Feststellung eines höheren GdB
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wurde vor dem LSG über die Höhe des zugunsten des Klägers festzustellenden
Grades der Behinderung (GdB) gestritten. Einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines höheren GdB als bisher zuerkannt,
hat das LSG verneint (Urteil vom 6.5.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt, mit der er eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Form. Der Kläger hat den von ihm geltend gemachten Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) in Form einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG) durch eine Überraschungsentscheidung nicht in der danach vorgeschriebenen Weise bezeichnet.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung
erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen
kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Als Verfahrensmangel rügt der Kläger ausschließlich eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG) durch eine Überraschungsentscheidung. Allerdings fehlt es schon an einer - zumindest knappen - Darstellung des entscheidungserheblichen
Sachverhalts. Vorliegend wird bereits der Gegenstand des Rechtsstreits nicht eindeutig kenntlich gemacht. Nur aufgrund der
geltend gemachten Abweichung des LSG von der durch den Sachverständigen E getroffenen Einschätzung eines GdB wird erkennbar,
dass über die Höhe des GdB gestritten werden dürfte. Hierdurch wird das Beschwerdegericht entgegen den oben dargelegten Anforderungen
nicht in die Lage versetzt, allein anhand des Inhalts der Beschwerdegründung darüber zu befinden, ob die angegriffene Entscheidung
des LSG auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann. Es ist nicht Aufgabe des Senats, sich den maßgeblichen Sachverhalt
aus den Akten oder der angegriffenen Entscheidung herauszusuchen (vgl BSG Beschluss vom 11.12.2020 - B 9 SB 57/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 26.1.2018 - B 13 R 309/14 B - juris RdNr 3 f; BSG Beschluss vom 31.5.2017 - B 5 R 358/16 B - juris RdNr 8).
Aber selbst wenn man dies dahinstehen ließe, wäre der gerügte Verfahrensmangel einer Überraschungsentscheidung vom Kläger
nicht hinreichend schlüssig und nachvollziehbar bezeichnet. Eine allgemeine Verpflichtung des Gerichts, die Beteiligten vor
einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Tatsachen- und Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche
Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern, gibt es nicht. Sie wird weder durch
den allgemeinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus §
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG noch durch die Regelungen zu richterlichen Hinweispflichten (§
106 Abs 1, §
112 Abs
2 Satz 2
SGG) begründet. Denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung
(vgl BSG Beschluss vom 24.1.2018 - B 13 R 377/15 B - juris RdNr 19; BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris RdNr 44).
Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis
auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf
nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl zB BVerfG <Kammer> Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - juris RdNr 18; BSG Beschluss vom 21.10.2019 - B 9 V 11/19 B - juris RdNr 10). Die Rüge des Verfahrensmangels einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen
vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht
damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt. Daran fehlt es hier.
Vielmehr hätte der Kläger in der Beschwerdebegründung ausführen müssen, ob und welche weiteren Gutachten im Verwaltungs- und
Klageverfahren eingeholt worden sind sowie ob und wie sich die Gerichte und insbesondere der Beklagte hierzu verhalten haben.
Allein der Hinweis, von Seiten des LSG sei lediglich eine "Kenntnisgabe" erfolgt und auch "aus den sonstigen Umständen etwa
einem gegenteiligen Vorbringen der Beklagtenseite" hätten sich für ihn (den Kläger) keine Anhaltspunkte für eine abweichende
Entscheidung des LSG ergeben, genügt insoweit nicht.
Ebenfalls nicht formgerecht begründet ist die Beschwerde, soweit der Kläger zumindest sinngemäß eine fehlerhafte Beweis- bzw
Sachverhaltswürdigung durch das LSG rügt, weil dieses die Tatsachen verkehre und zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht
habe. Auf eine solche Rüge der Verletzung der Grundsätze über die freie Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 Satz 1
SGG) kann die Beschwerde nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG - wie oben bereits ausgeführt - von vornherein nicht gestützt werden.
Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen
(stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 10 EG 1/20 BH - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.