LSG Bayern, Urteil vom 03.02.2011 - 19 R 333/05
Erstattung zu Unrecht nach dem Tode der Berechtigten gezahlter Witwenrente; Verfügung im Sinne von des § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI
Verfügung im Sinne des § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI ist jedes abgeschlossene bankübliche Zahlungsgeschäft zu Lasten des Überweisungskontos (z.B. Barauszahlungen, Ausführung
von Daueraufträgen oder Einzugsermächtigungen, Einlösen von Schecks), durch das sich eine kontoführungsberechtigte Person
des Kontos zur Bewirkung einer Zahlung oder Auszahlung bedient. Verfügen in diesem Sinne mehrere, sind sie auch nur in dem
Umfang erstattungspflichtig, in dem sie tatsächlich verfügt haben. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Vorinstanzen: SG Würzburg 14.03.2005 S 2 RA 4358/00
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14.03.2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten. Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin vom Beklagten die Erstattung zu Unrecht nach dem Tode der Berechtigten
gezahlter Witwenrente in Höhe von 3.757,47 EUR verlangen kann.
Der Beklagte ist der Sohn der am 22.12.1998 verstorbenen Frau H. S., die nach ihrem am 21.09.1974 gestorbenen Ehemann und
Versicherten H. S. Witwenrente von der Klägerin bezog.
Die Klägerin zahlte über den Todesmonat Dezember 1998 hinaus in der Zeit vom 01/99 bis 10/99 weiter Witwenrente auf das bei
der Beigeladenen bestehende Girokonto. Zuletzt bezog die Verstorbene Witwenrente in Höhe von monatlich 2.281,10 DM, die auch
für die Zeit von 01 - 06/99 weitergezahlt wurde, ab 07/99 bis 10/99 erhöhte sich der Rentenbetrag auf 2.314,18 DM monatlich.
Mit Schreiben wohl vom 31.05.2000 machte die Klägerin beim Beklagten die Erstattung überzahlter Witwenrente in Höhe von insgesamt
22.943,32 DM geltend. Hiervon wurden "zurückgebuchte Beträge" in Höhe von insgesamt 15.407,94 DM sowie der "einbehaltene Eigenanteil
des Rentners zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 55,41 DM in Abzug gebracht, so dass ein Erstattungsbetrag in
Höhe von insgesamt 7.479,97 DM noch offen war.
Nachdem ein Zahlungseingang nicht verzeichnet werden konnte, erinnerte die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 26.07.2000
an die geltend gemachte Forderung. Es werde darauf hingewiesen, dass die Personen, die Geldleistungen nach dem Tode des Berechtigten
in Empfang genommen oder über den entsprechenden Betrag verfügt hätten, dem Rentenversicherungsträger nach § 118 Abs 4 S 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB VI) zur Erstattung des entsprechenden Betrages verpflichtet seien.
Mit Schreiben vom 12.06.2000 wies der Beklagte darauf hin, dass das Nachlassgericht nach dem Tode seiner Mutter eine Sperre
über das Konto verhängt habe, auf das die Rentenbeträge überwiesen worden seien. Er habe keinen Zugang oder sonstige Verfügungsmöglichkeiten
über die dortigen Gelder gehabt. Allerdings seien weiter die Miete und die notwendigen Nebenkosten für die Wohnung von diesem
Konto automatisch beglichen worden. Ebenso Sterbekosten und andere im Zusammenhang damit stehende kleine Forderungen.
Auf Nachfrage der Klägerin, ob die Beigeladene nach § 118 Abs 3 SGB VI Beträge für eventuelle Forderungen ihrerseits abgebucht habe, übersandte die Beigeladene die bei ihr vorhandenen Kontoauszüge
für die Zeit von Dezember 1998 bis Oktober 1999. Schon im Oktober 1999 hatte die Beigeladene der Rentenrückforderung der Klägerin
durch Überweisung des Habenstandes des Girokontos der Verstorbenen am 04.10.1999 in Höhe von 8.465,40 DM entsprochen.
Am 27.12.2000 erhob die Klägerin gegen den Beklagten Klage auf Erstattung überzahlter Witwenrente in Höhe von 7.479,97 DM
auf der Grundlage des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI. Der Beklagte sei über das Konto seiner verstorbenen Mutter verfügungsberechtigt gewesen. Aus den Kontounterlagen der Bank
ergebe sich, dass der Kläger am 30.12.1998 300,00 DM, am 12.01.1999 200,00 DM sowie 2.000,00 DM abgehoben habe. Am 26.01.1999
habe er weitere 3.000,00 DM abgehoben und am 30.12.1998 2.143,18 DM, am 12.01.1999 519,96 DM überwiesen sowie in der Folgezeit
diverse Buchungen veranlasst.
Im Rahmen eines Erörterungstermines am 05.08.2003 vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg gab der Beklagte an, dass er zum Betreuer seiner Mutter bestellt gewesen sei und als solcher auch über das Konto
habe verfügen können. Er sei nach dem Tode seiner Mutter zwischen Weihnachten und Dreikönig bei der Bank gewesen. Die Bank
habe ihm mitgeteilt, dass er infolge des Todes der Mutter nicht mehr über das Konto verfügen dürfe, was er ab diesem Zeitpunkt
auch nicht getan habe. Auf Frage der Vorsitzenden, wer denn dann ggf. verfügt haben könnte, gab der Kläger an, möglicherweise
seine Frau oder die Betreuungsstelle.
Mit Schreiben vom 15.09.2003 teilte die Klägerin mit, dass die Beigeladene zwischenzeitlich 119,00 DM zusätzlich zurückgezahlt
habe, so dass sich die Forderung jetzt noch auf 7.360, 97 DM (= 3.763,60 EUR) belaufe. Der Beklagte habe insgesamt nach dem
Tode der Berechtigten Verfügungen in Höhe von 8.233,83 DM vorgenommen, so dass er den Betrag von 7.360,97 DM zu erstatten
habe. Mit Schreiben der Klägerin vom 10.10.2003 wurde - wohl wegen Erstattung von Kontoführungsgebühren durch die Beigeladene
- die Erstattungsforderung auf 7.348,97 DM (= 3.757,47 EUR) reduziert.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2004 wurde eine Verfügung über 300,00 DM im Sterbemonat von der Klägerin ausgenommen.
Der Beklagte erklärte im Termin, ab dem 26.01.1999 nicht mehr über das Konto verfügt zu haben. Gleichzeitig erklärte er, im
Juni 1999 vom Nachlassgericht eröffnet bekommen zu haben, dass er Alleinerbe sei. Am 14.06.1999 habe er dann wieder 200,00
DM abgehoben. Im Dezember 1998 und Januar 1999 habe er das Konto auch als eigenes Konto genutzt. Er habe Einzahlungen in Höhe
von insgesamt 23.681,22 DM getätigt.
Mit Schriftsatz vom 26.10.2004 wies der Prozessbevollmächtigte des Beklagten darauf hin, dass die Erstattungsforderung um
weitere 1.500,00 DM zu reduzieren sei, da es sich hierbei nicht um eine Aus-, sondern um eine Einzahlung des Beklagten gehandelt
habe. Außerdem habe er insgesamt Einzahlungen in Höhe von 23.781,22 DM getätigt. Die geleisteten Einzahlungen hätten somit
die noch offene Forderung von 6.433,83 DM bei weitem überstiegen, so dass der Beklagte nicht als Nichtberechtigter verfügt
habe. Der Erstattungsanspruch aus § 118 Abs 4 S 1 SGB VI stehe der Klägerin deshalb nicht zu. Des Weiteren handele es sich bei einigen Verfügungen um Daueraufträge, die bereits zu
Lebzeiten der Verstorbenen veranlasst worden seien. Z. B. die Miete für die Wohnung in Höhe von 720,00 DM monatlich, Rundfunkgebühren,
Kontoführungsgebühren der Bank.
Das SG hat sodann nach entsprechendem Hinweis die Klage auf Erstattung überzahlter Witwenrente mit Urteil ohne mündliche Verhandlung
vom 14.03.2005 als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass der Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehle, weil die Klägerin nicht schlüssig dargelegt habe, dass ihr kein
Anspruch gegen das vorrangig in Anspruch zu nehmende Geldinstitut zustehe. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage im Sinne des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI, wenn eine vorrangige Zahlungsklage gegen das Geldinstitut abgewiesen worden sei oder der Rentenversicherungsträger schlüssig
dargelegt habe, dass das Geldinstitut ihm gegenüber die Voraussetzungen des anspruchsvernichtenden Einwandes nach § 118 Abs 3 S 3 SGB VI schlüssig dargelegt und gegebenenfalls Beweis angeboten habe (BSG vom 08.06.2004, B 4 RA 42/03 R, vom 09.04.2002, B 4 RA 64/01 R, vom 07.10.2004, B 13 RJ 2/04 R). Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung müsse wenigstens zu folgenden Punkten schlüssiger Sachvortrag erfolgen:
- Kontostand zum Zeitpunkt der Gutschrift
- soweit bei Eingang des Rückforderungsverlangens kein Guthaben auf dem Konto bestanden habe, Rechtshandlungen des Geldinstitutes
nach der Gutschrift, die den Schutzbetrag gemindert oder aufgehoben hätten.
- soweit das Bankinstitut nicht in den Schutzbetrag eingegriffen habe, Name und Anschriften von Personen, die im Verhältnis
zum Geldinstitut rechtswirksam den Schutzbetrag ganz oder teilweise abgehoben oder überwiesen hätten, die jeweiligen Verfügungszeitpunkte
und der jeweils verbliebene Rest des Schutzbetrages.
An einem derartigen schlüssigen Vortrag der Klägerin fehle es bislang, diese habe trotz mehrmaligen Hinweises des Gerichts
keine weiteren Tatsachen dargelegt.
Zur Begründung der hiergegen am 10.05.2005 zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung trägt die Klägerin unter Vorlage
einer neuen Zusammenstellung der Kontobewegungen unter Berücksichtigung des sog. Schutzbetrages vor, dass sich die Rentenzahlungen
von 01/99 - 07/99 auf insgesamt 15.945,37 DM beliefen, von dem ein dem Grunde nach vom Beigeladenen zu erstattender Betrag
in Höhe von 8.557,90 DM in Abzug zu bringen sei. Im Hinblick auf die Differenz zwischen der Überzahlung und dem Erstattungsbetrag
sei die Beigeladene entreichert und es ergebe sich daraus die Forderung gegen den Beklagten aus § 118 Abs 4 S 1 SGB VI in Höhe von 7.387,47 DM (= 3.777,15 EUR). Diese Forderung bestehe, weil sich der Beklagte als Kontobevollmächtigter sämtliche
Kontobewegungen, die den Schutzbetrag gemindert hätten, anlasten lassen müsse. Es ergebe sich ein über die Klageforderung
hinausgehender Eingriff in den Schutzbetrag von 8.440,17 DM.
Mit weiterem Schriftsatz vom 05.10.2005 wies die Klägerin darauf hin, dass der Beklagte auch als Erbe verantwortlich sei,
so dass es nicht auf die Kontovollmacht oder Verfügungsmöglichkeit nach dem Tod der Erblasserin in der Zeit vom 26.01.1999
bis 09.06.1999 ankomme. Als Kontoinhaber und Erbe müsse der Beklagte sich alle Kontobewegungen anlasten lassen, die dazu geführt
hätten, dass bei Eingang der Rückforderung kein für eine Rücküberweisung durch das Geldinstitut ausreichendes Guthaben mehr
vorhanden gewesen sei. Mit der übersandten Aufstellung habe die Klägerin schlüssig vorgetragen und bewiesen, dass die Beigeladene
hinsichtlich des streitigen Betrages nicht erstattungspflichtig sei. Unerheblich sei im Übrigen, dass der Beklagte das Konto,
auf das die Rentenzahlungen eingingen, selbst als Geschäftskonto genutzt habe. Die von der Klägerin erhobene Rückerstattung
erstrecke sich nicht auf eigene Geldmittel des Beklagten aus seinem Geschäftsbetrieb, sondern lediglich auf die Überweisungen
und Kontobewegungen, die gleichzeitig einen Eingriff in den Schutzbetrag darstellten. Insoweit werde nochmals auf die tabellarische
Auflistung verwiesen. Soweit es sich um Daueraufträge und Einzugsermächtigungen handele, die noch zu Lebzeiten der Verstorbenen
eingerichtet worden seien, müsse sich der Beklagte auch diese Abbuchungen zurechnen lassen, weil er als Kontoinhaber und Erbe
diese Abbuchungen zugelassen habe. Verfügende und Empfänger der Leistungen seien gleichrangig nebeneinander zur Rückerstattung
nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI verpflichtet. Im Übrigen werde der Beklagte nicht als Erbe nach § 118 Abs 4 S 4 SGB VI in Anspruch genommen, sondern als Verfügender nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI in dem Sinne, dass er als Erbe im Todeszeitpunkt der Verstorbenen neuer Kontoinhaber geworden sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14.03.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag
in Höhe von 3.757,47 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14.03.2005 zurückzuweisen.
Er weist darauf hin, dass die Klägerin nach wie vor nicht schlüssig dargelegt habe, mit welchen Verfügungen er angeblich in
den Schutzbetrag eingegriffen haben soll. Es sei zu berücksichtigen, dass er erhebliche Eigeneinzahlungen auf dem Konto seiner
Mutter im Dezember 1998 und Januar 1999 vorgenommen habe. Auch im Oktober 1999 habe er nochmals 1.500,00 DM eingezahlt. Ferner
sei er ab Ende Januar 1999 bis zur Testamentseröffnung vor dem Amtsgericht B-Stadt im Juni 1999 von jeglicher Verfügungsmöglichkeit
über das Konto ausgeschlossen gewesen. Er müsse sich deshalb nicht alle Kontobewegungen zurechnen lassen. Im Übrigen sei er
von der Beklagten gerade nicht als Erbe in Anspruch genommen worden.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hat mit Schreiben vom 26.04.2006 mitgeteilt, dass nach ihren Unterlagen im
Todeszeitpunkt von Frau H. A. eine Bankvollmacht zugunsten von Frau C. A. bestanden habe. Diese Vollmacht sei am 19.03.1993
durch den Beklagten in seiner Funktion als Betreuer der Kontoinhaberin erteilt worden. Der Beklagte habe sich zuvor durch
Vorlage seines Betreuerausweises vom 22.07.1992 legitimiert. Am 11.03.1999 habe sie der Beklagte vom Tod der Kontoinhaberin
informiert. Am 25.03.1999 habe die Nachlassabteilung der Beigeladenen daraufhin eine generelle Umsatzsperre für das Konto
in das System eingegeben, da für das Konto zu diesem Zeitpunkt noch keine Erblegitimationen vorgelegen hätten und Verfügungen
aufgrund der Bankvollmacht von Frau C. A. nicht akzeptiert werden konnten, da die Vollmacht durch die Beendigung des Betreueramtes
des Vollmachtgebers durch den Tod der Kontoinhaberin erloschen gewesen sei. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten sowohl Frau C.
A. als auch der Beklagte über das Konto verfügen können. Am 21.06.1999 sei ein Testament nebst Eröffnungsniederschrift vorgelegt
worden, nach dem der Beklagte Alleinerbe der Kontoinhaberin sei. Seit diesem Zeitpunkt seien Verfügungen durch den Beklagten
über das Konto wieder möglich gewesen. Mit Ausnahme der Barauszahlung vom 14.06.1999 an den Beklagten seien zwischen dem 15.03.1999
und dem 21.06.1999 lediglich Verfügungen zugelassen worden, die auf Weisungen zurückzuführen gewesen seien, die noch zu Lebzeiten
der Kontoinhaberin wirksam erteilt worden seien, wie z. B. Daueraufträge.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen rekonstruierten Akten der Beklagten, die Nachlassakten
des Amtsgerichts B-Stadt sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht gegen das Urteil des SG B-Stadt vom 14.03.2005 eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), jedoch nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht die von der Klägerin erhobene Leistungsklage auf Erstattung überzahlter Rentenleistungen abgewiesen.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Erstattungsanspruch in Höhe von 3.757,47 EUR auf der Grundlage des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI nicht zu.
Da es vorliegend um die Erstattung überzahlter Rentenbeträge nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI geht, ist die von der Klägerin erhobene (echte) Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs 5 SGG die richtige Klageart. Zur Zeit der Klageerhebung im Dezember 2000 enthielt § 118 Abs 4 SGB VI noch keine Regelung, in welcher Form eine Geltendmachung der überzahlten Rente zu erfolgen hatte. Erst mit Wirkung zum 29.06.2002
(BGBl I S 2167) wurde in der Neufassung des § 118 Abs 4 S 2 SGB VI festgelegt, dass eine Geltendmachung durch Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - zu erfolgen hat. Bis dahin ging die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung davon aus, dass zwischen dem Rentenversicherungsträger
und dem Erstattungspflichtigen im Sinne des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI kein Über-/Unterordnungsverhältnis bestehe, so dass die Erstattungsforderung mittels einer echten Leistungsklage geltend
zu machen sei. Die zwischenzeitlich erfolgte Rechtsänderung in § 118 Abs 4 S 2 SGB VI hat auf die Zulässigkeit der erhobenen Leistungsklage jedoch keine Auswirkung (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl., 2008, § 54 Rdnr 39 b).
Die Leistungsklage ist unbegründet, da der Klägerin gegen den Beklagten der geltend gemachte Erstattungsanspruch auf der Grundlage
des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI nicht zusteht.
Gemäß § 118 Abs 4 S 1 SGB VI in der Fassung ab 01.01.1996 bis 30.06.2000 (BGBl 1995 I S. 1824) sind die Personen, die die Geldleistung in Empfang genommen oder über den entsprechenden Betrag verfügt haben, so dass dieser
nach § 118 Abs 3 SGB VI nicht von dem Geldinstitut zurück überwiesen wird, dem Träger der Rentenversicherung zur Erstattung des entsprechenden Betrages
verpflichtet, soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tode des Berechtigten zu Unrecht erbracht wurden.
Die Klägerin hat auf das bei der Beigeladenen als inländischem Geldinstitut geführte Girokonto Rentenleistungen nach dem Tode
der Mutter des Beklagten in der Zeit vom 01/99 bis 10/99 zu Unrecht gezahlt. Der Rentenauszahlungsanspruch endet gemäß § 102 Abs 5 SGB VI mit Ablauf des Sterbemonates, ohne dass es einer entsprechenden Aufhebungsentscheidung des bindend gewordenen Rentenbewilligungsbescheides
durch die Klägerin bedurft hätte (BSG, ständige Rspr., z. B. 13. Senat vom 13.11.2008 - B 13 R 48/07 R -, veröffentlicht bei juris). Gemäß § 118 Abs 3 S 1 SGB VI gelten Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tode des Berechtigten auf ein Konto bei einem Postgiroamt oder einem anderen
Geldinstitut im Inland überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht. Das Geldinstitut hat diese Geldleistungen deshalb
zurück zu überweisen, wenn der Träger der Rentenversicherung diese als zu Unrecht erbracht zurückfordert. Eine Verpflichtung
zur Rücküberweisung besteht nach § 118 Abs 3 S 3 SGB VI für das Geldinstitut nicht, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Forderung bereits anderweitig verfügt wurde,
es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann. Das Geldinstitut darf den überwiesenen Betrag nicht
zur Befriedigung eigener Forderungen verwenden.
Die Klägerin hat im Oktober 1999 ein entsprechendes Rückforderungsverlangen gegenüber der Beigeladenen geltend gemacht. Zu
diesem Zeitpunkt waren nachweislich der Kontoauszüge bereits zahlreiche Geldabflüsse vom Girokonto erfolgt. Die Rückzahlungsverpflichtung
der Beigeladenen hat sich damit zunächst grundsätzlich auf die vorgenommene Rückzahlung von 8.465,40 DM entsprechend dem Habenstand
des Girokontos am 04.10.1999 beschränkt sowie auf die Rückzahlung von ihr selbst verrechneter Kontoführungsgebühren. Nach
mittlerweile ständiger Rechtsprechung des BSG ist ein Zugriff der Klägerin auf anderweitige Guthaben der Verstorbenen bei
dem gleichen Geldinstitut grundsätzlich nicht möglich (BSG vom 13.11.2008, aaO.). Anhaltspunkte für weitere unwirksame Verfügungen,
die der Beigeladenen zugerechnet werden müssten und die gegebenenfalls einen weiteren Rückzahlungsanspruch der Klägerin gegen
diese begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Ab Kenntnis vom Ableben der Kontoinhaberin im März 1999 hatte die Beigeladene
nur noch Daueraufträge und Lastschriften ausgeführt, die bereits zu Lebzeiten der Verstorbenen in Auftrag gegeben wurden.
Die anderweitigen Verfügungen der Beigeladenen waren zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs nach § 118 Abs 3 SGB VI bereits ausgeführt und dienten nicht zur Befriedigung von eigenen Forderungen der Beigeladenen gegenüber der Kontoinhaberin.
Da die Rentenzahlungen der Klägerin insgesamt höher waren als der von der Beigeladenen zurückgewährte Betrag, kommt grundsätzlich
der subsidiäre Erstattungsanspruch nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI in Betracht. Gleichwohl besteht ein derartiger Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf der Grundlage des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI nicht.
Aus den vorliegenden Kontoauszügen ist ersichtlich, dass das Girokonto der Verstorbenen nicht nur deren eigenes Konto war,
sondern dass der Beklagte dieses Konto auch als Geschäftskonto für seinen Einzelhandel verwendete und auf diesem Konto im
Dezember 1998, Januar 1999 und Oktober 1999 erhebliche Beträge eingezahlt hat. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind diese
Einzahlungen des Beklagten nicht dem privilegierten Zugriff der Klägerin zur Befriedigung ihres Rückerstattungsanspruchs geöffnet,
sondern diese Beträge bleiben ihrem Zugriff entzogen (BSG vom 27.11.2007 - B 13 RJ 40/05 R, Rdnr. 17; BSG vom 13.11.2008, aaO., Rdnr. 39, 40 und BSG vom 03.06.2009 - B 5 R 120/07 R, jeweils veröffentlicht in juris). Der Beklagte hat insgesamt Einzahlungen in Höhe von 22.728,24 DM geleistet, die für
eine Rückforderung überzahlter Rente nicht in Anspruch genommen werden können. Ein privilegierter Zugriff des Rentenversicherungsträgers
besteht nur innerhalb des unter Vorbehalt stehenden Rentenüberweisungsbetrages. Nur wenn die dem Beklagten zuzurechnenden
Verfügungen über den eigenen Einzahlungsbetrag hinausgehen, wäre er insoweit zur Rückerstattung verpflichtet, soweit er tatsächlich
entsprechende Verfügungen vorgenommen hätte. Dies hat die Klägerin bislang jedoch nicht schlüssig dargelegt. Ein Erstattungsanspruch
auf der Grundlage des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI ergäbe sich für die Klägerin nur dann, wenn der Beklagte Verfügender im Sinne dieser Vorschrift wäre. Das BSG hat in mittlerweile
ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Ansprüche gegen den Verfügenden, den Empfänger und den Erben jeweils eigenständige
Ansprüche sind, die vom Rentenversicherungsträger gegebenenfalls jeweils gesondert geltend zu machen sind. Die Klägerin hat
letztmals mit Schriftsatz vom 29.09.2010 erklärt, dass sie den Beklagten nicht in seiner Eigenschaft als Erbe im Sinne des
§ 118 Abs 4 S 4 SGB VI in Anspruch nehmen wollte, sondern als Verfügenden. Als Erbe sei er Verfügender, weil er sich alle Bewegungen auf dem Konto
zurechnen lassen müsse. Verfügung im Sinne des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI ist nach der Rechtsprechung des BSG jedes abgeschlossene bankübliche Zahlungsgeschäft zu Lasten des Überweisungskontos (z.
B. Barauszahlungen, Ausführung von Daueraufträgen oder Einzugsermächtigungen, Einlösen von Schecks), durch das sich eine kontoführungsberechtigte
Person des Kontos zur Bewirkung einer Zahlung oder Auszahlung bedient (BSG vom 13.11.2008, aaO.). Verfügen in diesem Sinne
mehrere, sind sie auch nur in dem Umfang erstattungspflichtig, in dem sie tatsächlich verfügt haben (Polster, in: Kass Komm,
§ 118 SGB VI Rdnr. 28). Soweit der Beklagte im Zeitraum Januar bis März 1999 Verfügungen tatsächlich vorgenommen hat, stehen diesen Verfügungen
höhere Einzahlungen entgegen, so dass diese Verfügungen nicht aus dem unter Vorbehalt stehenden Rentenbetrag bestritten wurden.
Zumindest hat dies die Klägerin nicht schlüssig darlegen können.
Soweit Daueraufträge und Einzugsermächtigungen von der Beigeladenen erfüllt wurden, fehlt es an einer tatsächlichen Verfügung
des Beklagten. Diese Zahlungen der Beigeladenen gehen auf entsprechende Anweisungen durch die Verstorbene zu ihren Lebzeiten
zurück. Durch Ausführung dieser Zahlungen vor Geltendmachung des Rückforderungsanspruches gegenüber der Beigeladenen sind
diese Zahlungen dem unmittelbaren Zugriff durch die Klägerin entzogen. Hier hätte eine Inanspruchnahme der Empfänger dieser
Leistungen auf der Grundlage des § 118 Abs 4 S 1 1. Alt. SGB VI erfolgen müssen, was die Klägerin jedoch nicht getan hat. Die Klägerin ist der Auffassung, diese Verfügungen der Beigeladenen
seien - trotz der nicht wahrgenommenen Möglichkeit, sich an die Empfänger der Geldleistung zu halten - pauschal dem Beklagten
zurechnen, weil er als Erbe im Todeszeitpunkt seiner Mutter Kontoinhaber geworden sei. Auch wenn dies erbrechtlich betrachtet
zutreffend ist, muss beachtet werden, dass der Beklagte mindestens im Zeitraum März - Juni 1999, nach Angaben des Beklagten
von Januar bis Juni 1999, bis zum Nachweis seiner Erbenstellung aufgrund der generell angeordneten Kontensperre keinerlei
Verfügungsmöglichkeit über das Konto der Verstorbenen gehabt hatte. Ihm wäre es somit rechtlich nicht möglich gewesen, die
von der Beigeladenen ausgeführten Daueraufträge und Lastschriften zu stoppen. Gerade für diesen Fall sieht § 118 Abs 4 S 1 1. Alt. SGB VI aber den privilegierten Zugriff des Rentenversicherungsträgers auf den Empfänger solcher Geldleistungen, wie etwa bei Mietzahlungen
per Dauerauftrag, vor, den die Klägerin aber nicht in Erwägung gezogen hatte. Insoweit können dem Beklagten diese Auszahlungen
nicht pauschal zugerechnet werden, auch nicht in Form einer Duldung dieser Verfügungen der Beigeladenen. Nach Juni 1999 wurden
lediglich noch die Mietzahlungen als Dauerauftrag ausgeführt. Weshalb diese Zahlungen von der Beigeladenen noch ausgeführt
wurden und ob gegebenenfalls eine konkrete neue Anweisung des Beklagten vorgelegen haben könnte, hat die Klägerin nicht vorgetragen
und dargelegt. Nicht nachgewiesen ist ebenso, dass diese Beträge nicht mehr von den eigenen Einzahlungen des Beklagten abgedeckt
gewesen sind. Mit einer Inanspruchnahme des Vermieters als Empfänger dieser Leistungen wäre die von der Klägerin noch als
offen betrachtete Rückforderungssumme im Übrigen faktisch abgedeckt. Dass dies im Verhältnis zum Vermieter unterblieb, macht
den Beklagten nicht zum Verfügenden im Sinne des § 118 Abs 4 S 1 2. Alt. SGB VI. Eine Haftung als Erbe nach § 118 Abs 4 S 4 SGB VI war von der Klägerin nicht geltend gemacht worden und könnte jetzt aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Verjährung
(§118 Abs 4 a SGB VI) auch nicht mehr geltend gemacht werden. Die im Zeitpunkt der Entscheidung des SG geltende Rechtsprechung zum sog. Schutzbetrag hat das BSG zwischenzeitlich aufgegeben (BSG v. 03.06.2009, aaO., m.w.N.).
Nach alledem hat das SG die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, so dass die Berufung der Klägerin hiergegen zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
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