LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.11.2010 - 31 R 37/10
Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung für ein Hörgerät; Antragstellung durch Eingang der Versorgungsanzeige
des Hörgeräteakustikers bei der Krankenkasse
Bei der Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers handelt es sich auch um einen Antrag des Versicherten an die Krankenkasse.
Nach Sinn und Zweck des § 16 SGB I sind als Antrag alle Begehren um Leistungen zu verstehen. Ein Antrag ist jede einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung
des öffentlichen Rechts, mit welcher der Antragsteller dem Antragsgegner gegenüber zum Ausdruck bringt, eine Sozialleistung
in Anspruch nehmen zu wollen. Mit der Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers ist die Krankenkasse unmissverständlich davon
unterrichtet worden, dass der Versicherte eine Versorgung mit einem Hörgerät, ggf. auch über den Festbetrag hinaus, wünscht.
[Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Normenkette: ,
,
,
,
,
,
,
,
,
,
Vorinstanzen: SG Berlin 30.11.2009 S 32 R 5964/06
Die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. November 2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen,
dass auf die Klage der Bescheid der Beklagten vom 03. August 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. November
2006 aufgehoben wird.
Die Beigeladene trägt auch die notwendigen außer-gerichtlichen Kosten der Klägerin des Berufungsverfahrens. Im Übrigen haben
die Beteiligten einander Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten für ein Hörgerät über den von der beigeladenen Krankenkasse geleisteten Festbetrag
hinaus.
Die 1965 geborene Klägerin ist seit ihrem 20. Lebensjahr schwerhörig; sie leidet an einer progredienten hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit
rechts, an einer mittelgradigen Innenohrschwerhörigkeit links sowie an einem beidseitigen Tinnitus. Die Klägerin ist Diplom-Pflegewirtin
und beruflich seit dem 01. Mai 2006 als Qualitätsmanagementbeauftragte der AWO I-Geriatriezentrum N gGmH tätig. Nach einer
von dem Arbeitgeber übersandten Stellenbeschreibung hat die Klägerin u. a. die Aufgabe, Arbeitsgruppen zu organisieren und
Fortbildungen durchzuführen.
Am 09. Juni 2006 verordnete der die Klägerin behandelnde Arzt für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten Dr. Dr. T aufgrund der Diagnose
einer beidseitigen Schallempfindungsschwerhörigkeit eine Hörhilfe links, die bisherige Hörhilfe sei zu alt. Für den 12. Juli
2006 findet sich im EDV-System der Beigeladenen u. a. folgender - von ihr später mit Schriftsatz vom 28. Mai 2009 als "Genehmigung"
bezeichneter - Eintrag:
"Hilfsmittel
|
12.07.2006
|
132003 Hörgerät li. Versorgungspauschale, bewilligt".
|
An anderer Stelle ist dort ausgeführt, dass Lieferant Herr AM. S, D H Studio, B sei, und dass nach Preisprüfung am 12. Juli
2006 der Versorgungspauschale von 655,00 € zugestimmt worden sei, als "endgültiger Status" ist notiert: "bewilligt". Die Summe
setzt sich ausweislich des Kostenvoranschlages des Hörgeräteakustikers S vom 27. September 2006 zusammen aus 421,00 € für
den Festbetrag, 35,- € für eine Otoplastik und 209,00 € für eine Reparaturpauschale abzüglich einer Zuzahlung nach § 60 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch ( SGB V) in Höhe von 10,00 €. Die Beigeladene äußerte sich im Erörterungstermin vom 29. September 2010 dahin, dass ihr bewilligender
Vermerk vom 12. Juli 2006 nur aufgrund der durch den Hörgeräteakustiker zu erbringenden Versorgungsanzeige hin erfolgt sein
könne. Weitere Einzelheiten konnten diesbezüglich nicht festgestellt werden. Irgendeine Äußerung der Beigeladenen gegenüber
der Klägerin erfolgte nicht.
Mit Eingang am 25. Juli 2006 wandte sich die Klägerin an die Beklagte als Rentenversicherungsträger und begehrte die Übernahme
von Kosten für ein hochwertiges Hörgerät. Zur Begründung führte sie aus, seit neun Jahren im Qualitätsmanagement in der Alten-
und Krankenpflege zu arbeiten. Ein Schwerpunkt ihrer Aufgaben sei die Moderation von Arbeitsgruppen, in denen bis zu zehn
Personen unterschiedliche Standpunkte, manchmal auch sehr lautstarke, austauschten. Darüber hinaus führe sie im Rahmen der
Personalentwicklung häufig Schulungen und Seminare durch, hier seien bis zu 25 Personen anwesend. Hierfür benötige sie ein
hochwertiges Hörgerät. Beigefügt waren die bereits genannte Stellenbeschreibung und eine Bestätigung ihres Arbeitgebers über
die bei ihm ausgeübte Tätigkeit.
Die Beklagte befragte die beratende Ärztin Dr. W, die am 31. Juli 2006 mitteilte, dass wegen besonderer beruflicher Anforderungen
kein über die Basisversorgung hinausgehendes höherwertiges Hörgerät erforderlich sei. Mit Bescheid vom 03. August 2006 lehnte
die Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben daraufhin ab. Denn die Voraussetzungen des § 10 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch, Gesetzliche Rentenversicherung ( SGB VI) lägen nicht vor. Ein höherwertiges Hörgeräte wegen besonderer beruflicher Anforderungen sei nicht erforderlich.
Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch, mit dem sie ausführte, dass sich das von ihr begehrte digitale Gerät automatisch
an den Geräuschpegel anpasse, was für ihre berufliche Tätigkeit eine Grundvoraussetzung sei. Ohne eine angemessene Hörgeräteversorgung
könne sie die Fortbildung der Mitarbeiter, die Moderation von Qualitätszirkeln und die Leitung von Arbeitsgruppen nicht mehr
ausüben. Beigefügt war ein bestätigendes Schreiben ihres Arbeitgebers vom 12. September 2006. Dieser führte aus, dass auch
die Befragung von Pflegeheimbewohnern zu den Aufgaben der Klägerin gehöre, die aufgrund ihrer Erkrankungen häufig schlecht
zu verstehen seien, auch hierfür sei ein gutes Sprachverständnis zwingend notwendig. Mehr als 50 % der Arbeitszeit der Klägerin
entfielen auf die Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen und die Moderation von Arbeitsgruppen und Qualitätszirkeln. Die hierzu
erneut gehörte Beratende Ärztin Dr. W teilte mit Stellungnahme vom 28. September 2006 mit, dass keine erhöhte Anforderung
an das Gehör vorliege und die Krankenkasse für den Behinderungsausgleich zuständig sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin daraufhin zurück. Ein Hilfsmittel
sei nur dann als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne des § 33 Abs. 8 Nr. 4 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ( SGB IX) anzusehen, wenn es ausschließlich zur Ausübung eines bestimmten Berufes oder zur Teilnahme an einer bestimmten beruflich
vorbereitenden Maßnahme benötigt werde. Die Versorgung mit Hörhilfen gehöre grundsätzlich nicht zu den Leistungen der Deutschen
Rentenversicherung im Sinne dieser Vorschrift. Eine Leistungsgewährung seitens der Deutschen Rentenversicherung Bund käme
nur in Betracht, wenn die Hörhilfe - ggf. auch eine besondere Ausstattung - als höherwertige Hörgeräteversorgung über die
Basisversorgung hinaus erforderlich sei, um den speziellen beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Dies sei nach ärztlicher
Prüfung jedoch zu verneinen, weil die besondere Ausstattung im Falle der Klägerin nicht ausschließlich der Ausübung eines
Berufes diene, der spezielle Anforderungen an das Hörvermögen stelle.
Im Abschlussbericht des Hörgeräteakustikers S vom 28. September 2006 ist ausgeführt, dass der Klägerin zwei geeignete zuzahlungsfreie
Versorgungsvorschläge unterbreitet worden seien. Vorgenommen worden sei eine Versorgung des linken Ohres mit dem Gerät Savia
211 dSZ m. EasyPhone. Den Empfang des Hörgerätes bestätigte die Klägerin am 23. Oktober 2006. Mit Datum vom selben Tag stellte
der Hörgeräteakustiker Sder Klägerin für das Gerät abzüglich der "Krankenkassen-Anteile" einen verbleibenden Endbetrag von
1.956,90 € in Rechnung. Die Beigeladene bezahlte den von ihr bewilligten Betrag im November 2006.
Im Klageverfahren gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten hat das Sozialgericht Berlin durch Beschluss vom 30. Juli
2007 die Krankenkasse der Klägerin, die T K, zum Verfahren beigeladen. Die Beigeladene hat ein Gutachten des Dr. S für den
Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 22. Februar 2008 beigebracht, der ausführte, dass die Notwendigkeit
einer Hörhilfenversorgung außer Frage stehe. Aus dem tonaudiometrischen Hörschwellenverlauf lasse sich gut ableiten, dass
eine mehrkanalig signalbearbeitende Hörhilfe gewählt werde, um die es sich bei der letztlich zur Anpassung gekommenen Savia
211 dSZ der Firma Phonak handele. Entsprechend könne die beantragte Versorgung begründet werden. Technisch sei das Produkt
festbetragsfähig. Die Krankenkasse habe mit der Vergütung in Festbetragshöhe ihr Leistungssoll erfüllt. Der Nachweis, dass
Hörhilfen bezogen auf den Ausgleich einer "konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreichten", sei praktisch nicht
zu erbringen, da die Ermittlung des Sprachverständnisses im Freifeld wie im Störschall eine subjektive Testmethode und daher
von der Compliance des zu versorgenden Patienten und subjektiven Störgrößen abhängig sei. Die im Falle der Klägerin erfolgte
vergleichende Hörhilfen-Testung sei nicht als ausreichend aussagekräftig anzusehen, um zu belegen, dass keine geeignete Hörhilfe
zum Festbetrag erhältlich gewesen sei. Daher könne nicht erkannt werden, wie eine festbetragsübersteigende Hörhilfenvergütung
begründet werden könnte.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes ein Gutachten des Hörgeräteakustikers W, H GmbH, vom 03. Dezember 2008 eingeholt,
der ausführte, dass die Klägerin nur mit der erfolgten Premiumversorgung in der Lage sei, ihr Arbeitsumfeld zu bewältigen.
Die Anforderungen des akustischen Umfeldes seien für die Klägerin als Referentin von Qualitätsmanagementsystemen sehr hoch.
Mit dem Hörsystem Savia 211 dAZ habe sich in der Diskrimination im Freifeld bei 65 dB (normale Lautstärke bei der Umgangssprache)
ergeben, dass 95 % der Einsilber verstanden worden seien, die Normmessung bei 65 dB Freifeld und 60 dB Störgeräusch habe ein
Verständnis von 70 % von Einsilbern ergeben. Die im Vergleich hierzu getestete Basisversorgung mit dem Basisgerät Go Compact
habe bei 65 dB Freifeld ebenfalls 95 % Einsilber-Verständnis ergeben, die Normmessung bei 65 dB Freifeld und 60 dB Störgeräusch
habe jedoch lediglich ein Verständnis von Einsilbern von 25 % ergeben. Im Störgeräusch sei die Verständigung gegenüber der
Premiumversorgung daher um 45 % herabgesunken. Zu beachten sei im Falle der Klägerin insbesondere, dass es sich lediglich
um eine monaurale (einseitige) Anpassung auf dem linken Ohr handele, da das rechte Ohr wegen eines zu hohen und asymmetrischen
Hörverlustes gegenüber dem linken Ohr nicht versorgbar sei. Somit sei die Klägerin, was das Richtungshören und Verstehen im
Störgeräusch betreffe, gegenüber einer binauralen (beidseitigen) Versorgung sehr im Nachteil, weil alle Schallereignisse auf
das linke Ohr träfen und Nutzschall und Störschall sehr schwer voneinander getrennt werden könnten. Bei der Untersuchung und
Analyse habe sich die Hörgeräteversorgung mit dem Premium-Hörsystem Savia 211 dAZ damit sowohl rein messtechnisch als auch
praxisbezogen im Hinblick auf die anspruchsvolle Tätigkeit der Klägerin im Beruf als einzig mögliche Lösung herausgestellt.
Bei Nichtnutzung des speziellen Hörgerätes sei die Erwerbsfähigkeit der Klägerin erheblich gefährdet, die erhebliche Gefährdung
der Erwerbsfähigkeit könne durch Inanspruchnahme des höherwertigen Hörgerätes abgewendet werden.
Mit Urteil vom 30. November 2009 hat das Sozialgericht die gegen die Beklagte gerichtete Klage abgewiesen, jedoch die Beigeladene
verurteilt, der Klägerin die Kosten für das selbst beschaffte Hörgerät Savia 211 in Höhe von 1.956,90 € gemäß der Rechnung
vom 23. Oktober 2006 zu erstatten. Die Beigeladene sei als erstangegangener Träger im Sinne des § 14 SGB IX zu verurteilen. Anspruchsgrundlage sei, nachdem die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem digitalen
Hörgerät zu Unrecht abgelehnt habe, § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX. Das Erfordernis mit einer Versorgung durch eine höherwertige Hörhilfe aufgrund des konkreten Berufsbildes der Klägerin folge
aus den Feststellungen des Gutachters W. Der Erstattungsanspruch umfasse nach seiner Zwecksetzung wegen des Versagens des
Sachleistungsprinzips den Ausgleich der konkret entstandenen Kosten.
Gegen dieses ihr am 30. Dezember 2009 zugegangene Urteil richtet sich die am 14. Januar 2010 eingegangene Berufung der Beigeladenen.
Die Beigeladene trägt vor, dass der Festbetrag/Vertragspreis gemäß § 36 SGB V die Obergrenze des Leistungsanspruches des Versicherten darstelle. Entstehe dem Versicherten eine Eigenbeteiligung und wende
er sich diesbezüglich an seine Krankenkasse, werde geprüft, ob ihm eine aufzahlungsfreie Versorgung mit ausreichendem Hörerfolg
angeboten worden sei oder nicht. Sei dies geschehen, müsse der Versicherte die Mehrkosten selbst tragen, wenn nicht, gehe
die Krankenkasse gegen den Akustiker vor, um diesen zur Einhaltung seiner vertraglichen Verpflichtung zu bewegen. Eine Erstattung
von Kosten über die Festbeträge hinaus sei aber nicht möglich. Im Übrigen habe die Klägerin einen Antrag bei ihr als Krankenkasse
gar nicht gestellt. Die Zweiwochenfrist zur Klärung der Zuständigkeit beginne analog § 130 BGB mit dem Eingang des vollständigen Antrages bei dem Rehabilitationsträger. Unter Antrag in diesem Sinne sei das Vorliegen
der Unterlagen zu verstehen, die eine Beurteilung der Zuständigkeit ermöglichten. Die Klägerin habe bei ihr aber keine Unterlagen
eingereicht, aus denen sich ergebe, dass sie berufsbedingt ein höherwertigeres Hörgerät und damit die Übernahme von Mehrkosten
begehre. Die bei ihr am 12. Juli 2006 eingegangene Versorgungsanzeige des Leistungserbringers sei kein Antrag der Klägerin
gewesen. Aus den Abrechnungsunterlagen des Hörgeräteakustikers gehe nicht hervor, dass von der Klägerin berufsbedingt ein
höherwertigeres Hörgerät begehrt worden sei. Mitgeteilt worden sei insoweit lediglich, dass zwei geeignete aufzahlungsfreie
Versorgungsvorschläge unterbreitet worden seien. Das Sozialgericht Nürnberg habe hierzu entschieden (Urteil vom 12. Mai 2010,
Az.: S 18 R 1208/09 veröffentlicht in juris.de), dass in einem derartigen Übersenden einer Versorgungsanzeige kein Antrag auf Mehrkosten liege.
Sie habe daher keinen Anlass gesehen, diese Unterlagen nach § 14 SGB IX an die Berufungsbeklagte weiterzuleiten. Damit sei erstangegangener Rehabilitationsträger nicht sie, sondern die Beklagte.
Eine Weiterleitung des Antrages durch die Beklagte sei nicht erfolgt, da sich die Beklagte für den berufsbedingten Mehrbedarf
für zuständig gehalten, diesen aber nicht festzustellen vermocht habe. Den berufsbedingten Bedarf der Klägerin sehe sie als
Krankenversicherungsträger aufgrund des vom Gericht eingeholten Gutachtens allerdings als gegeben an.
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. November 2009 aufzuheben und die Klage im Hinblick auf sie als Beigeladene abzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, sie halte die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Dezember 2009 (Az.: B 3 KR 20/08 R, juris.de) auch im vorliegenden Fall für relevant. Danach hätten zum Ausgleich einer Hörbehinderung die Krankenkassen für
die Versorgung mit Hörgeräten aufzukommen, die nach dem Stand der Medizintechnik die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen
Gesunder erlaubten und die gegenüber anderen Hörhilfen erhebliche Gebrauchsvorteile im Alltagsleben böten.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 03. August 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
22. November 2006 zu verurteilen, ihr die Kosten für das selbst beschaffte Hörgerät Savia 211 in Höhe von 1.956,90 € zu erstatten.
Die Klägerin trägt vor, dass ein Antrag nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen auch formlos gestellt werden könne. Aufgrund der
Versorgungsanzeige durch den Hörgeräteakustiker habe die Beigeladene als Rehabilitationsträgerin alle Möglichkeiten gehabt,
ihre Zuständigkeit zu prüfen. In vergleichbaren Fällen tue dies die Beigeladene auch und informiere dann mit einem "Beratungsblatt"
zur Hörgeräteversorgung und weise auf das Problem von Mehrkosten hin. Dies sei vorliegend allerdings nicht erfolgt. Die Beigeladene
habe die Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers jedoch auch bereits am 12. Juli 2006 als Antrag begriffen, denn anders
wäre der Vermerk in ihren Unterlagen: "Hilfsmittel 12.7.2006 132003 Hörgerät links. Versorgungspauschale, bewilligt" nicht
zu verstehen.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes am 30. September 2010 einen Erörterungstermin durchgeführt, insoweit wird
auf die Niederschrift zum Termin Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich in dem Erörterungstermin mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden
erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst
Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte mit Zustimmung der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Die Berufung der Beigeladenen ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die Beigeladene als erstangegangenen
Rehabilitationsträger verurteilt, der Klägerin den über den bereits geleisteten Festbetrag hinaus angefallenen Betrag für
das von ihr selbst beschaffte Hörgerät Savia 211 dSZ mit EasyPhone in Höhe von 1.956,90 € zu erstatten.
Zunächst einmal ist die Beigeladene erstangegangene Trägerin im Sinne des § 14 SGB IX. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX stellt ein Rehabilitationsträger, bei dem Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang
des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei
der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung
zuständigen Rehabilitationsträger zu. Wird der Antrag nicht weitergeleitet, so stellt nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest, wobei er diesen nach allen in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen
für Teilhabeleistungen unter Beachtung der besonderen persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der jeweiligen
Leistungsgesetze zu prüfen hat (BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009, Az.: B 5 R 5/07 R, zitiert nach juris.de).
Die Beigeladene ist vorliegend aufgrund der bei ihr jedenfalls in der Zeit bis 12. Juli 2006 eingegangenen Versorgungsanzeige
des Hörgeräteakustikers S erstangegangener Rehabilitationsträger im Sinne dieser Vorschrift. Dass eine derartige Versorgungsanzeige
bei der Beigeladenen eingegangen ist, steht fest aufgrund der entsprechenden Bestätigung der Beigeladenen im Termin vom 30.
September 2010. Bei dieser Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers handelt es sich jedenfalls auch um einen Antrag der
Klägerin an die Beigeladene. Nach Sinn und Zweck des § 16 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch, Allgemeiner Teil ( SGB I) sind als Antrag alle Begehren um Leistungen zu verstehen (Seewald in Kasseler Kommentar, § 16 Rdnr. 3). Ein Antrag ist jede
einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des öffentlichen Rechts, mit welcher der Antragsteller dem Antragsgegner gegenüber
zum Ausdruck bringt, eine Sozialleistung in Anspruch nehmen zu wollen (Hauck/Noftz, SGB I, K § 16 Rdnr. 5, m. w. N.). Mit der Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers ist die Beigeladene unmissverständlich davon unterrichtet
worden, dass die Klägerin eine Versorgung mit einem Hörgerät wünscht. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Anzeige, wie
er sich aus der Anlage 3 zum "Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen", geschlossen zwischen der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker
KdöR und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e. V. und dem Arbeiter-Ersatzkassenverband e. V., ergibt. Danach wird
mit der Versorgungsanzeige mitgeteilt, dass ein bestimmter Versicherter eine Hörgeräteversorgung begehrt, weiter wird um "Bewilligung"
der Versorgung gebeten. Dies erfüllt alle Voraussetzungen eines Antrages. Schließlich ist diese Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers
von der Beigeladenen auch tatsächlich als Antrag aufgefasst worden. Denn die Beigeladene hat auf die Anzeige hin letztlich
mit der Zahlung des Festbetrages eine Leistung erbracht, die antragsabhängig war.
Unschädlich ist, dass der Antrag bei der Beigeladenen nicht von der Klägerin persönlich gestellt worden ist, da nach allgemeinen
Vertretungsregelungen (§§ 164 ff. BGB) auch eine Antragstellung durch den Hörgeräteakustiker als Vertreter des Versicherten möglich ist. Soweit § 16 Abs. 1 S. 2 SGB I den Kreis der Stellen, die Anträge auf Sozialleistungen entgegennehmen können, erweitert, ohne Leistungserbringer zu nennen,
folgt hieraus nichts Gegenteiliges. Denn die Regelung betrifft nur die Zuständigkeit für die Entgegennahme von Anträgen. Wird
ein Antrag von einer anderen als der hier genannten Stellen entgegengenommen, entfaltet er erst dann Rechtswirkungen, wenn
er beim zuständigen Leistungsträger oder einer der in Satz 2 genannten Stellen eingegangen ist (Hauck/Noftz, aaO., Rdnr. 9).
Die Möglichkeit einer Vertretung nach allgemeinen Regeln wird hierdurch nicht ausgeschlossen. Die Voraussetzungen des § 164 BGB für eine wirksame Vertretung lagen vor: Die Klägerin hatte dem Hörgeräteakustiker Vertretungsmacht erteilt, sich zwecks der
Hörgeräteversorgung an die Beigeladene zu wenden, was dieser im Rahmen der ihm zustehenden Vertretungsmacht und ausdrücklich
für die Klägerin auch tat.
Entgegen der Auffassung der Beigeladenen kommt es nicht darauf an, ob dieser Antrag "vollständig" war und ob die Beigeladene
diesem Antrag entnehmen konnte, dass eine über den Festbetrag hinausgehende Versorgung begehrt war. Zunächst einmal hängt
die Wirksamkeit eines Antrages bereits grundsätzlich nicht davon ab, dass er vollständig gestellt worden ist, es muss lediglich
das Begehren unmissverständlich zum Ausdruck gebracht worden sein (Seewald in Kasseler Kommentar, § 16 SGB I Rdnr. 4, BSG, Urteil vom 12. Februar 2004, Az.: B 13 RJ 58/03 R, zitiert nach juris.de). Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass vorliegend nicht mehr aufklärbar war, ob sich aus
der Versorgungsanzeige bereits ergab, dass mögliche Mehrkosten über den Festbetrag hinaus anfallen würden. Denn im Zweifel
will der behinderte Mensch die ihm günstigste Art der Leistungsgewährung - bei Hörgeräten also eine zuzahlungsfreie, seinen
Bedürfnissen entsprechende Versorgung - in Anspruch nehmen, so dass der gestellte Antrag ohne Rücksicht auf seinen Wortlaut
umfassend, d. h. auf alle nach Lage des Falles in Betracht kommenden Leistungen zu prüfen ist (BSG, Urteil vom 20. Oktober
2009, aaO.; BSG, Urteil vom 28. August 2008, Az. B 8/9b SO 18/07 R). Ein Antrag ist daher regelmäßig vom Versicherungsträger
so auszulegen, dass das Begehren des Antragstellers möglichst weitgehend zum Tragen kommt, die Behörde hat alle aufgrund des
Sachverhalts zu seinen Gunsten in Betracht kommenden rechtlichen Möglichkeiten zu erwägen und notfalls auf eine Klärung des
Verfahrensgegenstandes durch den Antragsteller hinzuwirken (Seewald, Kasseler Kommentar, § 16 SGB I Rdnr. 9 m. w. N.). Ein an die Krankenkasse gerichteter Antrag auf Versorgung mit Hörgeräten ist deshalb jedenfalls auch auf
Leistungen zur Teilhabe im Sinne der §§ 1, 4 und 5 SGB IX gerichtet (BSG, Urteil vom 21. August 2008, Az. B 13 R 33/07 R, zitiert nach juris.de). Der entgegenstehenden Auffassung des von der Beigeladenen zitierten SG Nürnberg (aaO.) kann angesichts
dieser anders lautenden ständigen Rechtsprechung des BSG nicht gefolgt werden, diese widerspräche den genannten allgemeinen
Grundsätzen. Selbst wenn der Beigeladenen nicht bekannt geworden sein sollte, dass eine über den Festbetrag hinausreichende
Leistung begehrt war, kann dies der Klägerin unter Berücksichtigung dieser Grundsätze nicht mehr entgegengehalten werden,
insoweit hätte die Beigeladene auf eine Klärung hinwirken müssen. Eine Aufspaltung des Antrages in einen Antrag auf Übernahme
des Festbetrages und einen Antrag auf Übernahme der darüber hinausgehenden Kosten kam aus den genannten Gründen zur Auslegung
von Anträgen nicht in Betracht. Dies widerspräche auch dem bei verständiger Würdigung zu verstehenden Begehren der Klägerin
ebenso wie der Zielsetzung des § 14 Abs. 1 SGB IX, wonach für eine Versorgung des Versicherten nur ein einziger Rehabilitationsträger zuständig sein soll.
Weiter kam es nicht darauf an, dass das Datum des Eingangs des Antrages bei der Beigeladenen nicht mehr feststellbar ist.
Denn jedenfalls steht aufgrund des durch die Beigeladene überreichten Auszuges der bei ihr gespeicherten Daten fest, dass
ihr am 12. Juli 2006 die Versorgungsanzeige vorgelegen hat, da sie hier die Bewilligung einer Versorgungspauschale für sich
notiert hat.
Unerheblich war auch, ob die Beigeladene mit der Bewilligung des Festbetrages ihre Leistungspflicht gegenüber der Klägerin
vollständig erfüllt hat. Dahingestellt bleiben kann ferner, ob in der im November 2006 erfolgten Zahlung des Festbetrages
ein Bescheid der Beigeladenen im Hinblick auf den Restbetrag zu sehen ist. Denn die formelle Zuständigkeit des erstangegangenen
Träger ändert sich nicht dadurch, dass dieser das Verwaltungsverfahren durch Erlass eines - und sei es auch bindenden - Verwaltungsaktes
abschließt (BSG, Urteil vom 21. August 2008, aaO.).
Allerdings hatte aufgrund der Zuständigkeit der Beigeladenen als erstangegangener Trägerin vorliegend die Beklagte die Entscheidungsbefugnis
über die Gewährung von Rehabilitationsleistungen verloren. Denn aus der Zuständigkeit eines Trägers im Sinne von § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX folgt, dass gleichzeitig alle anderen Träger die Entscheidungsbefugnis über die Gewährung von Rehabilitationsleistungen verlieren,
so dass evtl. ergangene Bescheide wegen sachlicher Unzuständigkeit rechtswidrig und aufzuheben sind (BSG, Urteil vom 20. Oktober
2009, aaO., Rdnr. 16), weshalb vorliegend der Bescheid der Beklagten vom 03. August 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 22. November 2006 aufzuheben war.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruch ist § 15 Abs. 1 SGB IX. Diese Vorschrift normiert trägerübergreifend Kostenerstattungsansprüche für selbst beschaffte Teilhabeleistungen (BSG, Urteil
vom 20. Oktober 2009, aaO.). Nach § 15 Abs. 1 S. 4 SGB IX besteht eine Erstattungspflicht u. a. dann, wenn der Rehabilitationsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Die Voraussetzungen
dieser Anspruchsgrundlage sind erfüllt. Zunächst einmal erfolgte eine Ablehnung der beantragten Leistung, dies geschah mit
Bescheid der Beklagten vom 03. August 2006. Die Klägerin hat sich das beantragte Hörgerät erst am 23. Oktober 2006 selbst
beschafft, so dass unter dem Gesichtspunkt der Verpflichtung zur Sachleistungsgewährung keine Bedenken bestehen, das Sachleistungsprinzip
wurde gewahrt. Unschädlich war die vorausgegangene Auswahlentscheidung, die nicht endgültig bindet und die Voraussetzung für
den Leistungsantrag war (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2008, aaO., Rdnr. 12). Unerheblich war weiter, dass die Beklagte, wie
bereits ausgeführt, aufgrund der Regelung des § 14 SGB IX als nicht-erstangegangener Träger für den Erlass des Bescheides sachlich nicht zuständig war. Soweit § 15 SGB IX eine Leistungsablehnung als Anspruchsvoraussetzung fordert, ist nach dem Zweck des § 14 SGB IX auch ein Bescheid des unzuständigen Trägers ausreichend. Dies gilt umso mehr, als auch im Bereich des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches
eine unzureichende Beratung, die zu Nachteilen für einen Berechtigten geführt hat, einer anderen Behörde zuzurechnen ist,
wenn diese vom Gesetzgeber "arbeitsteilig" in das Verfahren eingeschaltet ist (BSG, Urteil vom 24. Juli 1985, Az.: 10 RKg 18/84, zitiert nach juris.de, m. w. N. und BSG, Urteil vom 09. Februar 1994, Az.: 11 RAr 49/93, zitiert nach juris.de, m. w. N.). Eine derartige arbeitsteilige Einschaltung eines anderen Versicherungsträgers ist durch
§ 14 SGB IX dahingehend erfolgt, dass mit dieser Vorschrift ein genau festgelegtes Zusammenspiel von erstangegangenem und ggf. zweitangegangenem
Träger geschaffen worden ist, welches sich zugunsten des Versicherten auswirken soll. Es würde der Zielsetzung des § 14 SGB IX widersprechen, dem Versicherten die Nichteinhaltung des Sachleistungsprinzips entgegenzuhalten, wenn die Versicherungsträger
ihre Zuständigkeitsprüfung nach § 14 SGB IX fehlerhaft vorgenommen haben.
Die Klägerin hatte auch einen Anspruch auf die Leistung als Sachleistung in Form eines Anspruches auf Übernahme der den Festbetrag
übersteigenden Kosten. Dieser bestand allerdings nicht als Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf der Grundlage
des § 33 Abs. 8 Nr. 4 SGB IX, da dieser - nachrangige - Anspruch nur solche Hilfsmittel umfasst, die zum Ausgleich einer Behinderung für eine bestimmte
Berufsausübung erforderlich sind und nicht - wie Hörhilfen - generell für alle beruflichen Tätigkeiten benötigt werden (BSG,
Urteil vom 21. August 2008, a. a.. O.). Hieraus folgt entgegen der Annahme der Beklagten jedoch nicht, dass sie deshalb als
Rentenversicherungsträger derartige Hilfsmittel grundsätzlich nicht zu erbringen hätte bzw. nur in den kaum relevanten Fällen,
in denen ausschließlich die Berufsausübung ein Hilfsmittel erforderlich macht, wofür von ihr im Erörterungstermin beispielhaft
der Klavierstimmer genannt wurde. Denn deren Gewährung kommt daneben auch dann, wenn sie aus beruflichen Gründen erforderlich
sind, als Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Betracht.
Grundlage sind hierfür die §§ 9 Abs. 1 und 2, 15 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch, Gesetzliche Rentenversicherung ( SGB VI), §§ 26 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 6 SGB IX, 31 SGB IX. Gemäß § 9 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 SGB VI kann die Rentenversicherung u. a. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erbringen, für die § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB VI weiter auf die §§ 26 bis 31 SGB IX verweist. Nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX werden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation behinderter Menschen, zu denen die Klägerin aufgrund ihrer Schwerhörigkeit
gehört, erbracht, um Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit zu vermeiden, zu überwinden oder zu lindern. Nach § 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX umfassen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation insbesondere auch Hilfsmittel, deren Erbringung wiederum in § 31 SGB IX näher geregelt ist.
Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Persönliche Voraussetzung für Leistungen
zur Teilhabe ist gemäß § 10 Abs.1 SGB IX zunächst, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten wegen Krankheit oder Behinderung erheblich gefährdet ist und dass bei
erheblicher Gefährdung eine Minderung durch die Leistungsgewährung abgewendet werden kann bzw. bei geminderter Erwerbsfähigkeit,
dass diese durch die Leistungen wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder deren wesentliche Verschlechterung abgewendet
werden kann. Die Klägerin benötigt das von ihr beschaffte Hörgerät der Marke Savia 211 dSZ, da nur so die aus ihrer Schwerhörigkeit
resultierende Einschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit zu überwinden ist. Offen bleiben kann vorliegend, ob unter dem Begriff
der im Gesetz nicht definierten Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit des Versicherten zu verstehen ist, seinen bisherigen Beruf
oder seine bisherige Tätigkeit weiter ausüben zu können (BSG, Urteil vom 05. Februar 2009, Az. B 13 R 27/08 R, SozR 4-3250 § 28 Nr. 3, zitiert nach juris.de, m. w. N.) oder ob hierfür maßgeblich ist, ob der Versicherte unabhängig
von den Besonderheiten des innegehaltenen Arbeitsplatzes den typischen Anforderungen des ausgeübten Berufes noch nachkommen
kann (BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009, Az. B 5 R 44/08 R, BSGE 104, 294, zitiert nach juris.de, m. w. N.). Denn die Anforderungen, die an die Klägerin an ihrem konkreten Arbeitsplatz als Qualitätsmanagementbeauftragte
der AWO I-Geriatriezentrum N gGmH gestellt werden, entsprechen den typischen Anforderungen dieses Berufes. Dies steht für
das Gericht, da allgemeine Quellen (wie etwa das Grundwerk ausbildungs- und berufskundlicher Informationen oder BERUFENET
der Bundesagentur für Arbeit) hierüber noch keine Auskunft geben, fest aufgrund der entsprechenden im Verwaltungsverfahren
beigebrachten Stellenbeschreibung des Arbeitgebers für die Tätigkeit der Klägerin, da es sich bei diesem um einen großen bundesweit
tätigen Träger handelt und die Beschreibung ersichtlich nicht auf Besonderheiten des konkreten Arbeitsplatzes abstellt. Danach
gehören die Durchführung von Fortbildungen und die Organisation von Arbeitsgruppen, also die Dozententätigkeit zu den typischen
Anforderungen dieses Berufes. Nach den Angaben des Arbeitgebers der Klägerin vom 12. September 2006, wonach mehr als 50 %
der Arbeitszeit der Klägerin auf die Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen und die Moderation von Arbeitsgruppen in Qualitätszirkeln
entfallen, hat dieser Teil der Tätigkeit sogar prägenden Charakter.
Diesen Anforderungen kann die Klägerin aufgrund ihrer Schwerhörigkeit nicht gerecht werden; das Hörgerät ist geeignet, diesen
Zustand wesentlich zu bessern. Dies folgt zur Überzeugung des Gerichtes aus dem Gutachten des erstinstanzlich gehörten Gutachters
und Hörgeräteakustikers W vom 03. Dezember 2008, der mit nachvollziehbarer Begründung ausgeführt hat, dass bei Nichtbenutzung
des von der Klägerin gewählten Hörgerätes deren Leistungsvermögen gemindert wäre. Das Gericht schließt sich diesen gutachterlichen
Feststellungen insgesamt an. Das in ihm gefundene Ergebnis ist überzeugend begründet, Einwendungen gegen die Richtigkeit der
in ihm getroffenen Feststellungen sind nicht erhoben worden. Begründet hat der Gutachter die Notwendigkeit der Versorgung
mit dem gewählten Gerät mit den besonderen beruflichen Anforderungen aufgrund der Dozententätigkeit der Klägerin einerseits,
bei der sie aufgrund von üblicherweise vorhandenen erheblichen Störgeräuschen einem besonderen akustischen Umfeld ausgesetzt
ist, welches sich etwa von einer normalen Bürotätigkeit deutlich unterscheidet, und zum anderen mit der medizinischen Besonderheit,
dass die Klägerin nur auf einem Ohr versorgt werden kann, wodurch sie im Hinblick auf das Richtungshören und Verstehen im
Störgeräusch gegenüber einer beidseitigen Versorgung sehr im Nachteil ist, weil alle Schallereignisse auf das linke Ohr treffen
und so Nutzschall und Störschall nur sehr schwer voneinander getrennt werden können. Dies lässt die Notwendigkeit der Versorgung
aufgrund der besonderen beruflichen Anforderungen bei ihrer regelmäßigen Vortragstätigkeit gegenüber größeren Gruppen und
der Leitung von Arbeitsgruppen nachvollziehbar erscheinen. Insbesondere gehen die vorliegend relevanten besonderen beruflichen
Anforderungen über übliche Probleme von Hörgeschädigten bei Mehr-Personen-Gesprächen deutlich hinaus.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI sind ebenfalls erfüllt, wie der Kontoübersicht in der Verwaltungsakte der Beklagten zu entnehmen ist und auch nicht bestritten
wird.
Auch die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 SGB IX sind erfüllt. Das von der Klägerin gewählte Hörgerät ist erforderlich im Sinne dieser Vorschrift. Wenn aus beruflichen Gründen
ein Hörgerät erforderlich war, welches mit dem Festbetrag nicht erworben werden konnte, ist auf dieser Grundlage jedenfalls
ein Anspruch auf eine diesbezügliche Ermessensentscheidung gegeben (BSG, Urteil vom 21. August 2008, aaO.). Die Klägerin benötigt
das von ihr gewählte Gerät für ihre Berufsausübung, wie bereits ausgeführt wurde. Der Sachverständige W hat festgestellt,
dass die weitere Berufsausübung der Klägerin erheblich gefährdet wäre, wenn ihr das von ihr gewählte Gerät nicht zur Verfügung
stünde, und dass eine anderweitige Versorgung der Klägerin mit einem Basis- oder Komfortgerät, also einem Festbetragsgerät,
nicht in Betracht kommt. Dem schließt sich das Gericht an. Die Ausführungen des Dr. S vom 22. Februar 2008 bestätigen dies
insoweit, als auch er mitteilt, dass sich aus dem tonaudiometrischen Hörschwellenverlauf gut ableiten lasse, dass eine mehrkanalig
signalbearbeitende Hörhilfe gewählt werde, um die es sich bei der letztlich zur Anpassung gekommenen Savia 211 dSZ der Firma
Phonak handele. Der Sachverständige betont deshalb, dass sowohl rein messtechnisch als auch praxisbezogen im Hinblick auf
die Tätigkeit der Klägerin die gewählte Versorgung mit dem Hörsystem Savia 211 dAZ die einzig mögliche Lösung ist. Dies ist
nachvollziehbar, zumal der Sachverständige bei seiner Testung mit Störgeräuschen mit dem von ihm getesteten Basisgerät lediglich
noch ein Verständnis von Einsilbern von 25 % feststellen konnte, was für die beschriebene Tätigkeit der Klägerin nicht ausreicht.
Soweit § 31 Abs. 1 SGB IX für die Gewährung eines Hilfsmittels weiter voraussetzt, dass dieses erforderlich sein muss, um u. a. einer drohenden Behinderung
vorzubeugen oder eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, steht dies
dem Anspruch vorliegend nicht entgegen. Lediglich für den Bereich der Krankenversicherung gilt, dass die Berufsausübung kein
Grundbedürfnis des täglichen Lebens ist (BSG, Urteil vom 03. November 1999, Az.: B 3 KR 3/99 R, und Urteil vom 17. Dezember 2009, Az. B 3 KR 20/08 R, Rdnr. 17, zitiert jeweils nach juris.de). Begründet wird dies mit einer Leistungspflicht der Krankenversicherung allein
für den Bereich der medizinischen Rehabilitation, woran sich auch durch das Inkrafttreten des SGB IX nichts geändert hat (BSG, Urteil vom 26. Juni 2007, Az. B 1 KR 36/06 R, zitiert nach juris.de). Diese Einschränkung gilt nicht für die Leistungspflicht der Rentenversicherung für Teilhabeleistungen,
wie § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI durch seine Zweckbestimmung im Hinblick auf die dort genannte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit ausdrücklich bestimmt.
Den Einwänden der Beklagten im Hinblick auf die Notwendigkeit der hochwertigen Versorgung der Klägerin - die Beigeladene hat
hier Einwände ausdrücklich nicht erhoben und sich den Feststellungen des Gutachters angeschlossen - konnte nicht gefolgt werden.
Zum einen ist eine lediglich subsidiäre Leistungsverpflichtung des Rentenversicherungsträgers im Verhältnis zu den Krankenkassen
dem anwendbaren Recht der SGB VI, SGB IX und SGB V nicht zu entnehmen. Durch das Erfüllen der gegenüber den krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften engeren Tatbestandsmerkmale
der §§ 9 ff. SGB VI ist die originäre Zuständigkeit des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung begründet. Dies ist im Umkehrschluss auch
der besonderen Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB VI für zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz zu entnehmen, die vom Rentenversicherungsträger
nur dann zu erbringen ist, wenn sie unmittelbar und gezielt zur wesentlichen Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit,
insbesondere zur Ausübung des bisherigen Berufs, erforderlich ist und soweit sie nicht als Leistung der Krankenversicherung
oder als Hilfe nach dem Fünften Kapitel des Zwölften Buches zu erbringen ist. Eine weitergehende Regelung einer nur subsidiären
Zuständigkeit der Rentenversicherung - namentlich bezüglich einer Versorgung mit Hörgeräten - ist im Gesetz nicht getroffen
worden. Im Wege des Umkehrschlusses ist daher davon auszugehen, dass es über den von § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB VI erfassten Teilbereich hinaus bei der sich aus dem eindeutigen Wortlaut der §§ 9 ff. SGB VI i. V. m. § 33 SGB IX ergebenden Leistungsverpflichtung der Rentenversicherungsträger mit geeigneten Hörgeräten ungeachtet des Leistungsumfanges
der gesetzlichen Krankenversicherung verbleibt (so insgesamt LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 15. Dezember 2005, Az.:
L 10 R 480/05, zitiert nach juris.de). Erforderlich war auch nicht, dass die streitige Versorgung ausschließlich aus beruflichen Gründen
erforderlich ist. Ein derartiges Erfordernis ist dem Gesetzeswortlaut für Leistungen der medizinischen Rehabilitation nicht
zu entnehmen. Abgesehen davon ist im Falle der Klägerin jedenfalls ihre Versorgung mit dem höherwertigen Premiumgerät tatsächlich
lediglich aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit erforderlich, wie der Begründung des Gutachters W zu entnehmen ist, der in
Beantwortung der Frage 4. a nach dem Ausgleich der Folgeerscheinungen der Behinderung für die Ausübung der konkreten Beschäftigung
ausführt, dass die Klägerin nur mit der erfolgten Versorgung in der Lage ist, ihr Arbeitsumfeld zu bewältigen.
Dem Gutachten des Dr. S vom MDK vom 22. Februar 2008, auf welches die Beklagte sich beruft, ist ebenfalls nichts zu ihren
Gunsten zu entnehmen. Die von Dr. S für die Ablehnung der Versorgung gegebenen Begründungen sind sämtlich unerheblich. Zunächst
einmal geht Dr. S davon aus, dass der Nachweis der objektiven Notwendigkeit einer Hörhilfe ohnehin nicht erbracht werden könne,
weil hier lediglich subjektive Testmethoden zur Verfügung stünden, die auch von der Compliance des zu versorgenden Patienten
abhängig seien. Unklar ist, was er hieraus schließen will. Die Schwierigkeit, die tatsächliche Notwendigkeit einer bestimmten
Versorgung festzustellen, kann nicht zum grundsätzlichen Ausschluss derselben führen. Im konkreten Fall sind diesbezügliche
Verdachtsmomente jedenfalls nicht geäußert worden. Weiter kritisiert Dr. S, dass die Möglichkeiten einer anderen Versorgung
durch den anpassenden Hörgeräteakustiker S nicht ausreichend getestet worden seien. Zum einen ist dies jedoch nicht feststellbar.
Nach § 3 Nr. 1 des bereits genannten Vertrages zur Komplettversorgung mit Hörsystemen erhält der Versicherte mindestens zwei
eigenanteilsfreie Versorgungsangebote mit analogen oder digitalen Hörgeräten bestimmter Produktgruppen. Dies ist vorliegend
ausweislich des Abschlussberichtes des Hörgeräteakustikers S vom 28. September 2006 unter Angabe der Hilfsmittel-Positionsnummern
der zuzahlungsfreien Versorgungsvorschläge auch erfolgt. Zum anderen kommt es hierauf jedoch bereits aus grundsätzlichen Erwägungen
nicht an. Fehlerhafte Beratungen seitens eines Leistungserbringers oder eines Sozialversicherungsträgers vermögen nicht berechtigte
Ansprüche von Versicherten auszuschließen. § 14 des genannten Vertrages sieht dementsprechend bei einem Pflichtverstoß auch
lediglich Maßnahmen gegen den Leistungserbringer vor, während der sich aus dem Gesetz ergebende Anspruch der Klägerin hierdurch
nicht berührt wird. Es kommt im Ergebnis daher nicht darauf an, welche Testungen erfolgt sind, sondern allein darauf, ob auf
das letztlich beschaffte Geräte ein Anspruch bestand.
Das Sozialgericht hat zu Recht die Beigeladene auch zur Leistung verurteilt, obwohl nach den §§ 9 Abs. 2 SGB und 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI hinsichtlich der Art und Weise der Sachleistungserbringung Ermessen auszuüben gewesen wäre. Das Ermessen war vorliegend jedoch
auf die Erstattung des vollen Betrages für das von der Klägerin beschaffte Gerät auf Null reduziert. Dies folgt vorliegend
bereits aus den Feststellungen des vom Gericht erstinstanzlich befragten Sachverständigen W, der zu dem Ergebnis kam, dass
das beschaffte Gerät Savia 211 dAZ die einzig mögliche Lösung im Hinblick auf den bei der Klägerin bestehenden Bedarf war.
Einwände sind gegen diese Feststellung nicht erhoben worden. Insbesondere haben weder die Beklagte noch die Beigeladene dargelegt,
welche günstigeren Geräte hier in Betracht gekommen sein sollten. Dahingestellt bleiben kann daher, ob die Verpflichtung zur
Übernahme der vollen Kosten trotz der Beratung der Klägerin durch den Hörgeräteakustiker schon daraus folgt, dass die Beklagte
die Klägerin vor ihrer Ablehnung des geltend gemachten Anspruches durch Bescheid nicht beraten hat. Denn die Kosten einer
aufwendigeren, über das Notwendige hinausgehenden Versorgung sind auch dann zu übernehmen, wenn dem Versicherten durch eine
im Verwaltungsverfahren zu Unrecht erfolgte Ablehnung seines Anspruches durch den Rentenversicherungsträger die erforderliche
sachgerechte Beratung, wie er seine Belastung möglichst gering halten kann, vorenthalten worden ist (BSG, Urteil vom 21. August
2008, aaO., Rdnr. 26).
Offen bleiben für den vorliegend allein streitgegenständlichen Anspruch der Klägerin gegen den erstangegangenen Träger konnte
nach allem, ob unter Zugrundelegung der vom BSG in seinem Urteil vom 17. Dezember 2009 niedergelegten Grundsätze (Az.: B 3 KR 20/08 R, zitiert nach juris.de) die Beigeladene auch in der Sache über den gewährten Festbetrag hinaus aufgrund der krankenversicherungsrechtlichen
Anspruchsgrundlage des § 33 Abs. 1 SGB V leistungspflichtig gewesen wäre. Die Ausführungen des Urteils beschränken sich zwar auf die Gruppe der Schwersthörgeschädigten
mit einem beidseitigen Hörverlust von nahezu 100 %, zu der die Klägerin aufgrund ihres links noch bestehenden nur mittelgradig
eingeschränkten Hörvermögens nicht gehören dürfte. Dies schließt allerdings nicht aus, dass sich die Festbetragsregelung auch
für die Gruppe, der die Klägerin aufgrund der bei ihr bestehenden Einschränkungen zuzurechnen ist, als unzureichend für eine
ausreichende Versorgung im Sinne dieser Rechtsprechung erweist. Da der Anspruch der Klägerin aus den dargelegten Gründen bereits
aufgrund der rentenversicherungsrechtlichen Grundlagen gegeben war, kam es hierauf im Ergebnis für den vorliegenden Rechtsstreit
allerdings nicht mehr an.
Nach alledem war die Berufung der Beigeladenen daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision war gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 1 SGG zuzulassen. Denn eine eindeutige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Reichweite des Anspruchs auf medizinische Rehabilitation
durch die Hörgeräten nach §§ 9 ff SGB VI sieht der Senat nicht.
|