LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.10.2021 - 11 R 3681/20
Versicherungs- und Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung als selbständig Tätiger
Anforderungen an die Tätigkeit einer Handelsvertreterin im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber
Eine Handelsvertreterin, die mehr als fünf Sechstel ihrer gesamten Einkünfte (aus selbständiger Tätigkeit) allein aus der
Tätigkeit für einen Auftraggeber erzielt, ist idR im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig. Werden allerdings zwei
Handelsvertreterinnen am selben Ort und zur gleichen Zeit für dieselben Auftraggeber tätig (hier: Verkauf von Haushaltswaren
in einem Kaufhaus), ist ein hoher Umsatz einer der beiden bei einem Auftraggeber nicht zwingend Ausdruck einer wirtschaftlichen
Abhängigkeit von diesem Auftraggeber, sondern kann auch darauf beruhen, dass die beiden Handelsvertreterinnen eine bestimmte
Form der Zusammenarbeit untereinander und der Abrechnung gegenüber den Auftraggebern gewählt haben.
Vorinstanzen: SG Ulm 15.10.2020 13 R 3520/19
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15.10.2020 sowie der Bescheid der Beklagten vom
12.02.2019 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 16.09.2019 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom
05.09.2018 aufzuheben.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich im Zugunstenverfahren gegen die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht zur Gesetzlichen
Rentenversicherung als selbständig Tätige nach § 2 Satz 1 Nr 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch ( SGB VI) im Zeitraum vom 01.01.2012 bis 31.12.2014.
Die 1953 geborene Klägerin hatte ab 02.01.1988 ein Gewerbe als Propagandistin angemeldet. Die Rechtsvorgängerin der Deutschen
Rentenversicherung Bund lehnte die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für arbeitnehmerähnliche
Selbständige mit Bescheid vom 07.10.1999 mit der Begründung ab, am 01.01.1999 habe keine Versicherungspflicht bestanden, da
die Klägerin regelmäßig und im Wesentlichen für mehr als einen Auftraggeber tätig sei.
Ab Februar 1999 war die Klägerin als Handelsvertreterin für Haushaltswaren in der K AG-Filiale in U (Einsatzhaus) tätig. Sie
veräußerte als Handelsvertreterin Waren der Firma S (seit 1989, keine Unterlagen vorhanden), der Firma L (Vertrag vom 07.04.2014,
Bl 28 Rentenakte I), der Firma B (Vertrag ab 01.10.2009, vgl Bl 231 ff Rentenakte II), der Firma F (Vertrag vom 06.09.1999,
Bl 125 SG-Akte), der Firma Z (Vertrag ab dem 01.07.2007, Bl 35 Rentenakte I), der Firma K1 und der Firma L1. Neben der Klägerin war
auch die Zeugin S1 als Handelsvertreterin im Einsatzhaus K in U als Handelsvertreterin für die Firmen F, B, L, Z, S2 U1 ua
tätig. Ein Vertrag mit der Firma S bestand nicht. Mitte 2015 schied die Zeugin S1 altersbedingt aus.
Sowohl die Klägerin als auch die Zeugin S1 waren jeweils ca drei bis vier Tage, in starken Umsatzwochen fünf bis sechs Tage
wöchentlich im Einsatzhaus tätig. Die Klägerin rechnete Provisionen im Wesentlichen mit der Firma S ab, in geringerem Umfang
auch mit der Firma F und mit den Firmen K1, L (ab Mai 2014), L1, P und G, während die Zeugin S1 vor allem Provisionszahlungen
der Firmen F, Z, S2-U1 und B erhielt. Im Jahr 2012 rechnete die Klägerin Netto-Provisionen in Höhe von 40.702,04 € ab, davon
34.210,75 € für die Firma S; im Jahr 2013 waren es 42.319,99 € (35.698,76 €) und im Jahr 2014 noch 34.248,21 € (davon 28.907,82
€ für die Firma S). Die Zeugin S1 stellte der Klägerin in jedem Monat in den streitigen Jahren Rechnungen für Beratertätigkeiten
in unterschiedlicher Höhe, die die Klägerin anschließend zumeist an die Zeugin S1 überwies und in seltenen Fällen bar aushändigte.
Eine schriftliche Vereinbarung über die Ermittlung bzw Verteilung der Provisionen zwischen Klägerin und der Zeugin S1 existiert
nicht.
Auf den Antrag auf Statusfeststellung wegen der Tätigkeit für die Firma Z mit der Angabe, auch für weitere Firmen tätig zu
sein, stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund mit Bescheid vom 09.12.2015 fest, dass die Tätigkeit als Promoterin bei
der Firma Z seit dem 01.06.2015 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. In der Folge
prüfte die Beklagte eine Pflichtversicherung als selbständig Tätige. Mit Bescheid vom 05.09.2018 stellte die Beklagte fest,
dass die Klägerin ab 01.01.2012 nach § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung sei und Pflichtbeiträge in Höhe des Regelbeitrags von 514,50
€ monatlich für 2012, 509,36 € für 2013 und 522,59 € für 2014, insgesamt 18.557,40 € zu zahlen habe, da sie im Zusammenhang
mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftige und im Wesentlichen
nur für einen Auftraggeber tätig gewesen sei. Es habe zwar auch zuvor schon Versicherungspflicht bestanden, die Beiträge hierfür
seien jedoch verjährt. Mit Bescheid vom 10.09.2018 wurde die Versicherungspflicht ab 01.01.2015 aufgehoben, da die Klägerin
ab diesem Zeitpunkt nicht mehr auf Dauer und im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig gewesen sei.
Am 22.11.2018 sprach die Klägerin bei der Beklagten vor und beantragte die Überprüfung des Bescheides vom 05.09.2018. Im März
2019 gebe sie ihre selbständige Tätigkeit auf. Schon vor dem Jahr 2015 sei sie nicht nur für einen Auftraggeber tätig gewesen,
sondern mindestens für zwei große Firmen, nämlich F und S. Die Tätigkeit habe sie zusammen mit einer Kollegin (der Zeugin
S1) ausgeübt. Aus abrechnungstechnischen Gründen habe sie die Rechnungen hauptsächlich für die Firma S gefertigt und die Kollegin
für die Firma F. Die Einnahmen aus der Tätigkeit für die Firma F seien um ca 20% geringer gewesen als die Einnahmen für die
Firma S, dieses Ungleichgewicht sei von ihr durch monatliche Zahlungen an die Kollegin S1 ausgeglichen worden.
Auf Nachfrage nach der konkreten Aufteilung mit der Zeugin S1 ergänzte die Klägerin, sie hätten sich den Umsatz aller Firmen
geteilt und nach Arbeitstagen verrechnet. Sie selbst habe keine Überweisungen der Zeugin S1 erhalten. Sie habe die Rechnungen
versteuert, die sie erhalten habe.
Mit Bescheid vom 12.02.2019 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab, da der Bescheid vom 05.09.2018 rechtmäßig sei.
Aus den vorgelegten Unterlagen gehe nicht hervor, in welchem Umfang welche Abrechnungen für welche Tätigkeit gefertigt worden
seien und wie die tatsächlichen Verhältnisse gewesen seien. Es sei damit weder nachgewiesen noch glaubhaft, dass die Einkünfte
nicht zu mindestens 5/6 von einem Auftraggeber erzielt worden seien.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und legte Bestätigungen der Firmen F, K1, S und B sowie ein Schreiben der Zeugin
S1 vor. Die Zeugin S1 bestätigte am 15.04.2019, zusammen mit der Klägerin 2011 bis 2014 im Einsatzhaus tätig gewesen zu sein.
Sie hätten sich den Umsatz der Firmen F, K1, Z, B und W je nach Einsatztagen pro Monat aufgeteilt. Die Klägerin habe sich
hauptsächlich um die Abrechnungen mit den Firmen W (S) und F gekümmert, sie sich um die anderen Firmen. Mit Schreiben von
März 2019 bestätigte die Zeugin M von der Firma F, dass die Klägerin für die Firma vom 01.01.2011 bis 31.05.2014 tätig gewesen
sei und in dieser Zeit das Einsatzhaus mit einer zweiten Kraft besetzt gewesen sei. Gleichlautende Bestätigungen, allerdings
für den Zeitraum bis Dezember 2014, stellten auch die Firmen K1 und B aus. Die Firma Z fügte hinzu, die Zeugin S1 sei als
Vertretung für die Klägerin eingesetzt und der Umsatz somit geteilt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach Auswertung der Unterlagen seien im
veranlagten Zeitraum vom 01.01.2012 bis 31.12.2014 mehr als 5/6 der Einnahmen von einem Auftraggeber, der Firma S, erzielt
worden. Aus den Rechnungen der Zeugin S1 an die Klägerin lasse sich nicht entnehmen, in welchem Umfang welche Abrechnungen
für welche Tätigkeiten erfolgt seien. Selbst unter Abzug der Beträge ergebe sich weiterhin, dass mehr als 5/6 der Gesamteinkünfte
von der Firma S stammten.
Am 10.10.2019 hat die Klägerin hiergegen Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Sie habe zusammen mit der Zeugin S1 die Hauptgeschäftszeiten des Einsatzhauses abgedeckt. Im Schnitt seien sie
jeweils drei volle Tage im Einsatzhaus anwesend gewesen. Im Dezember 2014 habe sich die Zeugin in den Ruhestand verabschiedet.
In den streitigen Jahren hätten sie beide die Warenpräsentation, Vorführung und Verkaufsförderung für die Firmen F, S, B,
K1, L1, P, Z und L (ab April 2014) übernommen. Hauptauftraggeber seien S und F gewesen. Im Kassensystem des Einsatzhauses
seien die Produktumsätze einzeln aufgezeichnet, jedoch nicht für sie und die Zeugin getrennt. Da sie aber gleichermaßen erfolgreich
gewesen seien und durchschnittlich die gleiche Arbeitskraft eingebracht hätten, hätten sie am Ende des Monats die Provisionen
im Wesentlichen (bis auf Zeiten mit Verkaufsschulungen, Urlaubszeiten etc) hälftig aufgeteilt. Aus Vereinfachungsgründen hätten
sie die Umsätze nicht jeweils hälftig geltend gemacht, sondern die Provisionsgutschriften gegenüber den Firmen aufgeteilt.
Sie habe gegenüber S abgerechnet, die Zeugin S1 gegenüber F und den kleineren Firmen. Dieses gemeinsame Wirtschaften sei den
Firmen bekannt gewesen. Da die Verteilung der Provisionen aber nicht ganz aufgegangen sei, sei der Überhang durch Zahlungen
der Klägerin an die Zeugin S1 ausgeglichen worden. Sie habe sich deshalb faktisch mit der Zeugin zu einer Innen-GbR zusammengeschlossen.
Im Innenverhältnis seien die Provisionen ihnen gemeinschaftlich zuzurechnen. Die Geltendmachung und Einziehung der Provisionen
stelle lediglich die gewählte Auszahlungsmethode dar.
Das SG hat von der Firma F die Vertragsunterlagen beigezogen und die Auskunft der Frau A, Firma F, eingeholt. Diese hat mit Schreiben
vom 12.10.2020 erklärt, die Aufteilung der Provisionen erfolge anhand der Anzahl der Einsatztage der im Team abrechnenden
Handelsvertreter. Die Abstimmung zu den Einsatztagen werde teamintern geklärt. Der Bruttoumsatz werde von den Handelsvertretern
mit Angabe ihrer Einsatztage per Verkaufsmeldung eingereicht. Daraus errechne sich die Provision. Bei der Firma S ist die
Vertragsunterlagenanforderung ergebnislos geblieben.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 15.10.2020 hat das SG die Klägerin zum Sachverhalt befragt, die Zeugin S1 sowie den für die Mitteilung des Umsatzes zuständigen Mitarbeiter von
G K, Herrn S3, als Zeugen gehört und anschließend die Klage abgewiesen. Die Klägerin könne sich nicht schon formal auf den
bestandskräftigen Bescheid der Rechtsvorgängerin der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 07.10.1999 berufen. Denn mit diesem
werde lediglich geregelt, dass am 01.01.1999 keine Versicherungspflicht bestanden habe, da die Klägerin regelmäßig und im
Wesentlichen für mehr als einen Auftraggeber tätig gewesen sei. Auf den hiesigen Zeitraum wirke sich der Bescheid daher nicht
aus.
Die Klägerin habe in dem genannten Zeitraum entsprechend den Feststellungen in dem angegriffenen Bescheid der Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI unterlegen. Sie sei unstreitig als Handelsvertreterin selbständig tätig gewesen und habe keinen versicherungspflichtigen
Arbeitnehmer beschäftigt. Sie sei auch auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig gewesen. Die Praxis
sehe dieses Erfordernis als erfüllt an, wenn der Selbständige mindestens fünf Sechstel seiner gesamten (Brutto-) Einkünfte
(aus selbständiger Tätigkeit) allein aus der Tätigkeit für einen Auftraggeber erziele. In dem Zeitraum vom 01.01.2012 bis
31.12.2014 habe die Klägerin jeweils - wenn auch nur knapp - mehr als fünf Sechstel ihrer Einnahmen aus den Provisionen der
Firma S erzielt. Dies ergebe sich schon aus den von der Klägerin selbst mitgeteilten (Netto- und damit erst recht den Brutto-)
Werten. Fünf Sechstel aus den tatsächlich erzielten Einnahmen ergeben 2012 33.918,37 €, 2013 35.266,68 € und 2014 28.540,17
€. Die Klägerin habe mit S Einnahmen jeweils über diesem Schwellenwert in Höhe von 34.210,75 €, 35.698,76 € und 28.907,82
€ erzielt.
Das Erfordernis der Tätigkeit im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber umfasse nicht nur den Fall, dass der Betreffende
rechtlich (vertraglich) im Wesentlichen an einen Auftraggeber gebunden sei, sondern auch den Fall, dass er tatsächlich (wirtschaftlich)
im Wesentlichen von einem einzigen Auftraggeber abhängig sei. Da der Tatbestand des § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI diesbezüglich auf die tatsächliche Auftragslage abstelle, komme es nicht darauf an, inwieweit die Klägerin nach den zwischen
ihr und weiteren Auftraggebern, nämlich ua den Firmen F, B, S2 U1 etc bestehenden vertraglichen Vereinbarungen berechtigt
gewesen sei, auch für diese Provisionen abzurechnen. Sie habe von dieser Möglichkeit im streitbetroffenen Zeitraum jedenfalls
keinen (bzw nur geringfügig) Gebrauch gemacht. Die vorstehenden Erwägungen würden im Ergebnis unabhängig von der Frage gelten,
ob im Innenverhältnis zwischen der Klägerin und der Zeugin S1 im streitbetroffenen Zeitraum eine BGB-Innengesellschaft bestanden habe. Dahinstehen könne, ob eine solche tatsächlich bestanden habe. Denn weder die Klägerin noch
die Zeugin S1 hätten nachvollziehbar erklären können, welche Vereinbarungen tatsächlich getroffen worden seien. Während die
Angaben im Verwaltungsverfahren schon widersprüchlich gewesen seien, da die Zeugin hier angegeben habe, dass sich die Klägerin
nicht nur um die Abrechnungen mit S, sondern auch ausschließlich mit der Firma F gekümmert habe, bleibe auch nach Vernehmung
der Zeugin offen, wie die Vereinbarung tatsächlich ausgesehen haben solle. Denn die Angabe, die Provisionen seien jeweils
hälftig geteilt worden, lasse sich mit den Provisionsabrechnungen, die auch nach Angaben der Zeugin vollständig vorlägen,
nicht nachvollziehen. So hätten die Abrechnungen der Klägerin netto im Januar 2012 7.260,25 € betragen, die der Zeugin 4.403,34
€, woraus sich die Hälfte von 5.831,79 € errechne. Die Zeugin habe der Klägerin aber nicht 1.428,45 €, sondern einen Betrag
von 1.695 € in Rechnung gestellt. Offen bleibe des Weiteren, warum das von beiden Frauen so bestätigte Konstrukt so kompliziert
und gleichzeitig ohne jegliche schriftliche Vereinbarung ausgestaltet worden sei, insbesondere warum die Klägerin nach wie
vor Provisionsabrechnungen für F gestellt habe, obwohl dies nach dem behaupteten Konstrukt zu einer höheren Ausgleichszahlung
der Klägerin an die Zeugin geführt habe, die in jedem einzelnen der 36 streitigen Monate Rechnungen von der Zeugin gestellt
bekommen habe. Nicht nachvollziehbar seien auch die Angaben, wie Krankheit und Urlaub sich ausgewirkt haben ("das haben wir
dann später wieder ausgeglichen"). Auch unter der Annahme einer solchen Innengesellschaft seien im maßgeblichen Außenverhältnis
die Gewinne aus diesem Betrieb gegenüber der Finanzverwaltung nicht als solche, sondern allein entsprechend der tatsächlichen
Einnahmen (und nicht etwa als Einnahme einer aus beiden Frauen bestehenden BGB-Gesellschaft) deklariert worden. Mangels der dafür erforderlichen Außengesellschaft sei auch kein Raum, die Bestimmung des
§ 2 Satz 1 Nr 9b letzter Halbsatz SGB VI heranzuziehen, wonach bei Gesellschaftern als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft gelten. Denn unabhängig von
ihrer Kündbarkeit genügten die im Innenverhältnis bestehenden Vereinbarungen nicht dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs-
und beitragsrechtlicher Tatbestände. Schließlich sei die Erhebung der durch die Beklagte festgesetzten Beiträge für die Zeit
vom 01.01.2012 bis zum 31.12.2014 nicht zu beanstanden.
Gegen das am 06.11.2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.11.2020 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg
(LSG) eingereicht mit der Begründung, die Zeugin S1 und sie hätten gemeinsam die Hauptgeschäftszeiten des G K abgedeckt und
seien im Schnitt jeweils drei volle Arbeitstage pro Woche zum Zwecke der Verkaufsförderung anwesend gewesen. Im Dezember 2014
sei die Zeugin S1 aus dem aktiven Erwerbsleben ausgeschieden. Im streitgegenständlichen Zeitraum hätten die Klägerin und Frau
S1 die Warenpräsentation, die Vorführung und die Förderung des Verkaufs durch Kundenberatung insbesondere für Produkte der
nachfolgend aufgezählten Firmen übernommen: F GmbH, S-Werke GmbH & Co KG, B Küche GmbH, K1 GmbH, L1 GmbH, P KG, Z J.A. H AG
und L AG (ab April 2014). Hauptauftraggeber seien die Firmen F GmbH und S-Werke GmbH gewesen, wobei über letztere - da Teil
der W-Gruppe - auch Provisionen für W-Produkte abgerechnet worden seien. Im Kassensystem der Haushaltswarenabteilung der G
K seien die Produktumsätze einzeln aufgezeichnet worden, jedoch ohne getrennte Erfassung der Verkäufe der Klägerin einerseits
und der Zeugin S1 andererseits. Da die beiden Frauen im Verkauf aber gleichermaßen erfolgreich gewesen seien und durchschnittlich
die gleiche Arbeitskraft eingebracht hätten, hätten sie in all den Jahren die abzurechnenden Provisionen am Ende eines Monats
im Wesentlichen hälftig aufgeteilt. "Im Wesentlichen" deshalb, weil es aufgrund von differierenden Anwesenheitszeiten (Verkaufsschulungen,
Urlaubszeiten etc) zu Verschiebungen zwischen einzelnen Monaten habe kommen können. Dabei seien die Umsätze nicht derart geteilt
worden, dass jeder Firma die Provisionen zweifach - dh jeweils zu ca 50% - gemeldet worden wären, sondern sie hätten aus Vereinfachungsgründen
die Provisionsgutschriften gegenüber den einzelnen Firmen untereinander aufgeteilt. Im Laufe der Zeit sei es zur Gewohnheit
geworden, dass die Klägerin ausschließlich gegenüber der Frima S-Werke GmbH & Co KG abgerechnet habe und die Zeugin S1 überwiegend
gegenüber der Firma F GmbH und anderen kleineren Auftraggebern, obschon die jeweiligen Provisionen gemeinsam erwirtschaftet
worden seien und ihnen diese gesamthänderisch zugestanden hätten. Dies habe bei den genannten Firmen zu keinerlei Beanstandungen
geführt, obgleich die Klägerin infolgedessen trotz des bestehenden Vertragsverhältnisses von zahlreichen Firmen (zB Z J.A.
H AG, B Küche GmbH) über Jahre hinweg keine einzige Provisionsgutschrift erhalten habe. Im Gegenteil sei das gemeinsame Wirtschaften
der beiden Frauen allseits bekannt und aufgrund des reibungslosen Ablaufs akzeptiert worden. Da die vorgenommene Verteilung
der Provisionen aber nicht ganz aufgegangen sei, sondern die Klägerin letztlich etwas mehr Provisionen erhalten habe als Frau
S1, sei dieser Überhang durch Zahlungen von der Klägerin an Frau S1 ausgeglichen worden. Nachträgliche Zahlungen zwischen
den beiden Frauen hätten zB auch stattgefunden, wenn die Zahlung eines Auftraggebers ganz oder teilweise ausgefallen wäre.
Bei der Prüfung des § 2 Satz 1 Nr 9 SGB sei maßgeblich ist, ob der Betroffene rechtlich (vertraglich) oder tatsächlich (wirtschaftlich)
im Wesentlichen von einem einzigen Auftraggeber abhängig sei und daher im Wege einer typisierenden Betrachtung als schutzbedürftig
erscheine. Dies sei hier nicht der Fall, da die Klägerin unstreitig in Vertragsbeziehungen zu rund zehn verschiedenen Unternehmen
aus der Haushaltswarenbranche gestanden habe und auch tatsächlich allmonatlich in der Haushaltswarenabteilung von G K für
ca 10 Auftraggeber tätig gewesen sei und aus diesen Vertragsverhältnissen Provisionen erwirtschaftet habe. Damit sei sie wirtschaftlich
nicht von einem Auftraggeber abhängig gewesen. Abhängigkeit werde allgemein definiert als einen Umstand, auf etwas angewiesen
zu sein. Die Klägerin sei faktisch nicht an die Firma S-Werke GmbH & Co KG gebunden gewesen. Wäre die Firma S-Werke GmbH &
Co KG als Auftraggeber weggefallen, wären die nunmehr verbleibenden Provisionen aufgeteilt worden. Auch für den Fall, dass
Provisionszahlungen der Firma S-Werke GmbH & Co KG ganz oder teilweise ausgefallen wären, hätte Frau S1 an die Klägerin entsprechende
Ausgleichszahlungen aus den von ihr eingezogenen Provisionen geleistet. Dies deshalb, weil sie sich mit der Handelsvertreterin
S1 zu einer Gemeinschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zusammengeschlossen habe. Die Umsätze der beiden Frauen seien mit Wissen
und Wollen der Auftraggeber gemeinsam erfasst und erwirtschaftet worden. Dass den GbR-Gesellschafterinnen nicht bewusst gewesen
sei, dass diese eine Gesellschaft gebildet hätten, und daher dies im Außenverhältnis nur unvollständig zum Ausdruck gebracht
hätten, ändere an den rechtlichen Gegebenheiten nichts. Sie hätten die Abrechnungen nur aus "Vereinfachungsgründen" aufgeteilt.
Mit der so erfolgten Aufteilung der Abrechnungen seien die Betriebseinnahmen eingezogen worden. Wirtschaftlich handele es
sich um den ca hälftigen Anteil an den gemeinsam erzielten und daher der Klägerin auch wirtschaftlich zurechenbaren Provisionen
aller Auftraggeber (§ 722 BGB).
Hilfsweise werde darauf hingewiesen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum bereits absehbar gewesen sei, dass Frau S1 (aktuell
ca 70 Jahre) altersbedingt ausscheiden werde und ab diesem Zeitpunkt die Gutschriften aller Auftraggeber - wie geschehen -
wieder allein auf die Klägerin ausgestellt würden. Insofern sei die Klägerin unter prognostischen Gesichtspunkten im Zeitraum
2012-2014 jedenfalls nicht mehr auf Dauer für nur einen Auftraggeber tätig gewesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15.10.2020 und den Bescheid der Beklagten vom 12.02.2019 in Gestalt des Widerspruchbescheids
vom 16.09.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 05.09.2018 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat auf ihren erstinstanzlichen Vortrag sowie die Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen.
Der Senat hat die Zeugin S1 schriftlich als Zeugin befragt, die daraufhin angegeben hat, die Ausgleichszahlungen der Klägerin
bar erhalten zu haben. Sie habe keinen Vertag mit der Firma S geschlossen, doch sei ihre Tätigkeit und die Zahlungsmodalität
mit dem Vertreter von S und der Klägerin mündlich abgesprochen gewesen. Weiterhin hat der Senat die Klägerin um Vorlage von
Nachweisen für die Ausgleichszahlungen gebeten, woraufhin die Klägerin Kontoauszüge aus den Jahren 2012 bis 2014 zu den Akten
gereicht hat, aus denen sich Ausgleichszahlungen in der Höhe entnehmen lassen, die den Rechnungen entsprechen, die Frau S1
der Klägerin gegenüber gestellt hat (vgl Verwaltungsakte, dort rote und blaue Schnellhefter). Kleinere Beträge seien bar ausgezahlt
worden.
Weiterhin hat der Senat den Leiter Vertriebsservice der Firma S, Herrn W1, als Zeugen schriftlich befragt. Dieser hat am 03.03.2021
angegeben, die Zeugin S1 habe keinen Vertrag mit S geschlossen, sei aber von der Klägerin eingesetzt worden und habe auch
S-Produkte verkauft. In welchem Umfang wisse er nicht.
Im Rahmen eines Erörterungstermins am 19.04.2021 hat die Klägerin ausführlich Stellung genommen. Auf den Inhalt des Protokolls
wird verwiesen. Zuletzt hat die Klägerin noch Nachweise für ihre Einnahmen in den Jahren 2015 bis 2017 vorgelegt und damit
für Zeiten, in denen die Zeugin S1 nicht mehr bei G K tätig war. Auch hat sie Provisionsabrechnungen der Zeugin S1 bis Mitte
2015 zu den Akten gereicht.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die Verwaltungsakten
der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Die Voraussetzungen des § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI sind nicht erfüllt, so dass das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide aufzuheben waren und die Beklagte zu verpflichten war, ihren Bescheid vom 05.09.2018 aufzuheben.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 12.02.2019 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 16.09.2019,
mit dem diese abgelehnt hat, den Bescheid vom 05.09.2018 aufzuheben. Zulässige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und
Verpflichtungsklage.
Nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden
ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen
einer Aufhebung sind vorliegend erfüllt, da § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI nicht greift.
Dies lässt sich nicht bereits mit dem bestandskräftigen Bescheid vom 07.10.1999 begründen, in dem die Beklagte den Antrag
der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs 5 SGB VI abgelehnt hat. Der Regelungsgehalt dieses Bescheides erschöpft sich in der Ablehnung der Befreiung. Dass die Klägerin regelmäßig
und im Wesentlichen für mehr als einen Auftraggeber tätig war, ist nur die Begründung des Bescheides und bezieht sich im Übrigen
ausdrücklich nur auf das Datum 01.01.1999.
Gemäß § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI sind versicherungspflichtig selbständig tätige Personen, die
a) im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen
und
b) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind; bei Gesellschaftern gelten als Auftraggeber die Auftraggeber
der Gesellschaft.
Vorliegend ist die Klägerin unstreitig selbständig als Handelsvertreterin tätig gewesen und hatte im streitgegenständlichen
Zeitraum auch keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt. Allerdings war sie nicht auf Dauer und im Wesentlichen
nur für einen Auftraggeber tätig, so dass keine Versicherungspflicht eintritt.
Auftraggeber iSd § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI ist jede natürliche oder juristische Person oder Personenmehrheit, die im Wege eines Auftrags oder in sonstiger Weise eine
andere Person mit einer Tätigkeit betraut, sie ihr vermittelt oder ihr Vermarktung oder Verkauf von Produkten nach einem bestimmten
Organisations- und Marketingkonzept überlässt (BSG 23.04.2015, B 5 RE 21/14 R, BSGE 118, 28, juris Rn 25; BSG 04.11.2009, B 12 R 3/08 R, BSGE 105, 46, juris Rn 17 ff; BSG 04.11.2009, B 12 R 7/08 R, juris Rn 16 ff; BSG 24.11.2005, B 12 RA 1/04 R, BSGE 95, 275, juris Rn 16). Eine vertragliche Verpflichtung zwischen der das Handeln veranlassenden Person und dem Handelnden ist nicht
notwendig (BSG 23.04.2015, B 5 RE 21/14 R, BSGE 118, 28, juris Rn 28 ff). Entscheidend ist daher, wem gegenüber der Selbständige vertragliche Verpflichtungen erfüllt und von wem
ihm ggf umgekehrt eine Vergütung zufließt (Berchtold in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, 7. Auflage 2021, § 2 SGB VI Rn 17). § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI erstreckt die Rentenversicherungspflicht auf selbständig Tätige, die nach Auffassung des Gesetzgebers nicht weniger sozial
schutzwürdig sind als die sonstigen von § 2 Satz 1 SGB VI erfassten Selbständigen (vgl BT-Drucks 14/45, S 20). Als kennzeichnend für den Personenkreis wird nicht die Zugehörigkeit
zu bestimmten Berufsgruppen, sondern werden vielmehr typische Tätigkeitsmerkmale angesehen. Wer ohne versicherungspflichtigen
Arbeitnehmer selbständig tätig wird, ist typischerweise nicht in der Lage, so erhebliche Verdienste zu erzielen, dass er sich
außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung absichern könnte, und damit nach seiner wirtschaftlichen Lage sozial schutzbedürftig
(BSG 23.04.2015, B 5 RE 21/14 R, BSGE 118, 28, juris Rn 29; BSG 04.11.2009, B 12 R 3/08 R, BSGE 105, 46, juris Rn 24). Die weitere Voraussetzung der Tätigkeit nur für einen Auftraggeber ist in gleichem Maße aussagekräftig; sie
indiziert eine wirtschaftliche Abhängigkeit und damit ebenfalls typisierend soziale Schutzbedürftigkeit. Auf eine konkrete
wirtschaftliche Schutzbedürftigkeit kommt es nicht an (BSG 23.04.2015, B 5 RE 21/14 R, BSGE 118, 28, juris Rn 29). Eine mathematisch exakte Bestimmung der "Wesentlichkeitsgrenze" lässt das Gesetz nicht zu (hierzu kritisch
Hohmeister, NZA 1999, 337, 341; Doerner/Baeck, NZA 1999, 1136, 1139); die Praxis sieht dieses Erfordernis als erfüllt an, wenn der Selbständige mindestens fünf Sechstel seiner gesamten
Einkünfte (aus selbständiger Tätigkeit) allein aus der Tätigkeit für einen Auftraggeber erzielt (vgl LSG für das Saarland
01.12.2005, L 1 RA 11/04, juris Rn 23; LSG Baden-Württemberg 01.02.2011, L 11 R 2461/10, juris Rn 89; Fichte in: Hauck/Noftz, SGB, 12/15, § 2 SGB VI, Rn 84 unter Verweis auf Abt. 3. 5. 2 des Rdschr der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 20.12.1999, NZA 2000,
190, 191). Hierbei kann es sich jedoch nur um einen Orientierungswert handeln (Fichte in: Hauck/Noftz, SGB, 12/15, § 2 SGB VI, Rn 84).
Vorliegend stellt der Senat aufgrund der erst- sowie zweitinstanzlichen Beweisaufnahme fest, dass die Klägerin in den Jahren
2012 bis 2014 nicht im oben genannten Sinn nur für einen Auftraggeber tätig war. Vielmehr war sie als selbständige Handelsvertreterin
ua für die Firmen S, F, K1, L1, Z, B und ab April 2014 auch für die Firma L tätig. Dies entnimmt der Senat zum einen der Auflistung
der abgerechneten Provisionen, die die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren zu den Akten gegeben hat (Bl 39 SG-Akte), weiterhin ihren Provisionsabrechnungen aus der Verwaltungsakte (Abrechnungen der Klägerin gegenüber S und F, vgl rote
und blauer Schnellhefter in der V-Akte), den Angaben der Klägerin und den Angaben und Abrechnungen der Zeugin S1 (vgl Kopien
der Provisionsabrechnungen der Zeugin S1 in Band 2 der V-Akte). Werden zwei Handelsvertreterinnen (hier: die Klägerin und
die Zeugin S1) am selben Ort und zur gleichen Zeit für dieselben Auftraggeber tätig, ist ein hoher Umsatz einer der beiden
bei einem Auftraggeber nicht zwingend Ausdruck einer wirtschaftlichen Abhängigkeit von diesem Auftraggeber, sondern kann auch
darauf beruhen, dass die beiden Handelsvertreterinnen eine bestimmte Form der Zusammenarbeit untereinander und der Abrechnung
gegenüber den Auftraggebern gewählt haben. In diesem Zusammenhang hat sich der Senat davon überzeugt, dass die Zeugin S1 und
die Klägerin sämtliche Tätigkeiten parallel ausführten, dh für dieselben Handelspartner im selben Umfang und mit demselben
Erfolg tätig wurden. Dies ergibt sich nicht nur aus den konsistenten und überzeugenden Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren
sowie im Verfahren vor dem SG und in der Berufungsinstanz, sondern wurde auch durch die Zeugin S1 bestätigt. Diese hat in der mündlichen Verhandlung vor
dem SG ausgesagt, mit der Klägerin im Team gearbeitet und ca 9 Firmen betreut zu haben. Den Umsatz habe man sich geteilt. Ausführlich
hat die Klägerin im Rahmen des Erörterungstermins am 19.04.2021 dargelegt, wie sich diese Zusammenarbeit gestaltete. Sie sei
in den Jahren 2012 bis 2014 etwa drei bis viermal pro Woche, eher viermal pro Woche im K tätig gewesen, im Dezember und Januar
zB, wenn der Umsatz stark gewesen sei, auch sechs Tage. Gleiches habe auch immer für Frau S1 gegolten. Dies habe bedeutet,
dass die Klägerin und Frau S1 zum Teil beide dagewesen seien und parallel gearbeitet hätten, an anderen Tagen oder auch zu
anderen Zeiten des Tages alleine verkauft hätten. An den gemeinsamen Tagen sei meist eine früher gekommen und gegangen, die
andere später. Man müsse sich das so vorstellen, dass dort die Regale mit den Waren gestanden hätten und sich die Zeugin S1
und die Klägerin bzw eine der beiden durch die Regale bewegt und auf Kundenansprache gewartet hätten. Wenn beide dagewesen
seien und ein Kunde gekommen sei, habe ihn die bedient, die zufällig näher an ihm dran gestanden habe. Monatsweise habe dann
der Mitarbeiter von G K, der Substitut Herr S3, gemeldet, welche Umsätze bei den Firmen angefallen seien. Auf Basis dieser
Meldungen habe die Zeugin S1 errechnet, wie hoch die Provisionen seien, und diese hälftig geteilt. Die Zeugin S1 habe der
Klägerin gesagt, welche Rechnungen sie gegenüber welchen Firmen schreiben solle.
Dass diese Sachverhaltsbeschreibung der Wahrheit entspricht, ergibt sich nicht nur aus den Angaben des Zeugen S3, der für
die Firma G K gearbeitet und die Umsätze der Firmen der Klägerin und die Zeugin S1 monatsweise mitgeteilt hat. Dieser hat
in der mündlichen Verhandlung vor dem SG ausgesagt, die Klägerin und die Zeugin S1 hätten sich die Provisionen aufgeteilt. Zwar wusste er nicht, wie diese Aufteilung
erfolgte, doch hat er bestätigt, dass "wer da war, hat alles gemacht, auch für die beiden großen Firmen F und S". Die Firmen
F, (Schreiben aus März 2019, Bl W I 5 V-Akte), K1 (Schreiben vom 08.04.2019, Bl W I 6 V-Akte), Z (W I 7 V-Akte, B (Schreiben
vom 09.04.2019, Bl W I 8 V-Akte) haben jeweils bestätigt, dass neben der Klägerin eine weitere Kraft tätig geworden sei. Auch
der vom Senat schriftlich vernommene Zeuge W1 der Firma S hat dargelegt (Schreiben vom 03.03.2021, Bl 88 Senatsakte), die
Zeugin S1 habe ebenfalls S-Produkte verkauft. Vor allem aber spricht für die Richtigkeit der klägerischen Angaben, das die
Zeugin S1 der Klägerin über den gesamten hier streitigen Zeitraum Rechnungen gestellt hat, die die Klägerin ausweislich der
in der Berufungsinstanz vorgelegten Kontoauszüge zumeist an die Zeugin S1 überwiesen und gelegentlich bar bezahlt hat. Hätten
die Klägerin und Frau S1 ihre Verkäufe jeweils getrennt voneinander erfasst und auch getrennt gegenüber den jeweiligen Firmen
abgerechnet, hätte es dieser Zahlungen nicht bedurft. Der Senat hält es für unschädlich, dass sich die genaue Höhe dieser
Ausgleichszahlungen nicht (mehr) nachvollziehen lässt. Zum einen ist dies dem Zeitablauf geschuldet, da der hier streitige
Zeitraum mittlerweile über 7 Jahre zurückliegt. Zum anderen gab es Urlaubszeiten, Schulungen und andere Gründe, die dazu führten,
dass kein exakt hälftiger Ausgleich zwischen den Provisionseinnahmen zu errechnen war. Jedenfalls haben stichprobenartige
Berechnungen ergeben, dass die Höhe der Ausgleichszahlungen tatsächlich von den im gleichen Monat erwirtschafteten Provisionszahlungen
abhing. Als Beispiel sei der Februar 2013 benannt: in der Verwaltungsakte finden sich Netto-Provisionsabrechnungen der Klägerin
in Höhe von 9.857,62 € gegenüber S und 238,80 € gegenüber F (vgl roter Schnellhefter). Die Zeugin S1 rechnete gegenüber F
netto 3.100,56 €, gegenüber B 815,04 €, gegenüber S2-U1 309,28 € und gegenüber Z 500,70 € ab (vgl Rechnungen in der Verwaltungsakte
II). Damit stehen sich 10.096,42 € Einnahmen der Klägerin sowie 4.725,58 € der Zeugin S1 gegenüber. Aus Ausgleich hätten somit
netto 2.685,42 € fließen müssen, tatsächlich waren es 2.826 €. Im Vergleich dazu erzielte die Klägerin im Februar 2014 von
der S Provisionszahlungen in Höhe von 1.918 € und von F 46,20 € (zusammen nur 1.964,20 €), während die Zeugin S1 von F 478,20
€, von B 241,56 €, von S2-U1 97,90 € und von Z 77,80 € bezog (zusammen 895,46 €). Damit wäre ein Ausgleich von 534,37 € zu
erwarten gewesen, tatsächlich gezahlt wurden 483 € und damit - wie zu erwarten - ein erheblich geringerer Betrag als zB im
Februar 2013. Diese Berechnungen beweisen, dass sich die Höhe der Ausgleichszahlungen tatsächlich nach der Höhe der geflossenen
Provisionen richtete.
Im Ergebnis ist der Senat somit davon überzeugt, dass die Klägerin und die Zeugin S1 im streitgegenständlichen Zeitraum -
von Urlaubszeiten, Schulungen abgesehen - im selben Umfang bei den selben Firmen Provisionen erarbeitet haben. Wird diese
Feststellung zugrundegelegt, ergibt sich daraus zugleich, dass die Klägerin nicht im Wesentlichen für einen Auftraggeber,
nämlich die Firma S, tätig geworden ist. Zwar rechnete sie im Jahr 2012 34.210,75 € für die Firma S ab bei einem Gesamtumsatz
von 40.702,04 €, im Jahr 2013 35.698,76 für S bei einem Gesamtumsatz von 42.319,99 € und im Jahr 2014 28.907,82 bei einem
Gesamtumsatz von 34.248,21 € (vgl Bl 39 SG-Akte), so dass die 5/6-Grenze überschritten wurde. Wie oben dargelegt, handelt es sich bei dieser Grenze indes nur um einen
Richtwert, der zwar in der Praxis die Beurteilung des Sachverhaltes vereinfacht, aber nicht die alleinige Beurteilungsgrundlage
bildet, jedenfalls dann nicht, wenn der Sachverhalt wie hier Besonderheiten aufweist. Im vorliegenden Fall hat in die Beurteilung
ebenso einzufließen, dass die Klägerin für etliche Auftraggeber gearbeitet hat und insbesondere die Hälfte der S-Provisionen
durch die Zeugin S1 erarbeitet wurden, der im Innenverhältnis ein Ausgleich gegenüber der Klägerin zustand, während die Klägerin
andererseits gegenüber den anderen Firmen, vor allem gegenüber F, aber auch gegenüber kleineren Firmen, eigentlich ein höherer
Provisionsanspruch zugestanden hätte, den sie indes aufgrund interner Absprachen mit der Zeugin S1 nicht geltend machte. Auch
wenn sich die genauen tatsächlich erarbeiteten Provisionsansprüche mangels vollständiger Unterlagen durch den Senat nicht
nachvollziehen lassen, zeigt doch schon die Halbierung der S-Provisionen bei gleichzeitiger Erhöhung der sonstigen Provisionen,
dass S zwar weiterhin der wichtigste Auftraggeber der Klägerin war, die Abhängigkeit jedoch nicht ein solches Ausmaß erreicht
wie die normalerweise zu Grunde gelegte Richtgröße von 5/6.
Dieses Bild zeigt sich eindrücklich auch in den Folgejahren, als die Zeugin S1 nicht mehr bei G K tätig war, also ab Mitte
2015 (und nicht, wie zunächst vorgetragen, schon Ende 2014), vor allem aber in den Jahren 2016 und 2017: Wie sich den von
der Klägerin vorgelegten Aufstellungen (vgl Bl Schreiben vom 20.04.2021, Bl 107 LSG-Akte) entnehmen lässt, erwirtschaftete
die Klägerin in 2016 Provisionen von der Firma S/P/I (Anmerkung: Ab 2015 übernahm die Firma P die Abrechnungen für die Firma
S, anschließend übernahm dies die Firma I, vgl Angaben der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem SG) in Höhe von 16.462,12 € bzw 17.580,02 € (zusammen 34.042,14 €), von F in Höhe von 11.911,97 €, von B in Höhe von 2.065,95
€, von L in Höhe von 4.154,77 €, von Z in Höhe von 5.978,20 € und von L1 in Höhe von 1.431,31 €, um nur die größeren Summen
zu nennen. Vom Gesamtumsatz in Höhe von 60.183,56 € entfiel damit lediglich gut die Hälfte auf die Firma S/P/I der Rest verteilte
sich auf andere Auftraggeber. Ein ähnliches Bild zeigt die Tabelle zu den Einnahmen im Jahr 2017 (Gesamtsumme 49.140,64 €,
dabei S/I 26.311,12 €). Auch im Jahr 2015, als die Zeugin S1 die Hälfte der Zeit noch mit der Klägerin zusammenarbeitete und
die oben geschilderte interne Verteilung der Provisionsansprüche erfolgte, erwirtschaftete die Klägerin ausweislich der genannten
Tabelle bei der Firma S/P zusammen 27.885,07 € bei Gesamteinnahmen in Höhe von 40.775,03 €. Dementsprechend ging auch die
Beklagte ab 2015 nicht mehr von einer Tätigkeit für nur einen Auftraggeber im Sinne des § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI aus, sondern hob den Bescheid vom 05.09.2018 mit Bescheid vom 10.09.2018 auf. Die Provisionsverteilung ab Mitte 2015 bis
2017 beweist die Richtigkeit des klägerischen Vortrags, nämlich dass die Zeugin S1 - bei gleicher Arbeit - vor allem gegenüber
den Firmen F und kleineren Auftraggebern abrechnete, während die Klägerin vor allem Ansprüche gegenüber S geltend machte.
Nach dem Weggang der Zeugin S1 spiegelt sich dies exakt so in der Verteilung der Provisionen wieder, da nun tatsächlich die
Einnahmen von F in die Höhe gingen (2012: 3.902,50 €, 2013: 4.384,82 €; 2014: 2.683,67 €; im Vergleich dazu 2015: 4.728,87
€, 2016: 11.911,97 €, 2017: 9.441,11 €), die Einnahmen bei S/P/I ähnlich blieben und sich die Einnahmen der kleineren Auftraggeber
wesentlich erhöhten (2012: Einnahmen von K1, L1 zusammen in Höhe von 2.466,59 €; 2013: zusammen 2101,42 €; 2014: zusammen
2.565,39 €; im Vergleich dazu zB 2016: Einnahmen B, K1, L1, L, Z zusammen 13.388,62 €). Zugleich beweist der Zustand ab 2015,
dass es im vorliegenden besonderen Fall nicht allein auf die 5/6-Regelung ankommen kann: Ab 2015 lagen die Voraussetzungen
des § 9 Satz 1 Nr 9 SGB VI nicht vor, da die Klägerin auch nach der Auffassung der Beklagten und unter Zugrundelegung der 5/6-Grenze nicht nur für einen
Auftraggeber tätig war. Die Tätigkeit der Klägerin hat sich nach dem Ausscheiden der Zeugin S1 indes nicht wesentlich geändert,
und auch die Auftraggeber blieben im Wesentlichen dieselben - insofern spricht auch dies dafür, den hier streitgegenständlichen
Zeitraum nicht anders zu behandeln als den sich anschließenden.
Es kann nicht argumentiert werden, die interne Verteilung der Provisionsansprüche sei vorliegend unbeachtlich, da die im Innenverhältnis
bestehenden Vereinbarungen nicht dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände
genügten. Diese Rechtsprechung gilt vor allem in Bezug auf die Statusfeststellung von (Gesellschafter-) Geschäftsführern einer
GmbH und besagt, dass die Maßgeblichkeit des rein faktischen, nicht rechtlich gebundenen und daher jederzeit änderbaren Verhaltens
der Beteiligten mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht zu
vereinbaren ist. Eine "Schönwetter-Selbständigkeit" lediglich in harmonischen Zeiten, während im Fall eines Zerwürfnisses
die rechtlich bestehende Weisungsgebundenheit zum Tragen käme, ist nicht anzuerkennen (vgl zB BSG 29.07.2015, B 12 KR 23/13 R, BSGE 119, 216 = SozR 4-2400 § 7 Nr 24, Rn 29 f mwN; BSG 29.08.2012, B 12 KR 25/10 R, BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17, Rn 32; BSG 14.03.2018, B 12 KR 13/17 R, BSGE 125, 183-189, SozR 4-2400 § 7 Nr 35, Rn 20). Vorliegend liegt der Fall aber anders: Es ist hier nicht die Rechtsmacht eines Gesellschafters/Geschäftsführers
zu prüfen, sondern, ob die Klägerin in den Jahren 2012 bis 2014 tatsächlich im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig
war. Genau dies war sie aber nicht, wie die umfangreiche Beweisaufnahme ergeben hat. Sie war gerade nicht schutzbedürftig
wie ein Selbständiger, der wirtschaftlich nur von einem einzigen Auftraggeber abhängig ist, sondern erarbeitete sich Provisionsansprüche
diverser Auftragsgeber - nur, dass sich dies nicht anhand der tatsächlich gestellten Rechnungen wiederspiegelte, weil sie
mit der Zeugin S1 im Innenverhältnis eine andere Abrechnung gewählt hatte. Anders wäre der Fall zu beurteilen gewesen, wenn
die Klägerin tatsächlich nur S-Waren verkauft hätte und die Zeugin S1 nur F-Waren, sich beide intern aber darauf geeinigt
hätten, im Außenverhältnis jeweils sowohl mit S als auch F abzurechnen, um die rechtlichen Folgen des § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI zu umgehen. Solche im Innenverhältnis bestehenden Vereinbarungen wären für die Beurteilung nicht ausschlaggebend.
Die Beklagte war somit unter Aufhebung des Bescheides vom 12.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2019
zu verpflichten, den Bescheid vom 05.09.2018 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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