Anspruch auf Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in der vertragsärztlichen Versorgung
Keine Reduzierung eines vollen Versorgungsauftrags auf einen hälftigen aufgrund der Fallzahlen
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens im Umfang eines halben Versorgungsauftrags.
Der Kläger war seit dem 01.10.2010 in H., B., als Facharzt für Allgemeinmedizin mit vollem Versorgungsauftrag zur vertragsärztlichen
Versorgung zugelassen und nahm in Einzelpraxis an der hausärztlichen Versorgung teil. Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen
hat den Planungsbereich "Mittelbereich H." für Hausärzte bei einem Versorgungsgrad von 115,3 % mit einer Zulassungssperre
versehen.
Die Praxis des Klägers wies zuletzt folgende Fallzahlen im Vergleich zum Fachgruppendurchschnitt auf: Quartal (1.) Praxis
Kläger (2.) Fälle hausarztzentrierte Versorgung Kläger Summe (1.) + (2.) Fachgruppendurchschnitt ohne hausarztzentrierte Versorgung
1/2014 302 97 399 780 2/2014 256 95 351 740 3/2014 236 95 331 746 4/2014 252 111 363 758 1/2015 292 126 418 803 2/2015 321
118 439 733 3/2015 279 115 394 738 Summe 1.938 757 2.695 5.298
Am 15.04.2015 beantragte der Kläger beim beklagten ZA die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens seines Vertragsarztsitzes
mit vollem Versorgungsauftrag zum 30.09.2015.
Mit an den Kläger gerichtetem Schreiben vom 23.06.2015 gab der Beklagte die Stellungnahme der zu 1) beigeladene KV wieder.
Danach sei aufgrund der Fallzahlen des Klägers lediglich die Nachbesetzung eines hälftigen Versorgungsauftrags zu befürworten.
Es werde angeregt, dem Kläger den hälftigen Versorgungsauftrag von Amts wegen zu entziehen. Bereits seit fünf Quartalen sei
der Kläger in reduziertem Umfang tätig, so dass davon auszugehen sei, dass kein Praxissubstrat (insbes. Patientenstamm) vorhanden
sei, das eine Nachbesetzung der Praxis im vollen Umfang rechtfertigen könne. Die vom Kläger in Abrechnung gebrachten Fallzahlen
hätten im Quartal 4/2013 ca. 62% unter dem Fachgruppendurchschnitt (287 zu 761 Fälle), im Quartal 1/2014 ca. 61% unter dem
Fachgruppendurchschnitt (302 zu 780 Fälle), im Quartal 2/2014 ca. 65% unter dem Fachgruppendurchschnitt (256 zu 740 Fälle),
im Quartal 3/2014 ca. 68% unter dem Fachgruppendurchschnitt (236 zu 746 Fälle) und im Quartal 4/2014 ca. 67% unter dem Fachgruppendurchschnitt
(252 zu 758 Fälle) gelegen. Zusätzlich sei der Kläger (nach seinen eigenen Angaben) mit weniger als 90 Fällen je Quartal in
geringem Umfang innerhalb der hausarztzentrierten Versorgung tätig gewesen. Da dem Eigentumsschutz des ausscheidenden Vertragsarztes
nur dann umfassend der Vorrang gegenüber den Interessen des Gemeinwohls an der Vermeidung und dem Abbau von Überversorgung
zu gewähren sei, wenn tatsächlich eine abzugebende Praxis existiere, träten die Interessen des Klägers hier insoweit zurück,
als lediglich die Übergabe eines hälftigen Versorgungsauftrags befürwortet werden könne. Zudem habe eine Bedarfsanalyse ergeben,
dass eine Nachbesetzung der bestehenden Praxis lediglich im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrags zur Sicherstellung
der vertragsärztlichen Versorgung erforderlich sei. Die Fallzahlen der im nahen Umkreis der Praxis niedergelassenen acht Fachkollegen
machten deutlich, dass diese weitestgehend nicht über Kapazitäten zur Mehraufnahme von Patienten verfügten. Bei diesen Hausärzten
hätten die Fallzahlen bei vier Praxen unter 600 Fällen, bei drei Praxen zwischen 600 und 900 Fällen und bei einer Praxis bei
über 900 Fällen gelegen. Auch die Altersstruktur müsse Berücksichtigung finden. Drei der Hausärzte seien über 65, zwei zwischen
60 und 65 und drei zwischen 50 und 59 Jahre alt.
In der Sitzung des Beklagten am 19.08.2015 beantragte der Kläger die Nachbesetzung seines Vertragsarztsitzes mit vollem, hilfsweise
hälftigem Versorgungsauftrag und erklärte den vollen Verzicht auf seine Zulassung (unter Verkürzung der Frist des § 28 Abs. 1 der Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV)) zum 30.09.2015. Seit dem 01.10.2015 ist er mit vollen Versorgungsauftrag in Schönau zur vertragsärztlichen Versorgung.
Der Beklagte lehnte mit Beschluss vom 19.08.2015 (Bescheid vom 17.12.2015) den Antrag des Klägers auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens
mit vollem Versorgungsauftrag ab und stimmte lediglich der Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens hinsichtlich eines
halben Versorgungsauftrags zu. Zur Begründung schloss sich der Beklagte den Ausführungen der Beigeladenen zu 1) an.
In der Folgezeit ist ein hälftiger Vertragsarztsitz ausgeschrieben und vom Vater des Klägers übernommen worden.
Am 13.01.2016 hat der Kläger gegen den ihm am 19.12.2015 zugestellten Beschluss des Beklagten, soweit eine Ablehnung seines
Antrags auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens mit vollem Versorgungsauftrag ausgesprochen wurde, Klage beim Sozialgericht
Karlsruhe (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, der Beklagte gehe unzutreffend davon aus, dass aufgrund der unterdurchschnittlichen
Fallzahlen kein Praxissubstrat vorhanden sei. Auch bei einer unterdurchschnittlichen Praxis sei ein gänzliches Praxissubstrat
vorhanden. Die in § 17 des Bundesmantelvertrags - Ärzte (BMV-Ä) geforderten Sprechstundenzeiten habe er, der Kläger, erbracht. Eine Teilbarkeit des Praxissubstrats, das Patienten, Praxislogistik,
Räumlichkeiten und technische Mittel umfasse, sei nicht möglich. Hinsichtlich der Fallzahlen müsse zudem berücksichtigt werden,
dass er die Praxis 2010 faktisch neu gegründet habe, weil er den im Nachbesetzungsverfahren übernommenen Vertragsarztsitz
verlegt habe und die Patienten nicht mit an den neuen Sitz gewechselt seien. Innerhalb von fünf Jahren sei nach der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG) von einer Anfängerpraxis auszugehen, so dass die im Vergleich zum Fachgruppendurchschnitt geringere Fallzahl irrelevant
sei. Seine Patienten seien auch behandlungsintensiver gewesen, was sich daran zeige, dass er z.B. im Quartal 2/2015 das Regelleistungsvolumen
von 10.589,28 EUR um 4.020,10 EUR unterschritten habe. Zudem habe der Beklagte keine Bedarfsanalyse vorgenommen. Der von der
Beigeladenen zu 1) durchgeführten Bedarfsanalyse liege eine unzulässige Verkürzung des Planungsbereichs zu Grunde. Es genüge
nicht, nur die Praxen im Umkreis seiner Praxis einzubeziehen. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass in absehbarer Zeit
noch mehrere Hausärzte ausschieden. Der Kläger hat eine Aufstellung seiner Fallzahlen in der hausarztzentrierten Versorgung
in der Zeit vom Quartal 1/2014 bis 3/2015 vorgelegt.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der Kläger sei mit dem abgerechneten Leistungsvolumen nur einem hälftigen Versorgungsauftrag
nachgekommen. Mangels Substrats könne der darüber hinaus gehende Teil des Versorgungsauftrags nicht an einen Nachfolger übergeben
und deshalb nicht ausgeschrieben werden. In Gänze fehle das Praxissubstrat dagegen nicht, weshalb dem Hilfsantrag entsprochen
worden sei. Zur Feststellung des Praxissubstrats sei zu Recht auf die Fallzahlen abgestellt worden. Das Praxissubstrat definiere
sich nicht allein durch das Ankündigen und Bereithalten von Sprechstundenzeiten. Es werde maßgeblich auch durch den Umfang
der tatsächlich ausgeübten ärztlichen Tätigkeit definiert. Der Versorgungsauftrag sei auch durchaus teilbar, was sich aus
der Gesetzessystematik seit der Einführung der Zulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag ergebe. Versorgungsgesichtspunkte
habe er (der Beklagte) nur im Hinblick auf den hälftigen Versorgungsauftrag geprüft, für den dem Antrag auf Durchführung des
Nachbesetzungsverfahrens stattgegeben worden sei. Der Beklagte hat außerdem eine Aufstellung der Beigeladenen zu 1) über die
Fallzahlen des Klägers im Vergleich zum Fachgruppendurchschnitt im Zeitraum vom Quartal 4/2012 bis 3/2015 vorgelegt.
Mit Beschluss vom 14.01.2016 hat das SG die KV und die Sozialleistungsträger zum Verfahren beigeladen.
Mit Urteil vom 01.03.2017 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung auf die Ausführungen im Beschluss des Beklagten Bezug genommen. Ergänzend hat es
ausgeführt, der Beklagte habe das Nachbesetzungsverfahren zu Recht auf einen halben Versorgungsauftrag beschränkt. Der ZA
habe grundsätzlich das Recht, dem Antrag auf Nachbesetzung eines vollen Vertragspsychotherapeutensitzes für einen halben Sitz
stattzugeben und ihn im Übrigen mangels Substrats abzulehnen. Tatbestandliche Voraussetzung für eine Nachfolgezulassung sei,
dass überhaupt eine fortführungsfähige Praxis existiere. Die grundsätzliche Teilbarkeit von Versorgungsaufträgen sei im Gesetz
vorgesehen. Dementsprechend könne auch das Vorliegen oder Fortbestehen eines Praxissubstrats getrennt alleine für einen hälftigen
Versorgungsauftrag untersucht werden. Die Teilbarkeit könne auch dazu beitragen, dass im Interesse des Antragstellers wenigstens
ein hälftiger Versorgungsauftrag ausgeschrieben werde, wenn ansonsten nur eine Alles-oder-Nichts-Entscheidung möglich sei.
Der Beklagte habe das Zahlenmaterial umfassend ermittelt. Auch nach der Anforderung zusätzlicher Abrechnungszahlen im Klageverfahren
habe sich gezeigt, dass der Beklagte zutreffend von einem zuletzt durch den Kläger nur noch hälftig erfüllten Versorgungsauftrag
ausgegangen sei. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Fälle aus der hausarztzentrierten Versorgung. Der Einwand des
Klägers, es habe sich faktisch um eine Neugründung gehandelt, ändere ebenfalls nichts. Es sei davon auszugehen, dass die am
Ort bereits vorhandenen Patienten ebenfalls den Behandlungsort nicht gewechselt hätten. Bemerkenswert sei auch, dass die Fallzahlen
über den gesamten Zeitraum relativ gleichmäßig bei unter 50% gelegen hätten und daher keine besonderen Bemühungen des Klägers
erkennbar seien, seine Fallzahlen zu steigern. Der Beklagte habe auch die zutreffende Vergleichsgruppe der 99 in H. zugelassenen
Hausärzte für die vergleichende Betrachtung herangezogen. Soweit auf die in Praxisnähe niedergelassenen acht Fachkollegen
näher eingegangen worden sei, erscheine diese Verengung noch zulässig, sofern die Zahlen der Gesamtgruppe von 99 Hausärzten
demgegenüber nicht vernachlässigt worden sei. Für eine hälftige Nachbesetzung hätten Versorgungsgründe und die gleichzeitige
Chance des leichten Abbaus der Überversorgung sowie die angemessene Möglichkeit der Berufsausübung für einen eventuellen Praxisnachfolger
gesprochen. Da dieses Ergebnis den Versorgungsbeitrag des Klägers nachvollziehbar abbilde und sich aus seinen Abrechnungen
ableite, sei es schlüssig anzunehmen, dass eine darüber hinaus gehende Nachbesetzung aus Versorgungsgründen offenbar nicht
erforderlich sei. Ebenfalls sei es folgerichtig und rechtmäßig, den darüber hinaus gehenden Antrag mangels Substrats abzulehnen.
Bezüglich des auch intendierten Eigentumsschutz des abgebenden Arztes liege es auf der Hand, dass bei nicht feststellbarer,
über einen hälftigen Versorgungsbeitrag hinausgehender eigener Leistung des Klägers über Jahre hinweg, sein Eigentum mit der
Nachbesetzung eines hälftigen Sitzes ausreichend geschützt werde. Der getroffenen Entscheidung liege ein ausreichend ermittelter
Sachverhalt zugrunde, sie halte sich im Rahmen der Beurteilungsermächtigung und sei ausführlich begründet worden, weshalb
sie hinzunehmen sei.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 10.03.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.04.2017 Berufung beim Landessozialgericht
(LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung wiederholt er seine bisherige Argumentation. Ergänzend trägt er vor, mit
dem Nachbesetzungsverfahren sei untrennbar der Eigentumsschutz verbunden. Das nach der Rechtsprechung des BSG erforderliche Praxissubstrat sei vorhanden. Auf die Fallzahlen komme es dabei nicht an. Von dem Erfordernis des Vorhandenseins
von Praxissubstrat sei die Frage zu trennen, ob ein Arzt seinen Versorgungsauftrag hinreichend wahrnehme (unter Verweis auf
BSG, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R). Sei dies nicht der Fall, sei die gesetzlich vorgesehene Reaktion die - auch teilweise - Zulassungsentziehung. Aus der Rechtsprechung
des BSG folge weiter, dass der Versorgungsauftrag untrennbar mit der Zulassung verbunden sei. Der Versorgungsauftrag sei nach § 1a Nr. 23 BMV-Ä der inhaltliche, zeitliche und fachliche Umfang der Versorgungspflicht des Vertragsarztes. Er sei gemäß § 17 Abs. 1a BMV-Ä dadurch zu erfüllen, dass der Vertragsarzt an seinem Vertragsarztsitz persönlich mindestens 20 Stunden wöchentlich in Form
von Sprechstunden zur Verfügung stünde. Auf die Anzahl der Patienten komme es nicht an. Der Vertragsarzt habe ohnehin keinen
Einfluss darauf, wie viele Patienten ihn aufsuchten. Der Kläger habe seine Verpflichtung zur Durchführung der Sprechstunden
unstreitig vollumfänglich erfüllt. Die vom Beklagten nun (siehe unten) herangezogenen Prüfzeiten des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs
für ärztliche Leistungen (EBM) berücksichtigten nicht die Arbeitszeiten in der hausarztzentrierten Versorgung. Aus dem untrennbaren
Zusammenhang von Zulassung und Versorgungsauftrag folge auch ein untrennbarer Zusammenhang zwischen der Praxis und dem Ausschreibungsverfahren.
Die Entscheidung des Beklagten bedeute faktisch eine hälftige Zulassungsentziehung, die offenbar zudem entschädigungslos erfolgen
solle. §
103 Abs.
3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) sehe bei der Prüfung der Nachbesetzung lediglich Versorgungsgründe vor und schreibe eine Entschädigung vor, wenn aus Versorgungsgründen
die Nachbesetzung abgelehnt werde. Vorsorglich werde hiermit gegenüber dem Beklagten und der Beigeladenen zu 1) hilfsweise
die Entschädigung beantragt. Der Verzicht auf die Zulassung stünde dem nicht entgegen, weil diese gerade Voraussetzung für
das Ausschreibungsverfahren sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01.03.2017 aufzuheben, den Beschluss des Beklagten vom 19.08.2015 aufzuheben,
soweit damit ein Nachbesetzungsverfahren im Umfang eines halben Versorgungsauftrags abgelehnt wurde, und den Beklagten zu
verpflichten, ein Nachbesetzungsverfahren für den Vertragsarztsitz in H., B., im Umfang eines weiteren halben Versorgungsauftrags
durchzuführen, hilfsweise über seinen Antrag auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens für den Vertragsarztsitz in H.,
B., im Umfang eines weiteren halben Versorgungsauftrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Gerichtsentscheidung und seinen Beschluss für zutreffend. Zur weiteren Begründung trägt er vor, die
erforderliche "Vollausschreibungsfähigkeit" sei bei einem Inhaber mit "Vollzulassung" nur gegeben, wenn der Ausschreibende
tatsächlich einen vollen Versorgungsauftrag erfülle, also ein fortführungsfähiges Praxissubstrat im Sinne einer "Vollpraxis"
vorhanden sei. Dabei komme es unter anderem auf die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit in nennenswertem Umfang
unter den üblichen Bedingungen an. Die vertragsärztliche Tätigkeit müsse fallzahlmäßig bzw. zeitvolumenbezogen einer durchschnittlichen
Praxis mit vollem Versorgungsauftrag entsprechen. Auch bei der Beurteilung der Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit
im Sinne der §§ 26, 27 Ärzte-ZV und bei der Beurteilung des Umfangs der Tätigkeit im Sinne des §
95 Abs.
9b SGB V komme es auf die Fallzahlen an. Der Kläger habe im Zeitraum 4/2012 bis 3/2015 auch bei Berücksichtigung der Fallzahlen der
hausarztzentrierten Versorgung 50 % der Fallzahlen des Fachgruppendurchschnitts nicht erreicht. Zudem machten die Quartalszahlen
des Klägers mit durchschnittlich 17,17 Stunden pro Woche deutlich, dass er nicht im Umfang eines vollen Versorgungsauftrags
an der Versorgung teilgenommen habe. Die Erfüllung der Sprechstundenzeiten durch den Kläger sei nicht unstreitig. Auf subjektive
Gründe für die Nichteinhaltung des Versorgungsauftrags komme es nicht an. Er, so der Beklagte weiter begründend, habe seine
Entscheidung auf Versorgungsgründe sowie den nicht bestehenden Eigentumsschutz im Umfang einer vollen Praxis gestützt. Es
habe auch eine Versorgungsbedarfsprüfung stattgefunden. Er habe sich im angefochtenen Bescheid der Stellungnahme der Beigeladenen
zu 1) angeschlossen. In dieser seien die Versorgungssituation und die Versorgungsleistung des Klägers, die auch maßgebend
sei, thematisiert worden. Hiernach habe ein Versorgungsbedarf nur hinsichtlich eines hälftigen Versorgungsauftrags bestanden.
Er, der Beklagte, habe durch die Ablehnung des Antrags, den Vertragsarztsitz voll auszuschreiben, von seinem Gestaltungselement
Gebrauch gemacht, um eine flächendeckende Versorgung mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen sicherzustellen und eine bedarfsgerechte
Verteilung zu fördern. Eigentumsschutz bestünde vorliegend nur im Umfang einer hälftigen Praxis. Ein Interesse an der Verwertung
lediglich der Zulassung sei nicht geschützt. Der Versorgungsauftrag und damit auch die Zulassung seien teilbar. Dies folge
aus zahlreichen Vorschriften, wie § 19a Ärzte-ZV, §
95 Abs.
5 Satz 2
SGB V i.V.m. § 26 Abs. 1 Ärzte-ZV und § 95 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. § 27 Ärzte-ZV. Entsprechendes folge aus §
103 Abs.
3a Satz 3
SGB V für das Nachbesetzungsverfahren. Aus der Entscheidung des BSG vom 27.06.2018 (B 6 KA 46/17 R) ergebe sich nichts anderes. Eine Entschädigung sei dem Kläger nicht zu leisten, weil sich der Verkehrswert der Arztpraxis
auf den einer hälftigen Praxis beschränke. In diesem Umfang sei die Praxis nachbesetzt worden. Darüber hinaus sei die Zulassung
durch die Verzichtserklärung des Klägers beendet worden. In diesem Falle sei die Zahlung einer Entschädigung nicht vorgesehen.
Der Verzicht sei unabdingbar notwendig gewesen, weil der Kläger sich andernorts habe niederlassen wollen. Zudem habe sich
aufgrund des Verzichts die Frage der Entziehung der Zulassung nicht mehr stellen können.
Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert und keine Anträge gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, die Akten
des Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.11.2019 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet in der Besetzung mit ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Krankenkassen und der Vertragsärzte,
da es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§
12 Abs.
3 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG)).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§
151 Abs.
2 SGG). Sie bedurfte nicht der Zulassung, weil die Klage keine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten
Verwaltungsakt betrifft (§
144 Abs.
1 Satz 1
SGG).
Die Berufung des Klägers ist auch im Hilfsantrag begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen. Die Entscheidung des Beklagten mit Beschluss vom 19.08.2015, die Durchführung
eines Nachbesetzungsverfahrens im Umfang eines halben Versorgungsauftrags abzulehnen, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger
in seinen Rechten. Er hat Anspruch auf erneute Entscheidung des Beklagten unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des
Gerichts. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
1. Das Begehren des Klägers, den Beklagten zu verpflichten, ein Nachbesetzungsverfahren für einen weiteren halben Versorgungsauftrag
durchzuführen, ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig. Der Beklagte ist passivlegitimiert. §
103 Abs.
3a SGB V bestimmt, dass allein der ZA über die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens entscheidet. Seine Entscheidung ist nach
§
103 Abs.
3a Satz 5 und 6
SGB V (in der Fassung des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes vom 22.11.2011, BGBl. I 2983, gültig ab 01.01.2013; jetzt §103 Abs. 3a
Satz 10 und 11
SGB V) nicht mit einem Widerspruch, sondern unmittelbar mit der Klage anfechtbar. Dies gilt auch in Fällen, wie dem vorliegenden,
in dem der Beklagte die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens wegen des Fehlens einer fortführungsfähigen Praxis abgelehnt
hat (BSG, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, juris, Rn. 20). Der Durchführung eines Vorverfahrens im Sinne des §
78 Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
97 Abs.
3 Satz 2
SGB V bedurfte es mithin nicht. Die Klagefrist des §
87 SGG ist eingehalten.
Das Begehren des Klägers hat sich nicht erledigt. Das Regelungsobjekt "Praxis" ist nicht entfallen, weil der Kläger mittlerweile
infolge der bereits stattgefundenen Ausschreibung und Nachbesetzung der ersten Hälfte seines Versorgungsauftrags die Praxis
im Ganzen veräußert hat. Zwar besteht kein Anspruch auf Verwertung lediglich der (hälftigen) Zulassung (BSG, Urteil vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R -, und Urteil vom 23.03.2016 - B 6 KA 9/15 R -, beide in juris). Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes ist jedoch bei der Beurteilung, ob die Fortführung einer Praxis
noch möglich ist, grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Beantragung der Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens abzustellen,
so dass Veränderungen während des Verwaltungs- und des sich anschließenden Gerichtsverfahrens nicht zu Lasten des ausscheidenden
Vertragsarztes gehen (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - ; BSG, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -; beide in juris). Abgesehen davon, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Senat erklärt, dass er weiterhin
bereit und in der Lage ist, die Praxis in H. zu veräußern.
2. Die Klage gegen die Entscheidung des ZA ist auch begründet. Sie ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Der Kläger hat Anspruch auf eine erneute Entscheidung des Beklagten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
a) Nach §
103 Abs.
3a Satz 1
SGB V in der seit 01.01.2013 geltenden Fassung des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes vom 22.11.2011 (BGBl. I 2983), entscheidet der
ZA auf Antrag des Vertragsarztes (oder seiner zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben), ob ein Nachbesetzungsverfahren
nach §
103 Abs.
4 SGB V für den Vertragsarztsitz durchgeführt werden soll, wenn die Zulassung eines Vertragsarztes in einem Planungsbereich, für
den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, durch Tod, Verzicht oder Entziehung endet und die Praxis von einem Nachfolger
weitergeführt werden soll. Dies gilt auch bei hälftigem Verzicht oder bei hälftiger Entziehung (§
103 Abs.
3a Satz 2
SGB V). Der ZA entscheidet, ob überhaupt ein Nachbesetzungsverfahren für den Vertragsarztsitz durchgeführt werden soll. Die KV
hat nach einer positiven Entscheidung des ZA diesen Vertragsarztsitz unverzüglich auszuschreiben und eine Liste der eingehenden
Bewerbungen zu erstellen (§
103 Abs.
4 Satz 1
SGB V). Der ZA "kann" den Antrag ablehnen, wenn eine Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen nicht erforderlich
ist; dies gilt nicht, sofern die Praxis von einem Nachfolger weitergeführt werden soll, der dem in §
103 Abs.
4 Satz 5 Nr.
4,
5 und
6 SGB V bezeichneten Personenkreis angehört (§
103 Abs.
3a Satz 3
SGB V). In der seit dem 23.07.2015 geltenden Fassung des §
103 Abs.
3a Satz 3
SGB V kann der ZA auch dann den Antrag nicht ablehnen, wenn der Nachfolger sich verpflichtet, die Praxis in ein anderes Gebiet
des Planungsbereichs zu verlegen, in dem nach Mitteilung der KV aufgrund einer zu geringen Ärztedichte ein Versorgungsbedarf
besteht. Außerdem gilt seither nach §
103 Abs.
3a Satz 7
SGB V einschränkend: Hat der Landesausschuss eine Feststellung nach §
103 Abs.
1 Satz 3
SGB V getroffen, "soll" der ZA den Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens ablehnen, wenn eine Nachbesetzung des
Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist. Hat der ZA den Antrag abgelehnt, hat die KV dem Vertragsarzt
oder seinen zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben eine Entschädigung in der Höhe des Verkehrswertes der Arztpraxis
zu zahlen (§
103 Abs.
3a Satz 8
SGB V; jetzt §
103 Abs.
3a Satz 13
SGB V).
b) Um das Verfahren in Gang zu setzen, bedarf es eines Antrags des Vertragsarztes (oder der Erben). Ein solcher liegt hier
vor. Denn der Kläger beantragte am 15.04.2015 beim Beklagten die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens für seinen Versorgungsauftrag
in vollem Umfang.
c) Der Kläger war - unstreitig - in einem Planungsbereich (hier "Mittelbereich H.") zugelassen, für den Zulassungsbeschränkungen
angeordnet waren. Bei einem Versorgungsgrad von 115,3% hatte der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkasse eine Zulassungssperre
erlassen.
d) Der Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens für die zweite Hälfte des Vertragsarztsitzes steht nicht entgegen, dass
der Kläger mit Wirkung zum 30.09.2015 auf seine Zulassung (insgesamt) verzichtet hat. Im Gegenteil. Der Verzicht auf die Zulassung
ist gerade Tatbestandsvoraussetzung des §
103 Abs.
3a Satz 1
SGB V, wenn - wie hier - keine Beendigung der Zulassung durch Tod oder Entziehung gegeben ist. Etwas anders gilt nur dann, wenn
der Verzicht auf die Zulassung dazu führt, dass kein Versorgungsauftrag verbleibt, der nachbesetzt werden könnte. Dies ist
der Fall, wenn ein Vertragsarzt auf seine Zulassung verzichtet, um fortan als Angestellter im MVZ tätig zu werden. Der bisher
dem Vertragsarzt mit der Zulassung übertragene Versorgungsauftrag wird dann durch das MVZ erfüllt. Eine Fortführung der Praxis
nach §
103 Abs.
4 SGB V ist in diesem - hier nicht gegebenen Fall - nicht möglich (so ausdrücklich §
103 Abs.
4a Satz 1 Halbsatz 2
SGB V). Gleiches gilt für die hier ebenfalls nicht einschlägige Konstellation, dass ein Vertragsarzt auf seine Zulassung verzichtet,
um bei einem Vertragsarzt als angestellter Arzt tätig zu werden (§
103 Abs.
4b Satz 1 Halbsatz 2
SGB V).
e) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist auch die Voraussetzung einer beabsichtigen "Weiterführung" der Praxis durch einen
Nachfolger gegeben. Im hierfür maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Beantragung der Nachbesetzung (BSG, Urteil vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - und Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, beide in juris), am 15.04.2015, bestand eine fortführungsfähige Praxis.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BSG kann die Ausschreibung und Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in einer Einzelpraxis nur so lange erfolgen, wie das Praxissubstrat
noch vorhanden ist (BSG, Urteil vom 29.09.1999 - B 6 KA 1/99 R -, Urteil vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R -, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, alle in juris).
Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut. Eine "Praxisfortführung" ist nur möglich, solange eine Praxis existiert.
Bestätigt wird das Erfordernis der Existenz einer fortführungsfähigen Praxis für das Nachbesetzungsverfahren durch Sinn und
Zweck der Regelungen in §
103 Abs.
3a und
4 SGB V. In - wie vorliegend - gesperrten Planungsbereichen ist die Nachbesetzung von Vertragsarztsitzen im Grundsatz unerwünscht
(BSG, Urteil vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R -, und Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, beide in juris). Unter den Voraussetzungen der in §
103 Abs.
3a und
4 SGB V getroffenen Regelungen lässt es der Gesetzgeber gleichwohl zu, dass ein bestehender - für die Versorgung nicht erforderlicher
- Vertragsarztsitz nachbesetzt werden kann. Dem Praxisinhaber (bzw. seiner Erben) wird so die wirtschaftliche Verwertung der
Praxis auch in einem für Neuzulassungen gesperrten Gebiet ermöglicht. Damit trägt er dem Eigentumsschutz des Praxisinhabers
Rechnung und berücksichtigt seine finanziellen Interessen (BSG, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, in juris, m.w.N.; BSG, Urteil vom 29.09.1999 - B 6 KA 1/99 R -; in juris). Die privatrechtliche Übertragung der Arztpraxis als eigentumsrechtlich geschützter Vermögensgegenstand wäre
kaum möglich, wenn der Erwerber den mit ihr verbundenen - nicht übertragbaren - Vertragsarztsitz nicht erhält. Wo aber keine
Praxis mehr existiert, rechtfertigt auch der Eigentumsschutz keine Nachbesetzung des ihr zugeordneten Vertragsarztsitzes mehr.
Diese würde ansonsten lediglich der Kommerzialisierung des Vertragsarztsitzes dienen, die vom Gesetzgeber nicht gewollt ist
(BSG, Urteil vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - und Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, beide in juris).
Voraussetzung für die Annahme einer fortführungsfähigen Praxis sind nach der Rechtsprechung des BSG der (Mit-)Besitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit
unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen
Praxisinfrastruktur. Wenn es an all dem fehlt, existiert keine Praxis mehr, die fortgeführt werden könnte (BSG, Urteil vom 29.09.1999 - B 6 KA 1/99 R -, Urteil vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R -, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, alle in juris).
bb) Unter Anwendung dieser Entscheidungskriterien lag vorliegend bei Beantragung der Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens
eine fortführungsfähige Praxis vor.
Der Kläger war am Praxissitz in H., B., vertragsärztlich tätig. Er hat dort eine Praxis betrieben. Er war im Besitz von voll
ausgestatteten Praxisräumen, hatte Sprechzeiten angekündigt, über einen Patientenstamm verfügt und Patienten auch tatsächlich
behandelt. Ein Nachfolger hätte jederzeit seine Tätigkeit aufnehmen können. Für Patienten war erkennbar, dass am Praxisstandort
eine Versorgung stattfindet. All dies stellt auch der Beklagte nicht in Frage. Dass der Kläger in den Quartalen 1/2014 bis
3/2015 auch bei Berücksichtigung der Fallzahlen der hausarztzentrierten Versorgung nur rund 50 % der Fallzahlen des Fachgruppendurchschnitts
erreichte, lässt nicht den Schluss zu, der Kläger habe keine fortführungsfähige Praxis mehr betrieben. Ausreichend ist ein
Praxis"substrat", d.h. eine vertragsärztliche Tätigkeit in "nennenswertem" Umfang (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, Urteil vom 23.03.2016 - B 6 KA 9/15 R -, Urteil vom 19.10.2011 - B 6 KA 23/11 R -, Urteil vom 29.09.1999 - B 6 KA 1/99 R -; alle in juris). Bei dem Tatbestandsmerkmal der fortführungsfähigen Praxis kommt es allein auf die tatsächliche Existenz
einer Praxis als Wirtschaftsgut an (Urteil des Senats vom 15.10.2014 - L 5 KA 2008/12 -; vgl. auch Urteil des Senats vom 08.05.2002 - L 5 KA 382/02 -, beide in juris). Dies war vorliegend unzweifelhaft der Fall.
Entgegen der Auffassung des Beklagten lässt sich aus den Fallzahlen auch nicht ableiten, dass nur eine "halbe" fortführungsfähige
Praxis vorlag. Das Tatbestandsmerkmal der fortführungsfähigen Praxis ist, anders als die Zulassung bzw. der Versorgungsauftrag,
nicht teilbar. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang auf den Versorgungsauftrag des Klägers abstellt, vermengt er die
eigentumsrechtlich geschützte Arztpraxis mit der öffentlich-rechtlichen Zulassung. Bei der Fortführung einer Arztpraxis durch
einen Nachfolger greift zwar beides ineinander; dies hat indes nicht zur Folge, dass zwischen Praxis und vertragsärztlicher
Zulassung nicht mehr zu unterscheiden wäre (BSG, Urteil vom 29.09.1999 - B 6 KA 1/99 R -; in juris). Gegenstand der Ausschreibung und Nachbesetzung nach §
103 Abs.
3a und
4 SGB V ist der Versorgungsauftrag; die Existenz einer Praxis ist dagegen Tatbestandsvoraussetzung.
Aus §
103 Abs.
3a Satz 2
SGB V, wonach §
103 Abs.
3a Satz 1
SGB V auch bei hälftigem Verzicht oder bei hälftiger Entziehung gilt, folgt nichts Anderes. Diese Regelung zeigt lediglich auf,
dass die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens auch nur im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrags möglich ist. Sie
setzt aber einen entsprechend hälftigen Verzicht bzw. eine hälftige Entziehung voraus. Beides ist hier nicht der Fall. Der
Kläger hat vielmehr in vollem Umfang auf seine Zulassung verzichtet. Dies unterscheidet den vorliegenden Fall auch von dem
Tatbestand, der dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13.06.2018 (S 83 KA 997/16; bestätigt durch das BSG, Urteil vom 30.10.2019 - B 6 KA 14/18 R, Terminbericht Nr. 50/19) zugrunde lag. Dort ging es um die Nachbesetzung infolge einer (bestandskräftigen) hälftigen Zulassungsentziehung
wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit.
Vorliegend war der Kläger im Zeitpunkt der Beantragung im Besitz einer bestandskräftigen Zulassung mit vollem Versorgungsauftrag.
Diesen hat er mit seinem Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens im vollen Umfang zum Gegenstand des Verfahrens
gemacht. Von dem bestehenden Status des Klägers durfte der ZA im Rahmen des Verfahrens nach §
103 Abs.
3a SGB V nicht abweichen. Er ist an die bestandskräftige Zulassungsentscheidung gebunden. Die Zulassung nach §
95 Abs.
1 Satz 1
SGB V ist die rechtliche Grundlage für eine Teilnahme des Arztes an der vertragsärztlichen Versorgung. Gemäß §
95 Abs.
3 Satz 1 Halbsatz 2
SGB V bewirkt sie, dass der Vertragsarzt "zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt und verpflichtet ist".
Sie begründet damit den rechtlichen Status des Vertragsarztes (stRspr, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28.09.2016 - B 6 KA 1/16 R -; BSG, Urteil vom 25.11.1998 - B 6 KA 4/98 R -; beide in juris). Mit der Zulassung ist der Versorgungsauftrag verbunden. Der Versorgungsauftrag bestimmt den Umfang der
Teilnahmeverpflichtung und -berechtigung: Nach §
95 Abs.
3 Satz 1 Halbsatz 2
SGB V wird der Vertragsarzt "im Umfang seines aus der Zulassung folgenden zeitlich vollen oder hälftigen Versorgungsauftrags" berechtigt
und verpflichtet. Zulassung und Versorgungsauftrag sind untrennbar miteinander verbunden (BSG, Urteil vom 28.09.2016 - B 6 KA 32/15 R -, in juris). Als Statusentscheidung ist die Zulassung nicht rückwirkend korrigierbar (stRspr, z.B. BSG, Urteil vom 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R -, in juris). Der zulassungsrechtliche Status kann überdies nur in dem dafür vorgesehenen Verfahren (Zulassungsentziehung
wegen Nichtausübung nach §
95 Abs.
6 Satz 1
SGB V) entzogen werden, nicht aber in einem anderen Verfahren in Frage gestellt werden (zum Fall einer Berufsausübungsgemeinschaft
BSG, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, in juris).
f) Ob der Antrag des Klägers auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens aus Versorgungsgründen gemäß §
103 Abs.
3a Satz 3
SGB V abgelehnt werden kann, hat der Beklagte nicht in vollem Umfang geprüft. Hinsichtlich eines hälftigen Versorgungsauftrags
hat er dies verneint. Im Übrigen hat er - nach seinen eigenen Angaben in der Klageerwiderung vom 29.06.2016 - keine Prüfung
vorgenommen. Aus dem Beschluss vom 18.09.2015 ergibt sich auch nicht, dass der Beklagte bezogen auf den hier streitigen hälftigen
Versorgungsauftrag eine solche Prüfung vorgenommen hat. Diese Prüfung wird er nachzuholen haben.
Aber selbst wenn darin, dass sich der Beklagte in der angefochtenen Entscheidung "nach eingehender Prüfung" der Stellungnahme
der Beigeladenen zu 1) angeschlossen hat, eine eigene Prüfung, ob die Nachbesetzung auch der zweiten Hälfte des Versorgungsauftrags
aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist, zu sehen wäre, hielte sie jedenfalls einer gerichtlichen Überprüfung nicht
stand.
aa) Die Prüfung, ob die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens aus Versorgungsgründen abgelehnt werden kann, erfordert
die negative Feststellung der fehlenden Erforderlichkeit des Vertragsarztsitzes für die vertragsärztliche Versorgung (BSG, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, in juris). Zum Nachweis einer negativen Tatsache bedarf es stets der Überprüfung der für das Vorliegen der entsprechenden
positiven Tatsache sprechenden Umstände (BSG, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, in juris). Der ZA hat bei dieser Prüfung einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum (BSG, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, in juris).
Die Prüfung der Erforderlichkeit stellt auf bedarfsplanerische Gesichtspunkte ab. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass
in gesperrten Planungsbereichen eine Nachbesetzung nicht erforderlich ist. Würde allerdings der Wegfall des Vertragsarztsitzes
zu einer Sonderbedarfszulassung führen, so stehen der Ablehnung einer Nachbesetzung Versorgungsgründe entgegen (Pawlita, juris-PK
SGB V, 3. Aufl. 2016, §
103 Rn. 60). Neben Besonderheiten wie die Versorgung von Menschen mit Behinderung oder die räumliche Nähe zu Pflegeheimen oder
überregional in Anspruch genommene Diagnostik und Therapie (vgl. BT-Drucks 18/4095 S 113) können u.U. auch Spezialisierungen
einer Praxis, ihre verkehrsgünstige Lage oder eine effektive Kooperation mit anderen Praxen zum Nutzen der Patienten berücksichtigungsfähig
sein (BSG, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, in juris, Rn. 36, m.w.N.). Außerdem sind der Versorgungsgrad innerhalb des Planungsbereichs zu ermitteln und etwaige Unterschiede
bezüglich der Arztgruppe (Fachgebiete und/oder Schwerpunkte) zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, in juris, Rn. 38). Dabei ist auch der Gesichtspunkt der gleichmäßigen Verteilung der Praxen im Planungsbereich berücksichtigungsfähig
(BSG, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, in juris, Rn. 38). Die Fallzahlen der Praxis können zur Beurteilung der Versorgungsrelevanz herangezogen werden. Durchschnittliche
Fallzahlen sprechen für die Versorgungsrelevanz der Praxis (BSG, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 46/17 R -, in juris, Rn. 39).
bb) Unter Anlegung dieser Maßstäbe und Beachtung der nur eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfbarkeit kann die Entscheidung
des Beklagten keinen Bestand haben. Es fehlen die erforderlichen Feststellungen zum Versorgungsbedarf und damit die Grundlage
für die sachgerechte Ausfüllung des Beurteilungsspielraums.
Es genügt insbesondere nicht, einen Versorgungsbedarf nur anhand der Fallzahlen des Klägers festzumachen. Zwar können sich
aus diesen Hinweise ergeben, dass die Praxis für die Versorgung der gesetzlich Versicherten nur in begrenztem Umfang von Bedeutung
ist. Geringe Fallzahlen allein bilden aber nicht den bestehenden Bedarf ab, weil die Gründe für eine unterdurchschnittliche
Praxis unterschiedlich sein können. Sie können etwa in einer Spezialisierung liegen oder in subjektiven Einschränkungen -
Krankheit oder Betreuung/Pflege von Angehörigen - begründet sein. Auch der Umstand, dass es sich - wie beim Kläger - um eine
Anfängerpraxis gehandelt hat, kann Ursache für geringe Fallzahlen sein. Es ist deshalb immer auch die Versorgungssituation
außerhalb der Praxis in den Blick zu nehmen. Dabei genügt es nicht - wie vorliegend -, nur die Fallzahlen der Fachkollegen
"im Umkreis" der Praxis zu erheben. Es ist vielmehr auf den gesamten Planungsbereich "Mittelbereich H." abzustellen. Neben
den konkreten Fallzahlen, die - anders als vorliegend ("unter 600", "zwischen 600 und 900" und "über 900") - zum Fachgruppendurchschnitt
in Bezug zu setzen sind, ist zudem zu ermitteln, ob die Arztpraxen mit weit überdurchschnittlichen Fallzahlen Wartezeiten
aufweisen. Dieser Umstand könnte einen Hinweis darauf liefern, dass ein Versorgungsbedarf (auch) hinsichtlich der zweiten
Hälfte des Versorgungsauftrags des Klägers besteht. Zumal nach den Feststellungen der Beigeladenen zu 1) die Fallzahlen der
Fachkollegen (im Umkreis) gerade deutlich machen, dass diese "weitestgehend" nicht über Kapazitäten zur Mehraufnahme von Patienten
verfügen. Die von der Beigeladenen zu 1) ermittelte Altersstruktur der Ärzte (drei über 65 Jahre, zwei zwischen 60 und 65
Jahren und drei zwischen 50 und 59 Jahren) hat die Beigeladene zu 1) in ihrer Stellungnahme berücksichtigt; es ergibt sich
aber nicht, wie diese in die Analyse der Versorgungssituation bezogen auf die Praxis im Ganzen mit eingeflossen ist.
g) Jedenfalls fehlt es aber an einer Ermessensausübung des Beklagten. Nach §
103 Abs.
3a Satz 3
SGB V "kann" die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens abgelehnt werden, wenn eine Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes aus
Versorgungsgründen nicht erforderlich ist. Dem angefochtenen Bescheid vom 19.08.2015 sind keinerlei Ermessenerwägungen zu
entnehmen. Gründe für eine Ermessenreduzierung auf Null oder eine Einschränkung des Ermessens nach §
103 Abs.
3a Satz 7
SGB V ("soll" statt "kann") sind nicht ersichtlich. Deshalb konnte der Hauptantrag des Klägers keinen Erfolg haben.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs.
2 Verwaltungsgerichtsordnung. Von der Bildung einer Kostenquote hat der Senat abgesehen. Eine Erstattung der Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst,
weil sie keine Anträge gestellt haben.
4. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz. Mangels konkreter Anhaltspunkte für den wirtschaftlichen Wert des klägerischen Begehrens ist der Auffangstreitwert 5.000,00
EUR (§ 52 Abs. 2 GKG) anzunehmen. Es handelt sich vorliegend nicht um eine zulassungsähnliche Streitigkeit (anders im vom BSG entschiedenen Urteil vom 28.11.2007 - B 6 KA 26/07 R -; in juris). Der vom SG festgesetzte Streitwert war insoweit abzuändern (§ 63 Abs. 3 GKG).
5. Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.