LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.06.2021 - 2 R 746/19
Keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson beim Bezug der
Regelaltersrente als Vollrente
Kein Verzicht auf die Versicherungsfreiheit
Mit der Vollendung der Regelaltersgrenze und dem Bezug einer Vollrente wegen Alters besteht nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI Versicherungsfreiheit. Auch der Personenkreis der nicht erwerbsmäßig tätigen Pflegepersonen wird ab diesem Zeitpunkt versicherungsfrei.
Ein Verzicht auf diese Versicherungsfreiheit ist nicht möglich.
Vorinstanzen: SG Duisburg 20.08.2019 S 37 R 881/18
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 20.08.2019 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er ab dem 01.01.2017 der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung nach § 3 Satz 1 Nr. 1a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch ( SGB VI) unterliegt.
Der am 00.00.1950 geborene Kläger bezieht aufgrund eines Rentenantrags vom 29.08.2016 seit dem 01.08.2016 eine Regelaltersrente
als Vollrente (Bescheid vom 12.10.2016). Der Kläger übernimmt seit Jahren die häusliche Pflege seiner Ehefrau C K, bei der
aktuell Pflegebedürftigkeit des Pflegegrades 5 besteht. Neben seiner Pflegetätigkeit geht der Kläger einer Berufstätigkeit
als selbständiger Rechtsanwalt in einem zeitlichen Umfang von nicht mehr als 30 Stunden pro Woche nach. Für die Pflegetätigkeit
wurden von der Beigeladenen in der Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.07.2016 für den Kläger Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung
geleistet, die als Pflichtbeitragszeiten bei der Rentenberechnung berücksichtigt wurden. Seit diesem Zeitpunkt zahlt die Beigeladene
keine Pflichtbeiträge mehr an die Beklagte. Auf einen diesbezüglichen Antrag des Klägers an die Beigeladene, im Hinblick auf
eine zu erwartende Gesetzesänderung auch weiterhin Beiträge für die Pflegetätigkeit abzuführen (Schreiben vom 08.07.2016),
teilte die Beigeladene dem Kläger im Rahmen eines allgemeinen Schreibens vom 07.12.2016 zum neuen Pflege-Stärkungsgesetz zunächst
mit, dass auch über den 31.12.2016 hinaus Beiträge für die Pflegetätigkeit gezahlt werden. Mit Schreiben vom 30.03.2017 wurde
der Kläger dann aber darauf hingewiesen, dass er mit Bezug der Vollrente versicherungsfrei sei und deshalb ab dem 01.08.2016
für ihn keine Beiträge mehr gezahlt würden.
Mit Schreiben vom 13.10.2017 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf weitere Anerkennung von Pflichtbeiträgen
für die Pflegetätigkeit. Diese teilte ihm mit Schreiben vom 19.02.2018 mit, dass bei Bezug einer Altersvollrente über den
Monat des Erreichens der Regelaltersgrenze hinaus keine Pflichtbeiträge durch die Pflegekassen mehr gezahlt werden. Sofern
Versicherte jedoch von der Möglichkeit nach § 42 SGB VI Gebrauch machten und eine Teilrente von 99 % in Anspruch nähmen, bestehe weiterhin Versicherungspflicht während der nicht
erwerbsmäßigen Pflege. Die Teilrente sei formlos schriftlich zu beantragen.
Der Kläger hat daraufhin mitgeteilt, dass er diese Auskunft nicht für zutreffend halte. Nach § 5 Abs. 4 Satz 2 SGB VI bestehe für versicherungspflichtige Altersrentner, wenn sie abhängig beschäftigt oder als Selbständige tätig seien, die Möglichkeit,
auf die Versicherungsfreiheit zu verzichten. Diese Möglichkeit müsse auch für nicht erwerbsmäßige Pflegepersonen bestehen.
Anderenfalls liege eine planwidrige Regelungslücke vor, die verfassungskonform dahingehend zu korrigieren sei, dass die Verzichtsmöglichkeit
auch für diesen Personenkreis gelte. Er erkläre daher den Verzicht auf die Versicherungsfreiheit. Hierzu müsse er nicht auf
einen Teil seiner Rente verzichten. Die Verzichtserklärung habe er zudem auch bereits inzidenter gegenüber der Beigeladenen
abgegeben, weil er die Weiterzahlung der Beiträge zur Rentenversicherung auch über den Beginn der Altersrente hinaus beantragt
habe. Zugleich beantragte der Kläger die Feststellung, dass ab dem 01.01.2017 für seine Pflegetätigkeit Versicherungspflicht
bestehe. Sofern eine solche Feststellung nicht möglich sei, liege jedenfalls ein Beratungsfehler der Beigeladenen vor, so
dass im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs jedenfalls eine Beitragspflicht ab dem 01.01.2017 anzuerkennen sei.
Die Beklagte wies den Kläger darauf hin, dass die Möglichkeit, aufgrund eines Bezugs einer Altersvollrente auf die Rentenversicherungsfreiheit
zu verzichten, nach § 5 Abs. 4 Satz 2 SGB VI nur für Beschäftigte und selbständig Tätige gelte. Eine Pflegeperson könne dagegen nicht auf die Rentenversicherungsfreiheit
verzichten. Vielmehr müsse der Kläger zwingend einen Antrag auf Teilrente (99 %) stellen, damit Beiträge der Pflegekasse für
die Pflegetätigkeit in der Rentenversicherung angerechnet werden könnten.
Mit Bescheid vom 29.06.2018 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger ab dem 01.01.2017 nicht der Versicherungspflicht als
nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliege. Es bestehe Versicherungsfreiheit wegen des Bezugs einer Vollrente wegen
Alters nach Erreichen der Regelaltersgrenze (§ 5 Abs. 4 Satz 1 SGB VI).
Der Kläger legte hiergegen am 02.07.2018 Widerspruch ein. Er machte geltend, dass er auf die Versicherungsfreiheit nach §
5 Abs. 4 Satz 2 SGB VI verzichte. Um erneut versicherungspflichtig zu werden, müsse er nicht auf die Vollrente verzichten. Ergänzend zu seinen bisherigen
Ausführungen mache er zudem geltend, dass jedenfalls ein Schadensersatzanspruch in Höhe des Rentenverlustes bestehe, der dadurch
entstehe, dass für die Pflegetätigkeit keine rentenerhöhenden Beiträge mehr gezahlt würden. Erstmals im Jahr 2018 sei er auf
die Möglichkeit hingewiesen worden, eine Teilrente zu beantragen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.09.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Verzicht auf die Versicherungsfreiheit
nach § 5 Abs. 4 Satz 2 SGB VI sei für nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen nicht möglich. Dieser Personenkreis könne allerdings eine Wunschteilrente
in Höhe von 99 % der Altersvollrente beantragen, damit Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht eintrete. Der Kläger habe aber ausdrücklich erklärt, dass er nicht auf einen Teil seiner Vollrente verzichten wolle.
Der Kläger hat daraufhin am 17.09.2018 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben. Er hat weiterhin die Ansicht vertreten,
dass ab dem 01.01.2017 für die nicht erwerbsmäßige Pflegetätigkeit Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI bestehe und er hierfür insbesondere nicht auf einen Teil seiner Rente verzichten müsse. Es müsse auch für Pflegepersonen
die Möglichkeit bestehen, nach § 5 Abs. 4 Satz 2 SGB VI auf die Versicherungsfreiheit zu verzichten. Es liege eine planwidrige Regelungslücke vor, die bei der Abfassung des Flexirentengesetzes
übersehen worden sei. Der Ausschluss der Pflegepersonen von dieser Möglichkeit sei verfassungswidrig. Es müsse berücksichtigt
werden, dass die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit als Altersrentner durch die Pflegetätigkeit erheblich eingeschränkt sei.
Auch der hohe gesellschaftliche Wert der nicht erwerbsmäßigen Pflege müsse berücksichtigt werden. Im Übrigen sei bis zum 31.12.2017
kein Hinweis auf die Möglichkeit eines Teilrentenverzichts erfolgt. Jedenfalls die Beiträge für 2017 seien deshalb wegen eines
Beratungsfehlers aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs anzuerkennen.
Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass ein Verzicht auf eine Teilrente in Höhe von 99 % erst ab dem 01.07.2017 möglich sei.
Vor diesem Zeitpunkt habe nur die Möglichkeit einer Teilrente in Höhe eines Drittels, der Hälfte oder von zwei Dritteln bestanden
(§ 42 Abs. 2 SGB VI in der bis zum 30.06.2017 geltenden Fassung).
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20.08.2019 abgewiesen. Der Kläger habe sinngemäß die Feststellung
begehrt, dass er als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson ab dem 01.01.2017 weiterhin der Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliege. Dies sei aber nicht der Fall. Ein Verzicht auf die Versicherungsfreiheit
nach § 5 Abs. 4 Satz 2 SGB VI sei nicht möglich, da es sich bei der nicht erwerbsmäßigen Pflegetätigkeit weder um eine Beschäftigung noch um eine selbständige
Tätigkeit handele. Die Möglichkeit des Verzichts auf die Versicherungsfreiheit bestehe jedoch nur für diesen Personenkreis.
Eine Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI könne nur bei Bezug einer Teilrente nach § 42 SGB VI eintreten. Hierzu wäre schon der Verzicht auf 1 % der Vollrente ausreichend. Diesen Verzicht zu erklären habe der Kläger
aber ausdrücklich abgelehnt. Entgegen der Auffassung des Klägers liege auch keine planwidrige Regelungslücke vor, die verfassungskonform
dahingehend auszulegen sei, dass auch nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen eine Verzichtserklärung im Sinne von § 5 Abs. 4 Satz 2 und 4 SGB VI abgeben könnten. Vielmehr habe sich der Gesetzgeber mit der Einführung des Flexirentengesetzes bewusst dazu entschieden,
diese Möglichkeit nur Beschäftigten und selbständig Tätigen einzuräumen. Hintergrund hierfür sei das mit dem Flexirentengesetz
u.a. verfolgte Ziel einer Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand (vgl. BT- Drucks. 18/9787, Seite
2). Es solle für die Beschäftigten, die die Regelaltersrente bereits erreicht haben, ein Anreiz dazu gesetzt werden, weiterhin
einer Beschäftigung nachzugehen, weil sie damit weitere Entgeltpunkte erwerben könnten. Hintergrund sei die Überlegung des
Gesetzgebers, dass ältere Beschäftigte für den Arbeitsmarkt unverzichtbar seien, weil sie mit ihrer Erfahrung und ihrem Potenzial
einen wertvollen Beitrag gegen den Fachkräftemangel leisteten (BT-Drucks. 18/9787, Seite 1). Diese Gesichtspunkte träfen auf
Pflegepersonen nicht zu. Unbeachtlich sei in diesem Zusammenhang, ob diese neben der Pflege noch eine Beschäftigung oder selbständige
Tätigkeit ausübten, da für diese gerade nicht die Feststellung der Versicherungspflicht begehrt werde.
Ein Beratungsfehler der Beklagten oder der Pflegekasse sei nicht ersichtlich. Nach § 115 Abs. 6 SGB VI sollten die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung
erhalten könnten, wenn sie diese beantragen. Bei der Feststellung der Versicherungspflicht handele es sich jedoch nicht um
eine Leistung. Der mögliche Wechsel von einer Voll- zu einer Teilrente löse nach Auffassung des Gerichts ebenfalls keine Hinweispflicht
aus, da es sich bei der Teilrente nicht um eine eigenständige Leistung handele, sondern lediglich um eine Auszahlungsmodalität
der bereits bezogenen Vollrente. Seitens der Pflegekasse wäre für eine Beratungspflicht zumindest erforderlich, dass diese
Kenntnis vom Rentenbezug des Klägers hatte, was nicht nachgewiesen sei. Jedenfalls aber handele es sich bei der Versicherungspflicht
und der Abwicklung der Beitragszahlung für eine nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson um Massenverwaltung, so dass eine konkrete
Beratungsanfrage des Klägers erforderlich gewesen wäre. Auf seine Anfrage hin sei der Kläger auch von der Beklagten über seine
Gestaltungsmöglichkeiten informiert worden. Den Bezug einer Teilrente habe er jedoch ausdrücklich abgelehnt, so dass es im
Übrigen auch an einem kausalen Schaden mangele.
Gegen den ihm am 26.08.2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11.09.2019 Berufung eingelegt. Er ist weiterhin
der Auffassung, dass die fehlende Möglichkeit von Pflegepersonen, auf die Versicherungsfreiheit zu verzichten und trotz des
Bezuges einer Altersrente für die Pflegetätigkeit noch Entgeltpunkte zu erwerben, verfassungswidrig sei. Der Nutzen für die
Allgemeinheit durch Einsparung erheblicher Kosten für eine vollstationäre Pflege sei weit größer als der Nutzen für den Arbeitsmarkt
durch Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer. Durch die Möglichkeit des Verzichts auf einen geringen Teilbetrag der Vollrente,
um die Versicherungspflicht wiederherzustellen, werde diese Ungleichbehandlung nicht aufgehoben. Dies gelte auch deshalb,
weil die entsprechende Regelung erst ab dem 01.07.2017 gelte.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 20.08.2019 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheides vom 29.06.2018
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2018 festzustellen, dass er ab dem 01.01.2017 als nicht erwerbsmäßig tätige
Pflegeperson der Versicherungspflicht gemäß § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 20.08.2019 zurückzuweisen.
Die im Berufungsverfahren beigeladene Pflegekasse hat keine Stellungnahme abgegeben.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 27.01.2021, vom 03.02.2021 und vom 10.03.2021 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung erteilt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt
der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten. Die Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte über die Berufung ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis
erteilt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 29.06.2018 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2018 ist rechtmäßig. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte zutreffend festgestellt,
dass der Kläger ab dem 01.01.2017 wegen der nicht erwerbsmäßigen Pflege seiner Ehefrau nicht der Versicherungspflicht in der
gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt. Zu einer solchen Entscheidung war die Beklagte auch befugt. Besteht Streit über
die Versicherungspflicht einer nicht erwerbsmäßig tätigen Pflegeperson, so hat hierüber nicht die Pflegekasse, sondern der
zuständige Rentenversicherungsträger durch Verwaltungsakt zu entscheiden (vgl. Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 05.05.2010 - B 12 R 6/09 R, Rn. 10 bei juris; Urteil vom 23.09.2003 - B 12 P 2/02 R, Rn. 13 ff bei juris).
Der Kläger unterliegt als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson seit Bezug der Regelaltersrente als Vollrente (seit dem 01.08.2016)
nicht mehr der Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung. Nach dieser Vorschrift sind Personen in der Rentenversicherung in der Zeit versicherungspflichtig,
in der sie einen Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 Sozialgesetzbuch Elftes Buch ( SGB XI) nicht erwerbsmäßig wenigstens 14 Stunden wöchentlich in seiner häuslichen Umgebung pflegen (nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson),
wenn der Pflegebedürftige Anspruch auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der
Kläger zwar, so dass für ihn bis zum 31.07.2016 auch nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XI von der Beigeladenen Beiträge an die Beklagte entrichtet worden sind. Als Bezieher einer Vollrente war der Kläger allerdings
mit Ablauf des Monats Juli 2016 mit Vollendung der Regelaltersgrenze und Bezug einer Vollrente wegen Alters nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI versicherungsfrei. Ab diesem Zeitpunkt bestand deshalb keine Versicherungspflicht aufgrund der Pflegetätigkeit mehr. Auch
der Personenkreis der nicht erwerbsmäßig tätigen Pflegepersonen wird ab diesem Zeitpunkt versicherungsfrei (vgl. Segebrecht
in: Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Auflage 2021, § 5 Rn. 34; Knorr in: Schlegel/Voelzke, jurisPK- SGB VI, 3. Auflage, Stand: 01.04.2021, § 3 Rn. 148).
Ein Verzicht auf diese Versicherungsfreiheit ist nicht möglich. Die durch das Gesetz zur Flexibilisierung des Übergangs vom
Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz) vom 08.12.2016
(BGBl 2838) mit Einführung des § 5 Abs. 4 Satz 2 SGB VI geschaffene Möglichkeit, auf die "altersbedingte" Versicherungsfreiheit zu verzichten, gilt nach dem ausdrücklichen Wortlaut
der Vorschrift nur für Beschäftigte oder selbständig Tätige. Eine entsprechende Anwendung auf nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen
ist bereits angesichts dieses klaren Wortlauts nicht möglich und wird allgemein abgelehnt (vgl. Guttenberger in: Kasseler
Kommentar Sozialversicherungsrecht, Werkstand: 113. EL, Stand März 2021, § 5 SGB VI Rn. 42; Segebrecht in: Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Auflage 2021, § 5 Rn. 53; Knorr in: Schlegel/Voelzke, jurisPK- SGB VI, 3. Auflage, Stand: 01.04.2021, § 3 Rn. 151). Eine planwidrige Regelungslücke ist nicht ersichtlich, weil es ausdrückliches Ziel der Neuregelung war, Anreize
für eine weitere Erwerbstätigkeit jenseits der Regelaltersgrenze zu setzen. Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Fachkräftemangels
verfolgte der Gesetzgeber das grundlegende (neue) Ziel, die Rahmenbedingungen für die Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern
zu verbessern und attraktiver zu gestalten (vgl. BT-Drucks. 18/9787, Seiten 1, 2, 22, sowie BSG, Urteil vom 14.06.2018 - B 9 V 4/17 R, Rn. 29 bei juris). Dieses gesetzgeberische Ziel wird durch die Möglichkeit eines Verzichts auf die Versicherungsfreiheit
von Pflegepersonen und die dadurch bestehende Möglichkeit, auch nach dem Bezug einer Altersrente noch Beitragszeiten für die
Pflege zu erhalten, nicht erreicht. Hintergrund von § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI ist es insbesondere, Pflegepersonen, die wegen ihrer Pflegetätigkeit ganz oder teilweise auf eine eigene Berufstätigkeit
verzichten müssen, eine soziale Grundsicherung zu gewähren (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010 - B 12 R 6/09 R, Rn. 22 bei juris). Pflegepersonen, die neben der Pflege noch einer mehr als 30-stündigen Tätigkeit wöchentlich nachgehen,
sind deshalb nicht nach § 3 Abs. 1 Nr.1a) SGB VI versicherungspflichtig (vgl. § 3 Satz 3 SGB VI). Eine weitere soziale Absicherung wegen der Pflege ist für sie nicht erforderlich. Dies gilt auch für den Personenkreis
der Pflegenden, die bereits eine Vollrente wegen Alters beziehen. Ihre Versicherungsbiografie ist in der Regel abgeschlossen.
Weil ein Verzicht des Klägers nach § 5 Abs. 4 Satz 2 SGB VI auf die Versicherungsfreiheit nicht möglich war, kann sie auch nicht auf der Grundlage eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
bejaht werden. Es fehlt insoweit bereits an einer zulässigen Rechtshandlung. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist
nur auf die Vornahme einer zulässigen Amts- bzw. Rechtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde,
wenn der Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenden Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen
hätte (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 11.03.2004 - B 13 RJ 16/03 R, Rn. 24 bei juris, BSG, Urteil vom 06.05.2010 - B 13 R 44/09 R, Rn. 26 bei juris).
Der im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs geltend gemachte Beratungsmangel muss zudem kausal für den erlittenen
Nachteil sein. Jedenfalls an dieser Kausalität fehlt es, soweit der Kläger hilfsweise geltend macht, er sei im Wege eines
sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe er einen Antrag auf Teilrente nach § 42 SGB VI gestellt und sei deshalb als Bezieher einer Teilrente nicht mehr versicherungsfrei nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI.
Die Möglichkeit nach § 42 Abs. 1 und 2 SGB VI eine in der Höhe frei wählbare Teilrente von mindestens 10 % der Altersrente in Anspruch zu nehmen besteht seit dem 01.07.2017.
Sie wurde ebenfalls durch das Flexirentengesetz vom 08.12.2016 geschaffen. Zuvor war lediglich die Inanspruchnahme einer Teilrente
in Höhe eines Drittels, der Hälfte oder von zwei Dritteln der Vollrente möglich. Erst ab dem 01.07.2017 bestand somit überhaupt
die Möglichkeit, durch einen Antrag auf eine Teilrente in Höhe von 99 % erneut versicherungspflichtig zu werden. Einen solchen
Antrag auf Gewährung einer Teilrente hat der Kläger aber nicht gestellt, sondern auch nach der entsprechenden Belehrung über
diese Möglichkeit eindeutig und unmissverständlich erklärt, dass er keine Teilrente beantragen möchte. Der Kläger ist jedenfalls
mit Schreiben vom 19.02.2018 und im Anschluss daran im Rahmen des Verwaltungs- und des Gerichtsverfahrens noch mehrfach auf
die seit dem 01.07.2017 bestehende Möglichkeit hingewiesen worden, auch eine Teilrente nach § 42 SGB VI in Höhe von 99 % zu beantragen und damit nicht mehr nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI versicherungsfrei zu sein. Er hat dennoch keinen diesbezüglichen Antrag gestellt, sondern mehrfach betont, dass er nicht
auf einen Teil seiner Altersrente verzichten müsse. Auch im Rahmen des Widerspruchsschreibens hat er eine diesbezügliche Erklärung
abgegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen.
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