Vertragsarzthonorar
Feststellung eines sonstigen Schadens wegen der Verordnung von Heilmitteln
Grundsatzrüge
Eine Verwaltungsentscheidung ersetzender Verwaltungsakt
Alleiniger Klagegegenstand
Gründe:
I
Umstritten ist die Feststellung eines sonstigen Schadens wegen der Verordnung von Heilmitteln in den Quartalen I und II/2008.
Die Klägerin zu 1. ist als Fachärztin für Chirurgie und der Kläger zu 2. als Facharzt für Chirurgie sowie Facharzt für Orthopädie
und Unfallchirurgie zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen; sie üben ihre Tätigkeit in einer Berufsausübungsgemeinschaft
(BAG) aus. In den beiden streitbefangenen Quartalen ließen die Kläger in 32 bzw 55 Fällen jeweils eine in der Praxis tätige
Arzthelferin Verordnungen von Heilmitteln für Versicherte der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ausstellen, die mit dem Zusatz
"i.A." unterzeichnete. Nachdem die Verordnungen eingelöst worden waren, stellte die zu 2. beigeladene Krankenkasse bei der
"Prüfungsstelle Niedersachsen für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung" Anträge auf Festsetzung
eines sonstigen Schadens, weil die Kläger ihre vertragsärztliche Pflicht zur persönlichen Unterzeichnung von Heilmittelverordnungen
nicht beachtet hätten.
Die Prüfungsstelle setzte für die beiden streitbefangenen Quartale Regresse fest, die mit der Klage zum SG angefochten wurden. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19.12.2012 abgewiesen. Die Kläger haben das Urteil am 30.4.2013 mit der Berufung angefochten;
im Laufe des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu 2. alle Verordnungen, die ursprünglich von einer Arzthelferin unterschrieben
worden waren, erneut ausgestellt, persönlich unterzeichnet und zu den Akten gereicht. Das LSG hat das Verfahren ausgesetzt,
um Gelegenheit zu geben, das von ihm für erforderlich gehaltene Widerspruchsverfahren vor dem nunmehr beklagten Beschwerdeausschuss
nachzuholen. Dieser hat die von der Prüfungsstelle festgesetzten Regresse in Höhe von 1791,85 Euro und 3524,73 Euro bestätigt
und dies damit begründet, die Ausstellung von Heilmittelverordnungen durch eine Arzthelferin sei mit den Heilmittel-RL von
vornherein unvereinbar (Bescheide vom 7.6.2016).
Die Kläger haben daraufhin erklärt, dass sie nunmehr die beiden Bescheide vom 7.6.2016 angreifen und die Klage gegen den Beschwerdeausschuss
richten. Gegenüber der Prüfungsstelle haben sie den Rechtsstreit für erledigt erklärt; dem hat sich der Beklagte angeschlossen.
Das LSG hat nur noch über die Klage gegen die Bescheide vom 7.6.2016 entschieden und diese abgewiesen, weil die Bescheide
rechtmäßig seien. Es ist der Auffassung, Rechtsgrundlage der festgesetzten Regresse sei § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä - Feststellung eines sonstigen Schadens). Die Voraussetzungen für eine Festsetzung eines Schadensregresses lägen vor, weil
die Kläger ihre Pflicht zur persönlichen Ausstellung der Heilmittelverordnungen missachtet und auch gewusst hätten, dass sie
dazu nicht berechtigt seien (Urteil vom 31.5.2017).
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil machen die Kläger geltend, im Rechtsstreit seien
Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG) und rügen, das Berufungsurteil beruhe auf Verfahrensmängeln (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
II
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Soweit die Kläger den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung geltend machen, genügen ihre Ausführungen nicht den
Begründungsanforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG; die Beschwerde ist insoweit deshalb bereits unzulässig.
Wer die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung begehrt, muss eine Rechtsfrage bezeichnen, die der revisionsgerichtlichen
Klärung zugeführt werden soll, und darlegen, weshalb diese Rechtsfrage klärungsbedürftig und im angestrebten Revisionsverfahren
klärungsfähig ist. Die Kläger machen geltend, es sei in diesem Verfahren zu entscheiden, ob maßgeblicher Beurteilungszeitraum
für das Bestehen eines Anspruchs "so wie dies allgemein im Verwaltungs- und Sozialrecht üblich ist, (...) die Situation zur
Zeit der letzten mündlichen Verhandlung ist oder ob (erg. das), so wie dies der Prüfungsausschuss und das Niedersächsische
LSG annehmen, nicht gilt und eine Korrektur formaler Fehler mit dem Ziel der Herstellung eines normgerechten Zustandes auch
im laufenden Verwaltungsverfahren nicht mehr möglich sein soll". Unabhängig davon, ob die Frage in dieser Formulierung überhaupt
eine revisiongerichtlich zu klärende Rechtsfrage bezeichnet oder dafür zu allgemein gehalten ist, ist jedenfalls nicht dargelegt,
dass diese Rechtsfrage im vorliegenden Verfahren entschieden werden könnte. Das Urteil des LSG beruht nämlich nicht auf Ausführungen
dazu, welcher Beurteilungszeitpunkt für die maßgebliche Sach- und Rechtslage im vertragsärztlichen Prüfungsverfahren maßgeblich
ist, sondern auf der materiell-rechtlichen Erwägung, dass vertragsärztliche Verordnungen von Heilmitteln iS des §
32 SGB V nur von den Vertragsärzten persönlich ausgestellt werden dürfen. Das LSG geht davon aus, dass Verordnungen, die von Arzthelferinnen
ausgestellt werden, die selbst nicht an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligt sind, von vornherein unzulässig sind.
Nach Auffassung des LSG kann der "Mangel" der nicht persönlichen Unterzeichnung einer Heilmittelverordnung jedenfalls nach
dem Zeitpunkt, zu dem die Verordnung bei dem jeweiligen Leistungserbringer eingelöst und die Leistungen erbracht worden sind,
nicht mehr dadurch "geheilt" werden, dass der Vertragsarzt erklärt, er mache sich die Verordnung der Helferin zu eigen, bzw
er Jahre später eine neue Verordnung des jeweils verordneten Heilmittels ausstellt. Diese Auffassung hat nichts mit der von
den Klägern in den Vordergrund ihrer Argumentation gestellten Frage zu tun, welcher Zeitpunkt generell für die Beurteilung
der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten maßgeblich sei, und ob und ggf wie Änderungen der maßgeblichen Sach- und Rechtslage
im Verlaufe des Rechtsstreits zu berücksichtigen sind. Damit fehlt es von vornherein an der Klärungsfähigkeit der von den
Klägern aufgeworfenen Frage.
Im Übrigen trifft die der Formulierung der Rechtsfrage zugrunde liegende Auffassung, es sei in der vertragsärztlichen Rechtsprechung
umstritten, ob "formale Fehler" bis zum rechtskräftigen Abschluss des gerichtlichen Verfahrens durch die Vertragsärzte korrigiert
werden können, jedenfalls insoweit nicht zu, als es für dieses Verfahren Bedeutung hat. Die Kläger verweisen zum Beleg für
die aus ihrer Sicht insoweit bestehenden Meinungsverschiedenheiten auf ein Urteil des SG Düsseldorf vom 18.5.2011 (S 2 KA 188/10 - Juris). In dem von diesem Gericht entschiedenen Fall war umstritten, ob ein Heilmittelregress festgesetzt werden kann,
wenn Vertragsärzte Heilmittel unter Verwendung unzutreffender Diagnoseschlüssel verordnet haben. Das SG hat den dortigen Klägern die Möglichkeit gegeben, die richtigen Indikationsschlüssel im Laufe des Klageverfahrens nachzutragen,
und hat - nachdem Übereinstimmung hergestellt worden ist, dass diese nachträgliche Korrektur in der Sache richtig ist - den
angefochtenen Bescheid des dort beklagten Beschwerdeausschusses aufgehoben sowie den Klägern die Kosten des Rechtsstreits
auferlegt. Hier geht es jedoch um die Frage, ob Verordnungen, die nicht von Vertragsärzten ausgestellt worden sind und deshalb
von vornherein nicht den Patienten hätten ausgehändigt werden dürfen, Jahre später durch vom Vertragsarzt selbst unterschriebene
Verordnungen ersetzt werden können. Dass Letzteres nicht möglich ist, hat das LSG überzeugend dargelegt.
2. Die von den Klägern gerügten Mängel des Verfahrens vor dem LSG liegen tatsächlich nicht vor.
a) Die Kläger machen geltend, ihnen sei das rechtliche Gehör dadurch versagt worden, dass das LSG ihrem Vortrag nicht mehr
nachgegangen sei, sie hätten nicht gewusst, dass sie durch das von ihnen praktizierte Vorgehen, Heilmittelverordnungen in
Einzelfällen durch Helferinnen vornehmen zu lassen, ihre vertragsärztlichen Pflichten verletzen. Mit der von den Klägern angegriffenen
Wendung des berufungsgerichtlichen Urteils, "sie haben auch gar nicht in Abrede gestellt, dass ihnen die Pflicht zur eigenhändigen
Unterzeichnung des Verordnungsvordrucks bekannt gewesen ist", hat das LSG nach dem Gesamtinhalt seiner Ausführungen lediglich
darstellen wollen, dass die Kläger nicht ernsthaft haben vortragen wollen und können, sie wüssten generell nicht, dass vertragsärztliche
Verordnungen vom Vertragsarzt selbst ausgestellt werden müssten. Wenn die Kläger das behaupten wollten, würden sie ihre Eignung
für die Mitwirkung an der vertragsärztlichen Versorgung in Frage stellen (§ 21 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV), was tatsächlich nicht angenommen werden kann.
Deshalb geht das LSG im Ausgangspunkt zutreffend ohne Verletzung der Gewährung angemessenen Gehörs davon aus, dass die Kläger
generell um die Verpflichtung jedes Vertragsarztes wussten, Verordnungen von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln persönlich auszustellen.
Da sie diese Verpflichtung kannten und wussten, dass sie dagegen verstoßen hatten, haben sie grundsätzlich auch schuldhaft
gehandelt. Fraglich kann allenfalls sein, ob die Kläger sich in der von ihnen geschilderten Situation - aus tatsächlich oder
vermeintlich hygienischen Gründen seien sie in Einzelfällen als Ärztin bzw Arzt nicht in der Lage gewesen, die Verordnung
persönlich zu unterschreiben und hätten das deshalb der Helferin in ihrem Beisein übertragen - auf einen Verbotsirrtum berufen
können, der im Strafrecht in §
17 StGB näher beschrieben wird. Ob und inwieweit die Grundsätze des Verbotsirrtums auf die Frage des schuldhaften Handelns im Rahmen
der Festsetzung eines sonstigen Schadens übertragen werden können, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls wäre ein entsprechender
Verbotsirrtum der Kläger von vornherein vermeidbar gewesen (§
17 Satz 1
StGB), wenn sie sich darüber informiert hätten, ob es Ausnahmekonstellationen gibt, in denen Arzthelferinnen vertragsärztliche
Verordnungen unterschreiben dürfen. Dass sie entsprechende Auskünfte von sachkundigen Personen oder den zuständigen Behörden
eingeholt hätten, haben die Kläger zu keinem Zeitpunkt dargestellt. Deshalb ist es von vornherein unerheblich, dass die Kläger
- wie sie nunmehr geltend machen - "nach ordnungsgemäßer Überlegung und auf Grundlage einer nachvollziehbaren Entscheidung"
zu der Auffassung gelangt sind, ein solches Vorgehen sei in Ausnahmefällen möglich.
b) Soweit die Kläger rügen, durch die Aussetzung des Verfahrens und die Nachholung des Widerspruchsverfahrens durch den Beklagten
sowie die Anwendung des §
96 SGG sei ihr Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes unangemessen verkürzt worden, trifft das nicht zu. Nach einhelliger
Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum findet §
96 Abs
1 SGG, wonach ein Verwaltungsakt, der während des Klageverfahrens die ursprünglich angefochtene Verwaltungsentscheidung ersetzt,
alleiniger Klagegegenstand wird, auch im Berufungsverfahren Anwendung (vgl nur B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
96 RdNr 7). Das wird im Übrigen durch §
171 SGG bestätigt, der ausdrücklich die Nichtanwendung des §
96 SGG nur für das Revisionsverfahren anordnet und auf der Erwägung beruht, dass der gerichtliche Rechtsschutz verkürzt wird, wenn
ein ersetzender Verwaltungsakt auch Gegenstand des Revisionsverfahrens werden könne, weil er vom Revisionsgericht in tatsächlicher
Hinsicht nicht nachgeprüft werden könnte.
Soweit §
96 Abs
1 SGG im Berufungsverfahren anzuwenden ist, wird der ersetzende Verwaltungsakt - so wie das vom LSG praktiziert worden ist - alleiniger
Klagegegenstand; das LSG entscheidet darüber auf Klage ausnahmsweise als erstinstanzliches Gericht. Das Gesetz selbst nimmt
den Verlust der ersten Tatsacheninstanz in der Sonderkonstellation des §
96 Abs
1 SGG im Interesse einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits in Kauf; die Anwendung des §
96 SGG steht im Übrigen nicht im Belieben des LSG. Wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift eingetreten sind, muss
das LSG so verfahren, wie es hier geschehen ist. Die Kläger haben das ursprünglich auch so gesehen, als sie den Rechtsstreit
gegenüber der früher beklagten Prüfungsstelle für erledigt erklärt und damit selbst zum Ausdruck gebracht haben, dass die
Situation einer Ersetzung der angefochtenen Entscheidung im laufenden gerichtlichen Verfahren eingetreten ist.
Die Kostentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
154 Abs
2 VwGO. Als unterlegene Beteiligte haben die Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Im Hinblick auf ihr Zusammenwirken in einer
BAG iS des § 33 Abs 2 Ärzte-ZV geht der Senat von ihrer gesamtschuldnerischen Haftung auf der Grundlage des §
159 VwGO iVm §
100 Abs
4 Satz 1
ZPO aus.
Die Höhe des Streitwerts wird durch die Höhe der angefochtenen Regressfestsetzung bestimmt, die von den Beteiligten nicht
in Zweifel gezogen worden ist.