Anspruch auf Ausgleich nach dem SVG
Folgen einer Gelbfieberimpfung
Verlangsamte Augenbewegungen
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren um den Anspruch des Klägers auf Ausgleich nach den Vorschriften des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG).
Der am I. 1988 geborene Kläger war von April 2007 bis März 2019 als Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr. Am 9. Februar 2010
ist er zur Vorbereitung eines Einsatzes mit dem Impfstoff Stamaril gegen Gelbfieber geimpft worden. Am 4. Mai 2010 ließ der
Kläger ein WDB-Blatt anlegen. Er machte die durchgeführte Impfung verantwortlich dafür, dass es bei ihm zu einer neurologischen
Erkrankung gekommen sei. Die beklagte Bundesrepublik Deutschland leitete Ermittlungen ein und zog medizinische Unterlagen
über die Behandlung des Klägers bei. Hieraus ergibt sich unter anderem folgendes:
Der Kläger hatte sich am 17. September 2009 bei der fachärztlichen Untersuchungsstelle für Augenheilkunde in J. vorgestellt.
Aus dem hierüber vorliegenden Untersuchungsbericht ergaben sich hinsichtlich seiner Augen keine besonderen Auffälligkeiten.
Am 26. Februar 2010 stellte sich der Kläger bei dem Facharzt für Augenheilkunde Dr. K. in L. vor. Dort gab er an, seit November
2009 Beschwerden seitens der Augen zu haben. Folgebewegungen der Augen fielen ihm schwer. Dr. K. berichtete in seinem Arztbrief,
derzeit sei die Augenmotilität intakt.
Ausweislich der G-Karte stellte sich der Kläger am 12. und 15. Februar 2010 mit einem Erkältungsinfekt vor. Am 22. Februar
stellte er sich erneut vor und klagte über neurologische Beschwerden und eine Pupillenverzögerung. In einem Arztbrief des
Bundeswehrkrankenhauses M. vom 23. Februar 2010 heißt es, der Kläger klage seit zwei Wochen über rezidivierende belastungsabhängige
Schwindelattacken. Bei ihm bestünden schon länger Fixationsschwierigkeiten. In einem Arztbrief des Bundeswehrkrankenhauses
N. vom 3. März 2010 heißt es, der Kläger klage seit Anfang des Monats bei körperlicher Belastung über ein Unsicherheitsgefühl.
In einem Arztbrief der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums O. vom 27. April 2010 wird berichtet, der Kläger habe
sich dort vom 22. bis zum 27. April 2010 stationär befunden. Dort wurde die Diagnose „Spinozerebelläre Ataxie“ gestellt. In
der Vorgeschichte heißt es, der Kläger bemerke seit ca. November 2009 eine Verlangsamung seiner schnellen Blickbewegungen.
Der Kompaniechef des Klägers teilte unter dem 22. Juni 2010 mit, der Kläger sei zwar hoch belastet gewesen aber eben nicht
mehr als in der Truppe üblich sei.
In einem Arztbrief des Universitätsklinikums P. vom Juli 2010 wird mitgeteilt, der Kläger sei von Kameraden im November 2009
auf eine Verlangsamung seiner Augenbewegungen aufmerksam gemacht worden. Dies sei ihm dann im Dezember auch aufgefallen und
zwar bei einer Schießübung.
In einem ersten truppenärztlichen Gutachten von Oberstabsarzt Dr. Q. vom 26. August 2010 wird sehr kurz von der Wahrscheinlichkeit
des Zusammenhangs der neurologischen Erkrankung mit der angeschuldigten Impfung ausgegangen. In einem Arztbrief des Bundeswehrkrankenhauses
M. (Oberfeldarzt Dr. R.) vom 9. Dezember 2010 wird darauf hingewiesen, aus den vorliegenden Unterlagen ergäben sich diverse
Hinweise darauf, dass die Erkrankung bereits vor der Impfung begonnen habe. Dr. R. verneinte einen Zusammenhang zwischen der
neurologischen Erkrankung und der angeschuldigten Impfung.
Daraufhin lehnte die beklagte Bundesrepublik mit hier angefochtenem Bescheid vom 7. März 2011 die Feststellung von Schädigungsfolgen
sowie die Gewährung von Ausgleich ab. Zur Begründung wie sie im Wesentlichen darauf hin, die Erkrankung habe sich bereits
vor der Impfung manifestiert. Die Impfung habe auch keinen Einfluss auf die Entwicklung der Erkrankung genommen.
Auf die Beschwerde des Klägers zog die beklagte Bundesrepublik Deutschland eine Stellungnahme des ärztlichen Dienstes (Oberfeldarzt
Dr. S. und Frau T.) vom 7. Juni 2011 bei. Diese wiesen unter anderem darauf hin, gerade wegen des schnellen Verlaufs der Erkrankung
könnten weder sportliche Leistungen noch eine augenärztliche Untersuchung als Beweis dafür herangezogen werden, dass nicht
schon im November 2009 eine latente Symptomatik bestanden haben könnte. Wichtig sei auch, dass es zu keinen akuten Symptomen
wie Fieber o. ä. nach der Impfung gekommen sei. Daraufhin wies die beklagte Bundesrepublik Deutschland die Beschwerde des
Klägers mit Beschwerdebescheid vom 1. Juli 2011 zurück.
Am 21. Juli 2011 ist Klage erhoben worden.
Zu deren Begründung hat der Kläger unter anderem vorgetragen, es sei zwar schon vor der Impfung zu verlangsamten Augenbewegungen
gekommen, dies sei indessen auf seine Überarbeitung im Dienst zurückzuführen gewesen. Zur weiteren Begründung seiner Klage
hat der Kläger weitere medizinische Unterlagen vorgelegt. Hierunter findet sich unter anderem ein Arztbrief des Universitätsklinikums
U. vom 28. November 2013, in dem es heißt ein kausaler Zusammenhang der Erkrankung des Klägers mit der angeschuldigten Impfung
sei zwar möglich - aber nicht zu beweisen.
Das Sozialgericht (SG) Stade hat sich zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts ein Gutachten von dem Internisten, Tropenmediziner und Infektiologen
Prof. Dr. V. vom 5. Mai 2014 erstatten lassen. Dieser hat unter anderem darauf hingewiesen, die mittlerweile eingetretene,
langsame Befundbesserung bei dem Kläger spreche gegen eine angeborene oder neurodegenerative Erkrankung. Gegen eine Verbindung
zwischen Impfung und der dann aufgetretenen Erkrankung spreche der fehlende Nachweis von Antikörpern im Liquor. Dies wäre
aber zu erwarten gewesen. Die schon vor der Impfung eingetretene Verlangsamung der Augenbewegungen des Klägers könnten nicht
durch normale Ermüdung erklärt werden. Im Ergebnis gelangte Prof. Dr. V. zu der Einschätzung, ein Zusammenhang zwischen der
Impfung und der bei dem Kläger aufgetretenen Erkrankung sei nicht wahrscheinlich.
Auf Antrag des Klägers holte das SG sodann noch ein Gutachten nebst ergänzender Stellungnahme von Professor Dr. W. ein (vom 26. August 2014 und vom 28. Januar
2015). Dieser hat unter anderem ausgeführt, die Behauptung des Klägers frühere Infektionen hätten bei ihm nicht zur Auslösung
einer Autoimmunerkrankung geführt und daraus müsse geschlossen werden, dass es einen solchen Mechanismus auch nunmehr nicht
gegeben habe, sei medizinisch nicht haltbar. Etwaige Augenbewegungen vor der Impfung ließen sich medizinisch nicht durch eine
Überarbeitung erklären. Im Übrigen stimme er in seiner Einschätzung vollständig mit Prof. Dr. V. überein.
Am 8. September 2015 stellte sich der Kläger erneut in der neurologischen Klinik der Universitätsklinik O. vor, welche hierüber
unter dem 14. September 2015 berichtete. Sie ging nunmehr als Hauptdiagnose von dem Residualzustand einer Rhombenzephalitis
aus. Weiter heißt es dort, bei einem direkten zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung könne von „a.e. (para-) infektiösen
Genese“ ausgegangen werden. Differenzialdiagnostisch sei eine Autoimmunerkrankung in Betracht zu ziehen. Aus dem Arztbrief
lässt sich nicht entnehmen, dass den Behandlern die Vorbeschwerden des Klägers im November 2009 bekannt waren. Weiter heißt
es in diesem Arztbrief, die Erkrankung des Klägers sei am ehesten autoimmunologisch zu erklären. Eine denkbare Ursache sei
die hier angeschuldigte Impfung.
Das SG hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts eine Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts bei (Professor Dr. X. unter dem
8. Dezember 2015) beigezogen. Dieser hat unter anderem ausgeführt, eine zerebelläre Ataxie könne Symptom verschiedenster Erkrankungen
sein. In der Regel sei das Kleinhirn betroffen und zwar aufgrund von Infektionen, Einblutungen oder interzerebralen Raumforderungen.
Im Rahmen der Überwachung nach der Zulassung des Impfstoffes Stamaril sei im Zusammenhang mit der Impfung in sehr seltenen
Fällen von Gelbfieber – Impfstoff – assoziierten, neurotropen Erkrankungen (YEL-AND) mit Folgeschäden berichtet worden. Diese
neurotropen Erkrankungen könnten mit verschiedenen neurologischen Symptomen, wie zum Beispiel Verwirrung, Lethargie, Hirnhautentzündung
(Meningitis), Hirnsubstanzentzündung (Enzephalitis) assoziiert sein. Diese neurologischen Erkrankungen könnten als Symptome
eine zerebelläre Ataxie aufweisen. Sofern ein plausibler zeitlicher Zusammenhang (7-14 Tage nach der Impfung) zwischen der
Impfung und dem Auftreten der Symptome, die zur Diagnose einer Gelbfieber – Impfstoff – assoziierten, neurotropen Erkrankung
geführt habe, gegeben sei, müsse man von einem wahrscheinlichen kausalen Zusammenhang zur Impfung ausgehen.
Daraufhin hat das SG die Klage mit Urteil vom 18. Januar 2016 abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf die eingeholten Gutachten gestützt. Ein
Yel-And sei nicht festgestellt worden; auch nicht im Sinne einer Verschlimmerung. Das SG hat weiter eingehend geprüft, ob die Voraussetzungen der sogenannten „Kann-Versorgung“ vorliegen und dies verneint.
Gegen das am 27. Januar 2016 zugestellte Urteil ist am 5. Februar 2016 Berufung eingelegt worden.
Der Kläger ist nach wie vor der Auffassung, die bei ihm 2010 aufgetretene neurologische Erkrankung (Rhombenzephalitis) sei
auf die dienstlich veranlasste Impfung am 9. Februar 2010 zurückzuführen. Die von den Sachverständigen vermutete frühere Erkrankung
bereits am Ende des Jahres 2009 habe nicht vorgelegen. Soweit zu diesem Zeitpunkt tatsächlich bereits Veränderungen in seinen
Augenbewegungen vorgelegen hätten, seien diese auf dienstliche Überlastung zurückzuführen. Zur weiteren Begründung hat der
Kläger zahlreiche weitere medizinische Unterlagen hinsichtlich seiner Behandlung vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 18. Januar 2016 sowie den Bescheid der beklagten Bundesrepublik Deutschland vom
7. März 2011 in der Gestalt des Beschwerdebescheides vom 1. Juli 2011 aufzuheben,
2. die beklagte Bundesrepublik Deutschland zu verurteilen, bei ihm den Residualzustand einer Rhombenenzephalitis als Schädigungsfolge
festzustellen und ihm Ausgleich nach einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 30 zu gewähren.
Die beklagte Bundesrepublik Deutschland beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren angefochtenen Bescheid, das erstinstanzliche Urteil sowie auf das Ergebnis der weiteren
Ermittlungen des Senats im Berufungsverfahren sowie auf weitere vorgelegte Stellungnahmen seines ärztlichen Dienstes. Auch
die beklagte Bundesrepublik Deutschland ist durchgängig davon ausgegangen, dass es sich bei der angeschuldigten Impfung um
eine dienstliche Verrichtung gehandelt hat.
Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts ein Gutachten des Neurologen Professor Dr. Y. vom 28. September 2019
nebst ergänzender Stellungnahme vom 23. September 2020 veranlasst. Prof. Dr. Y. ist im Erörterungstermin am 5. November 2020
persönlich ergänzend angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten, die ergänzende Stellungnahme
sowie auf das Protokoll des Erörterungstermins vom 5. November 2020 Bezug genommen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie
auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das SG hat die Klage mit seinem hier angefochtenen Urteil vom 18. Januar 2016 zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der beklagten Bundesrepublik
Deutschland vom 7. März 2011 in der Gestalt des Beschwerdebescheides vom 1. Juli 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger
nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen die beklagte Bundesrepublik Deutschland aus § 85 SVG keinen Anspruch auf Ausgleich. Der bei dem Kläger vorliegende Residualzustand einer Rhombenzephalitis ist keine Wehrdienstbeschädigung
(WDB) im Sinne von § 81 SVG.
Bei der bei dem Kläger am 9. Februar 2010 mit dem Impfstoff Stamaril durchgeführten Impfung gegen Gelbfieber handelte es sich
um eine Wehrdienstverrichtung im Sinne von § 81 SVG. Hiervon gehen die Beteiligten des Verfahrens übereinstimmend aus und auch aus der Sicht des Senats bestehen hieran keine
Zweifel, da der Kläger zur Vorbereitung eines Einsatzes im Ausland aus dienstlichem Anlass geimpft worden ist (vgl. dazu schon
die Bemerkungen von Dr. Z. vom 22. Juli 2010 – Bl. 107 des Verwaltungsvorgangs und den Schriftsatz der Beklagten vom 17. Juli
2018 – Bl. 760 der Gerichtsakte sowie die vom Kläger vorgelegte Weisung zur Anpassung der Impfmaßnahmen im neuen Heer von
Juni 2008 = Bl. 484 ff der Gerichtsakte).
Der Anspruch auf Versorgung als Folge einer Impfung setzt auch im Soldatenversorgungsrecht eine Schutzimpfung als Wehrdienstverrichtung,
den Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation,
sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also einen Impfschaden, voraus. Zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen
muss ein Ursachenzusammenhang bestehen.
Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht ebenso wie im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung allgemein geltende
Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen
Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg
bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägen ihres
verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist.
Die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung müssen mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sogenannten Vollbeweis - feststehen. Allein für die zwischen diesen Merkmalen
erforderlichen Ursachenzusammenhänge reicht der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus, § 61 Satz 1 IfSG. Die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Impfung und Impfkomplikation sowie zwischen Impfkomplikation
und Impfschaden ist gegeben, wenn auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aktuell geltenden medizinischen
Lehrmeinung mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht. Die aktuell geltende medizinische Lehrmeinung ist hierbei
im Grundsatz den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht
(AHP) zu entnehmen (s. dazu auch die Hinweise auf S. 5 der Einleitung zu der zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung, deren Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (im Folgenden: VMG) allein aus Rechtsgründen keine Ausführungen mehr zu
Kausalitätsbeurteilungen einzelner Krankheitsbilder enthält), solange sich keine Anzeichen dafür ergeben, dass diese den aktuellen
Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011, Az.: B 9 VJ 1/10 R, SozR 4-3851 § 60 Nr. 4; der Senat folgt in ständiger Rechtsprechung auch zum Impfschadensrecht dieser ständigen Spruchpraxis
des Bundessozialgerichts vgl. dazu zuletzt Urteil vom 5. November 2020, L 10 VE 46/17). Nach Nr. 57 der Ausgabe 2008 der AHP
ist zur Ermittlung des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft auf die Arbeitsergebnisse der Ständigen Impfkommission
zurückzugreifen, die im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht sind. Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände
für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 7. April 2011, B 9 VJ 1/10 R, veröffentlicht in juris, Rn. 36 ff.).
Ursache eines Körperschadens sind in dem hier erheblichen Sinne diejenigen Bedingungen (das sind die Umstände, die nicht hinweggedacht
werden können, ohne dass der Eintritt der Gesundheitsstörung entfiele – conditio sine qua non), die wegen ihrer besonderen
Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Haben zu einem Erfolg (dem Eintritt eines Körperschadens)
mehrere Bedingungen beigetragen, so sind nur diejenigen Bedingungen Ursache im Rechtssinn, die von ihrer Bedeutung und Tragweite
für den Eintritt des Schadens wenigstens der Bedeutung und Tragweite der Summe der anderen Bedingungen annähernd gleichwertig
sind (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, Az.: B 9 V 6/13 R, SozR 4-7945 § 3 Nr. 1; insoweit unterscheidet sich die Bewertung von den im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung
geltenden Grundsätzen: BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Kommt dagegen einem der Umstände gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist er allein
Ursache im Rechtssinn (Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung, vgl. Rohr/Strässer/Dahm, Kommentar zum BVG, Anm. 10 zu § 1). Dies gilt auch, soweit zum Zeitpunkt des angeschuldigten schädigenden Ereignisses bereits eine Disposition für den Eintritt
einer Gesundheitsstörung vorhanden war, ein dieser Gesundheitsstörung zuzuordnendes pathologisches physisches oder psychisches
Geschehen aber noch nicht eingetreten war. In diesem Fall ist der Einfluss der Krankheitsanlage einerseits und des äußeren
Ereignisses andererseits auf den Eintritt der Gesundheitsstörung zu gewichten.
Der Senat kann nicht feststellen, dass die Impfung ursächlich für die beim Kläger auch jetzt noch vorliegende neurologische
Erkrankung (Rhombenzephalitis) beziehungsweise deren Residualzustand geworden ist. Es fehlt nach den überzeugenden Ausführungen
auch des Sachverständigen Prof. Dr. Y. an der überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der
streitgegenständlichen Impfung und der Erkrankung des Klägers. Der vom Senat bestellte Sachverständige hat damit die schon
erstinstanzlich gehörten Sachverständigen Prof. Dr. V. und Prof. Dr. W. in vollem Umfang bestätigt.
Auch Prof. Dr. Y. hat für den Senat überzeugend herausgearbeitet, dass die Ursache der Erkrankung des Klägers bis auf den
heutigen Tag wissenschaftlich nicht bekannt ist (vgl. etwa auch Prof. Dr. V. in seinem Gutachten vom 5. Mai 2014 auf Bl 167
der Gerichtsakte). Er hat darauf hingewiesen, der Kläger sei bei den führenden Experten für derartige Erkrankungen in Behandlung
gewesen und eine Ursache sei nicht festgestellt worden. Er hat auch im Termin zur Erörterung am 5. November 2020 darauf hingewiesen,
dies sei bei einer Vielzahl von neurologischen Erkrankungen nicht unüblich, da die Wissenschaft diese Zusammenhänge noch nicht
erforscht und verstanden habe (vgl. auch S. 22 des Gutachtens vom 28. September 2019 = Bl. 520 der Gerichtsakte). Schon aus
diesem Grund kann der Senat einen Ursachenzusammenhang nicht mit der notwendigen Gewissheit feststellen.
Etwas Anderes lässt sich auch den Äußerungen der behandelnden Ärzte des Klägers letztlich nicht entnehmen. So führt etwa schon
die Universitätsklinik Bonn in ihrem Arztbrief vom 28. November 2013 aus, ein kausaler Zusammenhang zwischen der angeschuldigten
Impfung und der bei dem Kläger vorliegenden Erkrankung sei möglich aber nicht zu beweisen (Bl. 292 der Gerichtsakte).
Auch die neurologische Universitätsklinik in O. spricht in ihrem Arztbrief vom 14. September 2015, den der Kläger immer wieder
in Bezug nimmt, davon, es könne neben der angeschuldigten Impfung eine infektiöse oder eine autoimmune Genese der Erkrankung
in Betracht kommen (Bl. 639 der Gerichtsakte).
Eine Vermutung im Hinblick auf den Zusammenhang mit der Impfung sprechen die dortigen Behandler in diesem Arztbrief nur sehr
zurückhaltend aus, weil sie von einer direkten zeitlichen Verbindung ausgehen (vgl. insoweit insbesondere die einleitende
Darstellung des Verlaufs der Erkrankung auf S. 1 des Briefs an den Kläger vom 14. September 2015 = Bl. 638 der Gerichtsakte,
die den tatsächlichen Verlauf – wie darzulegen sein wird – ungenügend zur Kenntnis nimmt). Dies ist aber aus zwei Gründen
sehr zweifelhaft. Zum einen hat Prof. Dr. Y. für den Senat überzeugend darauf hingewiesen, allein ein etwaiger zeitlicher
Zusammenhang sei generell nicht geeignet, um einen kausalen Zusammenhang nahe zu legen (S. 22 des Gutachtens vom 28. September
2019 = Bl. 520 der Gerichtsakte). Zum anderen sprechen – wie auszuführen sein wird - nach Auffassung des Senats überwiegende
Gesichtspunkte dafür, dass die Erkrankung des Klägers bereits zu einem früheren Zeitpunkt begonnen hat.
Alle im gesamten Gerichtsverfahren gehörten Sachverständigen haben zur Stützung ihrer Auffassung auch darauf hingewiesen,
im gesamten von ihnen durchgesehenen wissenschaftlichen Schrifttum habe sich keine ähnliche Fallgeschichte wie die des Klägers
gefunden (vgl. etwa Prof. Dr. W. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28. Januar 2015 = Bl. 328 der Gerichtsakte). Dies
hält der Senat im Hinblick darauf, dass nach den Ausführungen von Prof. Dr. V. schon über 600 Millionen Dosen des Impfstoffs
verimpft worden sind (Gutachten vom 5. Mai 2014 S. 9 = Bl. 165 der Gerichtsakte) durchaus für ein Indiz dafür, dass andere
Ursachen für die Erkrankung in den Blick zu nehmen sind, wie dies ja auch von allen Sachverständigen und Behandlern getan
wird.
Der Senat geht darüber hinaus und selbständig tragend mit Prof. Dr. Y. davon aus, dass die Erkrankung des Klägers nicht erst
nach der hier angeschuldigten Impfung am 9. Februar 2010 begonnen hat. In der Krankengeschichte des Klägers finden sich zahlreiche
Hinweise darauf, dass erste Symptome der Erkrankung bereits im Winter 2009 vorgelegen haben. Der Kläger selbst hat bei seiner
Untersuchung durch den Facharzt für Augenheilkunde Dr. K. am 26. Februar 2010 angegeben, er habe seit November 2009 Beschwerden
seitens der Augen (Bl. 637 der Gerichtsakte). Dies berichtet auch das Universitätsklinikum O. in seinem Bericht vom 27. April
2010 (Bl. 89 des Verwaltungsvorgangs). Im Bericht des Universitätsklinikums P. vom 28. Juli 2010 wird mitgeteilt, der Kläger
sei von Kameraden im November 2009 auf die Verlangsamung seiner Augenbewegungen angesprochen worden (Bl. 112 des Verwaltungsvorgangs).
Der Kläger selbst räumt dann in seiner Klageschrift ein, es sei schon vor der Impfung zu verlangsamten Augenbewegungen gekommen
(Bl. 27 der Gerichtsakte). Er führt dies dann aber auf seine Überarbeitung im Dienst zurück. Eine derartige Überarbeitung
kann aber aus medizinischen Gründen nicht zu einer Verlangsamung der Augenbewegungen führen (so Prof. Dr. W. in seiner ergänzenden
Stellungnahme vom 28. Januar 2015 S. 5 = Bl. 331 der Gerichtsakte; Prof. Dr. Y. in seinem Gutachten vom 28. September 2019
S. 28 = Bl. 526 der Gerichtsakte).
Der Senat hat insoweit von einer weiteren Beweiserhebung abgesehen. Er unterstellt als wahr, dass die vom Kläger benannten
Zeugen, bei ihm vor der Impfung keine Veränderung der Augenbewegungen wahrgenommen haben. Prof. Dr. Y. hat im Erörterungstermin
am 5. November 2020 ausgeführt, er habe sich die vom Kläger vorgelegten Videoaufnahmen angesehen und darauf keine Anzeichen
für die schon vorliegende Erkrankung erkennen können. Er hat weiter darauf hingewiesen, dass sich derartige Symptome sehr
langsam entwickeln könnten. Angesichts einer solchen langsamen Entwicklung sei es auch durchaus möglich, dass der Kläger –
wie er vorträgt – auch im Herbst 2009 noch an Schießübungen teilgenommen hat, ohne dabei als schon erkrankt aufzufallen.
Hieraus ergibt sich für den Senat auch, dass beginnende Symptome vorgelegen haben können, ohne dass dies von den Menschen
in der Umgebung des Klägers – auch von der damaligen Lebensgefährtin und jetzigen Ehefrau - bemerkt worden ist. Dies vermag
aber nichts daran zu ändern, dass der Kläger selbst – wie soeben ausführlich dargelegt - offenbar bei mehreren Untersuchungen
und bei Klageerhebung Veränderungen an seinen Augen in der Zeit vor der angeschuldigten Impfung berichtet beziehungsweise
eingeräumt hat.
Der Senat weist angesichts der wiederholten Schriftsätze des Klägers und seiner Prozessbevollmächtigten ausdrücklich darauf
hin, dass er die vom Kläger wiederholt vorgelegten und vorgetragenen Unterlagen (etwa der Bericht des Facharztzentrums J.
vom 17. September 2009 <Dr. AA. > = Bl. 636 der Gerichtsakte) zur Kenntnis genommen hat. Aber gerade in dem vom Kläger extra
angeforderten Brief des Facharztes für Augenheilkunde Dr. K. vom 4. September 2012 (Bl. 637 der Gerichtsakte) berichtet dieser,
der Kläger habe bei der Untersuchung am 26. Februar 2010 über Beschwerden seit November 2009 geklagt. Dr. K. führt ausdrücklich
aus, der Kläger habe angegeben, Folgebewegungen fielen ihm schwer. Der Kläger klage über ein Gefühl der Verzögerung bei Blickbewegungen
ggf. bei angegebenem Schwindel. Auch der Schwindel wird von Dr. K. ausdrücklich auch auf die zurückliegende Zeit bezogen.
Genau hieraus ergeben sich die Zweifel daran, dass die Symptome der Erkrankung erst nach der angeschuldigten Impfung am 9.
Februar 2010 aufgetreten sind. Daher gehen auch die vom Kläger in Bezug auf die von ihm nunmehr nur noch auf die Zeit nach
der Impfung bezogenen Fragen zum Auftreten von Schwindel (Bl. 644 der Gerichtsakte) fehl.
Soweit der Kläger dem Sachverständigen Prof. Dr. Y. immer wieder vorwirft, dieser habe nicht zur Kenntnis genommen, dass die
Universitätsklinik O. die Diagnose verändert habe, führt auch dies nicht zu einer anderen Bewertung. Prof. Dr. Y. hat bei
seiner persönlichen Anhörung am 5. November 2020 die verschiedenen Diagnosen und Begrifflichkeiten erläutert. Er hat insbesondere
ausgeführt, es handele sich nicht wirklich um einen Wechsel der Diagnose, sondern um eine Beschreibung dessen, was vorliegt.
Der zuvor verwendete Begriff der „spinozerebellären Ataxie“ werde eher verwendet, um Erkrankungen zu kennzeichnen, die eine
genetische Ursache hätten, während die Diagnose „Rhombencephalitis“ das Areal bezeichne, in dem die Erkrankung aufgetreten
sei. Von einer genetisch bedingten Erkrankung könne man im Fall des Klägers aber schon deswegen nicht ausgehen, weil sich
die Erkrankung teilweise zurückgebildet habe. Das sei aber bei einem Gendefekt nicht zu erwarten. Hinsichtlich der vom Kläger
eingeforderten genauen Bezeichnung ist darauf hinzuweisen, dass nach der vom Kläger in das Verfahren eingeführten Dissertation
von Ley aus dem Jahre 2018 die Einteilung der Ataxien in der medizinischen Wissenschaft im ständigen Fluss ist (S. 1 = Bl.
656 der Gerichtsakte, zur Spinocerebellären Ataxie vgl. genauer ab S. 7).
Dies führt auch dazu, dass der Senat schon nicht feststellen kann, dass es bei dem Kläger zu einer Impfkomplikation im Sinne
der oben dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung gekommen ist. Wenn nämlich Symptome der Erkrankung bereits vor der
Impfung vorgelegen haben, dann lässt sich nicht feststellen, dass die Impfung zu einer Komplikation geführt hat, die dann
wiederum zu den jetzt noch vorliegenden Residuen der Erkrankung geführt hat.
Das Begehren des Klägers hat auch in Anwendung von §§ 85 Abs. 3 in Verbindung mit § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG keinen Erfolg. Danach kann, wenn die zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit
nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit
besteht, mit Zustimmung des Bundesministeriums der Verteidigung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales
der Gesundheitsschaden als Folge einer WDB anerkannt werden (sog. Kann-Versorgung). Die Regelung entspricht der Regelung des
§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVG. Die dafür von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze gelten folglich auch insoweit. Die wesentlichen medizinischen Maßstäbe
zur Anwendung der Kann-Versorgung ergeben sich aus Teil C Nr. 4 der VMG.
Die Frage der Kausalitätsvoraussetzungen stellt sich für die Kann-Versorgung allerdings ebenso wie für einen Rechtsanspruch.
Zwischen beiden bestehen bezüglich der Kausalität lediglich graduelle Unterschiede (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 1981, 9 RVi 5/80, veröffentlicht in juris, Rn. 27). Die Möglichkeit des Kausalzusammenhangs reicht
auch im Rahmen des § 85 Abs. 3 SVG nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs
vertritt. Die Verwaltung ist nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs
- die so gut wie nie widerlegt werden kann - ausreichen zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, 9/9a RV 41/92, veröffentlicht in juris, dort Rn. 19). Zur Gewährung der Kann-Versorgung muss nicht nur ein zeitlicher Zusammenhang bestehen,
sondern nach wenigstens einer nachvollziehbaren wissenschaftlichen Lehrmeinung müssen Erkenntnisse vorliegen, die für einen
generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang zwischen besonderen Belastungen und der
festgestellten Erkrankung sprechen. Es darf nicht nur eine theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs bestehen, sondern es
muss vielmehr eine "gute Möglichkeit" bestehen, die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so zur allgemeinen
Lehrmeinung verdichtet hat, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995, 9 RV 17/94, veröffentlicht in juris, Rn. 19).
Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. Y. in seinem Gutachten vom 28. September 2019 nebst ergänzender
Stellungnahme vom 23. September 2020 und Prof. Dr. V. im Gutachten vom 5. Mai 2014 sowie Prof. Dr. W. in seinem Gutachten
vom 26. August 2014 nebst ergänzender Stellungnahme vom 28. Januar 2015 fehlt es vorliegend an wenigstens einer fundierten
wissenschaftlichen Lehrmeinung, die die Wahrscheinlichkeit eines generellen Ursachenzusammenhangs vertritt. Das gilt etwa
auch für die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme der Universitätsklinik U. vom 28. November 2013 (Bl. 198 der Gerichtsakte),
die einen Zusammenhang für möglich hält, aber weiter ausführt, dies sei nicht beweisbar. Auch die den Kläger behandelnde Universitätsklinik
O. hält einen Zusammenhang – wie dargelegt – letztlich für möglich, kann aber auch nicht die Wahrscheinlichkeit darlegen.
Insbesondere hat der Senat keinerlei statistische Erhebungen für einen derartigen Zusammenhang feststellen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von §
193 SGG.
Anlass, die Revision in Anwendung von §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, besteht nicht.