Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um eine Sonderregelung zum Regelleistungsvolumen (RLV) ab dem Quartal 3/06.
Die Klägerin ist seit dem 1. Juli 2006 als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin zur vertragsärztlichen Versorgung mit
Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Sie gehört der Honorar(unter)gruppe B 2.25 an (Psychologische Psychotherapeuten/psychotherapeutisch
tätige Ärzte/Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten) und ist abrechnungstechnisch der Fachgruppe VfG 84-93 zugeordnet.
Die Honorarentwicklung der Klägerin in den Quartalen III/06 bis IV/07 gestaltete sich wie folgt:
Quartal
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III/06
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IV/06
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I/07
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II/07
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III/07
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IV/07
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Honorarbescheid:
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16.3.2007
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17.4.2007
|
17.7.2007
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17.10.2007
|
17.1.2008
|
8.5.2008
|
Bruttohonorar PK + EK in Euro
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9.569,16
|
26.823,08
|
27.712,68
|
26.976,87
|
25.656,68
|
24.930,73
|
Fallzahl PK + EK
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42
|
48
|
53
|
48
|
53
|
56
|
Anzahl der Leistungen nach
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Ziff. 35130 (Bericht Kurzzeittherapie, 710 Punkte
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10
|
9
|
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Ziff. 35131 (Bericht Langzeittherapie, 1.420 Punkte)
|
12
|
9
|
1
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5
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8
|
1
|
Ziff. 35140 (Biographische Anamnese, 1.310 Punkte)
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32
|
13
|
7
|
5
|
8
|
6
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Ziff. 35141 (Zuschlag, 475 Punkte) 33
|
13
|
7
|
5
|
8
|
1
|
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Ziff. 35150 (Probatorische Sitzung, 1.495 Punkte)
|
109
|
57
|
23
|
35
|
22
|
16
|
Praxisbezogenes Regelleistungsvolumen
|
46.195,8
|
52.862,4
|
58.247,0
|
52.531,2
|
57.600,0
|
61.616,8
|
Abgerechnetes Honorarvolumen in Punkten
|
345.890,0
|
198.640,0
|
117.175,0
|
100.865,0
|
134.580,0
|
94.750,0
|
Überschreitung
|
299.694,2
|
145.776,6
|
58.928,0
|
48.333,8
|
76,979,6
|
33.133,2
|
Am 28. Juli 2006 beantragte die Klägerin, ihre Besonderheiten bei der Zuerkennung des Regelleistungsvolumens zu berücksichtigen.
Ihr würden pro Patient ca. 1.000 Punkte zugewiesen werden. Die von ihr übernommene Praxis habe zuvor Erwachsene behandelt.
Sie habe nur neue Patienten. Die Erstdiagnostik bei Kindern und Jugendlichen umfasse pro Patient ca. 13.000 Punkte. Würden
ihr pro Patient bei einem Punktwert von 2,8 Cent lediglich 1.000 Punkte zugewiesen werden, bedeute das bei 30 Patienten ein
Quartalseinkommen von ca. 840,00 EUR bei Vollzeittätigkeit. Sie bitte daher darum, für die erste Zeit das Regelleistungsvolumen
auszusetzen.
Mit Bescheid vom 25. September 2006 lehnte die Beklagte den Antrag auf eine Erhöhung des Regelleistungsvolumens ab den Quartalen
III/06 ab. Der Honorarverteilungsvertrag sehe für die Fachgruppe der Klägerin folgende arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen
für das Regelleistungsvolumen vor:
|
Primärkassen
|
Ersatzkassen
|
Altersgruppe
|
0-5
|
6-59
|
60+
|
0-5
|
6-59
|
60+
|
Fallpunktzahl
|
1.050
|
1.054
|
1.054
|
956
|
1.166
|
1.065
|
Eine Ausnahme vom Regelleistungsvolumen sei nur aus Gründen der Sicherstellung möglich. Im Planungsbereich A-Stadt-Stadt bestehe
jedoch eine Überversorgung an psychologischen Psychotherapeuten. Soweit die Klägerin darauf hinweise, dass sie als neue Praxis
bisher überwiegend die dem Regelleistungsvolumen unterliegenden nichtgenehmigungspflichtigen Leistungen (wie z.B. die probatorischen
Sitzungen) erbringe, stünden dieser Situation seit der Einführung von Budgets, Regelleistungsvolumina etc. alle niedergelassenen
Ärzte und Psychotherapeuten gegenüber. Eine gesonderte Berücksichtigung des in der Anfangsphase deutlich höheren Aufwandes
an nichtgenehmigungspflichtigen Leistungen bezogen auf das medizinische Kennenlernen eines Patienten sei nicht möglich.
Die Klägerin erhob am 19. Oktober 2006 Widerspruch und trug vor, in der Realität bestehe ein signifikanter Therapieplatzmangel
in A-Stadt insbesondere für Kinder. Familien müssten durchschnittlich sechs bis neun Monate auf einen Therapieplatz warten.
Sie habe im ersten Quartal ihrer Tätigkeit ca. 70 % nicht genehmigungspflichtige Leistungen erbracht. Diese würden zum Großteil
nicht oder miserabel bezahlt. Ihre Einnahmen von 10.000,00 EUR im ersten Abrechnungsquartal würden gerade einmal ihre Fixkosten
decken. Das Problem werde sich auch in den nächsten Quartalen nicht relativieren, da die nicht genehmigungspflichtigen Leistungen
allgemein das Regelleistungsvolumen bei weitem überschritten und regelmäßig nicht honorierte Leistungen ihrer Berufsgruppe
darstellten. Es entspreche berufsethischen Grundsätzen, erst nach einer ausführlichen Diagnostik und Therapieplanung einen
Therapieantrag zu stellen; dafür reichten die im Regelleistungsvolumen enthaltenen Stunden bei weitem nicht aus. Mit Widerspruchsbescheid
vom 11. Juli 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit der Klage vom 10. August 2007 hat die Klägerin geltend gemacht, die Fallpunktzahl des Regelleistungsvolumens von durchschnittlich
rund 1.100 Punkten sei für sie als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin zu niedrig und mit den Grundsätzen einer verteilungsgerechten
Vergütung nicht vereinbar. Vor Beginn einer psychotherapeutischen Behandlung bedürfe es einer exakten Eingangsdiagnostik.
Dazu gehörten der Ordinationskomplex (510 Punkte), 5 probatorische Sitzungen (5x1545 = 7.725 Punkte), biographische Anamnese
(1310 Punkte) und der Bericht zum Gutachten (1.420 Punkte), insgesamt 10.965 Punkte. Die von der Beklagten errechneten Fallpunktzahlen
seien angesichts dessen völlig unzureichend. Noch unhaltbarer erscheine dieses Regelleistungsvolumen, wenn die Situation der
Berufsanfänger/innen in Betracht bezogen werde, denn diese könnten in den ersten 3 bis 4 Quartalen in Ermangelung bereits
laufender Psychotherapien praktisch nur probatorische Sitzungen abrechnen. Das führe dazu, dass nach den hohen finanziellen
Belastungen der Berufsausbildung und den notwendigen Investitionen im Rahmen der Praxiseröffnung eine nahezu einjährige Praxisphase
beginne, in der selbst bei voller Praxisauslastung nur Verluste gemacht werden könnten.
Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 13. Februar 2009 die Beklagte unter Aufhebung der angegriffenen Bescheide verurteilt,
die Klägerin über ihren Antrag auf Zuerkennung eines höheren Regelleistungsvolumens unter Beachtung der Rechtsaufassung des
Gerichts neu zu bescheiden. Zwar seien die Regelungen zu den praxisindividuellen Regelleistungsvolumina in Ziffer 6.3 des
Honorarverteilungsvertrags (HVV) vom 10. November 2005 grundsätzlich rechtmäßig. Die Vertragsparteien des HVV hätten aber
verkannt, dass hinsichtlich der Bemessung des Regelleistungsvolumens zwischen den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
und den anderen ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten solche Unterschiede
bestünden, dass die einheitlichen Fallpunktzahlen für diese Gruppen in der Anlage zu Ziffer 6.3 HVV gegen das Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit
verstießen. Zudem ermächtige Abschnitt III 3.1 Abs. 3 des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 29. Oktober 2004 zur Festlegung
von Regelleistungsvolumen durch die Kassenärztlichen Vereinigungen gemäß §
85 Abs.
4 SGB V mit Wirkung zum 1. Januar 2005 die Vertragsparteien des HVV, zur Sicherung einer ausreichenden medizinischen Versorgung Anpassungen
des Regelleistungsvolumens vorzunehmen. Im Hinblick auf die signifikanten Unterschiede zwischen den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
und den anderen ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzten seien die Vertragsparteien des HVV verpflichtet
gewesen hiervon Gebrauch zu machen. Hierzu hat das Sozialgericht ausgeführt, in das Regelleistungsvolumen der Honorargruppe
der Klägerin fielen, da die genehmigungspflichtigen Leistungen der Psychotherapie nicht einbezogen seien, insbesondere die
Ordinationsgebühr und die probatorischen Sitzungen. Die Ordinationsgebühr betrage für ärztliche und psychologische Psychotherapeuten
120 Punkte für alle Altersklassen (Ziffer 23210 bis 23212 EBM), für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten: 510 Punkte
für alle Altersklassen (Ziffer 23214 EBM). Die probatorische Sitzung werde mit 1.495 Punkten bewertet (Ziffer 35150 EBM).
Sie falle bei ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten nach den von der Beklagten vorgelegten Daten durchschnittlich
0,62mal im Quartal, bei Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten durchschnittlich 0,84mal im Quartal an. Hieraus ergebe sich,
dass die Gruppe der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten das Regelleistungsvolumen statistisch immer um mindestens 48
% bis 82 % überschreite, wobei in der Hauptgruppe der 6 bis 18 Jahre alten Versicherten die Überschreitung 65 % im Primär-
und 48 % im Ersatzkassenbereich betrage. Hingegen überschreite die Gruppe der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte
und psychologischen Psychotherapeuten rechnerisch lediglich in der Gruppe der 0 bis 5 Jahre alten Versicherten das Regelleistungsvolumen
um 9 %. Hierbei sei zu beachten, dass das Regelleistungsvolumen auf dem Leistungsbedarf von lediglich 80 % im Referenzzeitraum
beruhe, gewisse Überschreitungen des Regelleistungsvolumens also systemimmanent seien. Die Zusammenführung beider Gruppen
in einer Honorargruppe sei daher eine nicht hinnehmbare ungerechtfertigte Gleichbehandlung und führe insbesondere zur Nichtbeachtung
der vom Bewertungsausschuss im EBM festgelegten Höherbewertung des Ordinationskomplexes für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.
Die Ziffer 23214 EBM habe gegenüber den Ziffern 23210 bis 23212 EBM einen höheren fakultativen Leistungsinhalt. Damit unterstelle
der Bewertungsausschuss grundsätzlich einen höheren Leistungsaufwand, was sich im Regelleistungsvolumen abbilden müsse, da
bereits mit der Einbeziehung dieses zusätzlichen Aufwands in eine Komplexziffer eine Budgetierung erfolgt sei. Eine Rechtfertigung
der Ungleichbehandlung folge auch nicht daraus, dass von den 1390 psychologischen Psychotherapeuten 80 eine Doppelzulassung
als psychologischer Psychotherapeut und als Kinder- und Jugendlichentherapeut habe und 183 psychologische Psychotherapeuten
auch die Genehmigung zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen besäßen. Die Zusammenführung beider Gruppen beruhe nur insoweit
auf sachgerechten Erwägungen, als eine einheitliche Honorargruppe gebildet werde, nicht hingegen soweit für alle Teile der
Honorar(unter)gruppe gleich große Fallpunktzahlen gebildet würden. An der Ungleichbehandlung ändere sich auch nichts dadurch,
dass das Regelleistungsvolumen wegen der Herausnahme der genehmigungspflichtigen Psychotherapieleistungen nur einen geringen
Teil der Honorarforderung betreffe. Die Vertragsparteien des HVV hätten dementsprechend eine Anpassung der Fallpunktzahlen
für die Teilgruppe der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten unter Beachtung der unterschiedlichen Bewertung des Ordinationskomplexes
vorzunehmen und die unterschiedlichen Anforderungen der probatorischen Sitzungen zu berücksichtigen. Im Übrigen liege aufgrund
der Neuniederlassung der Klägerin ein Ausnahmefall vor, der die Beklagte nach Ziffer 6.3 HVV verpflichte, ihr Ermessen im
Sinne einer Sonderregelung zum Regelleistungsvolumen auszuüben. Die probatorischen Sitzungen (Ziffer 35150 EBM) fielen in
den ersten Quartalen einer neu gegründeten Praxis für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie vermehrt an. Eine Mischkalkulation
mit den bereits in Psychotherapie übernommenen Behandlungsfällen sei am Anfang einer Praxistätigkeit nicht bzw. nur sehr begrenzt
möglich. Zudem seien die Fallzahlen sehr gering, so dass einzelne Behandlungsfälle viel stärker ins Gewicht fielen. Für das
erste Quartal nach Niederlassung müssten daher die Leistungen nach Ziffer 35150 EBM aus dem Regelleistungsvolumen herausgerechnet
werden, für die Folgequartale, also das zweite bis achte Quartal, sei das Regelleistungsvolumen zu verdoppeln.
Gegen den am 9. März 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 3. April 2009 Berufung eingelegt.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, dass Streitgegenstand des Verfahrens
lediglich die Quartale III/2006 bis IV/2007 sind. Sodann hat die Klägerin die Klage, soweit sie auf eine Sonderregelung zum
Regelleistungsvolumen für das Quartal I/2007 zielte, zurückgenommen, da der Honorarbescheid für dieses Quartal bestandskräftig
geworden ist. Hinsichtlich der übrigen streitbefangenen Quartale hat die Klägerin gegen die Honorarbescheide der Beklagten
Widerspruch eingelegt; die Widerspruchsverfahren sind im Hinblick auf das vorliegende Verfahren ruhend gestellt worden.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, es sei unzulässig, dass das Sozialgericht im Rahmen eines Antrags auf eine Sonderregelung
zum Regelleistungsvolumen die grundsätzliche Rechtmäßigkeit der Regelleistungsvolumen überprüfe und insoweit die Beklagte
zu einer Neuregelung verpflichte. Die grundsätzliche Rechtmäßigkeit des Regelleistungsvolumens könne nur im Rahmen der Anfechtung
des Honorarbescheids geprüft werden. Das Sozialgericht gelange zu der Feststellung, dass das Regelleistungsvolumen fehlerhaft
bemessen sei. Die Berechnungsformel sei aber durch den Beschluss des Bewertungsausschusses vom 29. Oktober 2004 verbindlich
vorgegeben und das Sozialgericht zeige nicht auf, dass es zu Fehlern im Berechnungsvorgang der Fallpunktzahlen des Regelleistungsvolumens
gekommen sei. Die Zusammenführung von verschiedenen Arztgruppen - hier der ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten
und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten - sei vom Beschluss des Bewertungsausschusses gedeckt und auch sachgerecht,
weil es zwischen beiden Gruppen zahlreiche Überschneidungen gebe (z.B. Doppelzulassungen, Genehmigungen zur Behandlung von
Kindern und Jugendlichen). Bei den probatorischen Sitzungen sei die Frequenz dieser Leistung bei den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
mit 0,84 pro Behandlungsfall nicht entscheidend höher als bei den Psychologischen Psychotherapeuten mit 0,62, so dass allein
dies keine Aufsplittung beim Regelleistungsvolumen rechtfertige. Der Höherbewertung des Ordinationskomplexes sei bereits durch
die Transkodierung der Leistungen nach dem EBM 1996 auf die Verhältnisse EBM 2000plus hinreichend Rechnung getragen. Sofern
sich die Festsetzung der Fallpunktzahl für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten aber tatsächlich als unzureichend
erweise, so müsse dies unter dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung hingenommen werden, weil sich die Einführung
des Systems der Regelleistungsvolumen als umfängliche Neuregelung einer komplexen Materie darstelle, bei der gröbere Typisierungen
anfangs erlaubt seien. Eine Sonderregelung zum Regelleistungsvolumen sei nach dem HVV nur aus Sicherstellungsgründen möglich
und könne nicht auf den Status als "junge Praxis" gestützt werden, zumal die Klägerin überdurchschnittliche Fallzahlen aufweise
und auch ein überdurchschnittliches Honorar erzielt habe. Zudem hätten alle Ärzte in der Anfangsphase ihrer ärztlichen Tätigkeit
einen höheren Beratungsaufwand, ohne dass dies eine Abweichung vom Regelleistungsvolumen erlaube; schon aus Gleichbehandlungsgründen
sei dies unzulässig. Der Status als "junge Praxis" werde dadurch berücksichtigt, dass nach dem HVV keine Fallzahlbegrenzung
stattfinde, bis der Fachgruppendurchschnitt erreicht werde. Schließlich seien die Vorgaben, die das Sozialgericht hinsichtlich
der erforderlichen Ausweitung des Regelleistungsvolumens mache, zu beanstanden. So sei das völlige Aussetzen des Regelleistungsvolumens
mit dem Beschluss des Bewertungsausschusses unvereinbar, der lediglich Anpassungen des Regelleistungsvolumens aus Sicherstellungsgründen
vorsehe. Der Gesamtsystematik des Beschlusses des Bewertungsausschusses laufe es zuwider, einen Anspruch auf eine Sonderregelung
zum Regelleistungsvolumen mit der Zahl der erforderlichen probatorischen Sitzungen zu begründen, da es sich insoweit um Leistungen
handele, die einer Mengenausweitung zugänglich seien. Einen Verfahrensfehler stelle es dar, dass das Sozialgericht eine Neuregelung
des HVV fordere, aber die Beiladung der unmittelbar daran beteiligten Krankenkassen unterlassen habe.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 13. Februar 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Die gebotene Sonderregelung habe auch für die Zeit nach der Neufassung
des HVV zu gelten. Die Ausstattung des Regelleistungsvolumens für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sei völlig unzureichend,
weil bereits mit Ordinations- und Konsultationsgebühr das Regelleistungsvolumen praktisch ausgeschöpft werde, bevor auch nur
eine Gesprächsleistung erbracht worden sei. In der Anfangsphase komme es insbesondere wegen der erforderlichen probatorischen
Sitzungen zu geradezu grotesken Überschreitungen des Regelleistungsvolumens. Sie als junge Praxis erziele in den ersten Quartalen
nicht nur keinen Verdienst, sondern müsse den gesamten Praxisbetrieb auf eigene Kosten aufrechterhalten. Mit der Errichtung
einer Barriere absoluter Unwirtschaftlichkeit würden mittelbar auch Sicherstellungsaspekte berührt, denn derart systemwidrige
Honorarbedingungen bewirkten, dass im Prinzip niederlassungswillige Psychotherapeuten sich an einer Niederlassung gehindert
sähen. Völlig unzutreffend sei der Hinweis der Beklagten, durch die Transkodierung vom EBM 1996 auf den EBM 2000plus und der
Höherbewertung des Ordinationskomplexes sei den Interessen der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten hinreichend Rechnung
getragen, denn gerade durch die Gruppenbildung mit den psychologischen Psychotherapeuten im Rahmen des Regelleistungsvolumens
gehe dies wieder unter. Der Hinweis auf Anfangs- und Erprobungsregelungen gehe fehl, denn die Beklagte habe seit Einführung
der Regelleistungsvolumina zum 1. April 2005 mehr als ein Jahr Zeit gehabt, die Konsequenzen zu ziehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der
Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten hat im Ergebnis keinen Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden,
soweit er die angegriffenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung über den Antrag der Klägerin verurteilt
hat. Allerdings steht die Rechtsauffassung des Sozialgerichts, zu deren Beachtung die Beklagte durch den Gerichtsbescheid
verurteilt worden ist, mit dem Gesetz nicht in vollen Umfang in Einklang. Insoweit war die Beklagte zu verpflichten, die Neubescheidung
nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Senats vorzunehmen.
Einer Beiladung der Krankenkassen(-verbände) bedurfte es nicht. Allein der Gesichtspunkt, dass es in einem Rechtsstreit auf
den Inhalt, die Auslegung oder die Wirksamkeit einer Honorarverteilungsregelung ankommt, führt nicht dazu, dass die Entscheidung
gegenüber den an der Normsetzung Beteiligten notwendig nur einheitlich ergehen kann (BSG SozR 4-2500 § 75 Nr. 8).
Streitgegenstand des Verfahrens sind, wie die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung klargestellt haben, lediglich die
Quartale III/06, IV/06, II/07 bis IV/07. Insoweit hat das Sozialgericht die Beklagte zu Recht verurteilt, über den Antrag
der Klägerin auf Zuerkennung eines höheren Regelleistungsvolumens für die Quartale ab III/2006 (insoweit enthält der Gerichtsbescheid
auf S. 10 einen offensichtlichen Schreibfehler, soweit dort vom Quartal II/2005 die Rede ist) neu zu entscheiden. Das ist
erforderlich, weil der HVV 2005 die Unterschiede zwischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und den übrigen Psychotherapeuten
nicht ausreichend berücksichtigt und die einheitlichen Fallpunktzahlen für alle Psychotherapeuten in der Anlage zu Ziffer
6.3 HVV deshalb rechtswidrig sind. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts besteht allerdings kein darüber hinausgehender
Anspruch der Klägerin auf eine Sonderregelung zum Regelleistungsvolumen aufgrund einer Ausnahmeentscheidung des Vorstands.
Mit dieser Entscheidung wird der zulässige Rahmen der rechtlichen Überprüfung des Klagebegehrens entgegen der Ansicht der
Beklagten nicht überschritten. Im Rahmen einer Klage, die sich gegen die Ablehnung eines Antrag auf eine Sonderregelung zum
Regelleistungsvolumen durch den Vorstand der Beklagten nach Ziffer 6.3 HVV wendet, ist es allerdings ausgeschlossen, die Beklagte
zur Neubescheidung des Antrags mit der Begründung zu verurteilen, dass der HVV als solcher hinsichtlich der dort vorgenommenen
Festlegung von Regelleistungsvolumen-Fallpunktzahlen für einzelne Fach(unter)gruppen rechtswidrig ist. Vorliegend war das
Begehren der Klägerin jedoch nicht allein auf eine Ausnahmeregelung durch den Vorstand gerichtet, sondern sie begehrte darüber
hinausgehend grundsätzliche Änderungen bezüglich des Regelleistungsvolumens. Zwar hatte die Klägerin im Rahmen ihres Schreibens
vom 26. Juli 2006 ursprünglich beantragt, im Rahmen einer Sonderregelung "innerhalb der ersten Zeit" nach der Praxisgründung
das Regelleistungsvolumen auszusetzen. Im Widerspruchsverfahren hat die Klägerin allerdings weitergehend vorgetragen, das
Problem mit den nicht genehmigungspflichtigen Leistungen werde sich auch in den nächsten Quartalen nicht relativieren, da
diese Leistungen das Regelleistungsvolumen bei weitem überschritten und regelmäßig nicht honorierte Leistungen ihrer Berufsgruppe
darstellten; die im Regelleistungsvolumen enthaltenen Stunden reichten für die Diagnostik und Therapieplanung bei weitem nicht
aus. Damit war das Begehren der Klägerin aber nicht mehr allein eine Erweiterung des Regelleistungsvolumens im Rahmen einer
Einzelfallentscheidung der Beklagten, sondern sie stellte der Sache nach die grundsätzliche Geltung und Rechtmäßigkeit der
im HVV hinsichtlich der für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten vorgenommenen Festsetzung des Regelleistungsvolumens
in Frage. Die Beklagte hat dies aufgegriffen, indem sie im Widerspruchsbescheid nicht allein Ausführungen zur Frage einer
Sonderregelung gemacht, sondern sich generell zur Geltung und Unbedenklichkeit der für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
festgelegten Regelleistungsvolumina geäußert hat. Damit ist die Klage jedoch auch insoweit zulässig, als sie sich gegen die
Gültigkeit der fachgruppenspezifischen Regelleistungsvolumina als solche richtet. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung
vom 3. Februar 2010 (B 6 KA 31/08 R, juris) darauf hingewiesen, dass es im Vertragsarztrecht zulässig ist, Vorfragen, welche Auswirkungen für mehrere Quartale
haben, in einem Verwaltungs- und Gerichtsverfahren losgelöst von der Anfechtung eines konkreten Honorarbescheids zu klären.
Bei einem Antrag, der sich gegen die Festlegung eines Regelleistungsvolumens richtet und dabei umfassend auf eine Besserstellung
gerichtet ist, ist die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der Regelungen im HVV im Rahmen inzidenter Normenprüfung zu prüfen (BSG
aaO. Rdnr. 11 f.). Allerdings dürfen die Honorarbescheide nicht bestandskräftig geworden sein, weil sich dann der Anspruch
auf eine Sonderregelung erledigt (BSG aaO.). Das ist jedoch, wie oben bereits ausgeführt, nicht der Fall.
In der Sache tritt der Senat der Auffassung des Sozialgerichts bei, dass zwischen den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
und den anderen ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten solche Unterschiede
bestehen, dass die einheitlichen Fallpunktzahlen für diese Gruppen in der Anlage zu Ziffer 6.3 HVV gegen das Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit
verstoßen.
Nach Anlage I zum Teil III zum Beschluss des Bewertungsausschusses gemäß §
85 Abs.
4a SGB V vom 29. Oktober 2004 (BRLV, DÄ 2004, 101 (46), A - 3129) werden für die in der Anlage genannten Arztgruppen Regelleistungsvolumen
berechnet, wobei der Beschluss vorsieht, dass im Honorarverteilungsvertrag weitere Differenzierungen oder Zusammenfassungen
der nachfolgend genannten Arztgruppen vereinbart werden können. Zu den in der Anlage aufgeführten Arztgruppen gehören die
ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzte, die Psychologischen Psychotherapeuten und die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.
Der HVV hat diese drei Gruppen zusammengefasst und ihnen ein einheitliches Regelleistungsvolumen zugeordnet.
Der Beschluss des Bewertungsausschusses sowie die daran anknüpfenden Regelungen in Ziffer 6.3 HVV sind nach der ständigen
Rechtsprechung des Senats grundsätzlich mit höherrangigem Recht vereinbar (vgl. u. a. HLSG, Urteil vom 11. Februar 2009, L 4 KA 82/07; Urteil vom 29. April 2009, L 4 KA 76/08; Urteil vom 24. Juni 2009, L 4 KA 85/05, alle veröffentlicht in juris). Das gilt jedoch nicht für die durch den HVV vorgenommene Zuordnung eines einheitlichen Regelleistungsvolumens
für die ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzte, die Psychologischen Psychotherapeuten und die Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten. Denn wie das Sozialgericht überzeugend darlegt, wird hier in einer mit dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit
unvereinbaren Weise wesentlich ungleiches gleich behandelt. Nach den in sich schlüssigen und von der Beklagten nicht angegriffenen
Berechnungen des Sozialgerichts kommt es bei den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten aufgrund der im EBM mit 510 Punkten
bewerteten Ordinationsgebühr (Ziffer 23214 EBM) - im Vergleich zu der mit lediglich 120 Punkten bewerten Ordinationsgebühr
bei den ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzten und Psychologischen Psychotherapeuten (Ziffer 23210 ff.
EBM) - und der bei den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten durchschnittlich höheren Anzahl probatorischer Sitzungen
regelhaft zu deutlichen Überschreitungen des Regelleistungsvolumens. Das Sozialgericht errechnet allein für den Ordinationskomplex
und die probatorischen Sitzungen einen durchschnittlichen quartalsbezogenen Leistungsbedarf von 1.736 Punkten in der Fachgruppe
der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, was in der Hauptgruppe der 6 bis 18 Jahre alten Versicherten zu einer regelhaften
Überschreitung des Regelleistungsvolumens von 65 % im Primär- und 48 % im Ersatzkassenbereich führt. Während bei den ausschließlich
psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzten und Psychologischen Psychotherapeuten das Regelleistungsvolumen von durchschnittlich
ca. 1050 Punkten den Leistungsbedarf adäquat abbildet, ist das bei den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten damit nicht
der Fall und hat insbesondere zur Folge, dass die durch den Bewertungsausschuss erfolgte relationale Höherbewertung der Ordinationsziffer
23214 untergeht. Zu Recht weist das Sozialgericht aber darauf hin, dass es sich bei der Ziffer 23214 um eine Komplexziffer
handelt, deren Bewertung mit 510 Punkten einen gegenüber den anderen Psychotherapeuten erheblich gesteigerten Leistungsaufwand
unterstellt, der sich aus dem Leistungsinhalt "intensive Beratung zu den therapeutischen, familiären, sozialen oder beruflichen
bzw. schulischen Auswirkungen und deren Bewältigung" ergibt. Insoweit verfängt auch der Hinweis der Beklagten nicht, dass
bei den ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzten und Psychologischen Psychotherapeuten zusätzliche Gesprächsleistungen
z.B. nach Ziffer 23220 EBM anfallen und zu ähnlich hohen Punktzahlen wie bei den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
führen können. Denn eine über den Ordinationskomplex hinausgehende intensive Beratung kann auch bei den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
anfallen und die Gesprächsziffern (wie die Ziffer 23220 EBM) gelten für die gesamte Honorar(unter)gruppe.
Die hier entstehenden Ungleichheiten sind nicht als notwendige Folge generalisierender und pauschalierender Regelungen zu
akzeptieren, weil es sich um eine systematische Ungleichbehandlung handelt und die wirtschaftlichen Auswirkungen bei der betroffenen
Gruppe der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten wegen der typischerweise kleinen Anzahl von Patienten auch nicht zu vernachlässigen
sind. Aus diesem Grund ist es ebenfalls nicht zulässig, wegen der Überschneidungen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit von
Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten im Fall der sog. Doppelzulassung oder der
Genehmigung zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen nach den Psychotherapie-Richtlinien diese gleich zu behandeln. Denn
hierbei handelt es sich, wie das Sozialgericht zu Recht darlegt, nicht um den Regelfall, sondern um die Ausnahme. Auf die
diesbezüglichen Darlegungen des Sozialgerichts nimmt der Senat Bezug (§
153 Abs.
4 SGG).
Soweit die Beklagte einwendet, das Sozialgericht lege nicht dar, dass es zu Fehlern bei der Berechnung der Fallpunktzahlen
des Regelleistungsvolumens nach Maßgabe der Berechnungsformel im Beschluss des Bewertungsausschusses gekommen sei, geht dies
an der Argumentation des Sozialgerichts vorbei. Denn das Sozialgericht hat nicht das Rechenwerk nach Maßgabe der Formel in
Anlage 2 zum Teil III des BRLV beanstandet, sondern bemängelt zu Recht, dass der HVV die Berechnung der arztgruppenspezifischen
Fallpunktzahl für das Regelleistungsvolumen nicht - wie dies aus Gleichheitsgründen geboten ist - getrennt nach dem Leistungsbedarf
der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten einerseits und der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzten
und Psychologischen Psychotherapeuten andererseits vorgenommen hat.
Ebenfalls unbeachtlich ist die Argumentation der Beklagten, die dem Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit widersprechende
Festlegung müsse unter dem Aspekt einer Anfangs- und Erprobungsregelung gewürdigt werden. Denn das kommt regelmäßig nicht
in Betracht, wenn eine Regelung schon von ihrer Struktur her mit höherrangigen Vorgaben nicht vereinbar ist (BSG, Urteil vom
3. Februar 2010, B 6 KA 31/08 R, Juris Rdnr. 31). Eben dies ist vorliegend der Fall, denn der unterschiedliche Leistungsbedarf der Fachgruppe der Klägerin
resultiert im Wesentlichen unmittelbar aus den normativen Vorgaben des EBM.
Die Vertragsparteien des HVV sind daher verpflichtet, die Fallpunktzahlen für die Fachgruppe der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
unter Beachtung der unterschiedlichen Bewertung des Ordinationskomplexes und der durchschnittlich höheren Zahl der probatorischen
Sitzungen neu zu verhandeln. Auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts nimmt der Senat auch insoweit Bezug.
Soweit das Sozialgericht darüber hinaus eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung im Rahmen der Ausnahmeregelung
nach Ziffer 6.3 HVV bejaht und die Notwendigkeit einer vollständigen Freistellung vom Regelleistungsvolumen im ersten und
einer Verdoppelung des Regelleistungsvolumens innerhalb der folgenden sieben Quartale sieht, folgt der Senat dem hingegen
nicht.
Nach Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV ist der Vorstand der KV Hessen ermächtigt, aus Gründen der Sicherstellung der ärztlichen
und psychotherapeutischen Versorgung praxisbezogene Änderungen an den arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen gemäß Anlage
zu Ziffer 6.3 vorzunehmen.
Eine Sicherstellungsproblematik liegt im Fall der Klägerin nicht vor. Für die Sicherstellung der ärztlichen und psychotherapeutischen
Versorgung sind die Bewertung der vertragsärztlichen Versorgung in einem regionalen Bereich sowie die Feststellung von quantitativen
und/oder qualitativen Versorgungsdefiziten von maßgeblicher Bedeutung. Dabei ist eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen
(z. B. Anzahl und Leistungsangebot der niedergelassenen und ermächtigten Ärzte, Bevölkerungs- und Mobilitätsstruktur, Umfang
und räumliche Verteilung der Nachfrage aufgrund der vorhandenen Verkehrsverbindungen), die für sich und in ihrer Abhängigkeit
untereinander weitgehend unbestimmt sind. Diese Aspekte sind in gleicher Weise bei der Frage von Bedeutung, ob die ärztliche
Versorgung ausreichend sichergestellt ist. Der Beklagten steht bei der Gewichtung dieser Kriterien ein Beurteilungsspielraum
zu (Urteil des Senats vom 11. Februar 2009, L 4 KA 82/07 - juris). Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter
Sachverhalt zugrunde liegt, die durch Auslegung des Begriffs "Sicherstellung" zu ermittelnden Grenzen eingehalten und die
Subsumtionserwägungen so hinreichend in der Begründung der Entscheidung verdeutlicht wurden, dass im Rahmen des Möglichen
die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist.
Eine Sicherstellungsproblematik hat die Beklagte im Fall der Klägerin zu Recht verneint. Es gibt keinen Anhalt dafür, dass
ohne das Leistungsangebot der Klägerin die Versorgung mit Leistungen der Kinder- und Jugendpsychotherapie im Raum A-Stadt
gefährdet wäre, da es hier eine Vielzahl entsprechender Therapeuten gibt. Die Klägerin hat das im Klageverfahren auch nicht
mehr geltend gemacht.
Soweit das Sozialgericht in dem angegriffenen Urteil davon ausgeht, der Begriff der Sicherstellung in Ziffer 6.3 HVV sei nicht
in diesem engen Sinne, sondern weitergehend zu verstehen im Sinne einer allgemeinen Ausnahmeregelung für atypische Fälle,
folgt der Senat dem nicht. Angesichts des ausdrücklich auf Sicherstellungsgründe beschränkten Wortlauts kann Ziffer 6.3 HVV
nicht im Sinne einer allgemeinen Ausnahmeregelung für atypische Fälle verstanden werden. Es ist daher auch ausgeschlossen,
das Fehlen einer generalklauselartigen Härtefallregelung im Wege ergänzender Auslegung in den HVV hineinzuinterpretieren (vgl.
Urteile des Senats vom 17.3.2010, L 4 KA 25/08 u. a. - Revision anhängig -). Allerdings ist der HVV insoweit mit höherrangigem Recht unvereinbar, denn aus Art.
12 Abs.
1 i.V.m. Art.
3 Abs.
1 GG folgt die Notwendigkeit, Ausnahmen vom Regelleistungsvolumen nicht allein im Fall einer Sicherstellungsproblematik, sondern
auch in Härtefällen machen zu können. Es besteht daher eine Verpflichtung der Vertragsparteien des HVV, diesen um eine entsprechende
Härteklausel zu ergänzen und noch rechtshängige Anträge auf Sonderregelungen auf der Grundlage dieser Neuregelung zu bescheiden
(Urteile des Senats aaO.).
Im Fall der Klägerin fehlt es jedoch bereits an einem derartigen Härte- oder Ausnahmefall. Das Sozialgericht hat diesen mit
der Begründung bejaht, dass bei einer neuen Praxis wie der der Klägerin in den ersten Quartalen vermehrt probatorische Sitzungen
anfielen, die mit 1495 Punkten bewertet seien und jeweils bis zu fünfmal (bzw. bei geplanter analytischer Psychotherapie bis
zu achtmal) abgerechnet werden könnten. Das Regelleistungsvolumen pro Patient betrage aber lediglich rund 1050 Punkte. Eine
Mischkalkulation mit den bereits in Psychotherapie übernommenen Behandlungsfällen sei am Anfang einer Praxistätigkeit nicht
bzw. nur sehr begrenzt möglich. Deshalb müssten die probatorischen Sitzungen im ersten Quartal aus dem Regelleistungsvolumen
ganz herausgenommen werden; für die Folgequartale bis zum Abschluss des zweiten Jahres sei dieses zu verdoppeln.
Das sieht der Senat anders. In der Neuniederlassung eines Arztes bzw. Psychotherapeuten kann kein atypischer oder Härtefall
gesehen werden, der eine Ausnahme vom Regelleistungsvolumen rechtfertigt. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass mit
jeder Neuniederlassung ein erhöhter Aufwand für den Arzt bzw. Psychotherapeuten verbunden ist, um sich mit den Patienten vertraut
zu machen und diese an sich zu binden. Gerade in dieser Situation ist die Gefahr von Mengenausweitungen bei den ärztlichen
Leistungen, denen das Instrument der Regelleistungsvolumina entgegen wirken soll (vgl. hierzu die Urteile des Senats aaO.),
besonders groß. Das gilt auch für die probatorischen Sitzungen, die nicht genehmigungspflichtig sind und über deren Umfang
der Therapeut nach eigener Indikationsstellung entscheidet (BSG, Urteil vom 28. Mai 2008, B 6 KA 9/07 R = BSGE 100, 254, 279).
Die Zeitgebundenheit der probatorischen Sitzungen (mindestens 50 Minuten) hat allerdings bei den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
zur Folge, dass die bei einer Praxisneugründung notwendigerweise erhöhte Anzahl dieser Sitzungen zwangsläufig zu einer Überschreitung
des Regelleistungsvolumens führt, da bereits mit der Ordination (Ziffer 23214 EBM, 510 Punkte) und der Durchführung einer
probatorischen Sitzung (Ziffer 35150 EBM, 1495 Punkte) 2005 Punkte anfallen. Selbst unter Berücksichtigung der - wie dargelegt
- erforderlichen Erhöhung des Regelleistungsvolumens für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten im HVV, welche in die Gesamtbetrachtung
einbezogen werden muss, bedeutet dies, dass zu Beginn der Tätigkeit in erheblichem Umfang Leistungen außerhalb des Regelleistungsvolumens
und damit nur noch zum unteren Punktwert vergütet werden.
Ob dieser Aspekt im Einzelfall dazu führen kann, dass in außergewöhnlichen Konstellationen eine Praxisneugründung einen atypischen
Fall begründet, braucht der Senat vorliegend nicht zu entscheiden. Im Fall der Klägerin fehlt es gerade an individuellen Aspekten,
welche die Notwendigkeit einer Sonderregelung begründen könnten. Bei ihr hat sich nämlich bereits im dritten Quartal nach
der Niederlassung die Zahl der probatorischen Sitzungen mit 23 bei 53 Behandlungsfällen völlig normalisiert und nicht einmal
mehr den Durchschnitt der Fachgruppe erreicht. Erhebliche Überschreitungen gab es nur im ersten und eingeschränkt noch im
zweiten Quartal (III/06: 109 bei 42 Behandlungsfällen = 340,2 % mehr als der Fachgruppendurchschnitt; IV/06: 57 bei 48 Behandlungsfällen
= 109,01 % des Fachgruppendurchschnitts). Die Klägerin hat also in kurzer Zeit einen Patientenstamm aufgebaut, bei dem sie
genehmigungspflichtige Psychotherapieleistungen erbringen konnte, was zu einem starken Rückgang probatorischer Sitzungen und
zu wesentlich geringeren Überschreitungen des Regelleistungsvolumens geführt hat. Angesichts dessen vermag der Senat dem Sozialgericht,
welches die Notwendigkeit einer auf zwei Jahre ausgedehnten Sonderregelung angenommen hat, schon im Hinblick auf die von der
Klägerin tatsächlich erbrachten Leistungen nicht zu folgen. Hinzu kommt der wirtschaftliche Erfolg der Klägerin. Denn diese
hat bereits im ersten Quartal ihrer Berufstätigkeit ein Honorar von 9.569,16 EUR bei 42 Behandlungsfällen erzielt und sich
damit schon in der Nähe des Durchschnitts ihrer Fachgruppe bewegt, der nach den von der Beklagten mitgeteilten Daten im Quartal
III/06 bei 13.444,10 EUR bei 46 Behandlungsfällen lag. Im Quartal IV/06 lag die Klägerin mit einem Honorar von 26.823,08 EUR
bei 48 Behandlungsfällen bereits weit oberhalb des Fachgruppendurchschnitts von 18.926,99 EUR bei 51 Behandlungsfällen. Dies
setzt sich in den Folgequartalen fort, in denen die Klägerin stets weit oberhalb des Fachgruppendurchschnitts abgerechnet
hat. Damit fehlt es aber auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten an den Voraussetzungen für eine Sonderregelung zum Regelleistungsvolumen.
Aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den sog. "Aufbaupraxen" bzw. "Anfängerpraxen" kann die Klägerin keine weitergehenden
Ansprüche herleiten. Das Bundessozialgericht verlangt, dass solchen Praxen in der Aufbauphase die sofortige Steigerung auf
den Durchschnittsumsatz der Fachgruppe möglich sein muss. Der jungen Praxis muss die Möglichkeit eingeräumt werden, durch
den Zugewinn an Patienten den Umsatz zu steigern. Das ist nach dem HVV 2005 indes der Fall. Die Klägerin hatte keine Beschränkungen
hinsichtlich der Fallzahl hinzunehmen und konnte ab dem zweiten Quartal ihrer Tätigkeit einen Umsatz oberhalb des Fachgruppendurchschnitts
generieren.
Ebenso wenig ist aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28. Mai 2008 (B 6 KA 49/07 R, juris) abzuleiten, dass bei Praxen in der Aufbauphase die probatorischen Sitzungen zwingend in einem weitergehenden Umfang
honoriert werden müssen. Das BSG führt aus, dass für die "für eine sachgerechte psychotherapeutische Versorgung in der einzelnen
Praxis notwendige Mindestzahl an probatorischen Sitzungen" ein Mindestpunktwert von 2,56 Cent garantiert sein muss (juris
Rdnr. 57). Wie hoch diese Mindestzahl anzusetzen ist wird nicht näher konkretisiert. Die Ausgestaltung dieser Vorgabe ist
damit Sache der Vertragsparteien des HVV. Sofern diese - wie oben im Einzelnen dargelegt - eine Neuregelung des Regelleistungsvolumens
vornehmen, welches hinsichtlich der probatorischen Sitzungen den "notwendigen Mindestbedarf" abdecken und hierfür eine angemessene
Honorierung vorsehen, ist dies ausreichend. Die Notwendigkeit einer speziellen Regelung für neu gegründete Praxen folgt hieraus
nicht, da es sich hierbei lediglich um ein Verteilungsproblem handelt. Die Anzahl der tatsächlich erforderlichen probatorischen
Sitzungen pro Patient ist bei diesen Praxen auf längere Sicht betrachtet nicht höher als bei etablierten Praxen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i.V.m. §
154 Abs.
2 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Von einer Quotelung im Hinblick auf die teilweise Klagerücknahme hat der Senat abgesehen, weil dies nur ein Quartal betrifft
und die Klägerin insgesamt weit überwiegend obsiegt hat.
Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.