgt jedoch, dass der Kläger
sich die Verletztenrente auf bestimmte, ihm nach anderen Vorschriften zustehende Leistungen anrechnen lassen muss. Denn eine
derartige Anrechnungsregel kennt das
SGB VII nicht. Auch wenn ein Teil der Verletztenrente zum Ausgleich von Mehraufwendungen seitens der Verletzten verwandt wird, die
gesunde Menschen nicht haben, kann hieraus keine Anrechnungsregel gegenüber anderen Leistungen des
SGB VII hergeleitet werden (vgl ebenso zum sozialen Entschädigungsrecht: BSG SozR 3-3100 § 11 Nr 6: Keine Anrechnung der Ladestromkosten für einen Elektrorollstuhl auf die Grundrente nach dem BVG). Im Übrigen haben nicht alle Verletzten zwingend solche Mehrausgaben und die Festlegung des anzurechnenden Teils wäre mangels
gesetzlicher Vorgaben mehr oder weniger zufällig.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.