Anspruch auf Merkzeichen aG nach dem SGB IX; Klagebefugnis bei fehlenden Verwaltungsentscheidungen
Tatbestand:
Streitig sind der Grad der Behinderung (GdB) und der Anspruch auf Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) nach dem
Neunten Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX).
Der 1948 geborene Kläger stellte am 29.08.2005 Antrag auf Feststellung einer Behinderung und des GdB und benannte als Gesundheitsstörungen
Herzrhythmusstörungen und Diabetes mellitus Typ II.
Der Beklagte forderte von den vom Kläger benannten Ärzten Befundberichte an. Mit Nachricht vom 19.09.2005 berichtete der Hausarzt
Dr. B., dass er den Kläger vor allem wegen eines seit 1994 bekannten Diabetes mellitus behandele und die bisherige medikamentöse
Einstellung ungenügend sei. Er übermittelte den Arztbrief des Orthopäden Dr. B. vom 24.05.2002 (Tennisellenbogen links, Halswirbelsäulen-Syndrom)
und den Bericht des Klinikums K. vom 24.06.2003, der nach einer Vorstellung des Klägers im Juni 2003 wegen der Zuckerkrankheit
erstellt wurde. Der Internist Dr. B. übermittelte am 10.10.2005 den Befund einer Abdomen-Sonographie vom 06.10.2005 und den
Bericht der Kardiologen Dres. S. und R. über eine kardiologische Untersuchung am 23.09.2004 (arterieller Hypertonus - gemessen
160/85 -, hypertensive Herzerkrankung mit erhaltener systolischer Pumpfunktion, unsystematische Thoraxbeschwerden, Diabetes
mellitus IIb, Carotisarteriensklerose).
Auf der Grundlage dieser Unterlagen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 25.10.2005 einen GdB von 30 fest und berücksichtigte
dabei folgende Gesundheitsstörungen:
1. Bluthochdruck
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20
|
2. Zuckerkrankheit (mit Diät und oralen Antidiabetika einstellbar), Polyneuropathie
|
20
|
3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule
|
10.
|
Im Widerspruchsverfahren benannte der Kläger weitere Gesundheitsstörungen (Polyneuropathie in den Füßen und Unter- und Oberschenkeln,
Arthrose in den Knie- und Fußgelenken, offene Großzehen) und bat darum, wegen der Diabetes-Erkrankung bei seinem Hausarzt
erneut Befunde einzuholen. Dr. B. teilte am 13.03.2006 mit, dass die medikamentöse Therapie wieder aufgenommen worden sei,
diesmal mit Glimepirid. Neurologisch würden sich Sensibilitätsstörungen an beiden Beinen einschließlich erloschenem Vibrationsempfinden
zeigen. An der rechten Großzehe bestehe ein Ulcus.
Nach einem am 16.06.2006 erlittenen Herzinfarkt wurde der Kläger von 16.06.2006 bis 07.07.2006 in der Kreisklinik M. (Bericht
vom 07.07.2006) und im Klinikum der Universität B-Stadt in G. (Bericht vom 20.06.2006) behandelt. Im Klinikum G. wurden am
20.06.2006 eine Koronarangiographie durchgeführt und ein Stent gelegt. Bei schwieriger Einstellung der Blutzuckerwerte und
sehr fraglicher Compliance wurde der Kläger während des Klinikaufenthalts auf eine Insulintherapie umgestellt, die orale antidiabetische
Therapie wurde vollständig abgesetzt. In der Zeit von 19.07.2006 bis 09.08.2006 war der Kläger in kardiologischer Anschlussheilbehandlung
in der Klinik Bad W ... Laut Entlassungsbericht vom 25.08.2006 fiel während des Aufenthalts eine Anpassungsstörung auf, die
unter psychologischer Einzeltherapie habe deutlich stabilisiert werden können. Weitere ambulante Psychotherapie sei dringend
indiziert. Der Patient sei in kardiopulmonal stabilem Zustand mit gebessertem Risikoprofil entlassen worden. Anlässlich einer
Kontrollangiographie im Klinikum G. im März 2007 berichtete der Kläger von Beschwerdefreiheit bei guter Belastbarkeit. Es
ergab sich bei der Untersuchung kein Hinweis auf eine hämodynamische Relevanz der Stenose. Die Echokardiographie ergab eine
grenzwertig normale globale und regionale Pumpfunktion (Bericht vom 21.03.2007).
Nach nochmaliger Befragung des Hausarztes Dr. B. (Befundbericht vom 06.11.2006) erteilte der Beklagte einen Abhilfebescheid
vom 24.11.2006 und stellte einen GdB von 50 ab 16.06.2006 bei Berücksichtigung folgender Gesundheitsstörungen fest:
1. Zuckerkrankheit (mit Diät und Insulin einstellbar), Polyneuropathie
|
30
|
2. Seelische Störung
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20
|
3. Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen des Herzens, abgelaufener Herzinfarkt
|
20
|
4. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule
|
10.
|
Den dagegen erneut eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, dass sich sein Krankenzustand erheblich verschlechtert
habe. Die Einschränkungen im täglichen Leben seien wesentlich erheblicher, als es den vorliegenden Unterlagen zu entnehmen
sei. Er benannte weitere ihn behandelnde Ärzte.
Der Augenarzt Dr. N. teilte im Befundbericht vom 27.02.2007 die Diagnosen präproliferative diabetische Retinopathie, Myopie,
Astigmatismus mit und berichtete über eine Laser-Therapie (rechtes Auge 25.10.2006, 10.01.2007, linkes Auge 14.02.2007) mit
dem Hinweis, dass die Maßnahme am linken Auge in zwei weiteren Sitzungen vervollständigt werden solle. Er gab den Visus für
das rechte Auge mit 0,5 und für das linke Auge mit 0,6 an (jeweils mit Korrektur).
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17.04.2007 zurückgewiesen. Zusätzlich berücksichtigt wurde zwar ein Einzel-GdB
von 10 für die Sehminderung beidseits. Ein höherer Gesamt-GdB als 50 lasse sich, so die Erläuterung, aber nicht begründen.
Die zum Sozialgericht Augsburg mit Fax vom 20.05.2007 erhobene Klage begründete der Kläger damit, dass erhebliche gesundheitliche
Schäden vorhanden seien, über die ärztlichen Gutachten hinaus. Am 30.09.2007 bat er um Berücksichtigung einer "außergewöhnlichen
Gehbehinderung".
Das Sozialgericht hat aktuelle Befundberichte eingeholt. Die Internisten und Kardiologen Dres. N. haben am 20.12.2007 darüber
informiert, dass die Polyneuropathie und die koronare Herzkrankheit (KHK) "eher schlechter" geworden seien. Der Augenarzt
Prof. Dr. N. hat am 20.12.2007 mitgeteilt, dass der Visus rechts 0,4 und links 0,5 betrage. Der Hausarzt Dr. B. hat am 28.12.2007
über Sensibilitätsstörungen u.a. an den Beinen und belastungsabhängige kardiale Beschwerden berichtet; der Patient klage über
Verschlimmerung des Beschwerdebildes. Der Internist und Diabetologe Dr. D. hat den Kläger von Oktober bis Dezember 2006 wegen
der Zuckerkrankheit behandelt (Befundbericht vom 17.01.2008).
Dann hat das Sozialgericht den Neurologen Dr. W. und den Internisten Dr. S. als Sachverständige ernannt. Der Kläger hat drei
ihm angebotene Untersuchungstermine (28.04.2008, 27.06.2008, 05.09.2008) nicht wahrgenommen. Den ersten Termin hat er abgesagt,
weil sein Pkw kaputt sei; außerdem entsprach ihm die Uhrzeit (9.50 Uhr) nicht. Den zweiten Termin hat er am 26.06.2008 mit
der Begründung abgesagt, er sei am 27.06.2008 verhindert, weil er an diesem Tag wegen einer Herz-Operation und wegen des Diabetes
ins Krankenhaus G. müsse; die stationäre Behandlung in G. erfolgte in der Zeit von 15.07.2008 bis 21.07.2008. Zum dritten
Termin ist er ohne Entschuldigung nicht erschienen. Am 30.07.2008 hat der Kläger telefonisch mitgeteilt, dass es ihm sehr
schlecht gehe, und darum gebeten, die aktuellen Befunde aus dem Krankenhaus G. beizuziehen und auszuwerten.
Der Bericht des Klinikums G. vom 21.07.2008 gibt darüber Auskunft, dass beim Kläger bei progredienter Angina pectoris-Symptomatik
und bekannter 3-Gefäß-KHK während des stationären Aufenthalts von 15.07.2008 bis 21.07.2008 eine erneute Koronarstenosierung
diagnostiziert und erfolgreich dilatiert wurde.
Laut Bericht des Klinikums G. vom 02.03.2009 diente die stationäre Behandlung von 09.02.2009 bis 27.02.2009 der Therapieoptimierung
bei schlecht eingestelltem Diabetes mellitus Typ II. Nach Umstellung der Therapie seien unter stationären Bedingungen sehr
gute Blutzuckerwerte erreichbar. Ein Ulcus in der Mitte der linken Fußsohle habe sich durch Behandlung deutlich verbessert.
Kardiologisch sei bei kompletter Beschwerdefreiheit aktuell keine Intervention notwendig. Es wurde eine orthopädische Schuhversorgung
empfohlen.
Das Sozialgericht Augsburg hat die Klage mit Urteil vom 21.04.2009 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, soweit mit ihr die
Zuerkennung des Merkzeichens aG beantragt werde. Insoweit fehle es an dem vor Erhebung der Klage durchzuführenden Vorverfahren,
also an der bescheidmäßigen Entscheidung des Beklagten. Im Übrigen sei die Klage nicht begründet. Die Gesundheitsstörungen
seien zutreffend bewertet. Es gehe zu Lasten des Klägers, wenn mögliche Behinderungen oder ihr höheres Ausmaß nicht erwiesen
seien. Es seien keine Untersuchungen durchführbar gewesen. Das Urteil wurde dem Kläger am 23.05.2009 zugestellt.
Die am 23.06.2009 beim Sozialgericht Augsburg eingelegte Berufung hat der Kläger damit begründet, dass die im Urteil dargelegten
Begründungen zu fast allen Funktionsbeeinträchtigungen völlig unzutreffend und willkürlich seien, sie entsprächen nicht den
momentanen aktuellen Gegebenheiten. Auf Anfrage des Senats hat er im August 2009 telefonisch mitgeteilt, dass er mit einer
Untersuchung einverstanden sei. Die nächsten 10 Tage sei er allerdings im Krankenhaus G. wegen Herz, Diabetes und Diabetes-Fuß.
Er hat angekündigt, weitere ärztliche Unterlagen zu übersenden, dies aber nicht getan.
Nach Ernennung des Internisten und Kardiologen Dr. B. zum Sachverständigen hat der Kläger drei ihm angebotene Untersuchungstermine
(11.03.2010, 08.04.2010, 21.04.2010), nicht wahrgenommen, woraufhin der Sachverständige den Auftrag zurückgegeben hat. Der
erste Termin war auf Bitte des Klägers verschoben worden, den zweiten Termin hatte er unentschuldigt nicht wahrgenommen. Bezüglich
des dritten Termins hat der Kläger am 22.04.2010 telefonisch gegenüber der Geschäftsstelle bekundet, dass er den gestrigen
Gutachtenstermin abgesagt habe, weil er es nicht einsehe, nach B-Stadt zu fahren. Er wohne abseits und es sei schwierig mit
der Anreise.
Nachdem der Kläger am 27.05.2010 telefonisch mitgeteilt hatte, dass er jetzt bereit sei, zum Gutachter zu gehen, erhielt Dr.
B. erneut den Gutachtensauftrag. Wieder hat der Kläger vier angebotene Untersuchungstermine nicht wahrgenommen (14.07.2010,
26.07.2010, 16.09.2010, 06.10.2010). Den Termin am 14.07.2010 hat er nachträglich am Untersuchungstag telefonisch abgesagt.
Gegenüber der Geschäftsstelle hat er am 23.07.2010 erläutert, dass er zum Zeitpunkt des Untersuchungstermins krank gewesen
sei und seine Mutter im Sterben gelegen habe. Den Termin am 26.07.2010 hat er nicht akzeptiert und einen Termin am 28.07.2010
um 11.30 Uhr verlangt, was der Sachverständige nicht anbieten konnte. Bezüglich des Termins am 16.09.2010 hat der Kläger am
26.08.2010 mitgeteilt, dass er an diesem Tag eine Augen-OP habe und den Termin nicht wahrnehmen könne. Trotz Aufforderung
hat er eine schriftliche Bestätigung des operierenden Arztes über die Verhinderung nicht vorgelegt. Am 14.09.2010 hat er mitgeteilt,
dass er eine schriftliche Bestätigung nicht übersenden werde und auf das seit fünf Jahren dauernde Katz- und- Maus-Spiel keine
Lust mehr habe. Den Termin am 06.10.2010 hat der Kläger nicht wahrgenommen, weil seinem Verlangen, dass der Termin auf 11
Uhr verlegt wird, nicht entsprochen worden ist. Laut Auskunft des Dr. B. vom 29.09.2010 hat er dem Kläger angeboten, von 9
Uhr auf 10 Uhr zu verlegen, woraufhin dieser komplett abgesagt habe.
Herr Dr. B. hat am 04.10.2010 ein internistisch-kardiologisches Gutachten nach Aktenlage erstattet. Er hat die Diagnosen wie
folgt gefasst:
- Koronare 3-Gefäßerkrankung mit Zustand nach Nicht-ST-Hebungsinfarkt 06/06 bei hochgradiger LAD-Stenose und Abbruch der Zirkumflexarterie;
am 20.06.2006 Dilatation und Stenting (Drug-Eluting-Stent) der LAD und der Zirkumflexarterie;
- Zustand nach instabiler Angina pectoris 07/08 mit Zustand nach PTCA und Stenting (Drug-Eluting-Stent) von zwei hochgradigen
RCA-Stenosen am 16.07.2008;
- normale bis geringgradig eingeschränkte Pumpfunktion des linken Ventrikels;
- insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ II mit diabetischer Nephropathie (richtig Neuropathie), Retinopathie und Mediasklerose;
- arterielle Hypertonie mit hypertensiver Herzerkrankung;
- Hyperlipoproteinämie;
- kompensierte Hyperthyreose;
- anamnestisch Verdacht auf periphere arterielle Verschlusskrankheit.
Im Vordergrund stehe die bekannte koronare 3-Gefäßerkrankung mit Zustand nach zweimaligem akuten Koronarsyndrom, einmal 2006,
einmal 2008, dabei jeweils Intervention an mehreren Koronargefäßen. Durch mehrere echokardiographische Untersuchungen sei
belegt, dass eine gute Pumpfunktion und ausreichende Belastbarkeit bestehe, nachgewiesen auch in Ergometrien bis 100 Watt.
Daneben bestehe eine arterielle Hypertonie mit geringgradiger hypertensiver Herzerkrankung. Die Gesundheitsstörungen koronare
Herzerkrankung und arterielle Hypertonie sowie abgelaufener Herzinfarkt, Durchblutungsstörungen des Herzens seien mit einem
Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Nach Aktenlage sei dies mit Sicherheit adäquat. Eine Höherbewertung sei nicht berechtigt, da
eine Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung und das Auftreten von Beschwerden und pathologischen Messdaten
bei einer Ergometerbelastung mit 75 Watt bei der letzten Untersuchung nicht gegeben gewesen seien. Der Diabetes sei insulinpflichtig
und könne durch Diät und Insulingabe allein ausreichend eingestellt werden. Ausgehend von der letzten Berichterstattung des
Klinikums G. vom 02.03.2009 seien die Blutzuckerwerte unter der alleinigen Insulintherapie gut einstellbar. Die Gesundheitsstörung
Diabetes mellitus, durch Insulin allein und Diät gut einstellbar, und diabetische Polyneuropathie bedinge einen GdB von 40
statt eines GdB von 30, der bisher angenommen worden sei. Bezüglich der Gesundheitsstörungen seelische Störung (Einzel-GdB
20), Sehminderung beidseits (Einzel-GdB 10) und Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10) habe sich nach Aktenlage
keine Änderung ergeben. Bei einem Einzel-GdB von 40 für die Zuckerkrankheit, einem Einzel-GdB von 20 für den Bluthochdruck
und die Durchblutungsstörungen des Herzens sowie einem Einzel-GdB von 20 für die seelische Störung sei ein GdB von 50 adäquat
und voll ausgefüllt. In Rückschau sei festzustellen, dass ein Gesamt-GdB von 50 bei einem Einzel-GdB von 30 für die Zuckerkrankheit
und einem Einzel-GdB von 20 jeweils für die Durchblutungsstörungen des Herzens und die seelische Störung eher hoch gegriffen
gewesen und nicht ganz ausgefüllt gewesen sei.
Der Kläger ist entsprechend seiner telefonischen Ankündigung zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.
Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21.04.2009 aufzuheben sowie den Bescheid vom 25.10.2005 in der Fassung des Bescheids
vom 24.11.2006, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.04.2007, abzuändern und den Beklagten zu verpflichten,
einen höheren Grad der Behinderung als 50 festzustellen sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen aG festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die dem Kläger am 09.11.2010 zugestellte Terminsmitteilung enthält den Hinweis, dass auch im Fall seines Ausbleibens Beweis
erhoben, verhandelt und entschieden werden könne.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und des Sozialgerichts Augsburg beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den
Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, da dieser über den Termin zur mündlichen Verhandlung
informiert und dabei auch auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen worden ist (§
110 Abs.
1 Satz 2, §
153 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Soweit der Kläger Merkzeichen aG beantragt, ist die Klage, wie das Sozialgericht Augsburg zutreffend entschieden hat, unzulässig.
Dem Kläger fehlt insoweit die Klagebefugnis. Merkzeichen aG hat der Kläger erst im Rahmen der Klagebegründung beantragt. Im
Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren ging es nur um die Höhe des GdB. Der Bescheid vom 24.11.2006 enthält zwar die bei Anerkennung
der Schwerbehinderteneigenschaft regelmäßig getroffene Aussage, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen
nicht vorliegen würden. Eine Entscheidung über Merkzeichen aG wurde aber mangels eines entsprechenden Antrags des Klägers
nicht getroffen. Auch der Widerspruchsbescheid bezieht sich nur auf die Frage der Höhe des Grads der Behinderung. Die Feststellung
von Merkzeichen stellt einen von der Höhe des GdB unabhängigen Streitgegen-stand dar (vgl. BSG vom 12.12.1995, 9 BVs 28/95).
Bezüglich des Streitgegenstands Merkzeichen aG fehlen die für eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage notwendigen Verwaltungsentscheidungen
(Verwaltungsakte), die im gerichtlichen Verfahren überprüft werden könnten. Nach §
54 Abs.
1 Satz 1
SGG kann mit der Klage die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten
oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Die Klage ist, soweit nichts anderes gesetzlich bestimmt ist, nur zulässig,
wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein (Satz 2). Diese Klagebefugnis liegt nicht vor, wenn
eine Verletzung subjektiver Recht nicht in Betracht kommt, weil eine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung noch
gar nicht vorliegt (vgl. BSG vom 21.09.2010, B 2 U 25/09 R). Der Senat kann keine Gründe dafür erkennen, dass die unzulässige Klage hier ausnahmsweise im Lauf des sozialgerichtlichen
Verfahrens zulässig geworden sein könnte (dazu BSG vom 27.08.1998, B 9 SB 13/97 R; vom 15.08.1996, 9 RVs 10/94).
Die streitgegenständlichen Bescheide sind nicht zu beanstanden und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Zutreffend
hat der Beklagte den GdB für die Zeit ab 29.08.2005 in Höhe von 30 (Bescheid vom 25.10.2006) und für die Zeit seit 16.06.2006
in Höhe von 50 (Bescheid vom 24.11.2006) festgestellt.
Rechtsgrundlage für die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung und des Grads der Behinderung ist §
69 Abs.
1 SGB IX in Verbindung mit den seit 01.01.2009 geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung.
Die VG lösen die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht
(AHP) ab, die für die Zeit vor 01.01.2009 als antizipierte Sachverständigengutachten beachtlich sind (dazu BSG vom 18.09.2003,
B 9 SB 3/02 R; vom 24.04.2008, B 9/9a SB 10/06 R; BVerfG vom 06.03.1995, BvR 60/95). Die Anhaltspunkte und nunmehr die Versorgungsmedizinischen Grundsätze sind ein auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhendes
Regelwerk, das die möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im Bundesgebiet bezweckt und dem Ziel des einheitlichen
Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung dient.
Auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Dr. B. und unter Berücksichtigung der aktenkundigen ärztlichen Unterlagen
ist der Senat davon überzeugt, dass ein höherer Gesamt-GdB als 50 nicht festgestellt werden kann und für den Zeitraum August
2005 bis Juni 2006 der GdB richtig in Höhe von 30 angesetzt worden ist. Möglich ist nur eine Beurteilung nach Aktenlage, nachdem
der Kläger schon im erstinstanzlichen Verfahren und nun auch im Berufungsverfahren die Bemühungen der Gerichte, den Sachverhalt
aufzuklären, konterkariert hat. Dass er trotz behaupteter Bereitschaft zur Untersuchung immer wieder Untersuchungstermine
der Sachverständigen "platzen" ließ, erstaunt nicht zuletzt deswegen, weil er die streitgegenständlichen Entscheidungen mit
der Begründung angefochten hat, dass er kränker sei, als es den Unterlagen zu entnehmen sei.
Der seit Juni 2006 zuerkannte Gesamt-GdB von 50 gründet sich auf folgende Gesundheitsstörungen:
1. Zuckerkrankheit, Polyneuropathie
|
40
|
(30 für die Zeit von Juni 2006 bis Dezember 2008)
|
|
2. Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen des Herzens, abgelaufener Herzinfarkt
|
20
|
3. Seelische Störung
|
20
|
4. Sehminderung beidseits
|
10
|
5. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule
|
10.
|
Die Hauptbehinderung des Klägers, die Zuckerkrankheit, hat sich seit Beginn des Verfahrens im August 2005 verschlimmert, zusätzlich
sind Änderungen der Bewertungsvorgaben zu beachten. In der Zeit von August 2005 bis Juni 2006 ist für den Diabetes mellitus
Typ II ein Einzel-GdB von 20 maßgeblich ("durch Diät und orale Antidiabetika ausreichend einstellbar", Nr. 26.15 AHP 2005).
Seit Umstellung des Klägers auf eine Insulintherapie im Juni 2006 ist die Bewertung mit Einzel-GdB von 30 möglich (vgl. Nr.
26.15 AHP 2005, 2008). Eine noch höhere Bewertung für die damalige Zeit kommt nicht in Betracht. Hypoglykämien sind vom Kläger
nicht behauptet worden und auch nicht aktenkundig. Nach Teil B Nr.15.1 VG in der von 01.01.2009 bis 21.07.2010 geltenden Fassung
besteht für eine Zuckerkrankheit "unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten,
je nach Stabilität der Stoffwechsellage" ein Bewertungsrahmen von 30 bis 40. Der Senat schließt sich dem Votum des Sachverständigen
Dr. B. an, der sich für einen GdB von 40 ausgesprochen und damit den Bewertungsrahmen ausgeschöpft hat. Die Vergabe eines
Einzel-GdB von 50 hätte den nicht erbrachten Nachweis einer unter Insulintherapie instabilen Stoffwechsellage einschließlich
gelegentlicher schwerer Hypoglykämien erfordert. Auch nach der seit 22.07.2010 geltenden Fassung der Versorgungsmedizinischen
Grundsätze (siehe Zweite Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 14.07.2010, BGBl I S. 928) liegen die Voraussetzungen für die Vergabe eines Einzel-GdB von 50 nicht vor. Denn es sind keinerlei Dokumentationen von
Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) aktenkundig, wie dies nach
Teil B Nr. 15.1 VG der aktuellen Fassung für einen GdB von 50 vorausgesetzt ist.
Den vom Beklagten vergebenen Einzel-GdB von 20 für die Gesundheitsstörung "Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen des Herzens,
abgelaufener Herzinfarkt" (Bescheid vom 24.11.2006) hat der Sachverständige mit dem Hinweis bestätigt, dass eine Höherbewertung
nicht in Frage komme. Schon im Bescheid vom 25.10.2005 war der Bluthochdruck mit einem Einzel-GdB von 20 berücksichtigt. Die
gesundheitlichen Turbulenzen in den Jahren 2006 und 2008 haben nicht zu einer so nachhaltigen Verschlechterung der Herzleistung
geführt, dass die Erhöhung dieses Einzel-GdB gerechtfertigt wäre. Da beim Kläger, wie Dr. B. ausführt, nach Aktenlage noch
eine gute Pumpfunktion des Herzens und eine ausreichende Belastbarkeit besteht, ist diese Behinderung nach Überzeugung des
Senats mit einem Einzel-GdB von 20 weiterhin ausreichend bewertet (vgl. Teil B Nr. 9.1.1 und Nr. 9.3 VG; Nr. 26.9 AHP).
Der auf der Grundlage des Entlassungsberichts der Klinik Bad W. (Juli/August 2006) vom Beklagten zuerkannte Einzel-GdB von
20 für eine seelische Störung kann ohne weitere Erkenntnisse, beispielsweise über eine psychiatrische und/oder psychotherapeutische
Behandlung des Klägers, nicht erhöht werden. Der für leichtere psychovegetative oder psychische Störungen bestehende Bewertungsrahmen
von 0 bis 20 (vgl. Teil B Nr. 3.7 VG; Nr. 26.3 AHP) ist ohnehin schon ausgeschöpft.
Für die Sehminderung beidseits ist bei dem von Prof. Dr. N. zuletzt dokumentierten Visus von 0,4 für das rechte Auge und 0,5
für das linke Auge (Befundbericht vom 20.12.2007) ein Einzel-GdB von 10 anzusetzen (vgl. Teil B Nr. 4.3 VG; Nr. 26.4 AHP).
Die Anerkennung eines Einzel-GdB von 10 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule beruht auf dem Befundbericht des Dr.
B. vom 24.05.2002. Die weitere Entwicklung des damals geringfügigen Wirbelsäulenproblems ist nicht bekannt. Der Kläger hat
dazu nie etwas vorgebracht.
Der Einschätzung des Sachverständigen Dr. B. folgend ist der Senat davon überzeugt, dass der Gesamt-GdB in Höhe von 50 besteht.
Berücksichtigt ist dabei, dass leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, regelmäßig auch dann nicht
zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander
bestehen. Auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche
Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl.Teil A Nr. 3.d.ee VG, Nr. 19 Abs. 4 AHP). Dr. B. hat klargestellt,
dass der Gesamt-GdB von 50 nur knapp ausgefüllt war, solange der Diabetes mellitus nur mit einem Einzel-GdB 30 anzusetzen
war, nunmehr aber, bei Bewertung der Zuckerkrankheit mit einem Einzel-GdB von 40, voll ausgefüllt und adäquat sei.
Bei einem Einzel-GdB von 20 für die Zuckerkrankheit, einem Einzel-GdB von 20 für den Bluthochdruck und einem Einzel-GdB von
10 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule ist auch der für die Zeit vom August 2005 bis Juni 2006 zuerkannte Gesamt-GdB
von 30 nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG liegen nicht vor.