Vertragsarztrecht
Genehmigung zur Verlegung des Vertragsarztsitzes
Divergenzrüge
Begriff der Abweichung
Einander widersprechende abstrakte Rechtssätze
Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen
Gründe:
I
Streitig ist die Genehmigung zur Verlegung des Vertragsarztsitzes der Klägerin, einer zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung
zugelassenen Diplom-Psychologin, von Hamburg-Harburg nach Hamburg-Neustadt an den Sitz ihrer psychotherapeutischen Privatpraxis.
Die Klägerin erhielt mit Beschluss des beklagten Berufungsausschusses vom 3.4.2013 ab dem 4.4.2013 im Wege der Praxisnachfolge
die Zulassung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung im Umfang eines halben Versorgungsauftrags. Zuvor hatte sie erklärt,
ihren Praxissitz im Einzugsbereich der Praxis des Abgebers des halben Versorgungsauftrags in Harburg zu nehmen. In seinem
Zulassungsbescheid führte der Beklagte vorsorglich aus, dass angesichts der eher schlechten Versorgung in Harburg einer nach
einer "Schamfrist" eventuell beantragten Sitzverlegung kaum entsprochen werden könnte.
Am 25.3.2014 beantragte die Klägerin unter Verweis auf ihre Erschöpfung aufgrund des täglichen Pendelns zwischen der Hamburger
Innenstadt und Harburg die Verlegung des Praxissitzes an den Ort ihrer Privatpraxis. Der Zulassungsausschuss und - auf Widerspruch
- der Beklagte lehnten diesen Antrag ab, weil Versorgungsgesichtspunkte einer Sitzverlegung entgegenstünden (Beschluss des
Beklagten vom 3.9.2014). Hierdurch würden die ohnehin in Harburg und den umliegenden Stadteilen bestehenden Versorgungsprobleme
weiter verschärft. In Harburg kämen auf einen Psychotherapeuten 1615 volljährige Einwohner, im Stadtteil Neustadt dagegen
nur 360 Einwohner, sodass Harburg um das 4,5-fache weniger gut versorgt sei. Eine deutlich schlechtere Versorgung Harburgs
bestehe insbesondere im Bereich der von der Klägerin angebotenen psychoanalytischen bzw tiefenpsychologischen Psychotherapien.
Während des Klageverfahrens hat die Klägerin ab 1.1.2015 im Wege der Nachfolgezulassung einen weiteren halben Versorgungsauftrag
erhalten und diesen - entsprechend einer ihr erteilten Auflage - mit dem anderen halben zu einem vollen Versorgungsauftrag
am Praxissitz in Harburg, .......... Str. ....... zusammengeführt. Das SG hat die Klage abgewiesen. Hingegen hat das LSG auf die Berufung der Klägerin den Beschluss des Beklagten vom 3.9.2014 aufgehoben
und diesen zur erneuten Bescheidung des Widerspruchs unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats verurteilt (Urteil
vom 15.3.2017). Der Beschluss genüge nicht den Anforderungen an ein Gebrauchmachen von dem durch § 24 Abs 7 S 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) eröffneten Beurteilungsspielraum nach Maßgabe des Urteils des BSG vom 3.8.2016 (B 6 KA 31/15 R - SozR 4-5520 § 24 Nr 13, auch zur Veröffentlichung in BSGE 122, 35 vorgesehen). Der Beklagte habe den Sachverhalt hinsichtlich des Versorgungsangebots der Klägerin und der Versorgungslage
in den betroffenen "Teilbereichen" Harburg bzw Neustadt nicht vollständig ermittelt und zudem seine Subsumtionserwägungen
nicht hinreichend in der Begründung seiner Entscheidung verdeutlicht. Eine Verurteilung zur Erteilung der begehrten Genehmigung
komme nicht in Betracht, da eine Verengung des Beurteilungsspielraums auf eine einzig richtige Entscheidung nicht ersichtlich
sei. Die Klägerin könne keine Belange von erheblichem Gewicht geltend machen, hinter denen Versorgungsgesichtspunkte in jedem
Fall zurückzutreten hätten.
Die Klägerin macht mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG eine grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG) sowie eine Rechtsprechungsabweichung (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 SGG) geltend. Zudem rügt sie eine Verletzung des Willkürverbots (Art
3 Abs
1 GG) aufgrund fehlerhafter, sachlich schlechthin unhaltbarer Rechtsanwendung durch das LSG.
Der Beklagte hält die Beschwerde für unzulässig. Die zu 7. beigeladene KÄV führt aus, dass eine grundsätzliche Bedeutung mangels
weiterer Klärungsbedürftigkeit nicht gegeben sei, die Klägerin aber eine Divergenz zum BSG-Urteil vom 3.8.2016 (B 6 KA 31/15 R) zutreffend geltend gemacht habe.
II
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Dabei kann offenbleiben, ob die Klägerin die Darlegungsanforderungen hinsichtlich der von
ihr geltend gemachten Zulassungsgründe in jeder Hinsicht erfüllt (vgl §
160a Abs
2 S 3
SGG). Ihre Beschwerde ist jedenfalls unbegründet, weil weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch eine Rechtsprechungsabweichung
vorliegen.
1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG sind nicht gegeben. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten
Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung
ist (stRspr, zB BSG Beschluss vom 28.10.2015 - B 6 KA 12/15 B - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5 mwN). Eine Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist
oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus bereits vorliegender oberstgerichtlicher Rechtsprechung
klar beantworten lässt (BSG Beschluss vom 11.10.2017 - B 6 KA 29/17 B - Juris RdNr 4). So verhält es sich hier.
Die Klägerin hält die Fragen für klärungsbedürftig,
(1) "ob und inwieweit bei der Entscheidung über die Verlegung eines Praxissitzes innerhalb eines Planungsbezirkes die Zulassungsgremien
den Vorgaben der Bedarfsplanung entsprechen müssen oder - völlig frei und willkürlich - den Radius des jeweiligen Praxisstandortes
ziehen dürfen",
(2) "ob und inwieweit die Festlegung eines solchen kleinräumigen Planungsbereiches der gerichtlichen Kontrolle unterliegt".
Denn das Berufungsgericht habe den Beklagten zur erneuten Entscheidung unter Berücksichtigung seiner - des LSG - Rechtsauffassung
verpflichtet und hierfür vorgegeben, dass das Versorgungsangebot der klägerischen Praxis zu ermitteln und in Bezug darauf
die Versorgungslage in den beiden Teilbereichen Harburg und Neustadt zu vergleichen sei.
Die Frage (1) ist jedoch in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Die Vorgaben, unter deren "Berücksichtigung"
(wohl iS von "Beachtung": vgl §
131 Abs
3 SGG) das LSG den Beklagten zur erneuten Bescheidung verpflichtet hat, enthalten nicht die von der Klägerin hineininterpretierten
Aussagen, dass bei den durchzuführenden Ermittlungen von den Vorgaben der Bedarfsplanung abgewichen und/oder der Radius des
jeweiligen Praxisstandorts völlig frei und willkürlich gezogen werden dürfe. Das LSG hat lediglich auf die "betroffenen Teilbereiche"
Harburg und Neustadt Bezug genommen. Den Beurteilungsspielraum begrenzende Vorgaben in dem Sinne, dass der Beklagte bei der
Ermittlung der konkreten Versorgungslage ein bestimmtes Gebiet (die jeweiligen Stadtbezirke, die Stadtteile, bestimmte Postleitzahlenbereiche
oder etwa die im Morbiditätsatlas Hamburg zugrunde gelegten "Stadtteilcluster") zugrunde zu legen habe, hat das LSG nicht
gemacht. Für die Vermutung der Klägerin, es müsse "wohl auch davon ausgegangen werden", dass damit eine Untersuchung in den
Grenzen der politischen Stadtteile angeordnet sei, findet sich in den Gründen des LSG-Urteils kein Anhaltspunkt.
Zudem fehlt es an einem weiteren Klärungsbedarf angesichts der Ausführungen im Urteil des Senats vom 3.8.2016, dass sich Entscheidungen
nach § 24 Abs 7 Ärzte-ZV "in den durch die Bedarfsplanung und die Sicherstellung der medizinischen Versorgung gezogenen Grenzen" halten müssen und
deshalb eine Überprüfung "anhand der Bedarfsplanung und der Versorgungslage" erfordern (BSG Urteil vom 3.8.2016 - B 6 KA 31/15 R - SozR 4-5520 § 24 Nr 13 RdNr 18, zur Veröffentlichung auch in BSGE 122, 35 vorgesehen). Hieraus folgt klar, dass die erneute Entscheidung des Beklagten den zwingenden Vorgaben der Bedarfsplanung entsprechen,
darüber hinaus aber auch die lokale Versorgungslage in Teilen des Planungsbereichs in den Blick nehmen muss. Die Versorgungslage
ist aber nach dem lokalen Einzugsbereich der Praxis zu beurteilen, der "je nach Lage nicht notwendig mit dem räumlichen Bereich
eines Verwaltungsbezirks übereinstimmt" (BSG Urteil vom 3.8.2016 - B 6 KA 31/15 R - aaO RdNr 31 - zum großräumigen Planungsbereich Berlin). Einer darüber hinausgehenden Klärung von Rechtsfragen bedarf es
nicht allein deshalb, weil hier der Planungsbereich Hamburg betroffen ist.
Auch die Frage (2) nach der Reichweite gerichtlicher Kontrolle in Bezug auf "die Festlegung eines solchen kleinräumigen Planungsbereiches"
ist in dem angestrebten Revisionsverfahren weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig. Es geht vorliegend nicht um die Festlegung
von Planungsbereichen, sondern vielmehr um die Feststellung der örtlichen Versorgungslage (BSG Urteil vom 3.8.2016 - B 6 KA 31/15 R - aaO RdNr 23). Hierfür hat der Senat einen Beurteilungsspielraum der Zulassungsgremien bejaht und ausgeführt, dass sich
die gerichtliche Kontrolle insoweit ua darauf beschränkt, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter
Sachverhalt zugrunde liegt (BSG Urteil vom 3.8.2016 - B 6 KA 31/15 R - aaO RdNr 23 f). Auch die von der Klägerin in diesem Zusammenhang angeführte Urteilsanmerkung geht davon aus, dass die genannte
Entscheidung zwar möglicherweise eine - isoliert betrachtet - missverständliche Formulierung enthält, in der Sache aber keine
Unklarheit aufkommen lässt (vgl Wiegand, NZS 2017, 115, 116). Weiterer Klärungsbedarf besteht insoweit nicht.
2. Der Zulassungsgrund einer Rechtsprechungsabweichung (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) ist ebenfalls nicht erfüllt. Hierfür ist erforderlich, dass das LSG seiner Entscheidung tragend einen Rechtssatz zugrunde
gelegt hat, der einem Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG widerspricht. Eine Divergenz iS der genannten Vorschrift liegt nicht schon vor, wenn das LSG
einen Rechtssatz aus einer höchstrichterlichen Entscheidung nicht beachtet oder unrichtig angewandt hat, sondern erst dann,
wenn es diesem Rechtssatz widersprochen, also einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt
hat. Nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet
die Zulassung einer Revision wegen Divergenz (stRspr, vgl BSG Beschluss vom 9.5.2017 - B 13 R 240/16 B - Juris RdNr 18 mwN).
Eine Divergenz in dem genannten Sinne liegt hier nicht vor. Die Klägerin rügt insoweit, das LSG habe zwar den Rechtssatz aus
der Entscheidung des Senats vom 3.8.2016 (B 6 KA 31/15 R - aaO RdNr 18) zitiert, dass eine Überprüfung der beantragten Verlegung des Vertragsarztsitzes "anhand der Bedarfsplanung
und der Versorgungslage" erfolgen müsse. In seinen weiteren Ausführungen habe es aber die Inhalte des Bedarfsplans nicht berücksichtigt
bzw ignoriert. Das geht über eine unbeachtliche Rüge fehlerhafter Subsumtion nicht hinaus; ein vom LSG aufgestellter abweichender
Rechtssatz wird daraus nicht ersichtlich. Ein solcher ergibt sich auch nicht - wie die Beigeladene zu 7. meint - daraus, dass
das LSG den Inhalt der RdNr 27 des Senatsurteils vom 3.8.2016 dahingehend wiedergegeben hat, ausweislich der Begründung des
Gesetzentwurfs zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz (BT-Drucks 17/6909 S 105) sei "die Verlegung einer Praxis innerhalb einer
Stadt von einem schlechter versorgten in einen besser versorgten Stadtteil nicht zu genehmigen". Die Schlussfolgerung, das
LSG habe mit diesem Zitat dem Rechtssatz aus RdNr 31 des Senatsurteils vom 3.8.2016 widersprochen, dass es entscheidend auf
die Versorgungssituation im unmittelbaren Einzugsbereich der Praxis ankomme, der je nach Lage nicht notwendig mit dem räumlichen
Bereich eines Verwaltungsbezirks übereinstimme, trifft offenkundig nicht zu.
3. Soweit die Klägerin eine Verletzung des Willkürverbots (Art
3 Abs
1 GG) durch die ihrer Ansicht nach fehlerhafte und "schlechthin unhaltbare" Rechtsanwendung des LSG rügt, kann das ebenfalls nicht
zur Zulassung der Revision führen. Damit hat sie keinen der in §
160 Abs
2 Nr
1 bis
3 SGG abschließend aufgezählten Zulassungsgründe geltend gemacht (zur parallelen Vorschrift in §
132 Abs
2 Nr
1 bis
3 VwGO vgl BVerwG Beschluss vom 27.10.2010 - 9 B 93/09 - Juris RdNr
11). Die Vorschriften zur Revisionszulassung in §
160 Abs
2 SGG und §
132 Abs
2 VwGO sind enger als die entsprechenden Regelungen in §
543 Abs
2 S 1
ZPO bzw § 115 Abs 2 FGO (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 419). Die zuletzt genannten Bestimmungen ermöglichen eine Revisionszulassung auch bei "greifbarer Gesetzeswidrigkeit", was insbesondere
bei einer willkürlichen Anwendung des materiellen Rechts der Fall sein kann (BFH Beschluss vom 9.3.2017 - VI S 21/16 (PKH) - BFH/NV 2017, 904 RdNr 18). Hingegen kann im sozialgerichtlichen Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung
nur im Sinne einer willkürlichen Handhabung verfahrensrechtlicher Bestimmungen auf dem Weg zur Entscheidung (sog "error in
procedendo") als Verfahrensmangel gerügt werden (BSG Beschluss vom 28.1.2009 - B 6 KA 27/07 B - Juris RdNr 17; s auch BSG Beschluss vom 23.8.2011 - B 14 AS 47/11 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 21 RdNr 9 f). Einen solchen Verfahrensmangel hat die Klägerin nicht dargetan; sie kritisiert vielmehr,
die Anwendung des materiellen Rechts durch das LSG sei "unhaltbar".
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 iVm §
154 Abs
2 VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels. Eine Erstattung von Kosten der Beigeladenen
ist nicht veranlasst, weil diese keine Anträge gestellt haben.
5. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht dem von der Vorinstanz festgesetzten Betrag, gegen den keiner der Beteiligten Einwendungen vorgebracht hat.