Tatbestand:
Die Klägerin wehrt sich gegen die Aufrechnung von Altersrentenzahlungen mit Beitragrückständen zur Rentenversicherung.
Mit unangefochten gebliebenem Bescheid vom 17. November 1998 hatte die seinerzeitige LVA Sachsen-Anhalt rückständige Pflichtversicherungsbeiträge
in Höhe von 3.350,44 DM (1.713,04 €) für die Zeit von Mai 1992 bis August 1993 festgesetzt, die die Klägerin auch in der Folgezeit
nicht beglichen hatte.
Mit Bescheid vom 15. März 2005 gewährte die Beklagte der nach Brandenburg umgezogenen Klägerin vom 1. Mai 2005 an eine Altersrente
in Höhe von monatlich 475,97 € und errechnete zugleich eine Nachzahlung für April 2005 in gleicher Höhe. Mit Bescheid vom
22. Juni 2005 teilte sie der Klägerin mit, sie rechne vom 1. September 2005 an die nach dem Bescheid vom 17. November 1998
zu leistenden Beitragszahlungen gegen die laufend zu gewährende Rente wegen Alters auf, und zwar in Höhe von 237,98 € monatlich.
Außerdem behalte sie diesen Betrag auch von der Nachzahlung für April 2005 ein. Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte
die Klägerin geltend, es würden Pfändungsfreigrenzen missachtet. Im Übrigen sei über ihr Vermögen mit Beschluss vom 15. August
2002 durch das Amtsgericht Potsdam das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, Pfändungsgrenzen
seien wegen der spezialgesetzlichen Regelung in § 51 Abs. 2 SGB I unbeachtlich. Auch das Insolvenzverfahren stehe der Aufrechnung
nicht entgegen, da diese den massefreien Rentenanteil betreffe. Seit Januar 2007 behält die Beklagte keinen Teil der Rentenzahlung
mehr ein.
Mit der am 21. Februar 2006 erhobenen Klage hat die Klägerin den Bescheid vom 22. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 26. Januar 2006 angefochten, hierzu das Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren vertieft und Verjährung der Beitragsforderung
eingewandt. Das Sozialgericht Potsdam hat die Klage mit Urteil vom 20. April 2007 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt,
die Berechtigung der Beitragsforderung sei wegen bestandskräftiger Festsetzung nicht zu prüfen. Auch eine im Zeitpunkt der
Festsetzung bereits eingetretene Verjährung wäre unbeachtlich. Der Aufrechnung stünden Pfändungsfreigrenzen wegen spezialgesetzlicher
Regelung in § 51 Abs. 2 SGB I nicht entgegen. Schließlich sei auch das Insolvenzverfahren unbeachtlich, da die danach mögliche
Restschuldbefreiung noch nicht eingetreten sei.
Gegen das ihr am 7. Juni 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. Juli 2007 Berufung eingelegt. Sie vertieft ihr Vorbringen
aus dem erstinstanzlichen Verfahren und trägt ergänzend vor, das Insolvenzverfahren habe mit einer Restschuldbefreiung geendet.
Im Übrigen sei eine Aufrechnung mangels Gegenseitigkeit der Forderungen unzulässig. Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 20. April 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2006 aufzuheben, hilfsweise festzustellen, dass die vorgenannten Bescheide rechtswidrig
waren, weiter hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug
genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist hinsichtlich des auf Aufhebung des Aufrechnungsbescheides gerichteten Hauptantrages zulässig. Zwar ist die
Aufrechnung unterdessen abgeschlossen, doch lässt die Beendigung der Aufrechnung das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung
nicht entfallen. Soweit das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 27. März 2007 (B 13 RJ 43/05 R, Juris, Randnr.
13) die Auffassung vertreten hat, die Beendigung einer Verrechnung führe zur Erledigung des die Verrechnung aussprechenden
Verwaltungsaktes auf andere Weise im Sinne von § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X), vermag sich der Senat dem
nicht anzuschließen. Eine Erledigung tritt solange nicht ein, wie von dem belastenden Verwaltungsakt noch Rechtswirkungen
ausgehen, seine Aufhebung also zu einem rechtlichen Vorteil für den Adressaten führen würde. So liegt es bei Aufrechnungen
ebenso wie bei Verrechnungen auch nach deren Beendigung, denn der die Aufrechnung erklärende Verwaltungsakt bildet den Rechtsgrund
für das sog. "Behaltendürfen" des nicht zur Auszahlung gelangten Teils der Sozialleistung.
Die Berufung ist indes nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid
vom 22. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2006 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher
nicht in ihren Rechten.
Grundlage für die Aufrechnung ist § 51 Abs. 2 Sozialgesetzbuch/Erstes Buch (SGB I). Danach kann der zuständige Leistungsträger
mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen,
wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig [...] wird. Die danach erforderliche Aufrechnungslage
im Sinne von § 387 BGB war gegeben. Entgegen der Ansicht der Klägerin gilt dies auch für die Gegenseitigkeit der Forderungen.
Zwar handelt es sich bei der seinerzeitigen LVA Sachsen-Anhalt als Beitragsgläubigerin und der Beklagten als Rentenschuldnerin
um zwei formal selbstständige Rechtspersönlichkeiten. Maßgeblich ist jedoch die sachliche Einheit der allgemeinen Rentenversicherung,
deren Aufgaben gem. § 125 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch (SGB VI) von den Regionalträgern und den Bundesträgern wahrgenommen
werden, die sich gem. § 219 SGB VI in einem Finanzverbund befinden. Das BSG hat hinsichtlich der einzelnen Rentenversicherungsträger
des seinerzeitigen Versicherungszweiges der Arbeiterrentenversicherung den Vorrang der sachlichen Einheit vor der formalen
Selbstständigkeit der Versicherungsträger festgestellt und daher die Zulässigkeit einer Aufrechnung mit Beitragsansprüchen
eines Versicherungsträgers gegen Ansprüche auf Leistungen eines anderen Trägers desselben Versicherungszweiges angenommen
(BSG, Urteil vom 1. November 1968, 12 RJ 342/66, Juris, Randnr. 16). Mit der Aufhebung der Trennung der Versicherungszweige
und deren Umwandlung in die allgemeine Rentenversicherung hat dieser Grundsatz nicht an Geltung eingebüßt, sondern eine Ausdehnung
erfahren.
Die Forderung der ehemaligen LVA Sachsen-Anhalt war auch fällig und entgegen der Ansicht der Klägerin nicht verjährt. Nachdem
die Klägerin den Bescheid vom 17. November 1998 hat unanfechtbar werden lassen, beträgt die Verjährungsfrist gem. § 52 Abs.
2 SGB X 30 Jahre.
Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, es werde mit der Aufrechnung unzulässig in einen gem. §§ 850ff. Zivilprozessordnung
(ZPO) vor Pfändung geschützten Teil ihres Vermögens eingegriffen. Für die hier erfolgte Aufrechnung mit Beitragsansprüchen
hat der Gesetzgeber mit § 51 Abs. 2 SGB I eine Sonderregelung geschaffen, die eine Aufrechnung bis zum Eintritt der Hilfsbedürftigkeit
ohne Rücksicht auf Pfändungsgrenzen zulässt (BSG, Urteil vom 19. Januar 1978, 4 RJ 47/77, Juris).
Der Aufrechnung stand auch nicht das über das Vermögen der Klägerin eröffnete Insolvenzverfahren entgegen. Dies ergibt sich
bereits daraus, dass §§ 114, 95 und 96 der Insolvenzordnung (InsO) nur den pfändbaren Teil der Altersrente betreffen, worunter
der von der Beklagten aufgerechnete Teil der Altersrente schon deshalb nicht fällt, weil der Pfändungsfreibetrag nach § 850c
Abs. 1 ZPO mindestens 930 Euro beträgt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Januar 2009, L 21 B 1829/08 R ER, Juris,
Randnr. 22; Beschluss vom 27. Juli 2009, L 33 R 204/09 B ER, Juris, Randnr. 17).
Nachdem die Klägerin auch nach Auskunft ihres Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung durch die vorgenommene
Aufrechnung nicht hilfebedürftig geworden ist, war die Beklagte zur Aufrechnung in der erfolgten Höhe befugt. Anhaltspunkte
für eine Ermessensfehlerhaftigkeit sind nicht ersichtlich.
Die Aufrechnung durfte schließlich auch in der Rechtsform eines Verwaltungsaktes geschehen. Zwar handelt es sich bei der Aufrechnung
um ein Institut, das dem Zivilrecht entspringt und dort in einem Verhältnis der Gleichordnung ausgeübt wird. Hingegen ist
ein Verwaltungsakt gem. § 31 SGB X eine Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme einer Behörde, also eine
Handlungsform im Verhältnis der Über- und Unterordnung. Jedenfalls für den Bereich des Sozialverwaltungsrechts hat aber der
Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass Auf- und Verrechnung ohne Rücksicht auf die Abweichung ihrer Rechtsnatur von den allgemeinen
Anforderungen an einen Verwaltungsakt als Verwaltungsakte zu qualifizieren sind. Gem. § 24 Abs. 1 SGB X ist einem Beteiligten
vor Erlass eines in seine Rechte eingreifenden Verwaltungsaktes Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Hiervon hat der Gesetzgeber
in § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X eine Ausnahme vorgesehen, wenn gegen oder mit Ansprüchen von weniger als 70 Euro auf- oder verrechnet
werden soll. Dieser Ausnahmeregelung bedurfte es nur dann, wenn eine Aufrechnung in der Rechtsform des Verwaltungsaktes ergehen
kann. Aus dieser ausdrücklichen Bezugnahme auf Aufrechnung und Verrechnung ergibt sich zugleich, dass es sich bei §§ 51 und
52 SGB I um Ermächtigungsgrundlagen für den Erlass von Verwaltungsakten handelt.
Die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage war bereits wegen ihrer Subsidiarität zur zulässigen Anfechtungsklage
abzuweisen, im Übrigen hätte sie aus den zur Zurückweisung der Berufung führenden Gründen auch in der Sache keinen Erfolg
gehabt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, denn die Frage, ob eine Verrechnung
nach § 52 SGB I im Wege des Verwaltungsaktes erklärt werden darf, liegt gegenwärtig aufgrund des Vorlagebeschlusses des 13.
Senats des BSG vom 25. Februar 2010 (B 13 R 76/09 R, Juris) dem Großen Senat des Bundessozialgerichts zur Entscheidung vor.
Die Verrechnung ist aber ein Sonderfall der Aufrechnung, so dass die Frage die Aufrechnung in gleicher Weise betrifft.
Ob die Revision auch gem. § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen gewesen wäre, kann offen bleiben. Zwar weicht der Senat von der
eingangs genannten Entscheidung des BSG (Urteil vom 27. März 2007, B 13 RJ 43/05 R, Juris, Randnr. 13) ab, doch beruht die
Entscheidung hinsichtlich des Entscheidungssatzes nicht auf der Abweichung, denn auch bei unterstellter Erledigung des Aufrechnungsbescheides
mit Beendigung der Aufrechnung wäre die Berufung zurückzuweisen und die Fortsetzungsfeststellungsklage abzuweisen gewesen.
Allerdings hätte dann die Zurückweisung der Berufung wegen Unzulässigkeit der Anfechtungsklage und die Abweisung der Fortsetzungsfeststellungsklage
als unbegründet erfolgen müssen.