Vergütung vertragsärztlicher Leistungen
Anforderungen an die Umsatzermittlung einer Berufsausübungsgemeinschaft zur Einstufung als unterdurchschnittlich abrechnende
Praxis im Hinblick auf Arztsitze von Jobsharern
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über ein höheres Honorar für die Klägerin im Jahr 2016.
Die Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) von Ärzten für Neurologie und Psychiatrie bzw. Nervenheilkunde, die
im Bereich der Beklagten zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G.,
seit 1995 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, gründete mit der Zulassung der Ärztin für Neurologie Dr. T. im Jobsharing
am 1. Oktober 2012 die BAG. Seit dem 18. Oktober 2013 ist Dr. T. mit einem vollen Versorgungsauftrag zur vertragsärztlichen
Versorgung zugelassen. Seit dem 6. März 2014 ist die Ärztin für Neurologie und Nervenheilkunde H. im Jobsharing mit Herrn
Dr. G. in die BAG eingetreten. Prof. Dr. H1, der bereits seit dem 1. Oktober 2015 als angestellter Arzt in der BAG tätig war,
trat zum 1. Januar 2016 in die BAG ein und erhielt eine Zulassung mit einem halben Versorgungsauftrag.
Mit dem Honorarbescheid vom 18. August 2016 für das erste Quartal 2016 setzte die Beklagte ein Gesamthonorar der BAG von 130.265,60
Euro fest und legte hierbei ein Individuelles Leistungsbudget (ILB) in Höhe von 114.892,66 Euro zugrunde. Aufgrund der angeforderten
Vergütung von 163.224,25 Euro ergab sich für die Überschreitung in Höhe von 58.012,11 Euro abzüglich der Unterschreitung in
Höhe von 1.265,18 Euro eine quotierte Vergütung in Höhe von 8.415,41 Euro. Hiergegen legte die Klägerin am 5. September 2016
Widerspruch ein. Die Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie und die Fachärzte für Psychiatrie und Nervenheilkunde jeweils
mit Zusatzweiterbildung Psychotherapie könnten neben den zum größten Teil budgetierten Leistungen unbudgetierte psychotherapeutische
Leistungen abrechnen und benötigten daher ein deutlich niedrigeres ILB als eine typisch nervenärztlich ausgerichtete Praxis.
Die Klägerin könne daher nicht den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe erreichen. Frau H. sei Jobsharing-Partnerin von
Dr. G. und besitze eine eigene Zulassung. Ihr müsse daher als neu zugelassener Ärztin ein arztgruppendurchschnittliches ILB
gewährt werden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2017 zurück. Das ILB für Frau H.
sei aufgrund ihres Leistungsbedarfsanteils im Vorjahresquartal errechnet worden. Fehler hätten nicht festgestellt werden können.
Hiergegen hat die Klägerin am 19. Mai 2017 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben (S 27 KA 125/17).
Mit dem Honorarbescheid vom 18. August 2016 für das zweite Quartal 2016 setzte die Beklagte ein Gesamthonorar der BAG von
128.259,51 Euro fest und legte hierbei ein ILB in Höhe von 112.914,24 Euro zugrunde. Aufgrund der angeforderten Vergütung
von 168.244,47 Euro ergab sich für die Überschreitung in Höhe von 66.490,39 Euro eine quotierte Vergütung in Höhe von 11.160,16
Euro. Hiergegen legte die Klägerin am 19. Dezember 2016 Widerspruch ein. Bei der Berechnung des ILB sei die Honorarnachzahlung
für das zweite Quartal 2015 in Höhe von 3.922,55 Euro nicht berücksichtigt worden. Im Übrigen wiederholte die Klägerin die
Widerspruchsbegründung aus dem Quartal zuvor. Mit Bescheid vom 7. September 2017 stellte die Beklagte für Dr. T. ein arztgruppendurchschnittliches
ILB in Höhe von 40.123,85 Euro zur Verfügung, so dass sich eine Honorarnachzahlung in Höhe von 9.799,86 Euro ergab. Die Beklagte
wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2017 zurück. Das ILB für Frau H. sei aufgrund ihres Leistungsbedarfsanteils
im Vorjahresquartal errechnet worden. Fehler hätten nicht festgestellt werden können. Hiergegen hat die Klägerin am 15. Januar
2018 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben (S 27 KA 16/18).
Mit dem Honorarbescheid vom 20. Februar 2017 für das dritte Quartal 2016 setzte die Beklagte ein Gesamthonorar der BAG von
126.817,71 Euro fest und legte hierbei ein ILB in Höhe von 110.648,60 Euro zugrunde. Aufgrund der angeforderten Vergütung
von 161.413,68 Euro ergab sich für die Überschreitung in Höhe von 60.319,62 Euro eine quotierte Vergütung in Höhe von 9.554,54
Euro. Hiergegen legte die Klägerin am 21. März 2017 Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 28. April 2017 stellte die Beklagte
eine Honorarnachzahlung in Höhe von 5.894,80 Euro fest. Die Klägerin wiederholte die Widerspruchsbegründung aus den Quartalen
zuvor. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2017 zurück. Mit Wirkung zum Quartal 4/2015
seien auch in der Arztgruppe der Klägerin Änderungen des Verteilungsmaßstabes in Kraft getreten, auf Grund derer Änderungen
des Leistungsbedarfs – in beide Richtungen – zeitnah in einem sehr viel stärkeren Ausmaß als vorher in einer entsprechend
geänderten Vergütung abgebildet würden. Durch diese Flexibilisierung werde gleichzeitig auch den Anforderungen der Rechtsprechung
bezüglich der Wachstumsmöglichkeiten unterdurchschnittlich abrechnender Praxen bezogen auf einen Fünfjahreszeitraum Rechnung
getragen. Das ILB für Frau H. sei aufgrund ihres Leistungsbedarfsanteils im Vorjahresquartal errechnet worden. Fehler hätten
nicht festgestellt werden können. Hiergegen hat die Klägerin am 20. Oktober 2017 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben
(S 27 KA 297/17).
Mit dem Honorarbescheid vom 22. Mai 2017 für das vierte Quartal 2016 setzte die Beklagte ein Gesamthonorar der BAG von 144.807,67
Euro fest und legte hierbei ein ILB in Höhe von 120.225,61 Euro zugrunde. Aufgrund der angeforderten Vergütung von 165.371,47
Euro ergab sich für die Überschreitung in Höhe von 45.145,86 Euro eine quotierte Vergütung in Höhe von 6.258,89 Euro. Hiergegen
legte die Klägerin am 23. Juni 2017 Widerspruch ein. Die Klägerin wiederholte die Widerspruchsbegründung aus den Quartalen
zuvor. Zudem hätte Dr. T. im streitgegenständlichen Quartal noch ein arztgruppendurchschnittliches Leistungsbudget erhalten
müssen. Dies folge daraus, dass sich das ILB nach den Leistungsanforderungen und Honorarauszahlungen im Vorjahresquartal richte.
Im Quartal 4/2015 habe sich Dr. T. noch in der Wachstumsphase befunden. Das BSG habe entschieden, dass die Privilegierung neu gegründeter Praxen durch einen Entwicklungszeitraum nicht dadurch relativiert
werden dürfe, dass die Praxis auf das typischerweise geringere Honorarvolumen aus der Aufbauphase zurückgeworfen werde. Ein
Individualbudget müsse daher an den mit dem Abschluss der Aufbauphase erreichten Stand oder an den Durchschnittsumsatz der
Fachgruppe anknüpfen (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 10. Dezember 2013 – B 6 KA 54/02 R). Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2017 zurück. Das ILB für Frau H. sei aufgrund
ihres Leistungsbedarfsanteils im Vorjahresquartal errechnet worden. Fehler hätten nicht festgestellt werden können. Die Vergütungsquote
der BAG im ILB-Bereich liege im Quartal 4/72016 mit 76,49 % über der durchschnittlichen Vergütungsquote der Fachgruppe der
Nervenärzte mit 76,28 %. Hiergegen hat die Klägerin am 15. Januar 2018 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben (S 27 KA 12/18).
Die Klägerin hat ihre Klagen wie folgt begründet. Die Honorare für die Quartale 2015 seien noch streitig, diese dienten aber
als Basis für die Berechnung der Honorare für die Quartale 2016. Das arztgruppendurchschnittliche ILB sei in den vorangegangenen
Quartalen zu niedrig gewesen. Die BAG sei neurologisch ausgerichtet und könne im Vergleich zu anderen Praxen ihren Umsatz
weit überwiegend nur im ILB-Bereich erzielen.
Die BAG sei zudem eine unterdurchschnittlich abrechnende Praxis, da sie mit ihren 3,5 Arztstellen unterhalb des Fachgruppendurchschnitts
sowohl im Gesamtumsatz als auch im ILB liege. Sie habe keine Wachstumsmöglichkeit. Der VM der Beklagten enthalte keine gesonderten
Regelungen für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen. Diesen sei ein Wachstum bis zum Fachgruppendurchschnitt aufgrund
der Verlustbegrenzung der anderen Praxen nach § 16 Abs. 3 VM effektiv nicht innerhalb von fünf Jahren möglich.
Das ILB von Dr. T. sei zudem zu niedrig. Bis zum 4. Quartal 2015 habe Dr. T. ein arztgruppendurchschnittliches ILB erhalten.
Da sich Dr. T. im ersten Quartal 2015 noch in der Aufbauphase befunden habe, dürfe der Entwicklungszeitraum nicht dadurch
relativiert werden, dass auf den Leistungsbedarf und die Honorarauszahlung in diesem Quartal abgestellt werde. Frau H. habe
als neu zugelassene Ärztin Anspruch auf das durchschnittliche ILB ihrer Fachgruppe, denn im Gegensatz zu den zuvor geltenden
VM fehle es an einer Regelung, dass die Jobsharerin kein eigenes ILB bzw. RLV/QZV erhalte. Der Umsatz der BAG sei allein durch
die vom Zulassungsausschuss festgelegten Leistungsobergrenzen (LOG) begrenzt, nicht aber im ILB. Diese LOG habe sie, die Klägerin, nicht überschritten. Bei § 40 Nr. 4 der Bedarfsplanungs-Richtlinie (BPL-RL) handele es sich auch nicht um eine Regelung zur Honorarauszahlung.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass außerbudgetäre Leistungen außen vor bleiben müssten, um das ILB nicht zu verfälschen. Letztlich
lege der Vertragsarzt selbst das Leistungsspektrum seiner Praxis fest. Für den Jobsharer sei kein arztgruppendurchschnittliches
ILB zugrunde zu legen. Dies folge bereits aus § 40 Nr. 4 BPL-RL, wonach der bestehende Praxisumfang nicht wesentlich überschritten
werden dürfe.
Des Weiteren hat die Beklagte folgende Übersicht zum Inhalt ihres Vortrags gemacht:
Das Sozialgericht hat die Klagen in der mündlichen Verhandlung zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und mit Urteil vom 24.
Juli 2019 abgewiesen. Die Beklagte habe ihren Gestaltungsspielraum mit dem VM nicht überschritten. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht oder die
Grundsätze der Honorarverteilungsgerechtigkeit liege nicht vor, denn Ausnahmeregelungen für unterdurchschnittlich abrechnende
Praxen kämen hier nicht zur Anwendung. Die Klägerin sei keine unterdurchschnittlich abrechnende Praxis. Vielmehr übersteige
ihr Umsatz, aber vor allem ihr ILB den Durchschnitt der Fachgruppe in allen hier streitigen Quartalen. Entscheidend für diese
Beurteilung sei, ob die BAG mit 3,5 Ärzten oder 2,5 Ärzten in diesen Vergleich einbezogen werde. In den hier streitigen Quartalen
seien in der BAG 2,5 Ärzte tätig gewesen. Die Klägerin mache zu Unrecht geltend, dass die Ärztin für Neurologie und Nervenheilkunde
H. als eine Ärztin im Sinne der §§ 15 ff. des VM zu rechnen sei. Zugelassene und ermächtigte Ärzte erhielten ein arztbezogenes
ILB (§ 16 Abs. 1 VM). Ein solches ILB habe Frau H. auch erhalten. Frau H. sei weder eine neuzugelassene Ärztin, die in Einzelpraxis
tätig sei (§ 17 Abs. 1 VM) noch sei sie Gründungsmitglied einer BAG, die erstmalig mit der Gründung ihre Praxis aufnehme (§
17 Abs. 2 VM). Die Klägerin begehre nun über den Wortlaut der Regelungen des § 17 VM hinaus, dass Frau H. wie eine neu zugelassene
Ärztin in Einzelpraxis bzw. wie ein Gründungsmitglied einer BAG, die mit der Gründung erstmalig ihre Praxis aufnehme, behandelt
und ihr ein arztgruppendurchschnittliches ILB zur Verfügung gestellt werden müsse. Dabei gehe die Klägerin davon aus, dass
der Versorgungsumfang von Frau H. einem vollen Versorgungsauftrag entsprechen müsse. Frau H. und Herr Dr. G. seien Jobsharing-Partner.
Sie seien gemeinsam für einen Versorgungsauftrag zugelassen. Sinn und Zweck des Jobsharings sei es, dem Jobsharing-Juniorpartner
den Einstieg in vertragsärztliche Tätigkeit zu ermöglichen und gleichzeitig den Seniorpartner zu entlasten bzw. seinen Ausstieg
zu ermöglichen. Diesem Zweck liefe es zuwider, wenn der Juniorpartnerin wie einer Ärztin in der Anfangsphase ein arztgruppendurchschnittliches
ILB zugeordnet werde, das dann noch gegebenenfalls bei Unterschreitung ihrerseits mit der Überschreitung des Seniorpartners
verrechnet werden könnte. Dies widerspreche nicht nur den Vorgaben des §
15 Abs.
1 VM und des §
87 b Abs.
2 Satz 1
SGB V, sondern auch den Vorgaben des Jobsharings, denn es würde in jedem Fall zu einer übermäßigen Leistungsausweitung führen.
Dem könne die Klägerin auch nicht entgegenhalten, die Leistungsausdehnung sei allein durch die vom Zulassungsausschuss festgelegten
Obergrenzen (LOG, vgl. § 42 Abs. 2 Bedarfsplan-Richtlinie) begrenzt. Dabei übersehe die Klägerin, dass sich die LOG auf den Gesamtumsatz der Praxis beziehe, nicht jedoch allein auf die Verteilung des Anteils der Klägerin am fachärztlichen
Vergütungsvolumen der morbiditätsbezogenen Gesamtvergütung (§§ 6, 7 und 8 VM). Die Klägerin mache zwar geltend, sie – als
neurologisch ausgerichtete Praxis – habe nicht die Möglichkeit, wie andere Praxen ihrer Fachgruppe außerhalb des ILB Leistungen
zu erbringen und Umsätze zu erzielen, dieses Argument führe jedoch nicht dazu, dass sowohl die Regelungen des VM aber auch
der Sinn und Zweck des Jobsharings hier außer Acht zu lassen wären. Es gehöre zum unternehmerischen Risiko des Vertragsarztes
bzw. einer BAG wie sie ihre Praxistätigkeit gestalte, also auch, ob sie sich mehr neurologisch ausrichte oder noch andere
Leistungen, möglicherweise außerhalb des ILB erbringe. Immerhin sei Herr Dr. G. Arzt für Neurologie und Psychiatrie und Frau
H. Ärztin für Neurologie und Nervenheilkunde. Es sei gerade nicht Aufgabe der Beklagten, alle im ILB Bereich erbrachten Leistungen
bis zur LOG zu erstatten, nur weil die Klägerin weit überwiegend auf diesen Bereich ausgerichtet sei. Der Vertragsarzt habe das Risiko
einer unwirtschaftlichen betriebenen Praxis bzw. unternehmerischer Fehleinschätzung selbst zu tragen (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 9. Dezember 2004 – B 6 KA 44/03 R, juris).
Die Klägerin könne auch nicht geltend machen, sie sei insgesamt als Aufbaupraxis anzusehen, weil sie sich seit ihrer Gründung
am 1. Oktober 2012 auch im Jahr 2015 noch in der Aufbauphase befunden habe. Dies habe die Beklagte zutreffend für das Gründungsmitglied
Dr. T. beachtet und bei dieser mindestens ein ILB in Höhe des Fachgruppendurchschnitts zugrunde gelegt. Darüber hinaus sei
der Klägerin kein höheres ILB zu gewähren, denn die Klägerin bedurfte keiner weiteren besonderen Förderung mehr. Nach dem
Sinn und Zweck könne es sich dabei nur um solche Praxen handeln, die noch unterhalb des durchschnittlichen Umsatzes lägen.
Es sei mit dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit schwerlich vereinbar, Praxen mit überdurchschnittlichem Umsatz
– wie hier die Klägerin – allein deshalb zu fördern, weil sie noch keine 12 Quartale zugelassen sei (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 24. Januar 2018 – B 6 KA 23/16 R, SozR 4-2500 § 87b Nr. 16).
Gegen das ihr am 3. September 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. September 2019 Berufung eingelegt. Die Klägerin
begründet ihre Berufung wie folgt:
Das Sozialgericht ignoriere die Regelung der Verlustgrenze nach § 16 Abs. 3 VM. Die Honoraranforderungen des Vorjahresquartals
würden nur vorläufig in die Berechnung einbezogen. Maßgeblich für die Berechnung des ILB sei die Honorarauszahlung des Vorjahresquartals
unter Einbeziehung der Fachgruppe. Diese Systematik stehe im Widerspruch zum Wachstumsanspruch unterdurchschnittlich abrechnender
Praxen, die zumindest den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe erreichen können müssten. Der VM der Beklagten hätte daher
eine gesonderte Regelung für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen enthalten müssen. Zudem sei die konkrete rechnerische
Umsetzung der Verrechnung des vorläufigen ILB mit der Verlustbegrenzung nicht in nachvollziehbarer Weise dargelegt worden.
Die Klägerin sei auch eine unterdurchschnittliche abrechnende Praxis, da Frau H. eine eigene Zulassung im streitigen Quartal
gehabt habe, so dass von 3,5 Zulassungen und nicht 2,5 zugelassenen Ärzten auszugehen sei. Eine Jobsharing-Zulassung werde
mit vollem Versorgungsauftrag erteilt, gehe aber mit Leistungsrestriktionen für die BAG einher. Es bestehe aber eine Berechtigung
und Verpflichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung wie eine Zulassung ohne Leistungsmengenbeschränkung.
Der VM enthalte – anders als noch die Fassung vom 25. September 2013 mit Wirkung zum 1. Januar 2013 – auch keine gesonderten
Regelungen zum Umgang mit Ärzten im Jobsharing. Frau H. hätte als neu zugelassene Ärztin nach § 17 VM Anspruch auf den Fachgruppendurchschnitt
gehabt. Bei ihr handele es sich um eine neu zugelassene Ärztin, die in eine Berufsausübungsgemeinschaft eingetreten sei. Der
VM enthalte keine Sonderregelung für Ärzte im Jobsharing.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. Juli 2019 aufzuheben sowie den Bescheid vom 18. August 2016 in der Fassung des
Widerspruchsbescheids vom 20. April 2017, den Bescheid vom 21. November 2016 in der Fassung des Bescheids vom 7. September
2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14. Dezember 2017, den Bescheid vom 20. Februar 2017 in der Fassung des
Bescheids vom 28. April 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 21. September 2017 und den Bescheid vom 22. Mai
2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14. Dezember 2017 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, das Honorar
der Klägerin für alle Quartale 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte erwidert, dass die Klägerin in allen vier Quartalen den Fachgruppendurchschnitt erreicht habe. Das Sozialgericht
habe zwar von 2,5 Zulassungen gesprochen, dies sei aber nur eine sprachliche Ungenauigkeit gewesen. Gemeint sei gewesen, dass
die Klägerin nur 2,5 Versorgungsaufträge gehabt habe. Da die eingeschränkte Zulassung des Jobsharers zu der Zulassung des
Vertragsarztes akzessorisch sei, teile sie auch deren Schicksal und auch der Honoraranspruch könne keine eigenen Wege gehen.
Auch aus diesem Grund komme es nicht in Betracht Frau H. ein arztgruppendurchschnittliches ILB einzuräumen. Die Verlustbegrenzung
habe sich für die Klägerin wie folgt ausgewirkt:
Quartal
|
Gesamtdifferenz der Klägerin aufgrund Verlustbegrenzung
|
01/2016
|
+ 7.442,06 Euro
|
02/2016
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- 663,03 Euro
|
03/2016
|
+ 8.570,98 Euro
|
04/2016
|
+ 3.830,58 Euro
|
Saldo
|
+ 19.180,59 Euro
|
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten, die Verwaltungsakten und die Sitzungsniederschrift
vom 10. November 2021 ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte (§§
143,
144 des
Sozialgerichtsgesetzes <SGG>) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§
151 SGG) Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen zu Recht und mit zutreffender
Begründung abgewiesen. Der Honorarbescheid vom 18. August 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2017,
der Honorarbescheid vom 21. November 2016 in der Fassung des Bescheids vom 7. September 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids
vom 14. Dezember 2017, der Honorarbescheid vom 20. Februar 2017 in der Fassung des Bescheids vom 28. April 2017 in der Fassung
des Widerspruchsbescheids vom 21. September 2017 und der Honorarbescheid vom 22. Mai 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids
vom 14. Dezember 2017 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch
gegen die Beklagte auf Neubescheidung ihrer Honorarforderung für die Quartale 2016.
Der Senat nimmt zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils des
Sozialgerichts (§
153 Abs.
2 SGG).
Die Honorarbescheide sind nicht aufgrund eines Begründungsmangels rechtswidrig. Die Begründungen der angefochtenen Honorarbescheide
genügen den Anforderungen des § 35 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Vorschrift verlangt nach der Rechtsprechung des BSG nicht, schriftliche Verwaltungsakte in allen Einzelheiten zu begründen (BSG, Urteil vom 27. Juni 2012 – B 6 KA 37/11 R, SozR 4-2500 § 85 Nr. 71). Vielmehr seien dem Betroffenen nur die wesentlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer
Entscheidung bewogen hätten. Bei Honorarbescheiden dürften die Anforderungen an die Darlegungen und Berechnungen nicht überspannt
werden. Denn bei ihnen komme dem Umstand Bedeutung zu, dass sie sich an einen sachkundigen Personenkreis richteten, der mit
den Abrechnungsvoraussetzungen vertraut sei bzw. zu dessen Pflichten es gehöre, über die Grundlagen der Abrechnung der vertragsärztlichen
Leistungen Bescheid zu wissen. Im Hinblick hierauf hat es das BSG nicht für erforderlich gehalten, dass eine Kassenärztliche Vereinigung alle für die Festlegung einer Honorarbegrenzungsmaßnahme
wesentlichen Umstände, Zahlen und Beträge im Einzelnen im Bescheid aufführe; es reiche vielmehr aus, wenn sich der für die
Berechnung maßgebliche Rechenvorgang aus dem Verteilungsmaßstab ergebe (BSG, Urteil vom 3. Dezember 1997 – 6 RKa 21/97, BSGE 81, 213).
Insbesondere auch hinsichtlich der Verlustbegrenzung genügen die Honorarbescheide den Begründungsanforderungen. Der maßgebliche
Rechenvorgang ergibt sich aus § 16 Abs. 2 und 3 VM. § 16 Abs. 2 VM verweist dabei zur Berechnung des ILB darauf, dass der
relative Anteil des Arztes bzw. Sitzes am Leistungsbedarf der Arztgruppe in Euro des Vorjahresquartals, multipliziert mit
dem Arztgruppenkontingent des § 8 VM unter Anwendung der Regelung nach § 16 Abs. 3 VM, also unter Berücksichtigung der Verlustbegrenzung,
zu errechnen ist. Aus dem Zusammenspiel der Vorschriften ergibt sich, dass das ILB des einzelnen Arztes bzw. Sitzes, das oberhalb
der Verlustgrenze liegt relativ zu den Ergebnissen der übrigen Arztgruppe solange zu reduzieren ist, bis alle die Verlustgrenze
nach § 16 Abs. 3 VM wahren. Die Art der Berechnung ergibt sich aus dem Ineinandergreifen der Vorschriften. Anhaltspunkte dafür,
dass die Beklagte im konkreten Fall die Vorschriften unzutreffend umgesetzt hat, bestehen nicht und wurden auch nicht vorgetragen.
Selbst wenn die Begründungen der angefochtenen Honorarbescheide den Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht entsprächen, kann nicht allein deswegen die Aufhebung der Bescheide beansprucht werden. Denn nach § 42 Satz 1 SGB X rechtfertigten bei rechtsgebundenen Verwaltungsakten bloße Begründungsmängel grundsätzlich nicht deren Aufhebung. Um eine
solche rechtsgebundene Entscheidung handelt es sich bei der Entscheidung über den Honoraranspruch der Klägerin (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2012 – B 6 KA 37/11 R, juris).
Nach §
87b Abs.
1 SGB V verteilen die Kassenärztlichen Vereinigungen die vereinbarten Gesamtvergütungen an die Ärzte, Psychotherapeuten, medizinischen
Versorgungszentren sowie ermächtigten Einrichtungen, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, getrennt für die
Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung. Die Kassenärztliche Vereinigung wendet bei der Verteilung den
Verteilungsmaßstab an, der im Benehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen festgesetzt worden ist.
Nach §
87b Abs.
2 Satz 1
SGB V hat der Verteilungsmaßstab dabei Regelungen vorzusehen, die verhindern, dass die Tätigkeit des Leistungserbringers über seinen
Versorgungsauftrag nach §
95 Absatz
3 SGB V oder seinen Ermächtigungsumfang hinaus übermäßig ausgedehnt wird; dabei soll dem Leistungserbringer eine Kalkulationssicherheit
hinsichtlich der Höhe seines zu erwartenden Honorars ermöglicht werden. Die Honorarzahlung richtet sich nach dem VM der Beklagten
vom 1. Oktober 2013 in der Fassung des 3. Nachtrages vom 11. Dezember 2014 mit Wirkung zum 1. Januar 2015, dem VM ab dem 1.
Oktober 2013 in der Fassung des 4. Nachtrages vom 11. Juni 2015 mit Wirkung zum 1. Juli 2015 und dem VM ab dem 1. Oktober
2013 in der Fassung des 5. Nachtrages vom 24. September 2015 mit Wirkung zum 1. Oktober 2015. Die maßgeblichen Regelungen
sind im Wesentlichen gleichgeblieben. Geändert hat sich im 4. Quartal 2015, dass die Verlustbegrenzung nach § 16 Abs. 3 VM
für Nervenärzte von zuvor 99 Prozent auf 97 Prozent herabgesetzt und gleichzeitig der Vorwegabzug nach § 8 Abs. 6 VM von drei
Prozent auf fünf Prozent gestiegen ist.
Die Klägerin wird durch den VM der Beklagten nicht in ihren Rechten verletzt. Bei der Ausgestaltung des Verteilungsmaßstabes
haben die Vertragspartner einen Gestaltungsspielraum (BSG, Urteil vom 3. Februar 2010 – B 6 KA 1/09 R, SozR 4-2500 § 85 Nr. 50). Diese Gestaltungsfreiheit geht typischerweise mit Rechtsetzungsakten einher und wird erst dann
rechtswidrig ausgeübt, wenn die jeweilige Gestaltung in Anbetracht des Zwecks der konkreten Ermächtigung unvertretbar oder
unverhältnismäßig ist (BSG, a.a.O.). Der VM muss jedoch mit der Ermächtigungsgrundlage in Einklang stehen und insbesondere das Gebot der leistungsproportionalen
Verteilung des Honorars sowie den aus Art.
12 Abs.
1 i.V.m. Art.
3 Abs.
1 GG herzuleitenden Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit beachten (BSG, a.a.O.). Insbesondere bei der Neuregelung komplexer Materien steht ein besonders weiter Spielraum in Form von Ermittlungs-,
Erprobungs- und Umsetzungsspielräumen zu (BSG, a.a.O.). Dieser rechtfertigt sich daraus, dass sich häufig bei Erlass der maßgeblichen Vorschriften deren Auswirkungen nicht
in allen Einzelheiten übersehen lassen und deshalb auch gröbere Typisierungen und geringere Differenzierungen zunächst hingenommen
werden müssen (BSG, a.a.O.). Mit dieser relativ weiten Gestaltungsfreiheit bei Anfangs- und Erprobungsregelungen korrespondiert eine Beobachtungs-
und gegebenenfalls Nachbesserungspflicht des Normgebers, wenn sich im Vollzug von ursprünglich gerechtfertigten Regelungen
herausstellt, dass die die Norm legitimierenden Gründe weggefallen oder die Auswirkungen für einzelne Normadressaten unzumutbar
geworden sind (BSG, a.a.O.). Eine bereits im Ansatz systemwidrige Regelung ist allerdings auch von der Gestaltungsfreiheit nicht mehr gedeckt
(vgl. BSG, Urteil vom 13. November 1996 – 6 RKa 15/96, SozR 3-2500 §
85 Nr. 16; Freudenberg, in: jurisPK-
SGB V, 4. Aufl., §
87b SGB V, Rn. 92).
Die Beklagte war zunächst befugt, Honorarkontingente für verschiedene Arztgruppen zu bilden. Dies ist grundsätzlich als konsequente
Vorsorge dagegen, dass eine unterschiedliche Mengendynamik in den verschiedenen Bereichen das Honorargefüge zu Lasten anderer
Arztgruppen und/oder Leistungsbereichen beeinflusst, sachlich gerechtfertigt (BSG, Urteil vom 3. März 1999 – B 6 KA 15/98 R, SozR 3-2500 § 85 Nr. 31). Soweit die Klägerin vorträgt, die psychiatrisch ausgerichteten Ärzte würden den Arztgruppendurchschnitt
nach unten verfälschen, weil sie neben den budgetierten Leistungen auch außerbudgetierte Leistungen abrechnen könnten, begründet
dies keine Notwendigkeit, weitere Untergruppen nach psychiatrisch und neurologisch ausgerichteten Praxen zu schaffen. Die
Beklagte kann sich zur Rechtfertigung der beanstandeten Regelung auf den ihr als Normgeberin zukommenden Gestaltungsspielraum
sowie auf einen erweiterten Gestaltungsspielraum bei Anfangs- und Erprobungsregelungen berufen. Die Honorarkontingente für
bestimmte Fachgruppen bilden bei ihrer Einführung den Anteil der budgetierten Honorarforderungen dieser Fachgruppe im Verhältnis
zum Gesamtbudget ab. Es ist legitimer Zweck dieser Honorartöpfe, den Umfang der von einzelnen Arztgruppen erbrachten Leistungen
zu begrenzen, um zu verhindern, dass diese ihren Anteil an der Verteilung der begrenzten Gesamtvergütung zu Lasten anderer
Arztgruppen erhöhen (vgl. hierzu zu RLV, BSG, Beschluss vom 26. Mai 2021 – B 6 KA 28/20 B, juris). Eine Verpflichtung, bei Einführung individueller Leistungsbudgets diese auf alle Leistungsbereiche zu erstrecken
besteht nicht (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 – B 6 KA 54/02 R, juris). Die von der Klägerin gewünschte Mengen- und Umsatzausweitung zu Lasten anderer Fachgruppen soll die Regelung gerade
verhindern. Dies steht mit dem Gesetz im Einklang. Zudem steht es der Klägerin frei, das gesamte Spektrum der nervenärztlichen
Tätigkeit anzubieten und selbst auch außerbudgetär abzurechnen und ihre unternehmerische Entscheidung entsprechend anzupassen.
Ebenso bestehen keine Bedenken, dass die Beklagte die Honorare durch ILB begrenzt und sich hierbei an den Umsatzzahlen des
Vorjahres orientiert (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 – B 6 KA 54/02 R, juris). Der Orientierung an den Abrechnungsergebnissen vergangener Zeiträume liege die berechtigte Annahme zu Grunde, dass
der in der Vergangenheit erreichte Praxisumsatz bei typisierender Betrachtung ein maßgebendes Indiz für den Umfang ist, auf
den der Vertragsarzt seine vertragsärztliche Tätigkeit ausgerichtet habe. Die sachliche Rechtfertigung für solche Honorarkontingente
ergebe sich aus dem Ziel, die Anreize zur Ausweitung der Leistungsmenge zu verringern, dadurch die Gesamthonorarsituation
zu stabilisieren und damit die Kalkulierbarkeit der Einnahmen aus vertragsärztlicher Tätigkeit zu verbessern sowie die Versorgungsqualität
zu steigern (BSG, a.a.O.). Ebenso dient die Einführung von ILB der Kalkulationssicherheit. Der Arzt habe damit für die Leistungsmenge in Höhe
seines ILBs Kalkulationssicherheit in dem Sinne, dass er schon zu Beginn des Quartals die Höhe seines zu erwartenden Honorars
abschätzen könne (BSG, a.a.O.).
Weiter wendet sich die Klägerin gegen die Verlustbegrenzungsregelung in § 16 Abs. 3 VM. Das ILB wird nach § 16 Abs. 2 VM als
relativer Anteil des Arztes bzw. Sitzes am Leistungsbedarf der Arztgruppe in Euro des Vorjahresquartals, multipliziert mit
dem Arztgruppenkontingent des § 8 VM unter Berücksichtigung der Berechnungen der § 8 Abs. 4 und 6 VM sowie unter Anwendung
der Regelung nach Absatz 3 berechnet. Nach § 16 Abs. 3 VM beträgt das ILB mindestens 97 Prozent des Volumens aus dem relativen
Anteil des Arztes bzw. Sitzes an der Honorarauszahlung der Arztgruppe im Vorjahresquartal, multipliziert mit dem Arztgruppenkontingent
des § 8 VM unter Berücksichtigung der Berechnungen des § 8 Abs. 4 und 6 VM. Die Verlustbegrenzung hat sich vorliegend nur
im zweiten Quartal zu Lasten der Klägerin in Höhe von 663,03 Euro ausgewirkt, im ersten Quartal 2016 hat sie dagegen in Höhe
von 7.442,06 Euro, im dritten in Höhe von 8.570,98 Euro und im vierten in Höhe von 3.830,58 Euro von der Verlustbegrenzung
profitiert. Auch wenn die Verlustbegrenzungs-regelung nach § 16 Abs. 3 VM arztbezogen anzuwenden ist, ist bei der Frage der
Auswirkung der Verlustbegrenzung auf die gesamte Praxis abzustellen, da auch dieser der Honoraranspruch zusteht. Zudem sind
nach § 15 Abs. 1 Satz 1 VM die ILBs der arztgruppengleichen Ärzte der Arztpraxis gegenseitig verrechenbar, so dass auch dies
eine Gesamtbetrachtung rechtfertigt.
Es ist nicht zu verkennen, dass eine reine Verteilung der Vergütung auf der Basis der Anforderung des einzelnen Arztes an
der Gesamtanforderung der Arztgruppe zu deutlichen Umverteilungseffekten – bezogen auf die budgetrelevante Vergütung im Vorjahresquartal
– führen würde, die abhängig nicht in erster Linie vom eigenen Leistungsverhalten, sondern insbesondere auch von dem der anderen
Ärzte der Arztgruppe und deren Anforderungen wäre. Dafür, dass diese Umverteilungseffekte nicht bei einzelnen Ärzten zu unkalkulierbaren
Vergütungsausfällen im Vergleich zum Vorjahresquartal führen, soll die von der Beklagten geschaffene Verlustbegrenzung sorgen.
Die von der Beklagten getroffene Regelung findet ihre Rechtsgrundlage in §
87b Abs.
4 SGB V. Nach dieser Vorschrift hat der Verteilungsmaßstab Regelungen vorzusehen, die verhindern, dass die Tätigkeit des Leistungserbringers
über seinen Versorgungsauftrag nach §
95 Absatz
3 SGB V oder seinen Ermächtigungsumfang hinaus übermäßig ausgedehnt wird; dabei soll dem Leistungserbringer eine Kalkulationssicherheit
hinsichtlich der Höhe seines zu erwartenden Honorars ermöglicht werden. Diese Kalkulationssicherheit beabsichtigte die Beklagte
mit der Verlustbegrenzung zu erreichen und die Regelung ist hierzu auch geeignet. Denn die Regelung gewährleistet, dass bei
gleichbleibendem Leistungsverhalten eines Arztes sein ILB im Vergleich zur Vergütung des Vorjahresquartals nicht in erheblichem
Maße absinkt, und dies unabhängig davon, ob andere Ärzte ihr Leistungsverhalten deutlich steigern. Dies aber ist geeignet,
sowohl eine übermäßige Ausdehnung von Leistungen zu verhindern, als auch eine Kalkulationssicherheit zu gewährleisten. Das
von der Beklagten geschilderte iterative System der Verlustbegrenzung gewährleistet dabei auch, dass der zur Stützung verpflichtete
Vertragsarzt nicht selbst stützungsbedürftig wird.
Mit dieser Verlustbegrenzung ist jedenfalls die Klägerin nicht gehindert gewesen, den Fachgruppendurchschnitt zu realisieren.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 2. August 2017 – B 6 KA 7/17 R, SozR 4-2500 § 87b Nr. 12) muss es unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen effektiv und realistisch möglich sein, innerhalb
eines Zeitraums von fünf Jahren auf den Fachgruppendurchschnitt zu wachsen. Die Klägerin war keine unterdurchschnittlich abrechnende
Praxis, sondern es war ihr möglich, den Fachgruppendurchschnitt zu erreichen. Bei dem Vergleich des Umsatzes der Klägerin
mit dem durchschnittlichen Umsatz der Fachgruppe sind für die Klägerin im Jahr 2016 2,5 Arztsitze zu berücksichtigen. Dr.
G. und Frau H haben sich einen Arztsitz als Jobsharer geteilt und sind daher nicht doppelt zu zählen. Dies folgt aus dem Wesen
des Jobsharings und ist unabhängig davon zu beurteilen, ob für die Honorarberechnung von Frau H ein eigenes ILB zur Verfügung
gestellt wird. Entscheidend für die Beurteilung der Wachstumsmöglichkeiten einer Praxis sind die Anzahl der Arztsitze und
nicht die von der Beklagten festgelegten Abrechnungsmodalitäten. Dies zugrunde gelegt hat die Klägerin in jedem Quartal sowohl
bei den Umsätzen als auch beim ILB über dem Fachgruppendurchschnitt gelegen.
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die zur Stützung erforderlichen Beträge für die Verlustbegrenzung nicht aus der Gesamtvergütung,
sondern allein aus dem Kontingent der jeweiligen Arztgruppe aufgebracht werden können. Jedoch hält der Senat das noch für
mit dem Grundsatz der Honorargerechtigkeit vereinbar. Dieser Grundsatz ist verletzt, wenn vom Prinzip der gleichmäßigen Vergütung
abgewichen wird, obwohl zwischen den betroffenen Ärzten bzw. Arztgruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht
bestehen, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Dabei ist von den Gerichten der Gestaltungsspielraum des jeweiligen
Normgebers zu beachten; dieser kann von dem Grundsatz einer leistungsproportionalen Verteilung des Honorars aus sachlichem
Grund abweichen. Hierbei kann nicht außer Betracht bleiben, dass auch die jeweiligen Arztgruppenkontingente nach § 8 Abs.
4 VM eine Verlustbegrenzung genießen, so dass die Arztgruppe der Klägerin als solche von einer gewissen Planungssicherheit
profitiert und es auch aus diesem Grund als noch vertretbar erscheint, einen unmittelbaren Ausgleich allein innerhalb der
jeweiligen Arztgruppe vorzusehen.
Darüber hinaus kann sich die Beklagte hinsichtlich der beanstandeten Verlustbegrenzung auch auf den Gesichtspunkt der Anfangs-
und Erprobungsregelung stützen. In Abgrenzung zu der Entscheidung des BSG vom 18. August 2010 (B 6 KA 27/09 R, juris) ist dies vorliegend nicht ausgeschlossen, denn die Regelung findet ihre Rechtsgrundlage in §
87b Abs.
4 SGB V und läuft daher – wie dargelegt – nicht bereits rechtlichen Vorgaben zuwider.In welchem Maße die Verlustbegrenzung die Wachstumsmöglichkeiten
(noch) unterdurchschnittlich abrechnender Praxen begrenzen würde und ob und gegebenenfalls in welchem Umfang es in diesem
Zusammenhang zu nicht nur vorübergehenden Verwerfungen bei der Honorarverteilung kommen würde, war im hier streitigen Zeitraum
noch nicht verlässlich zu beurteilen. Der Senat hält hierbei – in Anlehnung an den Anspruch des Arztes auf die Möglichkeit
des Wachstums innerhalb eines Zeitraumes von drei bis fünf Jahren – einen solchen Zeitraum von drei bis fünf Jahren auch für
die Anfangs- und Erprobungsregelung für angemessen, wobei im Einzelfall bei Offenbarwerden bereits kurzfristig eintretender
erheblicher Verwerfungen ein früheres Eingreifen der Beklagten notwendig werden kann. Für derartige kurzfristig eingetretene
erhebliche Verwerfungen gibt es indes keine Hinweise.
Ob eine Begrenzung der Regelung des § 16 Abs. 3 VM, ggfs. im Sinne einer über § 19 VM hinausgehenden Härtefallregelung, zu
erfolgen hätte, wenn einer unterdurchschnittlich abrechnenden Praxis durch eine Verlustbegrenzung bei niedriger Eingreifschwelle
gegenüber einer (etablierten) überdurchschnittlich abrechnenden Praxis nicht unerhebliche Honorareinbußen entstünden oder
ihr Wachstumsmöglichkeiten auf den Fachgruppendurchschnitt genommen würden, hatte der Senat nicht zu entscheiden, denn ein
solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.
Die Klägerin hat nach § 17 Abs. 2 VM keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines arztgruppendurchschnittlichen ILBs für Frau
H.. Nach § 17 Abs. 2 VM erhalten Gründungsmitglieder einer BAG, die mit der Gründung erstmalig ihre Praxis aufnehmen oder
die bislang in Einzelpraxis tätig waren und sich noch in der Anfangsphase von 12 Quartalen nach erstmaliger Praxisaufnahme
befinden, ein individuelles Leistungsbudget bzw. ein arztgruppendurchschnittliches Leistungsbudget entsprechend der Regelung
in § 17 Abs. 1 VM. Entsprechendes gilt nach § 17 Abs. 2 Satz 3 VM für neu zugelassene Ärzte, die in eine BAG oder ein MVZ
eintreten. Dr. G. erfüllt die Voraussetzungen nicht, da er zwar Gründungsmitglied einer BAG im Sinne des § 17 Abs. 2 VM ist,
aber weder mit der Gründung erstmals seine Praxis aufgenommen hat noch sich in der Anfangsphase von 12 Quartalen nach erstmaliger
Praxisaufnahme befunden hat. Für die angestellten Ärzte Frau Fischer und Prof. Dr. H1 greift die Vorschrift ebenfalls nicht,
da sie weder Gründungsmitglieder sind noch in eine BAG eingetreten sind. Auch Frau H. hat keinen Anspruch auf die Berücksichtigung
eines arztgruppendurchschnittlichen Leistungsbudgets. Das folgt schon daraus, dass es durch ein Jobsharing allenfalls zu einer
geringfügigen Leistungsausweitung kommen soll, sich Jobsharer letztlich eine Stelle teilen. Das entspricht dem Wesen des Jobsharings.
Erfüllen nicht beide Jobsharer für sich die Voraussetzungen des § 17 VM kann nicht dem einen ein arztgruppendurchschnittliches
Leistungsbudget gewährt werden, da der Versorgungsumfang beider miteinander verknüpft ist und in Wechselwirkung steht.
Auch Dr. T. war nicht erneut ein arztgruppendurchschnittliches ILB zu gewähren. Das BSG (Urteil vom 10. Dezember 2003 – B 6 KA 54/02 R, juris) fordert zwar, dass nicht an die Honorarumsätze in der Wachstumsphase angeknüpft werden dürfe. Letztlich ist diese
Rechtsprechung allerdings im Hinblick auf Anfängerpraxen ergangen. Die Praxis hat dagegen bereits überdurchschnittlich abgerechnet,
so dass keine weiteren Stützungsmaßnahmen erforderlich waren. Der VM verstößt daher nicht gegen höherrangiges Recht.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG liegen nicht vor. Insbesondere liegt keine grundsätzliche Bedeutung vor. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist die Auslegung einer Rechtsnorm, bei der es sich um ausgelaufenes Recht handelt, regelmäßig nicht von grundsätzlicher
Bedeutung, weil die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage daraus erwächst, dass ihre Klärung nicht nur für den Einzelfall,
sondern im Interesse der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung erforderlich ist (BSG, Beschluss vom 26. Mai 2021 – B 6 KA 28/20 B, juris). Bei Rechtsfragen zu bereits außer Kraft getretenem Recht kann eine Klärungsbedürftigkeit nur anerkannt werden, wenn
noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage dieses ausgelaufenen Rechts zu entscheiden ist oder wenn die Überprüfung
der Rechtsnorm bzw. ihrer Auslegung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat (BSG, a.a.O.). Beide Voraussetzungen liegen nicht vor. Der VM der Beklagten war von vornherein auf die Stadt Hamburg begrenzt,
so dass bereits aus diesem Grund keine erhebliche Anzahl an Fällen besteht und die Regelung auch nicht flächendeckend angegriffen
worden ist. Eine fortwirkende allgemeine Bedeutung ist ebenfalls nicht erkennbar, da die Honorarverteilung ab Januar 2021
grundlegend geändert worden ist.