Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung
Anspruch auf Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes der Arztpraxis nach einer Ablehnung der Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes
Erforderlichkeit des Substrats einer objektiv noch fortführungsfähigen Praxis
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Entschädigung in Höhe von 14.450 € für den Verkehrswert des Vertragsarztsitzes des Klägers.
Der Kläger war seit dem 22. August 1994 als praktischer Arzt zugelassen und seit dem 24. Oktober 1996 mit der Zusatzbezeichnung
Umweltmedizin mit einem vollen Versorgungsauftrag im Bezirk der Beklagten tätig. Am 18. Oktober 2017 beantragte er die Durchführung
eines Nachbesetzungsverfahrens gemäß §
103 Abs.
3 a Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (
SGB V) beim zuständigen Zulassungsausschuss für Ärzte. Er gab dabei an, auf seine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung mit
Wirkung zum 1. Juli 2018 unter der Voraussetzung verzichten zu wollen, dass einer Nachbesetzung zugestimmt werde und eine
Nachfolgerin/ein Nachfolger per Kaufvertrag die Praxis übernehme. Der Kläger wies ergänzend darauf hin, dass es sich um die
letzte Kassenarztpraxis mit Schwerpunkt Umweltmedizin handele. Mit Schreiben vom 14. November 2017 teilte die Beklagte dem
Zulassungsausschuss mit, dass Hinderungsgründe bestünden, das beantragte Nachbesetzungsverfahren für den vollen Versorgungsauftrag
durchzuführen. Der Kläger habe in den ausgewerteten Quartalen 1 bis 4/2016 nur eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von
1,90 Stunden erreicht. Zusätzlich seien laut Abrechnungsstatistik in den Quartalen 3/2016 bis 2/2017 nur von zwei Ärzten in
Hamburg umweltmedizinische Leistungen abgerechnet worden. Von insgesamt 1249 Abrechnungsfällen habe der Kläger 46 erbracht.
Dies entspreche lediglich 3,68% von allen abgerechneten umweltmedizinischen Leistungen.
In seiner Stellungnahme hierzu wies der Kläger auf die umweltmedizinische Bedeutung seiner Praxis hin. Es sei nur ein Bruchteil
seiner Arbeit anerkannt und abgerechnet worden, weshalb sich ein schiefes Bild seiner Tätigkeit ergebe. In seiner Anhörung
vor dem Zulassungsausschuss gab der Kläger an, er habe durchschnittlich an zwei Tagen in der Woche eine umweltmedizinische
Sprechstunde angeboten. Vor- und Nachbereitung nähmen viel Zeit in Anspruch. Eine beispielhafte Sprechstunde habe wie folgt
ausgesehen: Ein 14jähriges Kind, welches neben drei Hochspannungsleitungen lebe und zusätzlich unter einer Bleibelastung leide,
eine Familie mit einer Schimmelpilzbelastung und ein Mann mit einer multiplen Chemikalienunverträglichkeit. Entscheidungen
über Umzüge etc. könnten in derartigen Fällen erst nach längerer Nachbereitung getroffen werden. Er habe diese Leistungen,
im Gegensatz zu anderen Umweltmedizinern, als Kassenleistung angeboten, aber eigentlich mehr Ausgaben gehabt, als die Kassenpatienten
eingebracht hätten. Eine allgemeinmedizinische Praxis habe er daneben nicht betrieben, er sei umweltmedizinisch tätig gewesen.
Um seine Kosten decken zu können, habe er noch arbeitsmedizinisch gearbeitet. Dass er 20 hausärztliche Sprechstunden wöchentlich
anbieten müsse, sei ihm nicht bekannt gewesen. Er habe schon zwei Jahre einen Nachfolger gesucht, aber keinen gefunden.
Der Zulassungsausschuss lehnte mit Beschluss vom 24. Januar 2018 den Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens
ab. Vor dem Hintergrund der Stellungnahme der Beklagten sei man zu dem Schluss gekommen, dass die Weiterführung der Praxis
des Klägers aus Versorgungsgründen nicht erforderlich sei. Die hiergegen erhobene Klage, mit welcher der Kläger auch den materiellen
Wert der Praxis beziffert hatte, nahm der Kläger nach einem richterlichen Hinweis zurück.
Mit Schreiben vom 1. Oktober 2018 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Entschädigung wegen der Einziehung seines Kassenarztsitzes.
Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Dezember 2018 ab. Die bestandskräftige Entscheidung des Zulassungsausschusses
löse keine Entschädigungspflicht aus. Der Zulassungsausschuss habe den Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens
nicht wegen fehlender Versorgungsnotwendigkeit, sondern wegen des Fehlens einer fortführungsfähigen Praxis abgelehnt. Werde
das Vorliegen einer fortführungsfähigen Praxis verneint, stelle sich die Frage, ob eine Nachbesetzung aus Versorgungsgründen
erforderlich sei, gar nicht erst. In einem solchen Fall sei die Beklagte nicht zu einer Entschädigung verpflichtet. Dass keine
fortführungsfähige Praxis vorliege, ergebe sich eindeutig aus der Stellungnahme gegenüber dem Zulassungsausschuss. Der Widerspruch
des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. April 2019).
Auf die hiergegen erhobene Klage hin hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt,
an den Kläger 14.450 € zu zahlen. Anspruchsgrundlage sei §
103 Abs.
3a Satz 13
SGB V. Habe der Zulassungsausschuss den Antrag auf Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes abgelehnt, weil eine Nachbesetzung aus
Versorgungsgründen nicht erforderlich sei (§
103 Abs.
3a Satz 3
SGB V), habe die Kassenärztliche Vereinigung dem Vertragsarzt ohne Ausübung von Ermessen eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes
der Arztpraxis zu zahlen. Die Zahlung der Entschädigung hänge allein von der Entscheidung des Zulassungsausschusses ab. Dieser
könne den Antrag auf Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes ablehnen. Möglich sei eine solche Ablehnung, wenn kein fortführungsfähiges
Praxissubstrat vorliege oder es aus Versorgungsgründen nicht erforderlich sei, dass der Vertragsarztsitz nachbesetzt werde.
Dem Zulassungsausschuss gegenüber habe die Beklagte zwar deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht kein fortführungsfähiges Praxissubstrat
vorliege, weil der Kläger schon seit längerem nicht im erforderlichen Umfang an der vertragsärztlichen Versorgung teilgenommen
habe, diese Begründung habe sich aber der Zulassungsausschuss nicht zu eigen gemacht. Der Zulassungsausschuss habe vielmehr
begründet, er, der Zulassungsausschuss, sei vor dem Hintergrund der Stellungnahme zu dem Schluss gekommen, dass die Weiterführung
der Praxis des Klägers aus Versorgungsgründen nicht erforderlich sei. Der Zulassungsausschuss habe demnach nicht ausgeführt,
dass das Nachbesetzungsverfahren nicht durchzuführen sei, weil keine fortführungsfähige Praxis mehr vorhanden sei.
Auch nach der Gesetzsystematik sei die Beklagte nicht berechtigt, eine eigene Bewertung vorzunehmen und die Entschädigung
nach §
103 Abs.
3a Satz 13
SGB V abzulehnen, weil sie und nicht der Zulassungsausschuss zu dem Ergebnis gekommen sei, dass ein fortführungsfähiges Praxissubtrat
nicht vorliege. Das Nachbesetzungsverfahren nach §
103 Abs.
3a Satz 1, Abs.
4 Satz 1
SGB V werde nur in Planungsbereichen durchgeführt, die für die jeweilige Arztgruppe wegen Überversorgung gesperrt seien, denn nach
der gesetzlichen Konzeption sei in diesen Planungsbereichen auch die Nachbesetzung von Vertragsarztsitzen unerwünscht. Dies
sei der Fall gewesen, da in S. die Versorgungsquote für die Arztgruppe des Klägers bei 134% gelegen habe, während im Bezirk
der Beklagten insgesamt die Versorgungsquote bei 114,6% liege. Der Gesetzgeber lasse dennoch mit der in §
103 Abs.
3a und Abs.
4 SGB V getroffenen Regelung zu, dass ein bestehender – für die Versorgung nicht erforderlicher – Vertragsarztsitz nachbesetzt werden
könne, um die finanziellen Interessen des bisherigen Praxisinhabers bzw. seiner Erben zu berücksichtigen. Nach dem Sinn und
Zweck sei der Zulassungsausschuss genau dieser gesetzlichen Konzeption gefolgt, als er es aus Versorgungsgründen abgelehnt
habe, das Nachbesetzungsverfahren durchzuführen. Es habe ein in S. nicht mehr benötigter Vertragsarztsitz „vom Markt genommen“
werden sollen, aber ohne den finanziellen Interessen des Praxisinhabers zu schaden.
Im Übrigen genüge es auch nicht, einen Versorgungsbedarf nur anhand der Fallzahlen des Klägers festzumachen. Geringe Fallzahlen
allein bildeten nicht den bestehenden Bedarf ab, weil die Gründe für eine unterdurchschnittliche Praxis unterschiedlich sein
könnten. Es sei deshalb immer auch die Versorgungssituation außerhalb der Praxis in den Blick zu nehmen; dabei genüge es nicht
– wie vorliegend –, nur die Fallzahlen der Fachkollegen „im Umkreis“ der Praxis zu erheben. Es sei vielmehr auf den gesamten
Planungsbereich abzustellen. Selbst wenn die Entscheidung des Zulassungsausschusses möglicherweise rechtswidrig sei, so sei
sie nicht nur gegenüber dem Kläger, sondern auch gegenüber der Beklagten bestandskräftig geworden und entfalte auch aus diesem
Grund eine Bindungswirkung gegenüber der Beklagten insoweit, als dass die Nachbesetzung aus Versorgungsgründen abgelehnt worden
sei.
Die Beklagte hat gegen die Entscheidung rechtzeitig Berufung eingelegt, mit welcher sie vorträgt, der Zulassungsausschuss
habe den Antrag des Klägers auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens gerade nicht aus Versorgungsgründen, sondern mangels
eines ausreichenden Praxissubstrats abgelehnt. Zwar sei der Beschluss des Zulassungsausschusses vom 24. Januar 2018 unglücklich
formuliert, bei genauerer Betrachtung und Auslegung ergebe sich jedoch eindeutig, dass der Zulassungsausschuss den Antrag
auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens mangels Vorliegens einer fortführungsfähigen Praxis abgelehnt habe. So werde
in dem Bescheid ausdrücklich auf die Stellungnahme der Beklagten Bezug genommen, was schlicht keinen Sinn ergäbe, wenn die
Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens tatsächlich aus Versorgungsgründen abgelehnt worden wäre. Auch werde in dem Bescheid
inhaltlich nicht auf die Thematik eingegangen, ob die Praxis aus Versorgungsgründen erforderlich sei. Bei einer Ablehnung
des Nachbesetzungsverfahrens aus Versorgungsgründen hätte indes auf die Versorgungslage im Planungsbereich eingegangen und
die Ablehnung des Antrags entsprechend ausführlich begründet werden müssen. Außerdem lasse sich aus dem Protokoll der Sitzung
des Zulassungsausschusses erkennen, dass die Mitglieder des Ausschusses sich mit der Frage der Versorgungsnotwendigkeit nicht
beschäftigt hätten und dies auch nicht gewusst hätten, da in einem ersten Schritt die allgemeinen Voraussetzungen des Nachbesetzungsverfahrens
geprüft und verneint worden seien. Es dränge sich daher auf, dass der Zulassungsausschuss trotz der unglücklichen Formulierung
im Beschluss den Antrag auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens tatsächlich aufgrund fehlenden fortführungsfähigen Praxissubstrats
abgelehnt habe und eben nicht aus Versorgungsgründen. Sie, die Beklagte, gehe daher davon aus, dass sie auf die tatsächliche
Entscheidung des Zulassungsausschusses abstellen dürfe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und ist darüber hinaus der Meinung, der Gesetzesbegründung sei nicht
zu entnehmen, dass der Gesetzgeber zwischen einer Antragsablehnung aus Versorgungsgründen und einer Ablehnung mangels Praxissubstrats
unterschieden habe. Vor diesem Hintergrund sei bereits fraglich, ob eine derartige Differenzierung überhaupt im Sinne des
Gesetzgebers erfolgen könne, zumal ein fehlendes Praxissubstrat einen Unterfall der Versorgungsgründe darstelle. Dies gelte
insbesondere in dem hier betroffenen speziellen Gebiet der Zusatzbezeichnung Umweltmedizin, bei dem die Versorgung nicht nach
den üblichen Maßstäben bewertet werden könne. Die nachträgliche Stellungnahme der Beigeladenen könne entsprechend der bisherigen
Begründung keinen Einfluss auf den bestandskräftigen Bescheid haben. Im Übrigen sei bereits mit Schreiben vom 25. November
2017 darauf hingewiesen worden, dass die Abrechnungsstatistik lediglich auf einer fehlerhaften Abrechnung des weiteren Arztes
im Bereich der Umweltmedizin beruhen könne. Dieser Hinweis sei nicht entkräftet worden.
Der Senat hat den Zulassungsausschuss durch Beschluss vom 29. Juli 2020 beigeladen. Dieser hat ausgeführt, entscheidungserheblich
für die Ablehnung des Antrags des Klägers sei gewesen, dass seine Praxis nicht über das erforderliche Praxissubstrat verfügt
habe. Die Beklagte habe mit Schreiben vom 14. November 2017 eine nicht befürwortende Stellungnahme abgegeben und dabei ergänzend
wie üblich ein Datenblatt zur lokalen Versorgungssituation am Vertragsarztsitz des Klägers sowie zu den maßgeblichen Vergleichszahlen
zur Verfügung gestellt. Es sei ermittelt worden, dass der Kläger deutlich unterdurchschnittliche Fallzahlen im Vergleich zur
Fachgruppe abgerechnet habe und die Kalkulationszeiten auf eine wöchentliche Arbeitszeit von durchschnittlich 1,90 Stunden
hätten schließen lassen, womit der Versorgungsauftrag von mindestens 20 wöchentlichen Sprechstunden nicht erfüllt gewesen
sei. Zudem seien in den Quartalen 3/2016-2/2017 nur von zwei Ärzten umweltmedizinische Leistungen erbracht worden, von denen
auf den Kläger nur 3,68 % (46 von 1249 Abrechnungsfällen) entfallen seien. Der Kläger sei in der mündlichen Verhandlung durch
den Vorsitzenden darauf hingewiesen worden, dass die von ihm erbrachten Leistungen nicht genügten, um ein Praxissubstrat anzunehmen.
Dies sei auch protokolliert worden. Aus diesem Grunde sei die Ablehnung des Antrages erfolgt. Es könne nicht mehr nachvollzogen
werden, warum die schriftliche Begründung des Beschlusses missverständlich formuliert worden sei. Es habe hiermit jedenfalls
nicht zum Ausdruck gebracht werden sollen, dass die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens an der Versorgungssituation
gescheitert sei.
Einen Antrag hat die Beigeladene nicht gestellt.
In der mündlichen Verhandlung vom 10. November 2021 hat der Kläger erklärt, seine Praxis sei an zwei, manchmal an drei halben
Tagen in der Woche geöffnet gewesen. Die Sprechstunden hätten jeweils von 14 bis 17 Uhr, manchmal auch bis 18 Uhr gedauert.
Pro Patient sei mindestens eine halbe Stunde vorgesehen gewesen, es handele sich um sehr komplexe Fragestellungen. Während
der Sprechstunden sei jeweils eine Assistentin tätig gewesen, das seien überwiegend Medizinstudentinnen gewesen, es habe sich
aber auch einmal um eine Betriebswirtin gehandelt. In der übrigen Zeit sei er im Außendienst für mehrere größere Auftraggeber
tätig gewesen. Ein großer Auftraggeber sei das Krankenhaus „M.“, gewesen, auch sei er für den T. und die Firma S1 GmbH im
Bereich Arbeitssicherheit tätig gewesen. Er habe etwa ein Jahr nach einem Nachfolger für seine Praxis gesucht. Es habe auch
zwei Interessenten gegeben, aber kaum ein Arzt verfüge über die Zusatzbezeichnung „Umweltmediziner“.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den
Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 10. November 2021 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten
Akten und Unterlagen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist statthaft (§§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§
151 SGG) erhoben. Sie erweist sich auch als begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2019 ist rechtlich
nicht zu beanstanden. Als Anspruchsgrundlage für einen Entschädigungsanspruch des Klägers kommt allein §
103 Abs.
3a Satz 13
SGB V in Betracht. Nach dieser Vorschrift hat, soweit der Zulassungsausschuss einen Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens
abgelehnt hat, die Kassenärztliche Vereinigung dem Vertragsarzt eine Entschädigung in der Höhe des Verkehrswertes der Arztpraxis
zu zahlen. Voraussetzung für die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens ist nach §
103 Abs.
3a SGB V ein Antrag des Vertragsarztes oder seiner zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben, die Beendigung der bisherigen
Zulassung durch Tod, Verzicht oder Entziehung sowie der Umstand, dass die Praxis von einem Nachfolger weitergeführt werden
soll.
Mit dem zuletzt genannten Merkmal ist nicht das subjektive Begehren des Vertragsarztes oder seiner Erben gemeint, die bisherige
Praxis solle trotz Tod, Verzicht oder Zulassungsentziehung fortgeführt werden; dieser Aspekt wird bereits durch das Antragserfordernis
vollständig erfasst. Vielmehr kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in diesem Merkmal zum Ausdruck, dass grundlegende Voraussetzung für die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens stets
das Bestehen einer objektiv fortführungsfähigen Praxis – eines noch vorhandenen Praxissubstrats – ist, weil ansonsten für
ein Nachbesetzungsverfahren die innere Rechtfertigung fehlt. Mithin ist entscheidend, ob die ursprünglich bestehende Praxis
überhaupt noch "von einem Nachfolger weitergeführt werden kann". Das Substrat einer objektiv zum Zeitpunkt der Antragstellung
auf Bewilligung der Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens noch fortführungsfähigen Praxis muss in allen Fällen vorhanden
sein, ehe der Zulassungsausschuss gemäß §
103 Abs.
3a Satz 3 ff
SGB V über die Bewilligung der Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens entscheiden darf. (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2019 – B 6 KA 14/18 R, Juris).
Nicht der Vertragsarztsitz, sondern die Arztpraxis ist veräußerungsfähig. Wo keine Praxis mehr existiert, kann auch keine
Nachbesetzung des ihr zugeordneten Vertragsarztsitzes mehr stattfinden. Diese würde ansonsten lediglich der Kommerzialisierung
des Vertragsarztsitzes dienen, die vom Gesetzgeber nicht gewollt ist (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2013 – B 6 KA 49/12 R, Juris).
Eine vertragsärztliche Tätigkeit setzt den (Mit-)Besitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche
Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung der ärztlichen
Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Praxisinfrastruktur voraus. Wenn es an all dem fehlt, existiert auch keine
Praxis mehr, die fortgeführt werden könnte (BSGE, Urteil vom 11. Dezember 2013, a.a.O.) Für die Beurteilung der Frage, ob
die Voraussetzungen einer "Fortführung" der Praxis gegeben sind, ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die
Nachbesetzung beantragt wird (BSG, Urteil vom 27. Juni 2018 – B 6 KA 46/17 R, Juris). Entscheidend ist insoweit nach Auffassung des Senats, ob – ausgehend vom Zulassungsfachgebiet – nach dem Gesamterscheinungsbild
der Tätigkeit dieses einer vertragsärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen, unter denen eine solche regelmäßig
ausgeübt wird, noch entspricht.
Vorliegend unterhielt der Kläger in der G. in E. Praxisräume, er betrieb eine Website. Nach dieser hat er seine Praxis für
Umweltmedizin und seine betriebsärztliche Tätigkeit zum 1. Juli 2018 aus Altersgründen aufgegeben. Aus Interneteinträgen in
entsprechenden Arztdatenbanken ergibt sich, dass als Öffnungszeiten der Praxis des Klägers montags und mittwochs von 15 bis
17 Uhr vermerkt waren. Diese Angaben entsprechen denjenigen des Klägers gegenüber dem Zulassungsausschuss am 24. Januar 2018,
nach welchen er durchschnittlich an zwei Tagen in der Woche eine umweltmedizinische Sprechstunde anbiete. In der mündlichen
Verhandlung hat der Kläger dieses im Wesentlichen so bestätigt. Eine beispielhafte Sprechstunde wurde von dem Kläger mit drei
Patienten dargestellt, dies ist allerdings zumindest für den kassenärztlichen Bereich schon hoch gegriffen, denn gegenüber
der Beklagten hat der Kläger in den Quartalen 2/2015 bis 1/2016 lediglich 37 Patienten durchschnittlich im Quartal abgerechnet.
Assistiert wurde der Kläger dabei von jeweils einer Medizinstudentin oder fachfremdem Personal (Betriebswirtin).
Die so geschilderte Tätigkeit entspricht nicht derjenigen einer vertragsärztlichen Praxis unter den allgemein üblichen Bedingungen.
Während die durchschnittliche Patientenzahl pro Quartal im Zulassungsgebiet des Klägers, der praktischen Ärzteschaft, bei
ca. 800 pro Monat lag, hat der Kläger in den Quartalen 2/2015 bis 1/2016 lediglich 37 Patienten, mithin weniger als 5% des
Durchschnitts, behandelt. Das Angebot von 4 Stunden Sprechstunde in der Woche bleibt weit hinter den üblichen Sprechstundenzeiten,
die bei wenigstens 20 Stunden wöchentlich liegen dürften, zurück. Auch verfügen allgemeinmedizinische Arztpraxen, was allgemeinkundig
sein dürfte, üblicher Weise über wenigstens eine medizinische Fachangestellte, welche nicht nur bei der Behandlung assistiert,
sondern auch Termine vereinbart, Labortätigkeiten ausführt und verwaltungstechnische Aufgaben erledigt. Schließlich trägt
der Kläger selbst vor, dass die kassenärztliche Praxis ein Zusatzgeschäft war und er, damit er überhaupt seine Kosten habe
decken können, zusätzlich arbeitsmedizinisch tätig war. Das schließt es aus, dass hier – bei Betrachtung der Arztpraxis und
nicht des Vertragsarztsitzes – ein verwertbares Praxissubstrat vorhanden gewesen wäre, welches objektiv fortführungsfähig
in dem Sinne gewesen wäre, dass ein Vertragsarzt seinen Lebensunterhalt davon hätte bestreiten können.
Allerdings ist dem Kläger grundsätzlich darin zu folgen, dass §
103 Abs.
3a S. 13
SGB V keine Regelung abhängig vom Grund der Ablehnung trifft und sich so die Frage stellt, ob und inwieweit die Begründung des
Zulassungsausschusses überhaupt relevant für die Entschädigung ist. Dies kann jedoch dahinstehen, wenn wie hier der Verkehrswert
einer Arztpraxis zu ermitteln ist, der es an einem verwertbaren Praxissubstrat objektiv fehlt, mit der kein Umsatz zu erzielen
ist, welche vielmehr ein Zuschussgeschäft ist und für welche nach einem Nachfolger ohne Erfolg gesucht wurde.
Hinsichtlich der Ermittlung des Verkehrswertes der Arztpraxis ist nicht die vom Bundesgerichtshof (BGH) in Verfahren um den
Zugewinnausgleich gewählte „modifizierte Ertragswertmethode“ zugrunde zu legen, denn in derartigen Fällen steht wegen der
Absicht, die Praxis weiter zu betreiben, deren potentieller Ertrag und die vorhandenen Sachwerte zur Disposition und nicht
der Verkehrswert. Verkehrswert ist nach allgemeiner Auffassung der Wert, der am Markt bei Verkauf der Praxis tatsächlich erzielbar
wäre. §
103 Abs.
3a S. 14
SGB V bestimmt insoweit, dass auf den Verkehrswert abzustellen ist, der nach Abs. 4 Satz 8 bei Fortführung der Praxis maßgeblich
wäre. Die Vorschrift des §
103 Abs.
4 Satz 8
SGB V regelte zum Zeitpunkt der Einführung des Verweises in §
103 Abs.
3a Satz 14
SGB V (in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung) eine Begrenzung dahingehend, die wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden
Vertragsarztes/-psychotherapeuten oder seiner Erben nur insoweit zu berücksichtigen, als der Kaufpreis die Höhe des Verkehrswertes
der Praxis nicht übersteigt. Die Regelung findet sich mittlerweile in §
103 Abs.
4 Satz 9
SGB V, was offensichtlich vom Gesetzgeber nicht redaktionell angepasst wurde. Dieser Verkehrswert, also der im Falle eines Verkaufes
allgemein am Markt erzielbare Wert, liegt bei einer Praxis, der es an einem verwertbaren Substrat im Sinne eines Patientenstammes
und einer allgemein üblichen Praxisinfrastruktur mangelt, bei null. Dass die Praxis tatsächlich nicht verwertbar im Sinne
eines Verkaufs war, ergibt sich daneben auch daraus, dass der Kläger selbst vorträgt, trotz Suche keinen Nachfolger gefunden
zu haben. Geht man davon aus, dass in aller Regel die Nachfrage nach Vertragsarztsitzen in überversorgten Gebieten das Angebot
bei weitem übersteigt (Geiger in: Hauck/ Noftz,
SGB V, §
103 Rn. 127), so zeigt auch diese vergebliche Suche, dass der Praxissitz des Klägers eben nicht zu veräußern gewesen ist. Die
Entschädigung nach §
103 Abs.
3a Satz 13
SGB V kann aber nur den Sinn und Zweck haben, einen tatsächlich am Markt erzielbaren, aber eben wegen der Entscheidung des Zulassungsausschusses
nicht erzielten Wert ersetzt zu bekommen. Sinn und Zweck ist es dagegen nicht, dem Arzt einen Ausgleich dafür zu verschaffen,
dass er eine wegen fehlenden Praxissubstrats auf dem Markt nicht verwertbare freiberufliche Tätigkeit aufgibt. Alles andere
würde letztlich auf eine Kommerzialisierung des Kassenarztsitzes selbst hinauslaufen, welche vom Gesetzgeber gerade nicht
gewollt ist (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2013 – B 6 KA 49/12 R, Juris).