Tatbestand
Der Kläger begehrt die Fortsetzung (und Entscheidung) des Rechtsstreits.
In zwei zunächst getrennt geführten Klageverfahren wandte sich der Kläger gegen eine Meldeaufforderung des Beklagten vom 27.07.2010
(zum 18.08.2010) und gegen eine (wegen vorangegangener Meldeversäumnisse) durch Bescheid vom 31.08.2010 für den Zeitraum vom
01.10. bis 31.12.2010 von diesem verhängte 80%ige Sanktion (Aktenzeichen des Sozialgerichts [SG] Detmold S 9 AS 1959/10 und S 9 AS 2012/10). Nach Verbindung der beiden Klageverfahren unter dem Aktenzeichen S 9 AS 1959/10 wies das SG die Klage(n) als unzulässig ab (Gerichtsbescheid vom 11.11.2016).
Dagegen hat der Kläger am 25.11.2016 Berufung eingelegt, die beim erkennenden Senat unter dem Aktenzeichen L 6 AS 2298/16 geführt worden ist. In der mündlichen Verhandlung am 29.11.2018 hat der Kläger nach ausführlicher Erörterung des Sach- und
Streitstandes sowie Zwischenberatung und Hinweis des Senats folgende Prozesserklärung abgegeben:
"Ich nehme hiermit die Klagen zurück in den Verfahren L 6 AS 2298/18 und L 6 AS 10/18."
Die Erklärung des Klägers wurde laut diktiert, diesem vorgespielt und von ihm genehmigt.
Am 06.02.2019 hat der Kläger um Fortsetzung der Berufung zur Verhandlung gebeten. Er habe wegen des überladenen Termins am
29.11.2018 nicht alle Akten mitführen können, sich fälschlicherweise auf die Darlegungen des Senats verlassen und deshalb
seine Klagen zurückgezogen. Nachträglich habe er feststellen müssen, dass die Darlegungen des Senats nicht schlüssig und nachvollziehbar
seien. Er fechte seine Prozesserklärung an und wolle ein einwandfreies Urteil ohne Schikanen. Ergänzend verweist er auf §
72 Abs. 2 (Satz 3) Finanzgerichtsordnung (FGO) und macht (unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofes [BGH] vom 07.06.2001, I ZR 157/98) geltend, dass er die Rücknahmeerklärung zurückgenommen habe und diese damit unwirksam (geworden) sei.
Der Kläger beantragt,
das Gericht soll feststellen, dass das Verfahren fortzusetzen ist, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold S 9 AS 1959/10 vom 11.11.2016 aufheben, feststellen, dass die Meldeaufforderung vom 27.07.2010 rechtswidrig ist (präjudiziös für Sanktion),
den Sanktionsbescheid vom 31.08.2010 aufheben, und die Beklagte zu verurteilen, mir ALG II nachzuzahlen. Für Oktober und November 2010 monatlich noch 108 €, und für Dezember 2010 noch 215 €, zusammen also zweimal
108 € + einmal 215 € = 431 €.
Der Beklagte beantragt,
festzustellen, dass der Rechtsstreit mit dem Aktenzeichen L 6 AS 2298/16 erledigt ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten
des Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Begehren des Klägers auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens und Entscheidung in der Sache haben keinen Erfolg.
Der unter dem Aktenzeichen L 6 AS 2298/16 anhängige Rechtsstreit ist durch die am 29.11.2018 erfolgte Rücknahmeerklärung gemäß §
102 Abs.
1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) erledigt worden.
Ausweislich der Sitzungsniederschrift, die eine öffentliche Urkunde mit entsprechendem Beweiswert darstellt, ist dem Kläger
seine Erklärung vorgespielt und von ihm genehmigt worden. Sie ist ihrem Wortlaut nach eindeutig. Zweifel am Inhalt der Erklärung
bestehen nicht und werden auch von dem Kläger nicht geltend gemacht. Die Erklärung ist auch nicht unwirksam. Denn es sind
keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger bei ihrer Abgabe am 29.11.2018 geschäfts- oder prozessunfähig war.
Sinngemäß möchte er seine Erklärung anfechten, widerrufen oder auf sonstige Weise ungeschehen machen. Dies ist jedoch nicht
möglich, da sie als Prozesshandlung grundsätzlich weder widerrufbar noch wegen Irrtums anfechtbar ist.
Nur ausnahmsweise ist im sozialgerichtlichen Verfahren der Widerruf einer Prozesserklärung möglich, wenn die Voraussetzungen
für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß der §§
179,
180 SGG i.V.m. §§
578 ff.
Zivilprozessordnung (
ZPO) vorliegen. Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Voraussetzungen, wie z.B. falsche eidliche Aussage des
gegnerischen Prozessbeteiligten, Urkundenfälschung, Urteilserschleichung, strafbare Amtspflichtverletzung eines Richters oder
das Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde, liegen offensichtlich nicht vor. Die inhaltlichen Einwendungen, die der Kläger
vorgebracht hat, erfüllen keinesfalls die Voraussetzungen der §§
579,
580 ZPO.
Selbst wenn man dem Kläger darin folgen wollte, dass er durch einen unzutreffenden rechtlichen Hinweis des Senats zur Klagerücknahme
veranlasst wurde, würde sich hieraus auch unter dem Gesichtspunkt des § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO kein anderes Ergebnis herleiten lassen. Denn § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO ist eine Sonderregelung für das finanzgerichtliche Verfahren, die im Geltungsbereich des
SGG keine Anwendung findet.
Auch auf das Urteil des BGH (vom 07.06.2001, I ZR 157/98) kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen, weil er die Klage ausdrücklich zurückgenommen (und nicht für erledigt erklärt)
hat, was zwingend die Rechtsfolge des §
102 Abs.
1 Satz 2
SGG auslöst (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Auflage 2020, §
102 Rn. 9). Ob für den Fall einer (einseitigen) Erledigungserklärung, die in der von dem Kläger benannten Entscheidung angesprochen
ist, (auch) im sozialgerichtlichen Verfahren etwas anderes gilt, kann offen bleiben.
Ist der Rechtsstreit nach alledem nicht fortzusetzen, kann auch das Begehren des Klägers auf Entscheidung in der Sache keinen
Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht erfüllt sind.