Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten, ihm die Kosten einer ambulanten Rehabilitationsmaßnahme zu erstatten.
Er ist 1960 geboren, Geschäftsführer eines Dackdeckerbetriebes und gesetzlich Versicherter bei der Beklagten. Er leidet vor
allem an Tinnitus.
Am 22. März 2005 beantragte er bei der Beklagten eine stationäre Behandlung in einer psychosomatischen Klinik in B. Er habe
hier in B alle Möglichkeiten ausgeschöpft und privatärztliche Behandlungen selbst bezahlt. Er sei nervlich völlig am Ende.
Beigefügt war die Verordnung einer Krankenhausbehandlung durch seinen behandelndes Hausarzt F K, praktischer Arzt und Facharzt
für Sportmedizin, der dazu die Diagnosen Tinnitus aurium, Diabetes mellitus und psychovegetatives Syndrom angab. Es sei ein
komplexer Therapieansatz mit psychosozialem Paradigmenwechsel erforderlich.
Der Beklagte veranlasste eine sozialmedizinische Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen
(MDK). Dessen Gutachter Dr. G kam in seiner Stellungnahme vom 5. April 2005 zu dem Ergebnis, die geplante psychosomatische
stationärer Behandlung sei aus medizinischer Sicht zu befürworten. Sie sei jedoch nur sinnvoll in einem auch auf Tinnitus-Behandlung
ausgerichteten Haus.
Die verordnete stationäre Behandlung wurde in der Folgezeit nicht durchgeführt, weil - nach Angaben des Klägers - die Klinik
in B nicht aufgrund einer Krankenhausverordnung sondern nur aufgrund einer Verordnung von Reha-Maßnahmen tätig werden wollte.
Am 11. Mai 2005 beantragte der Kläger stattdessen die Kostenübernahme für die Durchführung einer ambulanten Vorsorgemaßnahme
in anerkannten Kurorten nach §
23 Abs.
2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V). Beigefügt war auf dem entsprechenden Formular, ausgestellt vom behandelnden Arzt K am 10. Mai 2005, die Anregung einer
solchen Maßnahme in M. Als Risikofaktor ist Suizidgefährdung eingetragen. Es bestehe eine starke emotionale, psychisch depressive
Stimmung aufgrund der Symptomatik. Vorsorgeziel solle laut Verordnung eine "Besserung Akzeptanz und Umgang mit Symptomatik;
psychologische Betreuung" sein. Die Beklagte erbat erneut eine Stellungnahme des MDK. Dessen Gutachterin Dr. med. B führte
in der Stellungnahme vom 20. Mai 2005 aus, der Hausarzt attestiere jetzt Suizidgefährdung. Dies sei eine Kontraindikation.
Es sei vielmehr eine psychiatrisch-psychologische Behandlung einzuleiten.
Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag auf Durchführung einer ambulanten Vorsorgemaßnahme mit Bescheid vom 30. Mai 2005
ab. Die medizinischen Voraussetzungen lägen nicht vor. Vorrangig seien ambulante Maßnahmen am Wohnort.
Der Kläger erhob Widerspruch. Wo die ambulante Behandlung stattfinde, dürfe wohl egal sein. Die Unterbringungskosten zahle
er ja selber. Da die Ärzte eine Kostenübernahme für eine stationäre Behandlung befürwortet hätten, sei nicht nachvollziehbar,
weshalb die jetzt begehrte Kompaktkur abgelehnt werde. Der MDK, daraufhin erneut eingeschaltet, teilte am 6. Juni 2005 mit,
neue Erkenntnisse lägen nicht vor. Bei der hausärztlicherseits attestierten Selbstgefährdung sei eine stationäre Maßnahme
zu empfehlen. Der medizinische Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg teilte mit Schreiben an die Beklagte vom
13. Juni 2005 mit, dem MDK Niedersachsen uneingeschränkt zuzustimmen. Eine ambulante Vorsorge sei nicht erforderlich, da auf
diese Weise keine zielgerichtete Behandlung des Grundleidens erfolgen könne.
Der behandelnde Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. K teilte in einem Arztbericht für den medizinischen Dienst
unter dem 30. Juni 2005 (Datum der letzten Untersuchung 10. April 2005) mit, der Patient sei suizidgefährdet. Die Fachärztin
für innere Medizin Dr. F diagnostizierte am 5. Juli 2005 eine rezidivierende depressive Störung, zurzeit schwere Episode.
Ursache sei der Tinnitus.
Der Kläger wurde vom 13. Juni bis 3. Juli 2005 in M im Rahmen einer dreiwöchigen Tinnitus-Kompaktkur behandelt. Der Facharzt
für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. R H diagnostizierte dabei u. a. einen dekompensierten chronischen komplexen
Tinnitus. Der Gesamtschweregrad der Tinnitusbeeinträchtigung blieb während der Behandlung unverändert. Am Tag der Aufnahme
wurde eine sehr starke globale psychische Belastung festgestellt, bei der Entlassung hatte sich dies auf eine starke Belastung
reduziert.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2005 zurück.
Der Kläger hat hiergegen Klage vor dem Sozialgerichts Berlin (SG) erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass der Nichtantritt der bewilligten stationären Maßnahme im Mai darauf zurück
zu führen sei, dass die avisierte Klinik in B der Auffassung gewesen sei, eine Behandlung könne nicht über eine Krankenhauseinweisung
sondern nur als Reha-Maßnahme erfolgen. Dem widerspräche die Aussage des MDK-Gutachters Dr. G. Im Übrigen sei auch die Einrichtung
in M gerade auf Tinnituserkrankungen spezialisiert. Er hat der Klage u. a. eine Stellungnahme seines Hals-Nasen-Ohren Arztes
K vom 4. Juli 2005 an die BfA beigefügt, wonach der Tinnitus beim Kläger zu erheblichen Schlafstörungen, Verstärkung der depressiven
Symptomatik bis hin zu Suizidgedanken geführt habe. (GA Blatt 16). Sein behandelnder Hausarzt K hat am 15. September 2005
attestiert, zur Behandlung des psychovegetativen Syndroms, des Tinnitus aurium und der depressiven Reaktion sei unbedingt
eine mindestens dreiwöchige stationäre Rehabilitation in einer entsprechenden Kureinrichtung erforderlich.
Vom 1. September 2005 bis zum 15. September 2005 hat sich der Kläger in stationärer Behandlung in der C befunden. Bei der
Aufnahme hat der Kläger ausweislich des Entlassungsberichts bekundet, mit dem Ohrgeräusch nicht weiter leben zu können, weil
er das Gefühl habe, keiner könne ihm helfen. Eine von ihm selbst bezahlte Kur in M, die ihm nicht geholfen habe, gebe ihm
zu dieser Einstellung Anlass.
Die Beklagte hat erneut den MDK um eine Stellungnahme gebeten, welche dieser mit Datum vom 7. März 2006 abgegeben hat. Auch
retrospektiv betrachtet habe die Tinnitus-Kompaktkur keine ausreichende Stabilisierung gebracht. Neue medizinische Erkenntnisse
hätten sich nicht ergeben.
Der Kläger hat weiter erklärt, ihm seien für die ambulante Kompaktkur Kosten in Höhe von 980,- Euro, 150,- Euro Fahrtkosten
(Kilometerpauschale) entstanden. Er mache weiter Tagegeld von 21 x 13,- Euro geltend, insgesamt 1.303,- Euro. Mit weiterer
Stellungnahme vom 6. Oktober 2006 hat der behandelnde praktische Arzt K ausgeführt, damals seien alle ambulanten Behandlungsmethoden
ausgeschöpft gewesen. Ein Ortswechsel sei erforderlich gewesen.
Im Auftrag der Beklagten hat der MDK am 10. November 2006 ein sozialmedizinisches Gutachten erstellt. Darin wird der Standpunkt
wiederholt, dass eine stationäre psychosomatisch ausgerichtete Behandlung in einer mit dem Krankheitsbild eines dekompensierten
chronisch-komplexen Tinnitus erfahrende Klinik medizinisch begründet gewesen sei.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 5. September 2007 abgewiesen. Mögliche Anspruchsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch
könne nur §
15 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch i.V.m. §
13 Abs.
3 SGB V sein. Die Beklagte habe jedoch nicht - wie hierfür erforderlich - zu Unrecht die Sachleistung einer ambulanten Kur abgelehnt.
Nach §
40 Abs.
1 SGB V könne eine Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen,
für die ein Versorgungsvertrag nach §
111 SGB V bestehe, erbringen, wenn die ambulante Krankenbehandlung nicht ausreiche, um die in §
27 Abs.
1 und §
11 Abs.
2 SGB V beschriebenen Ziele zu erreichen. Nach §
27 Satz 1
SGB V hätten Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach §
11 Abs.
2 SGB V gehörten zu den Leistungen auch medizinische und ergänzende Leistungen zu Rehabilitation, die notwendig seien, um einer drohende
Behinderung vorzubeugen, eine Behinderung zu beseitigen, zu bessern oder eine Verschlimmerung zu verhüten, Pflegebedürftigkeit
zu vermeiden oder zu mindern. Zudem könne die Krankenkasse nach §
23 Abs.
2 SGB V aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Vorsorgeleistungen in anerkannten Kurorten erbringen. Die Leistungen müssten
immer ausreichend zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürften das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen
die nicht erforderlich oder unwirtschaftlich seien, könnten von Versicherten nicht beansprucht werden. Der Gesetzgeber habe
dieses allgemein für Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung geltende Wirtschaftlichkeitsgebot ausdrücklich in §
40 Abs.
2 SGB V normiert. Danach dürfe eine ambulante Vorsorge- oder Rehabilitationsleistung nur gewährt werden, wenn eine ambulante Krankenbehandlung
am Wohnort nicht ausreiche, weil sie gegenüber der normalen ambulanten Behandlung die aufwendigere Leistung darstelle. Umgekehrt
müsse die ambulante Rehabilitationsleistung die Behandlungsziele erreichen können. Die Kammer sei hier zum Ergebnis gelangt,
dass eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme medizinisch nicht ausreichend gewesen sei, um die bei dem Kläger bestehenden Leiden
zu lindern und einer Verschlimmerung entgegen zu wirken. Der Kläger habe an einem dekompensierten Tinnitus und unter Depressionen
mit einer Neigung zur Suizidalität gelitten. Nach der nachvollziehbaren Stellungnahme des MDK sei eine ambulante Kompaktkur
bei Suizidgefährdung kontraindiziert gewesen. Es hätte vielmehr eine stationäre Behandlung mit intensiverer Therapiedichte
erfolgen sollen. Neben dem MDK hätten sich auch die behandelnden Ärzte Dr. K und Dr. F dieser Auffassung der Notwendigkeit
einer stationären Behandlung angeschlossen. Der praktische Arzt K habe zwar eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme befürwortet.
Er habe jedoch am 21. Mai 2005 eine Verordnung von Krankenhausbehandlung ausgestellt und im September 2005 attestiert, der
Kläger bedürfe dringend einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. Auch habe sich aus dem Umstand, dass bereits zwei Monaten
nach der ambulanten Kur eine stationäre Krankenhausbehandlung in der C erforderlich gewesen sei, gezeigt, dass die ambulante
Kur nicht zu einem Heilerfolg geführt habe.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er habe von Anfang an konsequent alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft.
Die Annahme des SG, eine stationäre Krankenhausbehandlung sei angezeigt gewesen, sei falsch, weil sich mittlerweile gezeigt habe, dass selbst
eine solche die bestehenden Leiden nicht habe lindern noch zu spürbarer Verbesserung habe führen können. Die ambulante Kompaktkur
sei aufgrund der Herauslösung des Klägers aus seinem beruflichen Umfeld und den damit einhergehenden Problemen, dem Stress
und den regelmäßigen Belastungszuständen, geeignet gewesen, einen spürbaren Behandlungserfolg zu erzielen. Die Klinik in M
sei entsprechend spezialisiert. Die Notwendigkeit einer solchen Spezialisierung hätten sowohl der MDK als auch die behandelnden
Ärzte betont.
Für eine entsprechende Behandlung in Berlin hätten lange Wartezeiten bestanden. Der Kläger habe sich so aus Sicht der Beklagten
eigentlich wirtschaftlich verhalten. Den ärztlichen Stellungnahmen des MDK sei schließlich nicht zu entnehmen, weshalb die
Kompaktkur aus Gründen der Suizidalität kontraindiziert gewesen sei. Auch die Beklagte rate nur zu einer psychiatrischen Behandlung.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Berlin vom 5. September 2007 zu verurteilen, ihm die
Kosten in Höhe von 1.303,- Euro für die im Zeitraum vom 12. Juni 2005 bis zum 3. Juli 2005 durchgeführte ambulante Kur in
Bad Meinberg zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt. Auf die von ihnen eingereichten
Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
Auch zur Überzeugung des Senates war hier die ambulante Kompaktkur bereits aus der damaligen Sicht vor Antritt nicht geeignet,
eine hinreichende Verbesserung der Leiden des Klägers erwarten zu lassen. Sie war kontraindiziert aufgrund des schwerwiegenden
psychischen Zustandes des Klägers. So bestand dann auch nach dem Bericht des behandelnden Facharztes Dr. H bei der Entlassung
aus der Kompaktkur eine immer noch starke psychische Belastung bei unverändertem Gesamtschweregrad der Tinnitusbeeinträchtigung.
Erforderlich wäre - wie das SG auch zur Überzeugung des Senates zutreffend ausgeführt hat - zunächst eine psychiatrische Behandlung auch und gerade der
Depression in Form eines stationären Aufenthaltes in einer psychiatrischen Klinik, eine stationäre Krankenhausbehandlung und
nicht eine Rehabilitationsmaßnahme. Wer schwer depressiv ist und an Selbsttötung denkt, kann nicht lernen, mit einem schweren
Tinnitus umzugehen. Eine entsprechende Behandlung hatte die Beklage genehmigt. Soweit die Klinik in B nicht geeignet gewesen
ist, hätte eine andere Klinik gewählt werden müssen. Dass Monate später selbst ein entsprechender stationärer Aufenthalt nicht
den erwünschten Erfolg gebracht hat, lässt die ambulante Kompaktkur nicht sinnvoll erscheinen.