Gründe
I.
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in einem Klageverfahren, das auf die Aufhebung
eines Bescheides über den Widerruf und die Erstattung von Fahrtkosten aus dem Vermittlungsbudget gemäß § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. §
44 SGB III gerichtet ist.
Der Kläger bezog 2019 vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Er trat am 16.09.2019 eine Tätigkeit als Produktionshelfer an. Mit Bescheid vom 10.10.2019 bewilligte der Beklagte dem Kläger
für den Zeitraum von drei Monaten Kosten für Pendelfahrten zu seiner Arbeitsstätte iHv insgesamt 372,20 €. Der Bescheid erging
mit der Auflage, der Kläger habe bis zum 31.01.2020 die sachgerechte und zweckentsprechende Mittelverwendung nachzuweisen.
Lege er die Nachweise nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig vor, könne die Bewilligung ganz oder teilweise widerrufen
werden. Mit Schreiben vom 20.04.2020 teilte der Beklagte dem Kläger mit, den Widerruf der Bewilligung vom 10.10.2019 zu beabsichtigen.
Der Kläger habe die im Bewilligungsbescheid formulierte Auflage zum Nachweis der ihm entstandenen Fahrtkosten nicht erfüllt.
Der Beklagte räumte dem Kläger die Möglichkeit ein, sich bis zum 20.05.2020 zu äußern und die ausstehenden Nachweise einzureichen.
Mit Bescheid vom 15.06.2020 widerrief der Beklagte den Bescheid vom 10.10.2019 und forderte eine Erstattung iHv 372,20 €.
Er wiederholte die Ausführungen aus dem Schreiben vom 20.04.2020 und stützte die Entscheidung auf § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB X. Der Kläger erhob am 18.06.2020 Widerspruch gegen diesen Bescheid und gab an, Quittungen über die Fahrtkosten eingereicht
zu haben. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.08.2020 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Angaben des Klägers zum Zeitpunkt
der Übermittlung der Nachweise seien widersprüchlich.
Am 17.09.2020 hat der Kläger beim Sozialgericht Dortmund Klage gegen den Bescheid vom 15.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 19.08.2020 erhoben. Er hat vorgetragen, der Beklagte habe das im Rahmen von § 47 SGB X gebotene Ermessen nicht ausgeübt. Da aus der Verwaltungsakte Nachweise über Fahrtkosten im Januar 2020 hervorgingen, sei
es naheliegend, dass er auch Nachweise über den Förderzeitraum eingereicht habe. Da er seine Arbeitsstelle behalten habe,
sei zudem offensichtlich, dass er sie auch aufgesucht habe. Das Beharren des Beklagten auf der Vorlage von Quittungen sei
schikanös. Der Beklagte hat nunmehr ausgeführt, Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf sei § 47 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB X. Da der Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum keine Nachweise über Fahrtkosten beigebracht habe, könne nicht geprüft
werden, ob er mit dem Kraftfahrzeug zur Arbeit gefahren sei oder andere Verkehrsmittel benutzt habe.
In der mündlichen Verhandlung vom 18.06.2021 hat der Kläger den Erlass der Forderung beantragt. Mit Urteil vom 18.06.2021
hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf sei § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X, wonach ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt widerrufen werden könne, wenn er mit einer Auflage verbunden sei und
der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer von ihm gesetzten Frist erfüllt habe. Zwar habe der Beklagte den Widerruf
zunächst auf § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB X gestützt und erst in der Klageerwiderung auf § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X Bezug genommen. Dies führe allerdings nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids. Eine Umdeutung iSv § 43 Abs. 1 SGB X sei möglich, denn bei beiden in Betracht kommenden Möglichkeiten eines Widerrufs handele es sich um Ermessensentscheidungen.
Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X lägen vor, weil der Kläger nicht nachgewiesen habe, die ihm erteilte Auflage iSv § 32 Abs. 2 Nr. 4 SGB X erfüllt zu haben. Die Bewilligung könne auch für die Vergangenheit widerrufen werden, weil dem Kläger die Auflage bekannt
gewesen sei. Der Beklagte habe das ihm eingeräumte Ermessen erkannt und zutreffend ausgeübt. Der Erlassantrag des Klägers
berühre die Rechtmäßigkeit der Erstattungsforderung nicht.
Gegen diese seinem Bevollmächtigten am 06.07.2021 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 05.08.2021 erhobene Nichtzulassungsbeschwerde
des Klägers. Es liege ein Verfahrensmangel vor, weil das Sozialgericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör iSv Art.
103 Abs.
1 GG verletzt habe. Das Sozialgericht gehe davon aus, dass ein Austausch der Ermächtigungsgrundlage möglich sei, ohne eine erneute
Anhörung durchzuführen. Deswegen sei es ihm nicht möglich gewesen, dazu Stellung zu nehmen, warum er die Quittungen nicht
einreichen konnte. Indem das Sozialgericht eine Umdeutung für möglich halte, weiche es auch von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
ab, gemäß der eine erneute Anhörung auch während des Klageverfahrens erforderlich sei, wenn die Behörde einen Aufhebungsbescheid
zunächst auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X und dann auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X stütze. Die Frage, ob ein Austausch der Widerrufsmöglichkeiten des § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB X eine erneute Anhörung erforderlich mache, habe auch grundsätzliche Bedeutung iSv §
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde (§
145 SGG) ist statthaft und zulässig. Die Berufung ist zulassungsbedürftig. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt nicht 750
€ iSv §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG, denn streitgegenständlich ist eine Erstattungsforderung iHv 372,20 €. Da die zurückgeforderten Fahrtkosten lediglich für
drei Monate bewilligt worden sind, sind auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr iSv §
144 Abs.1 Satz 2
SGG betroffen.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach §
144 Abs.
2 SGG ist eine Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung
des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts
abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung iSv §
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG hat eine Rechtssache, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt,
um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Klärungsbedürftigkeit). Ein Individualinteresse
genügt nicht. Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits
von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Es ist hinreichend
geklärt, dass im Falle eines Austauschs der Ermächtigungsgrundlage durch die Behörde eine erneute Anhörung nur dann erforderlich
ist, wenn der Verwaltungsakt hierdurch in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung
des Betroffenen in unzulässiger Weise beeinträchtigt bzw. erschwert wird, insbesondere bei einer Konfrontation des Betroffenen
mit völlig neuen Tatsachen (vgl. hierzu BSG Urteile vom 26.07.2016 - B 4 AS 47/15 R, vom 09.11.2010 - B 4 AS 37/09 R, vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R und vom 25.04.2002 - B 11 AL 69/01 R). Auch wenn diese Rechtsprechung sich nicht ausdrücklich zu einem Austausch der Widerrufstatbestände des § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB X verhält, sind die vom BSG aufgestellten Grundsätze ohne Weiteres auf diese Konstellation übertragbar.
Auch der Berufungszulassungsgrund des §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG (Divergenz) ist nicht gegeben. Eine Divergenz liegt nur vor, wenn ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen
tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts,
des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Eine Abweichung
ist nicht schon dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts nicht den Kriterien entspricht, die diese Gerichte
aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
Eine evtl. Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall begründet keine Divergenz (vgl. BSG Beschluss vom 05.10.2010 - B 8 SO 61/10 B mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen zum insoweit gleichlautenden §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschluss vom 11.07.2019 - L 7 AS 689/19 NZB). Bei der Frage, ob eine Abweichung von einer Entscheidung des Landessozialgerichts zu bejahen ist, beschränkt sich die
Prüfung auf das zuständige Berufungsgericht (Breitkreuz/Schreiber in: Breitkreuz/Fichte,
SGG, 2. Aufl., §
144 Rn. 35). Das Sozialgericht hat keinen abweichenden Rechtssatz in diesem Sinne aufgestellt.
Ebenso wenig liegt der Zulassungsgrund des §
144 Abs.
2 Nr.
3 SGG vor. Der Kläger hat keinen Verfahrensmangel geltend gemacht, auf dem das Urteil beruhen könnte. Soweit der Kläger rügt, der
Beklagte habe im Verwaltungsverfahren keine erneute Anhörung durchgeführt, handelt es sich hierbei bereits deshalb nicht um
einen Verfahrensmangel im Sinne der Norm, weil diese sich auf das gerichtliche Verfahren bezieht. Das Sozialgericht war indes
nach der Bezugnahme des Beklagten auf die Vorschrift des § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X in der Klageerwiderung auch nicht gehalten, das Klageverfahren iSv §
114 Abs.
2 Satz 2
SGG auszusetzen, um eine neuerliche Anhörung durch den Beklagten zu ermöglichen. Eine erneute Anhörung des Klägers war nicht
geboten, weil der Bescheid vom 15.06.2020 weder in seinem Regelungsumfang noch in seinem Wesensgehalt verändert wurde (vgl.
hierzu BSG Urteile vom 20. Oktober 2005 - B 7a AL 18/05 R und vom 25.04.2002 - B 11 AL 69/01 R). Eine Konfrontation des Klägers mit neuen Tatsachen und Erschwerung seiner Rechtsverteidigung bedeutete der Verweis auf
die neue Ermächtigungsgrundlage schon deshalb nicht, weil der Beklagte im Ausgangsbescheid vom 15.06.2020 zwar offensichtlich
versehentlich die Ermächtigungsgrundlage des § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB X zitiert, sich sowohl im Bescheid als auch im Widerspruchsbescheid aber ausschließlich mit den Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X - nämlich der ausbleibenden Einreichung von Belegen und damit der Nichterfüllung einer Auflage durch den Kläger - befasst
hat. So ist auch im Widerspruchsverfahren und im Klageverfahren allein die Frage thematisiert worden, ob der Kläger Nachweise
über seine Fahrtkosten eingereicht hat oder warum ihm dies ggf. nicht möglich war. Anders als in den Fallkonstellationen der
Urteile des BSG vom 26.07.2016 - B 4 AS 47/15 R und vom 09.11.2010 - B 4 AS 37/09 R, in denen die Behörde jeweils eine verschuldensunabhängige Ermächtigungsgrundlage durch eine verschuldensabhängige Ermächtigungsgrundlage
ersetzt hat, sind die Widerrufsmöglichkeiten des § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB X im Hinblick auf die Erforderlichkeit eines subjektiven Elements zudem wesensgleich.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).