Prüfung des Wohlverhaltens bei Zulassungsentziehungsverfahren in der vertragsärztlichen Versorgung
Gründe:
I
Umstritten ist die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung.
Der seit 1983 als Internist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger ist durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts
Kaiserslautern vom 10. Juni 2003 wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden. Gegenstand der Verurteilung ist das Verhalten des Klägers zwischen Dezember
1998 und Mai 2000.
Nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils beantragten die zu 1. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) und die
zu 6. und 7. beigeladenen Verbände der Ersatzkassen die Entziehung der Zulassung. Den Anträgen gab der Zulassungsausschuss
mit Beschluss vom 16. Juni 2004 statt. Der beklagte Berufungsausschuss wies den Widerspruch des Klägers durch Beschluss vom
2. Februar 2005 zurück. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. Juli 2005). Das Landessozialgericht (LSG)
hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 6. April 2006). Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht
der Kläger geltend, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 Sozialgerichtsgesetz >SGG<), das Berufungsurteil weiche von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) ab (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 SGG) und beruhe im Übrigen auf Verfahrensmängeln (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
II
Die Beschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Anforderungen.
Wer die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der im angestrebten Revisionsverfahren zu entscheidenden Rechtsfragen
begehrt, muss eine Rechtsfrage in eigener Formulierung herausarbeiten, auf der das berufungsgerichtliche Urteil beruht und
darlegen, inwieweit diese Rechtsfrage entscheidungserheblich (klärungsfähig) und klärungsbedürftig ist. Diesen Anforderungen
genügt die Beschwerdebegründung nicht. Sie bezeichnet schon keine Rechtsfrage, die das BSG in einem Revisionsverfahren entscheiden
könnte. Die Wendung, es sei zu klären, "unter welchen Voraussetzungen einem Vertragsarzt gemäß §
95 Abs
6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) die Zulassung zu entziehen ist, wann er seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt und insbesondere inwieweit
ein Wohlverhalten des Arztes, insbesondere für welchen Zeitraum, die Voraussetzungen für ein Absehen von der Entziehung der
Zulassung unter dem Gesichtspunkt eines Wohlverhaltens bestehen", ist in dieser Form nicht klärungsbedürftig. In ihr werden
lediglich die Tatbestandsmerkmale des §
95 Abs
6 SGB V zusammengefasst sowie das Kriterium des "Wohlverhaltens" angesprochen. Zu letzterem existiert umfangreiche, aktuelle Rechtsprechung
des BSG (zuletzt Urteil vom 20. Oktober 2004, BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, jeweils RdNr 15). Die Beschwerdebegründung lässt nicht erkennen, welche allgemeine, über den konkreten
Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage noch der Klärung durch das BSG bedürfe.
Auch soweit die Beschwerde eine Abweichung des berufungsgerichtlichen Urteils von dem erwähnten Senatsurteil vom 20. Oktober
2004 rügt, genügt sie den Begründungsanforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG nicht. Für eine Divergenzrüge muss eine die Entscheidung des Berufungsgerichts tragende Rechtsaussage herausgearbeitet und
einer Rechtsaussage in einem Urteil des BSG oder des Bundesverfassungsgerichts so gegenübergestellt werden, dass das BSG die
Abweichung der Rechtssätze ohne Weiteres nachvollziehen kann.
Ohne klar herauszuarbeiten, welchen Rechtssatz im Zusammenhang mit dem "Wohlverhalten" eines Arztes das LSG aufgestellt habe,
der von dem Senatsurteil vom 20. Oktober 2004 abweichen könnte, macht die Beschwerde geltend, die Entscheidung des Berufungsgerichts
hinsichtlich des so genannten Wohlverhaltens stehe mit dem Senatsurteil vom 20. Oktober 2004 nicht in Einklang. Abgesehen
davon, dass mit dieser pauschalen Wendung dem Bezeichnungsgebot des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG hinsichtlich des Abweichens in einer bestimmten Rechtsaussage nicht entsprochen wird, lässt die Beschwerdebegründung nicht
erkennen, dass es in dem vom Senat am 20. Oktober 2004 entschiedenen Rechtsstreit um die Würdigung des Verhaltens des Arztes
in der Zeit nach der nicht vollzogenen Entscheidung des Berufungsausschusses gegangen ist (BSGE 93, 269 = SozR aaO, jeweils RdNr 15/16). Hier dagegen sind zwischen der das Verwaltungsverfahren abschließenden Entscheidung des
Beklagten vom 2. Februar 2005 und dem Tag der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren (6. April 2006) jedoch lediglich
14 Monate verstrichen; das Verfahren ist mit größtmöglicher Beschleunigung durchgeführt worden.
Soweit der Kläger darauf hinweist, zwischen der Beendigung der Pflichtverletzung im Mai 2000 und der Entscheidung des Berufungsgerichts
seien sechs Jahre vergangen, in denen er sich nichts habe zu Schulden kommen lassen, wird damit auf eine ganz andere Konstellation
abgehoben als diejenige, zu der die Rechtsprechung des Senats zum sogenannten "Wohlverhalten" ergangen ist. Von den sechs
Jahren, auf die sich der Kläger beruft, sind mehr als drei zwischen der Einleitung des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens
und dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens verstrichen. Wenige Monate nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils
hat das Zulassungsentziehungsverfahren begonnen, das - wie bereits ausgeführt - ebenso wie die sich anschließenden gerichtlichen
Streitverfahren zügig durchgeführt worden ist. Wenn in einer solchen Situation allein aus dem Umstand, dass der von einem
Strafverfahren betroffene Arzt während der Dauer dieses Verfahrens seine strafbaren Pflichtverletzungen nicht fortsetzt, auf
ein "Wohlverhalten" im Sinne der Rechtsprechung des Senats zu schließen wäre, könnten unter Umständen nach rechtskräftigem
Abschluss des Strafverfahrens Zulassungsentziehungen von vornherein rechtmäßig nicht mehr ausgesprochen und durchgesetzt werden.
Die KÄV und die Krankenkassen dürften dann nämlich im Regelfall den Ablauf des Strafverfahrens nicht abwarten und müssten
die Entziehung der Zulassung auf der Grundlage von vorläufigen Ermittlungsergebnissen bzw der Anklageschrift beantragen. Entziehungs-
und Strafverfahren liefen dann parallel, was weder sinnvoll noch praktikabel wäre. Die Prüfung des "Wohlverhaltens" im Sinne
der Rechtsprechung des Senats kann deshalb nur auf die Zeit zwischen dem Ergehen der nicht vollzogenen Zulassungsentziehungsentscheidung
und der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz im Rechtsstreit über den Entziehungsbescheid bezogen werden.
Inwieweit sich auf diesem Hintergrund eine Abweichung zwischen dem Berufungsurteil und dem Senatsurteil vom 20. Oktober 2004
ergeben könnte, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.
Unzulässig ist die Beschwerde schließlich auch, soweit eine unzureichende Gewährung rechtlichen Gehörs als Verfahrensmangel
gerügt wird. Verfahrensmängel iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG sind solche Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften, die dem Berufungsgericht unterlaufen sein können bzw unterlaufen
sind. Derartige Verfahrensfehler benennt die Beschwerdebegründung nicht. Sie rügt allein, dass dem Kläger im Verfahren vor
dem beklagten Berufungsausschuss nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt worden ist. Damit kann jedoch ein Verfahrensmangel
iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG von vornherein nicht begründet werden.