Tatbestand:
Die Klägerin war nach Absolvierung ihres Studiums der Humanmedizin seit 1. Mai 2006 als Ärztin in verschiedenen Kliniken tätig,
zuletzt seit 1. Januar 2013 im Kreiskrankenhaus C-Stadt. In der Zeit vom 14. Januar 2014 bis 2. Juni 2015 bezog sie Krankengeld
(vgl. Bl. 8, 10, 14 der Verwaltungsakte).
Die Klägerin meldete sich bei der Beklagten am 31. März 2015 (Bl. 7 der Verwaltungsakte) zum 3. Juni 2015 arbeitslos und beantragte
die Bewilligung von Alg. Im Antrag gab sie u.a. an, sie sei seit dem 3. Dezember 2013 bis "auf Weiteres" arbeitsunfähig krankgeschrieben.
Die Fragen unter Nr. 2a im Antragsformular, ob sie alle zumutbaren Möglichkeiten nutzen werde, um ihre Beschäftigungslosigkeit
zu beenden, bejahte die Klägerin. Unter Nr. 2e gab sie an, sie könne bestimmte Beschäftigungen nicht mehr ausüben bzw. müsse
sich aufgrund gesundheitlicher Gründe einschränken und sei nach einer ärztlichen Begutachtung bereit, sich im Rahmen des festgestellten
Leistungsvermögens für die Vermittlung zur Verfügung zu stellen.
Die Beklagte veranlasste daraufhin eine amtsärztliche Begutachtung der Klägerin. In ihrem Gutachten vom 20. April 2015 (Bl.
2 der Verwaltungsakte) kam Frau Dr. D. zu dem Ergebnis, bei der Klägerin würden gravierende Gesundheitsstörungen vorliegen,
die eine Leistungsfähigkeit zur Ausübung einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließen würden. Im Gutachten
heißt es abschließend: "Aktuell ist nicht mit einer Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit innerhalb der nächsten 6 Monate
zu rechnen."
Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin durch Bescheid vom 28. Mai 2015 (Bl. 16 der Verwaltungsakte) Alg nach Maßgabe
des §
145 SGB III ab 3. Juni 2015 für eine Anspruchsdauer von 360 Tagen, also bis längstens 2. Juni 2016, mit einem täglichen Leistungssatz
in Höhe von 60,55 Euro. Im Bescheid war hinsichtlich der Übernahme der Beiträge zur Rentenversicherung auf die Befreiung der
Klägerin von der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und den von der Klägerin gestellten Antrag auf Übernahme der Beiträge
nach Maßgabe des §
173 SGB III hingewiesen worden.
Der Aufforderung der Beklagten folgend beantragte die Klägerin am 9. Juni 2015 (Bl. 22 der Verwaltungsakte) - über die Beklagte
- bei dem für sie dafür zuständigen Träger, dem Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen, Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation. Die Beklagte wandte sich mit Schreiben vom 15. Juni 2015 (Bl. 25 der Verwaltungsakte) an die Deutsche Rentenversicherung
Bund (DRV Bund) und forderte diese auf zu prüfen, ob im Falle der Klägerin Leistungen zur Rehabilitation in Betracht kommen
könnten oder ob eine dauerhafte Erwerbsminderung vorliege. Die DRV Bund teilte der Beklagten mit Schreiben vom 29. Juni 2015
(Bl. 27 der Verwaltungsakte) mit, der Antrag sei zuständigkeitshalber an die "BKK VOR ORT", Bochum, weitergeleitet worden.
Die Klägerin reichte bei der Beklagten am 26. Juli 2015 (Bl. 28 der Verwaltungsakte) den Fragebogen "Zusatzblatt Sozialversicherung"
ein, dem ein Bescheid der DRV Bund vom 16. April 2013 (Bl. 30 der Verwaltungsakte) beigefügt war, wonach die Klägerin seit
1. Januar 2013 von der Rentenversicherungspflicht nach §
6 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) befreit war; als Versorgungseinrichtung war im Bescheid das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen genannt worden.
Beigefügt war ferner ein Schreiben des Versorgungswerks von Juni 2015 (Bl. 32 der Verwaltungsakte) über die bislang erworbenen
Rentenanwartschaften der Klägerin sowie die Höhe einer voraussichtlichen Altersrente.
Mit Schreiben vom 7. September 2015 (Bl. 38 der Verwaltungsakte) teilte die Beklagte gegenüber der DRV Bund mit, nach §
145 Absatz
1 Satz 2
SGB III sei für die Feststellung - ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine dauerhafte Erwerbsminderung vorliege - die DRV Bund
zuständig. Dies gelte unabhängig davon, ob die Versicherte zuletzt in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert bzw.
von der Rentenversicherungspflicht befreit gewesen sei. Abschließend heißt es im Schreiben wörtlich: "Daher bitte ich, das
Verwaltungsverfahren bezüglich der Feststellung nach §
145 Abs.
1 S. 2
SGB III einzuleiten und mir Ihre Entscheidung mitzuteilen."
Durch Änderungsbescheid vom 16. September 2015 (Bl. 43 der Verwaltungsakte) bewilligte die Beklagte der Klägerin - unter Beibehaltung
der sonstigen Daten - auch die Beiträge für die Altersvorsorge, die an das Versorgungswerk zu entrichten waren.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2015 (Bl. 49 der Verwaltungsakte) teilte die DRV Bund schließlich der Beklagten mit, nach den
dort getroffenen Feststellungen liege bei der Klägerin ab dem 3. Dezember 2013 bis 31. Dezember 2017 ein Leistungsvermögen
von unter drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vor.
Durch Bescheid vom 27. Oktober 2015 (Bl. 50 der Verwaltungsakte) hob die Beklagte sodann die Entscheidung über die Bewilligung
von Alg ab 1. November 2015 mit der Begründung auf, die Klägerin könne nach den Feststellungen der DRV Bund nicht mindestens
15 Stunden wöchentlich arbeiten. Infolge dieser Feststellung sei eine Gewährung von Alg nach §
145 SGB III nicht mehr möglich.
Die Klägerin erhob dagegen Wiederspruch (Schreiben - ohne Datum, Bl. 58 der Verwaltungsakte) und führte zur Begründung aus,
die DRV Bund sei für sie als Sozialversicherungsträger nicht zuständig. Sie habe bereits Nachweise über die Befreiung von
der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht vorgelegt und mehrfach darauf hingewiesen, dass die DRV Bund in ihrem Falle nicht
zuständig sei, da sie von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit sei. Dazu legte die Klägerin auch noch den Bescheid
der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 7. Juli 2006 (Bl. 62 der Verwaltungsakte) vor, nach dem sie bereits ab 1. Mai 2006
von der Rentenversicherungspflicht nach §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI befreit ist. Sie führte aus, zuständig sei für sie das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen. Dort habe sie einen
Antrag auf Feststellung der Berufsunfähigkeit gestellt, über den bislang noch nicht entscheiden sei.
Dieser Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 5. November 2015 (Bl. 77 der Verwaltungsakte) u.a. mit der Begründung
zurückgewiesen, Anspruch auf Alg nach Maßgabe des §
145 Abs.
1 SGB III habe aber auch eine Person, die allein deshalb nicht arbeitslos sei, weil sie wegen einer mehr als 6-monatigen Minderung
ihrer Leistungsfähigkeit keine mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende versicherungspflichtige Beschäftigung unter den
Bedingungen ausüben könne, die auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt üblich seien. Alg könne aber auch dann nur
gezahlt werden, solange der Rentenversicherungsträger noch keine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung
festgestellt habe. Nach der Mitteilung der DRV Bund könne die Klägerin wegen der Minderung ihrer Leistungsfähigkeit nur noch
Beschäftigungen in einem Umfang von weniger als 15 Stunden wöchentlich ausüben. Auch in den Fällen, in denen der Arbeitslose
vor Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert gewesen sei, weil er - wie die Klägerin
- einer berufsständigen Versorgungseinrichtung angehöre - sei nach §
145 Absatz
1 Satz 2
SGB III der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zur Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit verpflichtet und das Feststellungsersuchen
sei an diesen Träger zu richten. Dies könne - wie vorliegend geschehen - durch eine gesonderte Mitteilung des Rentenversicherungsträgers
geschehen. Der zuständige Rentenversicherungsträger - die DRV Bund - habe mit Schreiben vom 12. Oktober 2015 eine verminderte
Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt. Aufgrund dieser Entscheidung habe die Klägerin
keinen Anspruch mehr darauf, dass ihr trotz ihres eingeschränkten Leistungsvermögens Leistungen nach §
145 Abs.
1 SGB III gezahlt würden. Aus diesem Grund habe der Verwaltungsakt über die Bewilligung von Alg nach § 48 Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden müssen, weil in den tatsächlichen bzw. rechtlichen Verhältnissen, die bei
seinem Erlass vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Mit der Feststellung der vollen Erwerbsminderung
durch die DRV Bund sei eine Voraussetzung für die Gewährung von Alg weggefallen. Die Frage, ob oder ab wann tatsächlich eine
Rente gezahlt werde, habe darauf keinen Einfluss.
Dagegen erhob die Klägerin am 19. November 2015 (Bl. 1 der Gerichtsakte) Klage beim Sozialgericht Darmstadt.
Mit ihr begehrte sie weiterhin Alg über den 31. Oktober 2015 hinaus und bezog sich zur Begründung im Wesentlichen auf ihre
Ausführungen im Widerspruchsverfahren. Ergänzend führte sie aus, dass das für sie zuständige Versorgungswerk der Landesärztekammer
Hessen bislang noch keine Entscheidung über das Vorliegen von Berufsunfähigkeit getroffen habe. Die DRV Bund sei in ihrem
Falle nicht zuständig, weshalb deren Feststellungen insoweit auch keine Auswirkungen auf die Leistungsgewährung nach Maßgabe
des §
145 SGB III haben könnten.
Die Beklagte trat dem entgegen. Sie hielt die getroffene Entscheidung für rechtmäßig und sieht sich durch eine Mitteilung
der DRV Bund gegenüber dem Sozialgericht vom 5. Januar 2018 in ihrer Auffassung bestätigt.
Das Gericht erhob Beweis durch Einholung von Befundunterlagen der die Klägerin behandelnden Ärzte (Dres. E. und F.) sowie
durch Einholung der Entlassungsberichte der Kliniken, in denen die Klägerin in den letzten vier Jahren behandelt worden ist.
Das Gericht stellte bei der DRV Bund die Anfrage, woraus sich deren Zuständigkeit für Personen ergebe, die von der Versicherungspflicht
in der Rentenversicherung befreit seien. Mit Schreiben vom 5. Januar 2018 teilte die DRV Bund mit, eine spezielle gesetzliche
Regelung hierfür existiere nicht. Es handele sich insoweit aber um ein zwischen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung
und der Bundesagentur für Arbeit abgestimmtes Verfahren. Nach dem Wortlaut des §
145 Abs.
1 Satz 2
SGB III seien nur die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung befugt, die Entscheidung über das Vorliegen von Erwerbsminderung
zu treffen. Sie hätten die Entscheidung auch in den Fällen zu treffen, bei denen die sonstigen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente
nicht vorliegen würden, z. B. weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben seien. Maßgebend für die Rechtsfolgen
sei nämlich allein die Frage, ob eine vollständige Erwerbsminderung vorliege. Würden die Rentenversicherungsträger in den
Fällen, in denen keine Verbindung der arbeitslosen Person zur gesetzlichen Rentenversicherung bestehe, das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit
nicht prüfen, würde die Intention des §
145 SGB III nämlich ins Leere laufen. Die Bundesagentur für Arbeit müsste - da sie nicht befugt sei, eine verminderte Erwerbsfähigkeit
verbindlich festzustellen - dann für die Personen, die nicht pflichtversichert in der gesetzlichen Rentenversicherung seien,
andernfalls das Alg regelmäßig bis zum Ende der Anspruchsdauer zahlen. Beigefügt war dem Schreiben der DRV Bund ein Auszug
aus dem Protokoll der Gremiensitzung "Arbeitsgruppe Erwerbsminderungsrente" der Träger der Rentenversicherung von Oktober
2017 sowie die ärztlichen Unterlagen, die seitens der DRV Bund zur Prüfung der Frage, ob bei der Klägerin eine Erwerbsminderung
vorliegt, herangezogen worden waren.
Mit Urteil vom 17. Mai 2018 wies das Sozialgericht Darmstadt die Klage ab.
Die Klage sei zulässig, insbesondere form- und fristgerecht bei dem örtlichen zuständigen Sozialgericht erhoben worden, §§
57 Abs.
1,
78, 87 Abs.
2,
90 Sozialgerichtsgesetz (
SGG).
Die Klage sei indes nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 5. November 2015 sei von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe darin zu Recht die Entscheidung über die
Bewilligung von Alg ab 1. November 2015 aufgehoben. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Alg über den 31. Oktober
2015 hinaus.
Entscheidungsgrundlage für die Gewährung von Alg sei im Falle der Klägerin §
145 SGB III gewesen, denn die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei im Zeitpunkt der Antragstellung auf Alg prognostisch für einen Zeitraum
von mehr als 6 Monaten derart gemindert, dass sie versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende auf
dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt nicht auszuüben in der Lage gewesen sei. Auch sei im Zeitpunkt der Antragstellung
auf Alg eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung noch nicht festgestellt gewesen.
Nach §
145 Abs.
1 SGB III habe Anspruch auf Alg auch eine Person, die allein deshalb nicht arbeitslos sei, weil sie wegen einer mehr als 6-monatigen
Minderung ihrer Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht
unter den Bedingungen ausüben könne, die auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung
der Leistungsfähigkeit üblich seien, wenn eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung (noch)
nicht festgestellt worden sei.
Die Feststellung, ob eine verminderte Erwerbsfähigkeit vorliegt, treffe nach dem Wortlaut des §
145 Abs.
1 SGB III der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Nach §
145 Abs.
2 SGB III habe die Agentur für Arbeit die leistungsgeminderte Person unverzüglich aufzufordern, innerhalb eines Monats einen Antrag
auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen.
Obwohl die Klägerin seit dem 1. Januar 2013 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sei
(Bescheid der DRV Bund vom 16. April 2013), sei gleichwohl für die Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit im Sinne
des §§
145 Abs.
1 SGB III allein die DRV Bund zuständig.
Dies folge zur Überzeugung des Gerichts nicht nur aus dem Wortlaut, sondern auch aus Sinn und Zweck der Vorschrift des §
145 SGB III, wie dies in dem Schreiben der DRV Bund vom 5. Januar 2018 an das Gericht dargelegt worden sei sowie unter Berufung auf das
Ergebnis der Gremiensitzung der Arbeitsgruppe "Erwerbsminderungsrenten" von Oktober 2017.
Während die Gewährung von Alg nach dem
SGB III grundsätzlich sowohl objektive als auch subjektive Verfügbarkeit des Arbeitslosen voraussetze (§138
SGB III), fingiere §
145 SGB III dann, wenn ein Arbeitsloser auf nicht absehbare Zeit in seiner Leistungsfähigkeit gemindert sei und er deswegen im zeitlichen
Umfang nur noch geringfügige oder aber überhaupt keine arbeitsmarktüblichen Beschäftigungen mehr ausüben könne, die "objektive
Verfügbarkeit", wenn der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (noch) keine Erwerbsminderung festgestellt
habe. Zweck dieser auch als Nahtlosigkeitsregelung bezeichneten Vorschrift sei es, zu verhindern, dass widersprüchliche Beurteilungen
der Leistungsfähigkeit durch die Bundesagentur für Arbeit einerseits und den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung andererseits
"auf dem Rücken des Versicherten ausgetragen werden" (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 09.09.1999 - B 11 AL 13/ 99 R -).
Diese Wirkung der sog. "Nahtlosigkeitsregelung" begründe gegenüber der Bundesagentur eine Sperrwirkung, die es der Bundesagentur
verbiete, die objektive Verfügbarkeit von Arbeitslosen wegen andauernder, nicht nur vorübergehender Einschränkungen der gesundheitlichen
Leistungsfähigkeit zu verneinen, bevor der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung Erwerbsunfähigkeit im Sinne
des
SGB VI (§
43 SGB VI) festgestellt habe.
Aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtordnung müsse - solange und soweit es für die Personen, die von der Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit seien, keine anderweitige spezielle gesetzliche Regelung gebe - auch zur Überzeugung
des erkennenden Gerichts der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung auch bei diesen Personen, die - wie die Klägerin -
von der Versicherungspflicht befreit seien, für die Prüfung zuständig sein, ob die für die Erwerbsminderungsrenten im Sinne
des
SGB VI notwendigen Voraussetzungen erfüllt seien. Eine andere Sichtweise würde zu unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben bei der
Prüfung, ob volle oder teilweise Erwerbsminderung vorliege, führen, je nachdem ob die arbeitslose Person pflichtversichert
oder - wie die Klägerin - von der Versicherungspflicht befreit sei. Würde die Prüfungskompetenz für die Frage, ob verminderte
Erwerbsfähigkeit vorliegt, verschiedenen Versorgungswerken überlassen, wäre eine einheitliche Beurteilung der Frage, ob verminderter
Erwerbsfähigkeit im Sinne des
SGB VI vorliege und damit eine einheitliche Klärung der Geltung der fiktiven Fortwirkung von objektiver Verfügbarkeit nicht gewährleistet.
Dies würde der Intention des §
145 SGB III widersprechen, durch die gerade gewährleistet sein solle, dass Entscheidungen im System der allgemeinen Sozialversicherung
auch einheitlich ergehen.
Dieser Auffassung hätten sich - wie durch das Schreiben der DRV Bund an das Gericht vom 5. Januar 2018 sowie durch das Ergebnis
der Gremiensitzung der Arbeitsgruppe "Erwerbsminderungsrenten" in der Sitzung 3/17 vom 16. bis 18. Oktober 2017 erkennbar
- im Ergebnis die Träger der Sozialversicherung und die Beklagte angeschlossen und könne insoweit auch vom erkennenden Gericht
zugrunde gelegt werden.
Die DRV Bund habe darin zutreffend mitgeteilt, eine spezielle gesetzliche Regelung, aus der sich die Zuständigkeit der gesetzlichen
Rentenversichersicherungsträger zur Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit auch bei nicht gesetzlich rentenversicherten
Personen ergebe, existiere nicht. Möglich sei daher ein zwischen den Rentenversicherungsträgern und der Bundesagentur für
Arbeit abgestimmtes Verfahren. Nach §
145 SGB III seien ausdrücklich nur die Rentenversicherungsträger befugt, die Entscheidung über das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit zu
treffen und sie müssten und würden diese Entscheidung auch dann treffen, wenn z.B. die sonstigen Voraussetzungen für eine
Erwerbsminderungsrente nicht vorliegen würden, etwa weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Die Mitteilung des Argumentes, es spräche für eine Prüfpflicht der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, weil ansonsten
die Intention des §§
145 SGB III ins Leere laufen würde, wenn die Rentenversicherungsträger nicht befugt wären, das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit bei nicht
rentenversicherten Personen zu prüfen, teile das Gericht. Der Bundesagentur wäre es in diesen Fällen andernfalls verwehrt,
eine verminderte Erwerbsfähigkeit verbindlich festzustellen und sie müsste das Alg zum Ende der Anspruchsdauer zahlen.
Die Arbeitsgruppe "Erwerbsminderungsrenten" habe zu dieser Problematik - unter Hinweis auf die Kommentarliteratur - ausgeführt,
§
145 Absatz
1 Satz 2
SGB III sei eine reine Zuständigkeitsnorm, in der allein die Zuständigkeiten zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und der
Bundesagentur für Arbeit hinsichtlich der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit geregelt würde. Wenngleich allein aus dem Wortlaut
nicht abgeleitet werden könne, dass die Rentenversicherungsträger auch bei nicht rentenversicherten Personen die Erwerbsfähigkeit
prüfen müssten, so müsse doch aus Sinn und Zweck der Vorschrift folgen, dass die Kompetenz für die Feststellung, dass eine
Person vermindert erwerbsfähig sei, allein bei den Rentenversicherungsträgern liege. Nur diese könnten verbindlich gegenüber
der Bundesagentur entscheiden, ob die Voraussetzungen nach §
43 Abs.
1 Satz 2 oder Abs.
2 Satz 2
SGB VI vorliegen würden. Die Bundesagentur sei insoweit nicht entscheidungsberechtigt, sondern ihrerseits im Rahmen des §§
145 SGB III an die Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über das Vorliegen bzw. das Fehlen von verminderter Erwerbsfähigkeit gebunden.
Weiter heiße es in dem Schreiben der Arbeitsgruppe vom Oktober 2017 wörtlich:
"In der Rechtsprechung und Literatur wird einhellig vertreten, dass selbst dann, wenn von vornherein feststeht, dass kein
Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit besteht, etwa weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
nicht erfüllt sind, der Rentenversicherungsträger verpflichtet ist, die Leistungsfähigkeit der betreffenden Person zu prüfen.Entscheidend
für die Rechtsfolgen des §§
145 Abs.
1 SGB III ist nämlich nicht, ob die für die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit notwendigen Voraussetzungen vorliegen, sondern,
ob Erwerbsminderung vorliegt. Im Ergebnis ist es daher unerheblich, weshalb ein Rentenanspruch nicht gegeben ist. Für eine
Prüfpflicht der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung spricht auch, dass ansonsten die Intention des §§
145 SGB III ins Leere liefe, wenn die Rentenversicherungsträger die Erwerbsfähigkeit bei nicht rentenversicherten Personen nicht prüfen.
Denn die Bundesagentur kann eine verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verbindlich feststellen und müsste das Arbeitslosengeld
bis zum Ende der Anspruchsdauer zahlen."
Abschließend wurde als Beratungsergebnis festgestellt:
"Die Rentenversicherungsträger haben die Erwerbsminderung nach §
145 SGB III auch dann zu prüfen, wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht erfüllt sind
oder die arbeitslose Person nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert ist."
Dieser Auffassung schließe sich das erkennende Gericht nach eigener Prüfung an. Klar sei der Wortlaut des §
145 SGB III insoweit, dass die Beklagte nicht verbindlich über das Vorliegen (dauerhafter) Erwerbsminderung entscheiden dürfe. Demnach
könne dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Vorschrift nur genügt werden, wenn insoweit die letzte Entscheidungsmacht -
auch in Fällen wie dem vorliegenden - bei den Trägern der Rentenversicherung liege.
Nachdem die DRV Bund festgestellt hatte (Schreiben an die Beklagte vom 12. Oktober 2014), dass die Klägerin voraussichtlich
bis 2017 nicht in der Lage gewesen sei und sein werde, eine mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Tätigkeit auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben, sei eine Feststellung im Sinne des §
145 SGB III getroffen worden und die Sperrwirkung des §
145 SGB III (Fiktion der objektiven Verfügbarkeit) entfallen. Die Beklagte habe daher die Entscheidung über die Bewilligung von Alg mit
Wirkung für die Zukunft ab 1. November 2015 aufheben müssen.
Dieses Urteil wurde der Klägerin am 10. Juli 2018 (Bl. 163 der Gerichtsakte) zugestellt. Dagegen hat sie am 9. August 2018
(Bl. 166 der Gerichtsakte) Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Die Klägerin reichte im Berufungsverfahren zwei Stellungnahmen von Dr. med. Dipl.-Psych. G. ein, die dieser im Auftrag des
Versorgungswerks der Landesärztekammer Hessen erstattet hatte. In der Stellungnahme vom 4. März 2019 (Bl. 207 der Gerichtsakte)
heißt es, dass seines Erachtens ab dem Zeitpunkt der Gutachtenserstellung zumindest für die Dauer von fünf Jahren Berufsunfähigkeit
anzuerkennen und dann ggf. eine Nachprüfung vorzunehmen sei. In der Stellungnahme vom 14. April 2019 (Bl. 206 der Gerichtsakte)
heißt es, dass ab dem Tag der Begutachtung Berufungsunfähigkeit vorliege. Außerdem reichte die Klägerin den Bescheid der Landesärztekammer
vom 9. Mai 2019 (Bl. 193 ff. der Gerichtsakte) ein, mit dem ihr eine Berufsunfähigkeitsrente im Sinne der Versorgungsordnung
des Versorgungswerkes des Landesärztekammer Hessen ab 1. Januar 2019 bewilligt wurde.
Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, dass die Regelung des §
145 SGB III für sie nicht gelte, da sie seit Jahren von der Versicherungspflicht befreit worden sei. Widersprüchliche Entscheidungen
der Deutschen Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit könne es in ihrem Fall nicht gegeben. Vielmehr bestünden
in ihrem Fall unterschiedliche Beurteilungen durch die Deutsche Rentenversicherung und das Versorgungswerk.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 17. Mai 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2015 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2015 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Auf Nachfrage des Gerichts legte die Klägerin weitere Gutachten, die im Rahmen der Prüfung der am 22. September 2015 beim
Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen beantragten Berufsunfähigkeitsrente erstattet wurden sowie ein Gutachten, das
im Rahmen der Prüfung einer Berufsunfähigkeitsrente bei der H. Lebensversicherung AG, erstattet wurde, vor (Anlagen zu Bl.
212 der Gerichtsakte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten
der Klägerin und der Beklagten ergänzend Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2015, mit dem diese
die Bewilligung von Alg ab 1. November 2015 aufgehoben hat, ist rechtmäßig.
Auch der Vortrag im Berufungsverfahren gibt zu einer anderen Bewertung keine Veranlassung.
Abs. 1: " der Arbeitsvermittlung steht jedoch nicht zur Verfügung, wer nur geringfügige Beschäftigungen (§ 102) ausüben kann
oder darf, weil er in seiner Leistungsfähigkeit gemindert und berufsunfähig im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung ist
"
Abs. 2: "Die Entscheidung, ob Berufsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegt, trifft der zuständige
Rentenversicherungsträger im Wege der Amtshilfe. Bis zur Entscheidung gilt der Arbeitslose als nicht berufsunfähig ..."
Zur Begründung für die Einführung des Abs. 2 ist in den Gesetzesmaterialien (Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit
[19. Ausschuss], zu BT-Drs. V/4110, S. 18) angeführt:
"In Übereinstimmung mit dem Ausschuss für Sozialpolitik des Deutschen Bundestages und dem Bundesrat vertritt der Ausschuss
die Auffassung, dass die Entscheidung, ob Berufsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegt, vom Rentenversicherungsträger
zu treffen ist. Durch die Bindung der Bundesanstalt an diese Entscheidung werden die Schwierigkeiten ausgeschlossen, die sich
in den - allerdings seltenen - Fällen ergeben, in denen die Beurteilungen der Erwerbsfähigkeit durch die Bundesanstalt und
durch den Rentenversicherungsträger nicht übereinstimmen. Zur Herstellung der vollen "Nahtlosigkeit" hält es der Ausschuss
für erforderlich, dass der Arbeitslose bis zur Entscheidung des Rentenversicherungsträgers nicht als berufsunfähig angesehen
werden darf. "
Aus der Begründung wird deutlich, dass es dem Gesetzgeber mit der Einführung der Regelung des Abs. 2 um den Ausschluss einer
unterschiedlichen Beurteilung ein und desselben Begriffs, nämlich des Begriff der Erwerbsfähigkeit, durch zwei verschiedene
Sozialversicherungsträger geht. Anhaltpunkte dafür, dass es den Intentionen des Gesetzgebers entspricht, dass die Entscheidung
eines Trägers eines alternativen Versorgungssystems, zumal wenn diese nach anderen Maßstäben zu ergehen hat, statt der Entscheidung
des Trägers der Rentenversicherung relevant sein könnte, ergeben sich aus der Gesetzesbegründung nicht. Es ging dem Gesetzgeber
nicht darum, in jedem Fall eine "Nahtlosigkeit" zwischen den Leistungen zweier verschiedener Leistungssysteme herzustellen.
Dies zeigt auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, nach der die Träger der Rentenversicherung die Entscheidung über
die Erwerbsfähigkeit auch zu treffen haben, wenn von vornherein feststeht, dass kein Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit besteht, etwa weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind (BSG, Urteil vom 29. April 1998, B 7 AL 18/97 R, Juris, Rdnr. 20 m.w.N.). Auch in diesen Fällen tritt keine "Nahtlosigkeit" der Gewährung dieser Leistungen ein.