Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe
Zumutbarkeit der Leistung von Ausbildungsunterhalt
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe für die Zeit vom 3. September 2012 bis 28. Februar 2014 (18
Monate). Streitig ist zwischen den Beteiligten insbesondere, ob das Elterneinkommen bei der Berechnung der Berufsausbildungsbeihilfe
anzurechnen ist.
Der im Jahre 19... geborene Kläger studierte nach Erreichen der Hochschulreife und Ableistung des Grundwehrdienstes vom 1.
April 2004 bis 30. Juli 2006 zunächst Physik an der EMAU A-Stadt. Nachdem er das Studium abgebrochen hatte, begann er am 1.
August 2006 eine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Ostseesparkasse R.... Das Ausbildungsverhältnis wurde seitens des Ausbildungsbetriebes
innerhalb der Probezeit zum 30. September 2006 gekündigt. Anschließend studierte der Kläger in der Zeit vom 1. Oktober 2006
bis 31. März 2010 Betriebswirtschaftslehre. Da er nur eine von sechs Vordiplomsprüfungen erfolgreich bestand, entschied er
sich nach Rücksprache mit der Studienberatung zum Abbruch des Studiums und Aufnahme eines Studiums der Rechtswissenschaften,
welches er in der Zeit vom 1. April 2010 bis 30. September 2010 absolvierte und ebenfalls ohne Abschluss abbrach. In der Zeit
vom 1. Oktober 2010 bis 30. September 2012 studierte der Kläger sodann Bachelor of Arts Recht-Wirtschaft-Personal an der EMAU
A-Stadt. Auch dieses Studium beendete der Kläger ohne Abschluss.
Am 1. September 2012 nahm der nunmehr bereits 29 Jahre alte, seit 2008 verheiratete Kläger eine 3-jährige Ausbildung zum IT-Systemkaufmann
bei der D... GmbH in W... auf, die er im Zeitraum September 2012 bis August 2015 absolvierte. Seine Ausbildungsvergütung betrug
im ersten Ausbildungsjahr 450,00 €, im zweiten Ausbildungsjahr 550,00 € und im dritten Ausbildungsjahr 650,00 €. Der Kläger
wohnte im streitgegenständlichen Zeitraum gemeinsam mit seiner Ehefrau in einer Mietwohnung, für die eine monatliche Miete
in Höhe von 575,34 € zu entrichten war. Die Ehefrau verfügte im Kalenderjahr 2010 ausweislich des Steuerbescheids über Einkünfte
aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 22.600,00 €. Die Eltern des Klägers verfügten ausweislich des Einkommensteuerbescheides
für das Jahr 2010 vom 15. Februar 2012 über Einkommen in Höhe von 103.794,00 €.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe mit Bescheid vom 26. September 2012 ab. Dem Kläger
stünden die für seine Berufsausbildung erforderlichen Mittel aufgrund des Elterneinkommens zur Verfügung.
Der Kläger legte am 18. Oktober 2012 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass die Anrechnung von Elterneinkommen
zu Unrecht erfolgt sei. Die Unterhaltspflicht seiner Eltern habe bereits am 30. Juli 2006 geendet. Selbst wenn der Unterhaltsanspruch
noch über den 30. Juli 2006 hinaus bestanden haben sollte, habe dieser jedenfalls vor Beginn der jetzigen Ausbildung geendet.
Denn er habe keinen der vorgenommenen Ausbildungswechsel mit seinen Eltern besprochen. Zudem habe er die jeweiligen Ausbildungen
übermäßig verzögert und damit die Verpflichtung zu Zielstrebigkeit, Fleiß und Sparsamkeit verletzt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Gesamtbedarf des
Klägers in Höhe von 835,33 € (348,00 € Grundbedarf, 149,00 € Bedarf für Unterkunft, 75,00 € Zusatzbedarf für Unterkunft, 251,33
€ Fahrkosten für Pendelfahrten Unterkunft/Ausbildungsstätte, 12,00 € Arbeitskleidung) könne mit dem anrechenbaren Gesamteinkommen
in Höhe von 1.757,62 € gedeckt werden. Dem Kläger stünde die Ausbildungsvergütung zur Verfügung, die in Höhe von 397,22 €
anzurechnen sei. Das Einkommen der Ehefrau des Klägers sei in Höhe von 158,93 € und das seiner Eltern in Höhe von 1.201,47
€ anzurechnen. Soweit der Kläger vortrage, dass seine Eltern seit dem 30. Juli 2006 nicht mehr zum Unterhalt verpflichtet
seien, sei dem entgegenzubringen, dass der Kläger noch keine Erstausbildung abgeschlossen habe und die Eltern ihm daher grundsätzlich
nach den Vorschriften der §§
1601 ff.
BGB zum Unterhalt verpflichtet seien. Die Rechtsprechung belege, dass die Unterhaltspflicht nicht anhand äußerer Merkmale festgestellt
werden könne. Die Feststellung der Unterhaltspflicht müsse durch ein Familiengericht erfolgen und könne nicht durch Feststellungen
der Agentur für Arbeit ersetzt werden. Die getroffene Entscheidung sei nicht zu beanstanden, da ein Unterhaltstitel nicht
vorliege.
Mit der am 23. November 2012 beim Sozialgericht Stralsund erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Eltern
seien nach §
1610 Abs.
2 BGB insbesondere dazu verpflichtet, ihren Kindern den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung
zu einem Beruf zur Verfügung zu stellen. Seine Eltern seien aber lediglich bis zum Abbruch seines Erststudiums am 30. Juli
2006 zum Unterhalt verpflichtet gewesen. Indem er das Studium jedoch eigenmächtig abgebrochen habe, um eine Ausbildung zum
Bankkaufmann aufzunehmen, habe er seinen Unterhaltsanspruch verloren. Zwar billige die Rechtsprechung Kindern eine Orientierungsphase
zu, jedoch habe er vorliegend mit dem Wechsel der Ausbildung zu lange zugewartet. Es seien auch die Interessen des Unterhaltsverpflichteten
zu berücksichtigen. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Unterhaltsanspruch trotz Ausbildungswechsels zum 1. August 2006
fortbestanden habe, so spreche der weitere Ablauf dafür, dass mittlerweile kein Unterhaltsanspruch mehr gegen die Eltern bestünde.
Er müsse auch kein Urteil des Familiengerichts erwirken, vielmehr sei die Beklagte gehalten, den Unterhaltsanspruch selbst
zu prüfen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 26. September 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Oktober 2012 aufzuheben und
Berufsausbildungsbeihilfe in gesetzlicher Höhe rückwirkend zum 3. September 2012 zu bewilligen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie im Wesentlichen auf den Widerspruchsbescheid verwiesen und ergänzend darauf hingewiesen, dass bei der
Berechnung der Berufsausbildungsbeihilfe nicht zivilrechtliche Unterhaltsansprüche, sondern bestimmte Einkommensbeträge zu
berücksichtigen seien. Nach §
67 Abs.
5 S. 2
SGB III sei das Einkommen u. a. nicht anzurechnen, soweit ein Unterhaltsanspruch nicht bestehe oder dieser verwirkt sei. Nach der
Vorschrift würden Zweifel in Fällen beseitigt, in denen einerseits die Berechnung nach dem
SGB III ein anzurechnendes Einkommen ergebe, von dem Unterhaltspflichtigen jedoch belegt werde, dass z. B. durch Urteil entschieden
sei, dass ein Unterhaltsanspruch nicht bestehe, siehe BT-Drs 14/4731, S. 44. Der Kläger habe das gerade nicht belegt. Die
Beklagte halte sich daher nicht für legitimiert, von einer Anrechnung des Einkommens der Eltern abzusehen.
Nach Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hat das Sozialgericht mit Urteil vom
6. Oktober 2014 im schriftlichen Verfahren den Bescheid der Beklagten vom 26. September 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 23. Oktober 2012 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, einen neuen Bescheid zu erlassen, mit dem sie sich verpflichtet,
dem Kläger Berufsausbildungsbeihilfe für den Zeitraum vom 03. September 2012 bis 28. Februar 2014 in Höhe von monatlich 279,00
€ zu bewilligen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass der Bedarf des Klägers nicht durch das Einkommen seiner
Eltern gedeckt werden könne. Ein Unterhaltsanspruch des Klägers gegen seine Eltern bestünde nach §§
1601 ff.
BGB nicht, so dass das Elterneinkommen gemäß §
67 Abs.
5 S. 2
SGB III unberücksichtigt bleibe. Die Eltern seien nach §
1610 BGB zwar verpflichtet, dem Kind eine seiner Begabung, Neigung und seinem Leistungswillen entsprechende Berufsausbildung angemessen
zu finanzieren. Verletze das Kind aber - wie hier - nachhaltig seine Obliegenheit, seine Ausbildung planvoll und zielstrebig
aufzunehmen und durchzuführen, büße es seinen Unterhaltsanspruch ein.
Gegen das ihr am 16. Oktober 2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 24. Oktober 2014 Berufung eingelegt und vorgetragen,
für den Rechtsstreit sei insbesondere streitentscheidend, ob die Vorschrift des §
67 Abs.
5 S. 2
SGB III so zu verstehen sei, dass ein Titel vorliegen oder ob die Agentur für Arbeit ggf. selbst das Bestehen eines Unterhaltsanspruches
prüfen müsse. Nach ihrer Ansicht sei sie nicht legitimiert, nach zivilrechtlichen Vorschriften Unterhaltsansprüche zu prüfen.
Bei der Berufsausbildungsbeihilfe werde nicht ein bestehender oder erfüllter Unterhaltsanspruch angerechnet, sondern Einkommen.
Damit werde an einen Tatbestand angeknüpft, der von den Berechtigten in der Regel einfach belegt und von der Agentur für Arbeit
überprüft werden könne. In Störfällen genüge es, dass der Unterhaltsberechtigte glaubhaft mache, dass seine Eltern den angerechneten
Unterhaltsbeitrag nicht leisten. Auf diese Weise habe der Gesetzgeber sichergestellt, dass zivilrechtliche Unterhaltsansprüche
von der Agentur für Arbeit nicht geprüft werden müssten. Vielmehr sollten Unterhaltsrechtsstreitigkeiten in der Zuständigkeit
der Familiengerichte verbleiben. Dies werde auch durch §
67 Abs.
5 S. 2
SGB III deutlich, der anordne, dass Einkommen nicht anzurechnen sei, wenn ein Unterhaltsanspruch nicht bestehe oder verwirkt sei;
allerdings nur dann, wenn dies durch den Betroffenen belegt werden könne, z.B. durch ein Urteil. Gestützt werde die Auslegung
der Beklagten auch durch §
68 SGB III. In den Fällen der Vorausleistung werde die Beklagte darauf verwiesen, den auf sie übergegangenen Unterhaltsanspruch vor
den Familiengerichten geltend zu machen, ohne prüfen zu können, ob ein Unterhaltsanspruch besteht. Zur Prüfung der Vorausleistung
nach §
68 SGB III sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, der allgemeine Förderungsantrag umfasse nicht auch die Förderung durch Vorausleistung.
Ergänzend führt die Beklagte aus, der Bundesgerichtshof (BGH) habe im Jahre 2013 entschieden, dass ein Kind den Ausbildungsunterhaltsanspruch
gegenüber seinen Eltern nicht schon dann verliere, wenn es ihm aufgrund eines notenschwachen Schulabschlusses erst nach drei
Jahren vorgeschalteter Berufsorientierung und ungelernter Aushilfstätigkeiten gelinge, einen Ausbildungsplatz zu erlangen.
Zudem weist die Beklagten auf einen Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt vom 21. Juli 2011, L 2 AL 36/11 B ER, wonach in Fällen, in denen ein Ausnahmefall für die Förderung einer Zweitausbildung nach dem Recht der Arbeitsförderung
vorliege, viel dafür spreche, dass dann auch ein Ausnahmefall bei der Beurteilung der Unterhaltspflicht bestehe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung nimmt er im Wesentlichen auf seine erstinstanzlichen Ausführungen Bezug und weist zudem darauf hin, dass der
von der Beklagten angeführte Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt verdeutliche, dass nicht lediglich auf einen familiengerichtlichen
Titel abzustellen sei, sondern eine eigene Prüfung des Unterhaltsanspruches durch die Beklagte zu erfolgen habe. Während des
Physik- und des BWL-Studiums und auch in der nachfolgenden Zeit habe der Kläger von seinen Eltern Zahlungen in Höhe des Kindergeldes
als Unterhalt bekommen. Während der streitigen Ausbildung habe er mit Ausnahme von Gelegenheitsgeschenken jedoch keine finanziellen
Zuwendungen von seinen Eltern erhalten. Der Kläger habe während der Zeit des Ausbildungsverhältnisses auch keine geringfügige
Beschäftigung ausgeübt.
Der Senat hat die Eltern des Klägers, und A., schriftlich befragt. Sie haben erklärt, dem Kläger zunächst Naturalunterhalt
und nach Auszug aus dem Elternhaus im Jahre 2008 lediglich das monatliche Kindergeld bis zum Bezugsende mit 25. Lebensjahren
ausgezahlt zu haben. Abgesehen von Geldgeschenken zu den üblichen Anlässen wie Ostern, Weihnachten oder zum Geburtstag hätten
sie ihrem Sohn keine weiteren finanziellen Mittel gewährt. Aufgrund der zahlreichen Ausbildungsabbrüche und des Umstandes,
dass er kein Wort mehr mit ihnen über seine diesbezüglichen Absichten und seines Berufsweges gesprochen habe, seien sie zur
Zahlung von Unterhalt ihrer Ansicht nach nicht mehr verpflichtet gewesen. Während der Ausbildung zum IT-Systemkaufmann sei
der Kläger von ihnen nicht unterstützt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte
der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die zulässig erhobene Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung
stattgegeben.
Der Bescheid der Beklagten vom 26. September 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Oktober 2012 ist rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten, §
54 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Der Kläger hat einen Anspruch auf Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe ohne Anrechnung von Elterneinkommen.
Gemäß §
56 Abs.
1 SGB III i.d.F. vom 20. Dezember 2011 haben Auszubildende Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe während einer Berufsausbildung, wenn
1. die Berufsausbildung förderungsfähig ist,
2. sie zum förderungsfähigen Personenkreis gehören und die sonstigen persönlichen Voraussetzungen für eine Förderung erfüllt
sind und
3. ihnen die erforderlichen Mittel zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrkosten und die sonstigen Aufwendungen
und die Maßnahmekosten (Gesamtbedarf) nicht anderweitig zur Verfügung stehen.
Vorliegend steht dem Kläger Berufsausbildungsbeihilfe für die Zeit vom 3. September 2012 bis 28. Februar 2014 in Höhe von
monatlich 279,00 € zu, weil sein Bedarf in Höhe von 835,33 € in dieser Höhe nicht durch anrechenbares Einkommen gedeckt ist.
Bei der Ausbildung des Klägers handelte es sich um eine förderfähige Ausbildung. Auch die persönlichen Voraussetzungen für
die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe liegen vor. Die Höhe des von der Beklagten angesetzten Gesamtbedarfs des Klägers
nach §§
61 Abs.
1,
63 Abs.
1 Nr.
1,
64 Abs.
1 SGB III i.d.F. vom 20. Dezember 2011 ist richtig ermittelt worden und zwischen den Beteiligten nicht streitig. Insoweit kann auf
die Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen werden.
Zutreffend ist das Sozialgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Einkommen der Eltern vorliegend nicht nach §
67 SGB III i.d. F. vom 20. Dezember 2011 auf den Gesamtbedarf anzurechnen ist. Nach §
67 Abs.
1 SGB III ist auf den Gesamtbedarf das Einkommen des Auszubildenden, seines nicht dauernd von ihm getrenntlebenden Ehegatten, des Lebenspartners
und seiner Eltern in dieser Reihenfolge anzurechnen. Nach §
67 Abs.
5 S. 2
SGB III ist das Einkommen jedoch nicht anzurechnen, soweit ein Unterhaltsanspruch nicht besteht oder dieser verwirkt ist. Die Regelung
führte der Gesetzgeber wortgleich zum 1. August 2001 zunächst in §
71 Abs.
5 SGB III ein (vgl. Artikel 9 Nr. 4 Buchst. d, Artikel 14 Abs. 3 des Gesetzes vom 19. März 2001, BGBl. I S. 390) und findet sich seit dem 1. April 2012 in §
67 Abs.
5 SGB III (vgl. Artikel 2 Nr. 18 des Gesetzes vom 20. April 2011, BGBl. I S. 2854).
Eltern müssen gem. §§
1601,
1610 Abs.
2 BGB grundsätzlich ihrem Kind Unterhalt zahlen, bis dieses seine erste berufliche Ausbildung abgeschlossen hat. Für den Ausbildungsunterhalt
besteht keine Altersgrenze. Der aus §
1610 Abs.
2 BGB folgende Anspruch ist jedoch vom Gegenseitigkeitsprinzip geprägt. Der Verpflichtung des Unterhaltsschuldners zur Ermöglichung
einer Berufsausbildung steht auf Seiten des Unterhaltsberechtigten die Obliegenheit gegenüber, sie mit Fleiß und der gebotenen
Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beenden. Den Eltern muss unter Berücksichtigung aller Umstände die Leistung
von Ausbildungsunterhalt in den Grenzen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nämlich noch zumutbar sein. Zwar muss der
Unterhaltsverpflichtete nach Treu und Glauben (§
242 BGB) Verzögerungen der Ausbildungszeit hinnehmen, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind.
Verletzt dieses aber nachhaltig seine Obliegenheit, die Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen,
büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit
selbst zu verdienen (BGH, Beschluss vom 8. März 2017 - XII ZB 192/16 – juris, Rn. 17 und Beschluss vom 3. Juli 2013 - XII ZB 220/12). Ob den Eltern unter Berücksichtigung aller Umstände die Leistung von Ausbildungsunterhalt im Einzelfall noch zumutbar ist,
wird also nicht nur durch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eltern bestimmt, sondern auch davon, ob und inwieweit
sie damit rechnen müssen, dass ihr Kind weitere Ausbildungsstufen anstrebt. Denn zu den schützenswerten Belangen des Unterhaltspflichtigen
gehört, sich in der eigenen Lebensplanung darauf einstellen zu können, wie lange die Unterhaltslast dauern wird. Eine Unterhaltspflicht
kommt daher umso weniger in Betracht, je älter der Auszubildende bei Abschluss seiner praktischen Berufsausbildung ist, je
eigenständiger er seine Lebensverhältnisse gestaltet und je weniger eine Kommunikation über seine Ausbildungspläne erfolgt
(so BGH, Beschluss vom 3. Mai 2017 – XII ZB 415/16).
Eine Unterhaltsverpflichtung der Eltern bestand zum Zeitpunkt der Aufnahme der Ausbildung im Jahre 2012 offensichtlich nicht
mehr. Der Kläger hatte seine Obliegenheit verletzt, eine Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen.
Vorliegend hatte der Kläger bereits im Zeitraum von acht Jahren fünf Ausbildungen begonnen und wieder abgebrochen. Ein vorübergehendes
leichteres Versagen liegt damit eindeutig nicht mehr vor. Er lebte zudem seit vielen Jahren gemeinsam mit seiner Ehefrau wirtschaftlich
unabhängig von seinen Eltern. Nach dem Vortrag der Eltern haben sie dem Kläger zuletzt lediglich das Kindergeld weitergezahlt,
bis der Anspruch im Jahr 2008 mit Erreichen des 25. Lebensjahres (§ 2 Abs. 2
BKGG) erschöpft war. Abgesehen von Geldgeschenken zu den üblichen Anlässen wie Ostern, Weihnachten oder zum Geburtstag hat der
Kläger von seinen Eltern danach keine weiteren finanziellen Mittel für seinen täglichen Lebensunterhalt erhalten. Hinzu kommt,
dass der Kläger seine Eltern auch nicht über seine Ausbildungspläne in Kenntnis gesetzt hatte und diese daher keinesfalls
mehr damit rechnen mussten, noch im 30. Lebensjahr des Klägers auf Ausbildungsunterhalt in Anspruch genommen zu werden. Das
Vertrauen der Eltern darauf, keinen Ausbildungsunterhalt mehr leisten zu müssen, ist damit im konkreten Fall rechtlich schützenswert.
Es kann dahinstehen, ob es für den Nachweis eines nicht bestehenden oder verwirkten Unterhaltsanspruches stets eines entsprechenden
Urteils bedarf (strittig, für eine Prüfung anhand der unterhaltsrechtlichen Bestimmungen des
BGB: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Februar 2015 - L 8 AL 132/13, juris Rn. 28; so auch Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu,
SGB III §
67 Rn. 130, beck-online; Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB III, 2. Aufl., §
67 SGB III, Stand: 22.03.2021, Rn. 174; a. A. wohl Hassel in Brand,
SGB III, 8. Auflage 2018, §
67 Rz. 17). Die Notwendigkeit des Vorhandenseins eines rechtskräftigen Titels ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut nicht. Lediglich
in der Gesetzesbegründung (BT-Drs 14/4731, S. 44) ist zur gleichlautenden Vorgängervorschrift § 71 Abs. 5 Satz 2 ausgeführt:
„Satz 2 beseitigt Zweifel in Fällen, in denen einerseits die Berechnung nach dem
SGB III ein anzurechnendes Einkommen ergibt, von dem Unterhaltspflichtigen jedoch belegt wird, dass z. B. durch Urteil entschieden
ist, dass ein Unterhaltsanspruch nicht besteht.“ Schon vor Inkrafttreten der Vorschrift in §
71 Abs.
5 SGB III im Jahr 2001 hatte aber das Bundessozialgericht (BSG) zur Vorschrift des § 40 Abs. 1 AFG („soweit ihm die hierfür erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen“) entschieden, dass eine Anrechnung
von Einkommen der Eltern ausnahmsweise dann nicht gerechtfertigt ist, wenn der bürgerlich-rechtliche Unterhaltsanspruch des
Auszubildenden nach objektivem Recht offensichtlich ausgeschlossen ist (BSG, Urteil vom 23. Juni 1981 – 7 RAr 6/80, juris Rn. 26). Im Ergebnis sieht auch der Senat, dass insbesondere Gründe der Verwaltungspraktikabilität für die von der
Beklagten vertretene Ansicht sprechen. Für den einzelnen Sachbearbeiter vor Ort kann es im Einzelfall schwierig sei, die komplexe
familienrechtliche Rechtslage unter Berücksichtigung der (durchaus regional unterschiedlichen) familiengerichtlichen Rechtsprechung
zu beurteilen. Jedenfalls bei Vorliegen einer – wie hier - so offensichtlichen Unterhaltsverwirkung kann sich die Beklagte
aber nicht auf einen fehlenden familienrechtlichen Titel berufen. Es ist ihr zuzumuten, sich zumindest mit den Grundzügen
des Unterhaltsrechts und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu den Zumutbarkeitsgesichtspunkten beim Volljährigenunterhalt
auseinanderzusetzen. Mit §
67 Abs.
5 SGB III soll nämlich verhindert werden, dass dem Auszubildenden ein Unterhaltsanspruch entgegengehalten wird, den er nicht realisieren
kann und aus dem er kein Einkommen erzielt. Das Verfahren nach §
68 SGB III ändert hieran nichts und ist insoweit nachrangig.
Mangels Anrechenbarkeit des Elterneinkommens war auf den Bedarf des Klägers in Höhe von 835,33 € demnach nur die Ausbildungsvergütung
des Klägers in Höhe von 397,22 € und das Einkommen seiner Ehefrau in Höhe von 158,94 € anzurechnen.
Der Tenor des Urteils des Sozialgerichts war jedoch wie im Verfahren (siehe Urteil des Senats vom 17. Juni 2020) neu zu
fassen, da das Sozialgericht ein Aufhebungs- und Verpflichtungsurteil erlassen hat, obwohl eine kombinierte Anfechtungs- und
Leistungsklage nach §§
54 Abs.
1 S.1, Abs.
4 SGG richtige Klageart ist. Denn Gegenstand des Klagebegehrens ist eine Leistung, auf die beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen
ein Rechtsanspruch besteht. In diesem Fall darf - bei einer für die klagende Partei positiven Entscheidung - nur ein kombiniertes
Aufhebungs- und Leistungsurteil (§
54 Abs.
4 SGG), nicht aber ein Aufhebungs- und Verpflichtungsurteil ergehen. Der Senat konnte den Tenor abändern, ohne dass dem das Verbot
der reformatio in peius (Verschlechterungsverbot) entgegensteht (siehe BSG, Urteil vom 17. Mai 1988 – 10 RKg 3/87). Denn das Sozialgericht hat hier den Inhalt des zu erlassenden Bescheides bereits vorgegeben, womit das Verpflichtungsurteil
im Ergebnis einem Leistungsurteil gleichkommt und die Beklagte durch ein Leistungsurteil somit nicht schlechter gestellt wird.
Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§
160 Abs.
2 SGG).