Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Zuschuss zu den Versicherungsbeiträgen für eine private Kranken- und Pflegeversicherung;
fehlender Anordnungsgrund im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
Gründe:
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welcher Höhe die Beschwerdegegnerin (Bg.) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens
die Kosten des Beschwerdeführers (Bf.) für die private Kranken- und Pflegeversicherung zu tragen hat.
Der 1949 geborene Kläger war zuletzt selbständig mit einer Finanz- und Versicherungsagentur tätig. Nach einem Aufenthalt im
Ausland beantragte er am 18.03.2009 erstmalig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites
Buch (SGB II). Zuletzt bewilligte ihm die Bg. mit Bescheid vom 12.10.2009 für den Zeitraum vom 01.10.2009 bis zum 31.03.2010
Leistungen in Höhe von insgesamt 1099,88 EUR monatlich. Darin enthalten ist ein Zuschuss zur privaten Krankenversicherung
in Höhe von 129,54 EUR und zur privaten Pflegeversicherung in Höhe von 59,13 EUR monatlich. Der Bf. hat im Moment monatliche
Aufwendungen für seine private Krankenversicherung in Höhe von 184,09 EUR zuzüglich eines Selbstbehalts von 1170 EUR jährlich
und für die private Pflegeversicherung in Höhe von 59,13 EUR.
Hiergegen hat der Bf. Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.
Am 04.11.2009 stellte er beim Sozialgericht München (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz und beantragte die vorläufige Gewährung eines monatlichen Zuschusses zur Kranken-
und Pflegeversicherung in Höhe von 314,38 EUR unter Anrechnung bereits gewährter Leistungen sowie den jährlichen Selbstbehalt
von 300 EUR. Zur Begründung führte sein Prozessbevollmächtigter aus, dass der Basistarif der privaten Kranken- und Pflegeversicherung
des Bf. dem M., monatlich 569,63 EUR für die Krankenversicherung und 25,10 EUR (muss 59,13 EUR heißen) für die Pflegeversicherung
betrage und fügte diesbezüglich eine Bescheinigung des M.s vom 11.11.2009 bei, aus der sich die Beiträge ergeben. Nach dem
Wortlaut des § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II bzw. § 28 Abs. 3 Satz 1 SGB II gelte § 12 Abs. 1c Satz 5 und Satz 6 Versicherungsaufsichtsgesetz
(VAG). Folge man dieser Vorschrift sei die Bg. zwar lediglich verpflichtet, den Betrag, der auch für Bezieher von Leistungen
nach dem SGB II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen sei, zu zahlen, jedoch sei der Bf. nicht in der Lage die
Differenz aus der bewilligten Regelleistung zu begleichen. Ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache sei nicht zumutbar,
da er Gefahr laufe von der ärztlichen Behandlung ausgeschlossen zu werden, wenn er die Behandlungskosten nicht bezahlen könne.
Die Bg. wandte ein, dass dem Bf. statt des derzeit gültigen Betrags von 124,32 EUR irrtümlich der bis 30.06.2009 gültige Betrag
in Höhe von 129,54 EUR bewilligt worden sei. Aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung sei eine darüber hinausgehende
Übernahme von Beiträgen nicht möglich.
Das SG wies mit Beschluss vom 29.12.2009 den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab. Der Wortlaut des § 12 Abs. 1
c SATZ 6 VAG sei eindeutig und lasse eine abweichende Auslegung nicht zu. Das Sozialgericht sei kein "Ersatz-Gesetzgeber",
eine analoge Anwendung von § 16 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II sei nicht möglich, da sich diese Vorschrift auf freiwillig in der
gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Personen beziehe. Auch lasse sich die volle Beitragsübernahme nicht im Wege der
richterlichen Rechtsfortbildung verwirklichen, denn die würde voraussetzen, dass das Gesetz insoweit lückenhaft, also angesichts
der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers "planwidrig" unvollständig sei, so dass die Gerichte lediglich nur das vom
Gesetzgeber versehentlich weggelassene Regelungsstück einfügen müssten. Eine derartige planwidrige Lücke weise das Regelungsgefüge
des § 26 SGB II iV mit § 12 VAG nicht auf. Es gebe vielmehr deutliche Anhaltspunkte, dass die Möglichkeit einer Deckungslücke
bewusst in Kauf genommen worden sei. Das Ziel des Gesetzgebers habe offenbar darin bestanden, die mit dem Gesetz einhergehenden
finanziellen Belastungen der privaten Versicherungsunternehmen in Grenzen zu halten. Ob in Fällen dieser Art im Hinblick auf
das verfassungsrechtlich verankerte Sozialstaatsgebot (Art
20 Abs.
1 Grundgesetz -
GG -) eine verfassungskonforme Auslegung geboten sei, bedürfe im Rahmen des vorliegenden Antragsverfahrens keiner abschließenden
Entscheidung, da ein Anordnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden sei. Der Bf. müsse aktuell unter Berücksichtigung
des Selbstbehalts für seine private Krankenversicherung einen monatlichen Differenzbetrag in Höhe von 152,05 EUR (184,09 EUR
+ (1170 EUR: 12 =) 97,50 EUR./. 129,54 EUR) aus der Regelleistung bestreiten. Würde er in den Basistarif gemäß § 12 Abs. 1b VAG wechseln, wozu er gemäß § 193 Abs. 5 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) berechtigt wäre, würde er gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 und Satz 6 VAG einen Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 284,28 EUR schulden, so dass die Beitragslücke 155,28
EUR betrüge, unabhängig von der Zulässigkeit der zusätzlich geforderten Selbstbeteiligung. Ein Anordnungsgrund bestehe aber
dennoch nicht, da der Staat seinen Schutzauftrag aus Art
1 und Art
20 GG ausreichend dadurch erfüllt habe, dass er den privaten Versicherungsunternehmen in § 193 VVG die Pflicht auferlegt habe, hilfebedürftigen Versicherten auch dann den vollen Versicherungsschutz zu gewähren, wenn sie
die Beiträge nur in Form des nach § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II gewährten Zuschusses entrichten. Wechseln Versicherte in
den Basistarif seien die kassenärztlichen Vereinigungen und die kassenärztliche Bundesvereinigung nach §
75 Abs.
3a Satz1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (
SGB V) zur Sicherung der Behandlung verpflichtet; im Gegenzug erlangen die Leistungserbringer nach § 197 VVG einen Vergütungsanspruch, den sie direkt gegen das Versicherungsunternehmen geltend machen können. Der im Basistarif Versicherte
sei damit nicht zwingend auf das Kostenerstattungsverfahren angewiesen. Somit sei eine unzulässige Aufrechnung offener Beitragsansprüche
mit Erstattungsansprüchen nicht zu befürchten. Im Übrigen wäre eine solche Aufrechnung auch im Normaltarif eine unzulässige
Umgehung der Schutzregelung des § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG. Aus der Sicht des Gerichts sei § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG so zu lesen, dass ein privates Versicherungsunternehmen die Leistungen für versicherte Hilfebedürftige nach dem SGB II auch
bei Beitragsrückständen nicht ruhen lassen dürfe. Doch auch im Falle des Ruhens des Versicherungsvertrages würde der Bf. die
erforderlichen Behandlungen erhalten, was ein Blick auf die Rechtsprechung zu §
4 Asylbewerberleistungsgesetz zeige. Es sei nicht ersichtlich, dass dem Bf. aus einer vorübergehenden Einschränkung des Versicherungsschutzes auf das Notwendige
unzumutbare Nachteile drohten. Schließlich könnte er auch durch Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung den Differenzbetrag
bestreiten.
Dagegen hat der Prozessbevollmächtigte des Bf. mit Schriftsatz vom 12.01.2010, eingegangen am Bayer. Landessozialgericht Beschwerde
eingelegt, seine Antrag aus dem Verfahren der ersten Instanz wiederholt und hilfsweise einen höheren Zuschuss beantragt. Zusätzlich
hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Zur Begründung hat er sich auf Ausführungen zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes
beschränkt. Er hat geltend gemacht, dass nach den Ausführungen des SG ein Wechsel des Bf. in den Basistarif nötig wäre. In diesem Zusammenhang sei von erheblicher Bedeutung, dass bei einer Versicherung
im Basistarif gemäß § 193 Abs. 7 VVG seitens des privaten Versicherungsunternehmens verlangt werden könne, dass Zusatzversicherungen zum Basistarif ruhend bzw.
beitragsfrei gestellt werden. Werde später die Hilfebedürftigkeit überwunden, hätten die während des Bezugs von Arbeitslosengeld
II aufgelaufenen Beitragsrückstände eine Begrenzung des Versicherungsschutzes auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände
zur Folge. Selbst bei Abschluss einer Basis- Pflichtversicherung sei für den Fall der Not eine Finanzierung des Beitrags nicht
sichergestellt. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 12.05.2005 (NvwZ 2005, 927, 928) darauf hingewiesen,
dass eine Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden könne, falls die später in der Hauptsache erstrittenen
Leistungen rückwirkend gewährt würden. Ergänzend hat der Prozessbevollmächtigte auf den Beschluss des Landessozialgerichts
Baden-Württemberg vom 16.09.2009, Az. L 3 AS 3934/09 ER B verwiesen. Dieses sei in seiner Entscheidung von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen, die durch Übertragung
des Tatbestandes im Satz 6 des § 12 Abs. 1 c VAG zu schließen sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen
und der Verwaltungsakte der Bg. Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
Die Voraussetzungen des §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG sind nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig
erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d.h.
des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h.
die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können
ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen,
die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch,
sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf
der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss
vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05).
Ob ein Anordnungsanspruch besteht, kann hier dahinstehen, da es jedenfalls an der hinreichenden Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes
fehlt. Der Bf. erhält von der Bg. gemäß § 26 Abs. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II iVm § 12 Abs. 1c Satz 5 und Satz 6 VAG einen
Zuschuss in Höhe von 129,54 EUR zu seinen monatlichen Beiträgen zur privaten Krankenversicherung von aktuell 184,09 EUR. Der
Beitrag zur privaten Pflegeversicherung in Höhe von 59,13 EUR wird durch den Zuschuss in gleicher Höhe voll gedeckt. Es bleibt
daher eine Deckungslücke in Höhe von monatlich 54,55 EUR.
Unabhängig davon, ob der Bf. seine Beiträge nur bis zur Höhe des von der Bg. als Zuschuss zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung
gewährten Betrages zahlt, besteht ein Krankenversicherungsschutz. Nach § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG endet das Ruhen der Leistungen, wenn der Versicherungsnehmer hilfebedürftig im Sinne des SGB II oder des Sozialgesetzbuch,
Zwölftes Buch (SGB XII) wird. Dies ist nach Auffassung des Senats nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht auf Versicherte beschränkt,
die im Basistarif versichert sind, wie das SG in seinem Beschluss zutreffend ausgeführt hat. Doch selbst bei einem Ruhen der Leistungen ist gemäß § 193 Abs. 6 Satz 6 VVG die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände gewährleistet (vgl. zum Ganzen auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 12.10.2009, Az. L 7 B 196/09 AS ER).
Zu keinem anderen Ergebnis führt die vom Bf. bei diesem Tarif zu tragenden Selbstbeteiligung in Höhe von 1170 EUR jährlich.
Entgegen der Argumentation des Bf. und den Ausführungen des SG ist diese Selbstbeteiligung nicht auf die monatliche Beitragshöhe umzulegen. Eine Selbstbeteiligung stellt grundsätzlich
keinen aktuellen Bedarf dar, der im Wege eines Eilverfahrens zugesprochen werden könnte. Dies würde bedeuten, dass Leistungen
auf Vorrat zugesprochen werden, die bei fehlender ärztlicher Behandlung gar nicht anfallen. Ein aktueller Bedarf könnte lediglich
dann angenommen werden, wenn eine behandlungsbedürftige Erkrankung des Bf. vorliegt. Dies wurde vom Bf. jedoch nicht vorgetragen.
Für den Fall, dass es zu einem Selbstbehalt kommt, besteht für den Bf. die Möglichkeit bei der Bg. ein Darlehen gemäß § 23
Abs. 1 SGB II für diesen unabweisbaren Bedarf zu beantragen.
Bei dieser Sach- und Rechtslage kann es im Rahmen des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz dahinstehen, ob - wie es das
LSG Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 16.09.2009, Az. L 3 AS 3934/09 ER B angenommen hat - eine planwidrige Regelungslücke besteht. Es bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten zu klären, ob
trotz der Regelung des § 26 SGB II im Hinblick auf die beim Bf. auftretende Beitragslücke eine Übernahme des Differenzbetrages
möglich ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß §
73a SGG in Verbindung mit §
114 Zivilprozessordnung (
ZPO) und Anwaltsbeiordnung liegen vor.
Nach §
73 a Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in Verbindung mit §§
114,
115 Zivilprozessordnung erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichend
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint; §
121 Abs.
2 ZPO.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Es ist eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt
ist, aber klärungsbedürftig ist aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen der Landessozialgerichte (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig,
SGG, 9. Auflage, §
73a RdNr. 7b). Zusätzlich kann der Bf. nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung
nicht aufbringen.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.