Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Zahlungserinnerung der Beklagten bezüglich einer Erstattungsforderung
des Jobcenters E i.H.v. 189,83 €.
Mit Schreiben vom 30.11.2018 erinnerte die Beklagte die am 00.00.2012 geborene Klägerin durch den Inkasso-Service der Agentur
für Arbeit Recklinghausen an die Begleichung einer Forderung des Jobcenters E i.H.v. 189,83 €. Sie setzte eine Zahlungsfrist
bis zum 14.12.2018. Die Forderung sei am 14.05.2013 fällig geworden und beruhe auf dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid
des Jobcenters E vom 26.04.2013 für den Zeitraum 01.02.2013 bis 31.03.2013.
Hiergegen erhob die Klägerin am 17.12.2018 Widerspruch. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, auf Grund ihres jungen
Alters Jahren könne eine Forderung gegen sie nicht bestehen. Das Vorgehen der Beklagten, die ihre Zuständigkeit nicht nachgewiesen
habe, sei rechtswidrig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2019 verwarf die Beklagte den Widerspruch als unzulässig. Bei der Zahlungserinnerung handele
es sich nicht um einen Verwaltungsakt, gegen den ein Widerspruch zulässig sei, da die Erinnerung die Rechte der Klägerin nicht
begründe, ändere, entziehe oder feststelle.
Die Klägerin hat am 20.05.2019 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben und im Wesentlichen ergänzend ausgeführt, sie habe nicht im Leistungsbezug beim Jobcenter E gestanden.
Der Bescheid vom "24.06.2013" sei ihr nicht bekanntgegeben worden. Eine Anhörung sei nicht erfolgt. Auch habe Untätigkeit
vorgelegen.
Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
das Schreiben der Beklagten vom 30.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2019 aufzuheben.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend zu ihren Ausführungen im Widerspruchsbescheid hat sie im Wesentlichen vorgetragen, die Klage sei gegen das Jobcenter
E zu richten, soweit die Klägerin sich gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 26.04.2013 wende.
Im Rahmen der Anhörung des SG zum Erlass eines Gerichtsbescheides nach §
105 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hat die Klägerin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
Mit Gerichtsbescheid vom 03.09.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Wegen des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe hat es auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen.
Im Rahmen der Rechtsmittelbelehrung hat das SG darauf hingewiesen, dass der Gerichtsbescheid mit der Berufung angefochten werden könne.
Die Klägerin hat am 13.09.2019 Berufung gegen den Gerichtsbescheid eingelegt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor,
der Gerichtsbescheid sei nichtig. Das SG habe in unzulässiger Weise ohne Anhörung der Beteiligten entschieden. Auch die übrigen Voraussetzungen des §
105 Abs.
1 SGG seien nicht erfüllt. Der Tatbestand des Gerichtsbescheides sei mangelhaft und die Entscheidungsgründe fehlten. Das SG habe auch gestellte Anträge ignoriert, den Aspekt der Untätigkeit nicht behandelt, die Sach- und Rechtslage nicht aufgeklärt
und Amtspflichtverletzungen begangen. Hinsichtlich der geltend gemachten Forderung sei Verjährung eingetreten.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des SG Düsseldorf vom 03.09.2019 sowie das Schreiben der Beklagten vom 30.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 16.04.2019 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf den als zutreffend angesehenen Gerichtsbescheid.
Der Senat hat die Klägerin mit Verfügung vom 20.07.2020 darauf hingewiesen, dass die Berufung unzulässig sei, da der Wert
des Beschwerdegegenstandes 750 € nicht übersteige. Am 05.08.2020 hat die Klägerin sodann beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt (Aktenzeichen L 6 AS 1425/20 NZB) und am 07.08.2020 nochmals die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim SG Düsseldorf beantragt.
Mit Schreiben vom 11.05.2021 - der Klägerin zugestellt am 18.05.2021 - hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass
beabsichtigt sei, die Berufung durch Beschluss gemäß §
158 SGG ohne mündliche Verhandlung als unzulässig zu verwerfen.
Die Klägerin hat daraufhin im Wesentlichen mitgeteilt, die Berufung sei statthaft, zulässig und begründet, weil ihr auf Grund
der Verletzung ihrer Grundrechte durch die öffentliche Gewalt der Rechtsweg nach Artikel
19 Abs.
4 Grundgesetz (
GG) offen stehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Leistungsakte der Beklagten, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.
II.
1. Der Senat konnte durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung gemäß §
158 Satz 2
SGG über die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Düsseldorf vom 03.09.2019 entscheiden (dazu a] und b]).
Die Berufung ist nicht statthaft und daher gemäß §
158 Satz 1
SGG als unzulässig zu verwerfen (dazu c]).
a) Die Beteiligten sind zur Absicht des Senats, über die Berufung durch Beschluss gemäß §
158 SGG entscheiden zu wollen, mit Schreiben vom 11.05.2021 angehört worden. Ihre Zustimmung ist nicht erforderlich.
b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts, bei Vorliegen der im Gesetz genannten Voraussetzungen nach §
158 Satz 1 und
2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Ihr steht hier nicht
entgegen, dass das Recht auf eine mündliche Verhandlung aus Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie das Gebot fairen und effektiven Rechtsschutzes es im Regelfall verbieten, durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung
nach §
158 Satz 2
SGG zu entscheiden, wenn die Berufung sich gegen einen Gerichtsbescheid richtet (vgl. BSG, Beschlüsse vom 08.11.2005, B 1 KR 76/05 B, juris Rn. 7, vom 30.10.2019, B 14 AS 7/19 B, juris Rn. 2 und vom 25.03.2021, B 1 KR 51/20 B, juris Rn. 8). Denn die Rechte der Beteiligten werden durch die nachfolgende Entscheidung des SG gewahrt, ohne dass es insoweit einer mündlichen Verhandlung durch das Berufungsgericht bedarf, wenn ein Beteiligter - wie
vorliegend - einen Antrag auf mündliche Verhandlung gegen den Gerichtsbescheid gestellt hat (vgl. BSG, Beschlüsse vom 12.07.2012, B 14 AS 31/12 B, juris Rn. 12 f., vom 30.10.2019, B 14 AS 7/19 B, juris Rn. 3 und vom 25.03.2021, B 1 KR 51/20 B, juris Rn. 8; Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Auflage 2020, §
158 Rn. 6). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Antrag auf mündliche Verhandlung zulässig und fristgerecht gestellt worden ist
und damit sicher feststeht, dass in der Sache eine mündliche Verhandlung stattfinden wird (vgl. BSG, Beschlüsse vom 30.10.2019, B 14 AS 7/19 B, juris Rn. 3 und vom 12.07.2012, B 14 AS 31/12 B, juris Rn. 6; vgl. zum Meinungsstand: Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Auflage 2020, §
158 Rn. 6 m.w.N.; sowie weiterführend zum Meinungsstand hinsichtlich der zulässigen Entscheidungsform im Falle eines verspäteten
Antrags auf mündliche Verhandlung: B. Schmidt in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Auflage 2020, §
105 Rn. 24).
Die Klägerin hat mit einem an das SG Düsseldorf adressierten Schreiben vom 04.08.2020 die Durchführung der mündlichen Verhandlung
in zulässiger Weise beantragt. Gemäß §
105 Abs.
2 Satz 2
SGG kann die mündliche Verhandlung gegen einen Gerichtsbescheid beantragt werden, wenn die Berufung nicht gegeben ist (dazu aa]).
Der Antrag auf mündliche Verhandlung ist nach §
105 Abs.
3 SGG rechtzeitig, d.h. entsprechend §
105 Abs.
1 Satz 1 und
2 SGG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides, zu stellen (dazu bb]).
aa) Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid ist mangels Erreichens des Beschwerdewertes nicht gegeben. Nach §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG i.V.m. §
105 Abs.
2 Satz 1
SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Gerichtsbescheid des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des LSG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst-
oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 € nicht übersteigt. Das gilt nach §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG i.V.m. §
105 Abs.
2 Satz 1
SGG nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.
Die Klage betrifft eine Geldleistung im Sinne von §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG. Die Vorschrift erfasst Leistungen im Allgemeinen, insbesondere auch Leistungen des Bürgers an den Staat, wie die vorliegend
der Zahlungsaufforderung zu Grunde liegende Erstattungsforderung (vgl. Wehrhahn in jurisPK-
SGG, Stand: 06.04.2021, §
144, Rn. 13). Dass es sich bei dem Schreiben vom 30.11.2018 nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne der zweiten Variante des §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG handelt, ist im Übrigen unschädlich (vgl. BSG, Urteil vom 05.08.1997, 11 BAr 95/97, juris Rn. 3). Da sich die Erstattungsforderung, die der streitgegenständlichen Zahlungserinnerung zu Grunde liegt, auf 189,83
€ beläuft, übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 € nicht. Auch ist weder eine laufende noch eine wiederkehrende
Leistung für mehr als ein Jahr betroffen.
Eine Statthaftigkeit der Berufung kann auch nicht aus der unzutreffenden, von einer Zulässigkeit der Berufung ausgehenden
Rechtsmittelbelehrung des SG abgeleitet werden, da diese gemäß §
105 Abs.
2 Satz 1
SGG i.V.m. §
66 Abs.
2 SGG lediglich Rechtsfolgen für die Berufungsfrist hat (Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Auflage 2020, §
66 Rn. 12a). Auch wurde die Berufung weder durch das SG Düsseldorf im Gerichtsbescheid vom 03.09.2019 noch im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde
durch den erkennenden Senat (vgl. insoweit den Beschluss des erkennenden Senats vom 26.07.2021, L 6 AS 1425/20 NZB) zugelassen.
bb) Der Antrag am 07.08.2020 auf Durchführung der mündlichen Verhandlung erfolgte im Hinblick auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung
im Gerichtsbescheid vom 03.09.2019 noch innerhalb der maßgeblichen Jahresfrist des §
105 Abs.
2 Satz 1 und
2 SGG i.V.m. §
66 Abs.
1,
2 Satz 1
SGG und damit fristgerecht (vgl. BSG, Beschluss vom 30.10.2019, B 14 AS 7/19 B, juris Rn. 3; Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Auflage 2020, §
158 Rn. 6).
c) Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid ist als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht statthaft ist. Denn nach §143
SGG findet die Berufung nur gegen Urteile des SG und ihnen gleichgestellte Entscheidungen (vgl. insoweit §
105 Abs.
3 Halbsatz 1
SGG) statt, soweit sich aus den §§
144 bis
159 SGG nichts anderes ergibt.
aa) Die Berufung ist nach §
143 SGG i.V.m. §
144 Abs.
1,
2 SGG unstatthaft, da der Beschwerdewert 750 € nicht übersteigt, die streitgegenständlichen Leistungen keinen überjährigen Zeitraum
betreffen und die Berufung weder durch das SG noch durch den erkennenden Senat zugelassen worden ist (vgl. insofern die Ausführungen unter b], aa]).
bb) Im Übrigen gilt der Gerichtsbescheid vom 03.09.2019 nach §
105 Abs.
3 Halbsatz 2
SGG mit dem rechtzeitigen und auch ansonsten zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung vom 07.08.2020 (vgl. insofern die Ausführungen
unter b]) als nicht ergangen. Damit entfällt auch die Berufungsfähigkeit des Gerichtsbescheides (vgl. BSG, Beschluss vom 12.07.2012, B 14 AS 31/12 B, juris Rn. 6). Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Antragstellung bereits Berufung eingelegt hatte,
weil der Antrag auf mündliche Verhandlung nach dem ausdrücklichen Wortlaut des §
105 Abs.
2 Satz 3
SGG dem Rechtsmittel vorgeht (vgl. BSG, Beschluss vom 12.07.2012, B 14 AS 31/12 B, juris Rn. 7).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
3. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§
160 Abs.
2 SGG).