Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung der den Festbetrag und die gesetzliche Zuzahlung übersteigenden Kosten für die Selbstbeschaffung
des Arzneimittels Crestor® nach den Vorschriften des
Fünften Buches Sozialgesetzbuchs (
SGB V).
Der am 00.00.1936 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger leidet u.a. an einer koronaren Herzkrankheit und
einer Hypercholesterinämie, aufgrund derer ihm seit 1976 lipidsenkende Arzneimittel verordnet werden. Bis 1997 nahm er solche
der Wirkstoffgruppe der Fibrate ein; seither wird er mit Arzneimitteln der Wirkstoffgruppe der Cholesterinsyntheseenzymhemmer
(HMG-CoA-Reduktasehemmer, CSE-Hemmer bzw. Statine) versorgt, zunächst mit den Wirkstoffen Atorvastatin, Cerivastatin und Simvastatin.
Arzneimittel des Wirkstoffs Lovastatin sowie Fluvastatin hat der Kläger bisher nicht eingenommen. Seit Juni 2009 nimmt er
auf ärztliche Verordnung das Arzneimittel Crestor® mit dem Wirkstoff Rosuvastatin ein.
Am 15. Oktober 2009 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine Änderung der Anlage IX der Richtlinie über die Verordnung
von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL)) und ergänzte die Festbetragsgruppe
"HMG-CoA-Reduktasehemmer, Gruppe 1" in Stufe 2 um den Wirkstoff Rosuvastatin (BAnz Nr. 184, S. 4.112 vom 4. Dezember 2009).
Die Festbetragsgruppe erhielt hierdurch folgende Fassung:
Stufe: 2
Wirkstoffgrupppe: HMG-CoA-Reduktasehemmer
Festbetragsgruppe Nr.: 1
Status: verschreibungspflichtig
Wirkstoffe und Vergleichsgrößen:
Wirkstoff - Vergleichsgröße
Atorvastatin (Atorvastatin Calcium-3-Wasser) - 25,9
Fluvastatin (Fluvastatin natrium) - 58,2
Lovastatin - 25,2
Pravastatin (Pravastatin Natrium) - 25,3
Rosuvastatin (Rosuvastatin calcium) - 11,7
Simvastatin - 26,9
Gruppenbeschreibung: Orale, abgeteilte Darreichungsform
Darreichungsform: Kapseln, Filmtabletten, Retardtabletten, Tabletten
Auf die tragenden Gründe zum Beschluss des G-BA vom 15. Oktober 2009 - veröffentlicht auf der Homepage des G-BA unter www.g-ba.de
- wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 16. Juni 2010 bei der Beklagten die Versorgung mit Rosuvastatin ohne Begrenzung auf
Festbeträge. Er machte geltend, dass andere, von ihm ab 1997 verwendete Statine (Atorvastatin calcium (Sortis®), Cerivastatin
natrium (Lipobay®), Paravastatin und Simvastatin) nur eine begrenzte Wirkung entfaltet und den Anteil an LDL-C-Cholesterin
nicht relevant reduziert hätten. Erst die Verordnung des Arzneimittels Crestor® mit dem Wirkstoff Rosuvastatin 20 mg habe
den Anteil von LDL-C-Cholesterin kontinuierlich gesenkt, weshalb nach einem Ausgangswert von 248 mg/dl (Mai 2009) zwischenzeitlich
ein Wert von 124 mg/dl erreicht worden sei. Da bei koronaren Herzerkrankungen nach neuer Studienlage beim LDL-C-Cholesterin
ein Wert von unter 100 mg/dl erstrebenswert sei, sei er auf das Arzneimittel Crestor® angewiesen. Ergänzend legte er eine
Quittung der S-Apotheke, B, vom 24. März 2010 vor, die für das Arzneimittel Crestor® (100 St. Filmtabletten, 20 mg) eine Eigenbelastung
des Klägers von 107,78 EUR auswies.
Mit Bescheid vom 23. Juni 2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Da der Wirkstoff des begehrten Arzneimittels einer Festbetragsgruppe
zuzuordnen sei, könne sie die Kosten nur bis zur Höhe des Festbetrages übernehmen. Wegen der weiteren Begründung wird auf
den Inhalt des Bescheides Bezug genommen.
Dieser Entscheidung widersprach der Kläger am 2. Juli 2010. Rosuvastatin sei der Wirkstoff, mit dem er das "erklärte/erforderliche
Therapieziel" erreiche und folglich auch das bestehende Hochrisiko für einen Herzinfarkt bzw. einen Schlaganfall reduziere.
Dieser Wirkstoff sei mit keiner anderen Gruppe von Medikamenten vergleichbar. Insbesondere die Regression des Atheromvolumens
in den Koronararterien sei als wesentlicher Faktor anzusehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2010 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach wissenschaftlichen
Erkenntnissen bestehe kein signifikanter Wirksamkeitsunterschied zwischen den verschiedenen Statinen. Infolge der wirksamen
Festsetzung eines Festbetrages sei die Kostenübernahme nach §
31 Abs.
2 Satz 1
SGB V auf den Festbetrag begrenzt. Soweit der Kläger ein teureres Arzneimittel wähle, habe er die Differenz zwischen dem vereinbarten
Festbetrag und den Kosten für das Arzneimittel selbst zu tragen. Eine Ausnahme sehe die Anspruchsgrundlage nicht vor. Auf
den weiteren Inhalt des Widerspruchsbescheides wird Bezug genommen.
Mit der am 26. Oktober 2010 zum Sozialgericht (SG) Dortmund erhobenen Klage hat der Kläger das zunächst auf eine Erstattung bereits entstandener Mehrkosten sowie auf eine
zukünftige festbetragsfreie Versorgung mit Crestor® gerichtete Begehren weiterverfolgt. Unter Vertiefung seines vorprozessualen
Vortrags hat er eine tabellarische Aufstellung der lipidsenkenden Arzneimittel zur Akte gereicht, die er bis zum 24. Oktober
2010 verwendet habe. Deren Einnahme habe eine wesentlich geringere Wirkung auf die Reduzierung des LDL-C-Cholesterinspiegels
entfaltet und ein wesentlich höheres Nebenwirkungspotential (Verweis auf Erhöhung der Creatinkinase mit Muskelzerstörungspotenzial
etc.) aufgewiesen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 23. Juni 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2010 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, ihm die für die Versorgung mit dem Medikament Crestor® ab dem 24. März 2010 angefallenen Mehrkosten zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist dem geltend gemachten Anspruch entgegen getreten. Als Alternativen der maßgeblichen Wirkstoffgruppe seien bei dem
Kläger die Wirkstoffe Atorvastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin und Simvastatin gegeben, von denen mit Ausnahme des
Wirkstoffs Atorvastatin Generikahersteller Arzneimittel zum Festbetrag ohne Mehrkosten vermarkteten. Der Kläger könne sich
nicht auf das Vorliegen eines atypischen Ausnahmefalles berufen, da er nicht alle möglichen Arzneimittel der Wirkstoffgruppe
der Statine getestet habe. Zur Begründung hat sie auf sozialmedizinische Gutachten des Herrn Dr. M, Medizinischen Dienstes
der Krankenversicherung (MDK) vom 4. Juli 2014 und vom 3. November 2014 verwiesen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten
Bezug genommen wird.
Das SG hat am 8. Juni 2011 die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Der Kläger hat auf persönliche Befragung erklärt,
Arzneimittel mit den Wirkstoffe Fluvastatin, Lovastatin und Pravastatin habe er bisher nicht verwendet. Er wolle kein "Versuchskaninchen"
sein. Der Literatur zufolge sei Fluvastatin das schwächste Statin, weshalb er dieses für ungeeignet halte. Demgegenüber sei
Rosuvastatin am besten geeignet. Wegen der weiteren Ergebnisse wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 8. Juni 2011
Bezug genommen.
Anschließend hat das SG zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Befund- und Behandlungsberichte der behandelnden Ärzte beigezogen. Herr Dr.
T, Facharzt für Innere Medizin, B, der den Kläger erstmals am 24. November 2009 untersucht hatte, hat in seinem Bericht vom
22. April 2013 ausgeführt, dass seiner Beurteilung nach aktuell keine Arzneimittelalternative zu Crestor® verfügbar sei. Bei
den Wirkstoffalternativen sei eine Verschlechterung der LDL-Werte zu erwarten; selbst bei Verabreichung von Crestor® bestehe
ein LDL-Wert von 132 mg/dl. Er hat weiter ausgeführt, dass auch die Wirkstoffe Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin und Simvastatin
nicht in Betracht kämen. Welche Medikamente bzw. Wirkstoffe zumindest zeitweise eingesetzt worden seien, könne er nicht beantworten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Berichts vom 22. April 2013 nebst Anlagen verwiesen.
Herr Dr. C, Facharzt für Allgemeinmedizin, B, hat zunächst mitgeteilt, seit Behandlungsbeginn um das Jahr 1990 sei eine familiäre
Hypercholesterinämie bekannt. Eine ab 1994 durchgeführte Therapie mit Normalip®, einem Präparat der Wirkstoffgruppe der Fibrate,
habe zu einer nur unwesentlichen Cholesterinsenkung geführt. Nach Umstellung der Versorgung mit Statinen (Cranoc®, Sortis®,
Simvastatin®, Inegy® und Lipobay®) habe der Kläger nach einiger Zeit diffuse Muskelschmerzen und schmerzhafte Bewegungseinschränkungen
beklagt. Da es bei dem hohen Risikoprofil des Klägers (Hypercholesterinämie, art. Hypertonie, Diabetes mellitus und eingeschränkter
Mobilität) zu einem deutlichen Progress der Gefäßerkrankungen gekommen sei, sei ein erneuter Versuch der Lipidsenkung mit
Crestor® unternommen worden. Hierdurch seien normal- bis grenzwertige Cholesterinwerte erreicht worden.
Sodann hat das SG von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Herrn Dr. D, Facharzt für Innere Medizin,
D. Dieser hat in seinem nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 6. März 2014 erstatteten fachinternistischen Gutachten
eine koronare Herzkrankheit im Sinne einer koronaren 2-Gefäßerkrankung mit Zustand nach RCX-PTCA und Stenting 2005 sowie einen
"Zustand nach RIVA-PTCA und Stenting" im März 2009 beschrieben. Zudem hat er Stenosierungen im Bereich der hirnzuführenden
Gefäße (Carotiden sowie Vertebralarterien), eine periphere arterielle Verschlusskrankheit Stadium II nach Fontaine mit eingeschränkter
Gehstrecke sowie eine Polyneuropathie mit möglicherweise diabetischer Genese festgestellt. Darüber hinaus lägen eine Spinalkanalstenose,
sowohl im HWS-, BWS- und LWS-Bereich, ein "Zustand nach Lungenembolie", Darmpolypen sowie Lungengranulome vor.
Aufgrund der Gesundheitsstörungen sei ein kardiovaskuläres, atherogenes Risikoprofil wegen der arteriellen Hypertonie, einer
Hypercholesterinämie sowie einer Zuckerstoffwechselstörung (Diabetes mellitus Typ II) festzustellen. Die Hypercholesterinämie
sei unter der (damals) aktuellen Therapie beseitigt, allerdings bestehe mit 105 mg/dl weiterhin ein erhöhtes LDL-Cholesterin;
bei dem Kläger sei ein Zielwert von unter 100 mg/dl, am besten 80 mg/dl anzustreben.
Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass die Wirkstoffe Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin und Simvastatin ebenso
wie die Wirkstoffe Atorvastatin und Rosuvastatin grundsätzlich in Betracht kämen. Cerivastatin sei bereits vom Markt genommen
worden und habe bei dem Kläger Nebenwirkungen ausgelöst. Die Wirkstoffe Atorvastatin und Simvastatin hätten nach Angaben des
Klägers eine Myopathie mit Muskelschmerzen und eine erhöhte Aktivität der Kreatinkinase (CK-Erhöhung) bewirkt. Andere Statine
seien nicht getestet worden. Bei dem Einsatz von Simvastatin, Atorvastatin und Cerivastatin sei als Nebenwirkung eine Myopathie
im Sinne einer laborchemisch nachweisbaren CK-Erhöhung aufgetreten. Dieses sei allerdings eine mögliche Nebenwirkung sämtlicher
Statine. Bei dieser Nebenwirkung handele es sich nicht nur um eine bloße Unannehmlichkeit oder Befindlichkeitsstörung, sondern
um eine echte Muskelzerstörung mit entsprechenden Muskelschmerzen und einem laborchemisch objektivierbaren Muskeluntergang.
Die bei dem Kläger aufgetretene Nebenwirkung habe die Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit aufgewiesen, weshalb
das auslösende Medikament abgesetzt worden sei. Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass es sich bei der Muskelzerstörung
um eine klassische Nebenwirkung der Behandlung unter Statinen handele, die bei allen Arzneimitteln, die zum Festbetrag erhältlich
seien, auftreten könne. Diese Nebenwirkung sei nach Beginn der Behandlung mit Crestor® entfallen. Auf den Inhalt des Sachverständigengutachtens
vom 16. März 2014 wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
Nachdem die Beklagte nach sozialmedizinischer Beratung durch den MDK zum Inhalt des Gutachtens Stellung genommen und der Kläger
mit Schreiben vom 11. August 2014 Einwendungen gegen die Feststellungen des Sachverständigen erhoben hatte, hat das SG eine ergänzende Stellungnahme von diesem eingeholt. Auf deren Inhalt wird verwiesen.
Mit Urteil vom 20. Oktober 2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 31. Oktober 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. November 2015 schriftlich Berufung zum Landessozialgericht
(LSG) Nordrhein-Westfalen eingelegt. Er gehe davon aus, dass die Voraussetzungen zur Annahme eines atypischen Ausnahmefalles
erfüllt seien. Das SG habe nicht berücksichtigt, dass er Lovastatin nicht habe einnehmen dürfen. So habe der Facharzt für Diabetologie Dr. I ihn
im Juni 2009 nach sorgfältiger Abwägung auf das Präparat Crestor® umgestellt, da dieses als effektive Alternative für ihn
als Hochrisikopatient angesehen worden sei. Dieses Arzneimittel habe sich bei ihm bis heute bewährt. Da er überwiegend unter
einer heterozygoten familiären Hypercholesterinämie leide, seien die Wirkstoffe Fluvastatin und Lovastatin aus der Wirkstoffgruppe
der HmG-CoA-Reduktasehemmer in seinem Fall überhaupt nicht zugelassen (Verweis auf Beschluss des G-BA über die Einleitung
eines Stellungnahmeverfahrens zur Änderung der AM-RL vom 9. Februar 2016).
Nachdem der Senat unter Hinweis auf eine von Amts wegen eingeholte ergänzende Erklärung des Herrn Dr. C darauf hingewiesen
hatte, dass eine familiäre Hypercholesterinämie medizinisch nicht erwiesen sei, macht der Kläger geltend, es sei bei ihm eine
Hyperlipidämie bei APO E3/E4-Polymorphismus gegeben. Aufgrund dieser individuellen Verhältnisse seien die Alternativpräparate der maßgeblichen Wirkstoffgruppe
kontraindiziert.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger einen "Ambulanzbrief" der Frau Dr. P, Lipidambulanz N, vom 26. September
2019 vorgelegt. Diesem Bericht lag eine einmalige ambulante Untersuchung des Klägers vom 26. September 2019 zugrunde. Auf
den Inhalt des Berichts wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Unter Vorlage einer Kostenaufstellung vom 20. August 2019, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, beziffert der Kläger die
ihm entstandenen Aufwendungen vom 24. März 2010 bis zum 27. Februar 2019 mit 3.857,02 EUR.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20. Oktober 2015 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom
23. Juni 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2010 zu verurteilen, ihm die den Festbetrag und die
gesetzliche Zuzahlung übersteigenden Anteile für die Selbstbeschaffung des Arzneimittels Crestor® in der Zeit vom 24. März
2010 bis zum 27. Februar 2019 in Höhe von 3.857,02 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf die tragenden Gründe des Beschlusses
des G-BA vom 9. Februar 2016 betone, das Medikament Crestor® enthalte kein "Anwendungskreuz" für Fälle familiärer Hypercholesterinanämie,
sei zu bemerken, dass HmG-CoA-Reduktasehemmer kein singuläres Anwendungsgebiet hätten. Aus dem fehlenden "Anwendungskreuz"
könne daher nicht geschlossen werden, dass Crestor® nicht angewandt werden dürfe. Zudem habe der Sachverständige betont, dass
für eine familiäre Hypercholesterinanämie weder nach Aktenlage noch nach den Angaben des Klägers objektivierbare Anhaltspunkte
zu finden seien. Eine Kontraindikation für die von dem Kläger angeführten Wirkstoffe könne aufgrund dieser Umstände nicht
gestellt werden. Ergänzend verweist sie auf eine sozialmedizinische Stellungnahme des Herrn Dr. M, MDK vom 19. April 2017,
wonach bei dem Kläger keine familiäre Hypercholesterinämie vorliege, sondern eine andere Fettstoffwechselstörung (Typ III
Hyperlipoproteinämie).
Der Senat hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 23. März 2016 und am 24. Juli 2019 mündlich erörtert. Am 23.
März 2016 hat er den Kläger auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. Juni 2012 - B 1 KR 22/11 R - hingewiesen. In diesem Rahmen hat der Senat dargelegt, dass eine atypische Ausnahmekonstellation nicht nachgewiesen sei.
Auf die Sitzungsniederschriften wird verwiesen.
Der Senat hat sodann von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung eines weiteren sozialmedizinischen Sachverständigengutachtens
nach Aktenlage durch Herrn Dr. D. Dieser hat dargelegt, dass bei dem Kläger eine familiäre Hypercholesterinämie nicht mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen sei. Er hat zudem darauf hingewiesen, dass die Anwendung von Fluvastatin
und Lovastatin auch bei einem fehlenden Anwendungskreuz nicht ausgeschlossen sei. Es sei nicht mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass die bei dem Kläger bestehende Hypercholesterinämie nicht auch mit den Wirkstoffen Fluvastatin,
Lovastatin und Pravastatin in vergleichbarer Weise gesenkt worden wäre. Auch bei diesen Statinen hätten Muskelbeschwerden
auftreten können. Eine Wahrscheinlichkeit, wie ein Patient auf den einzelnen Wirkstoff reagiere, gebe es nicht. An dieser
Einschätzung hat der Sachverständige in weiteren ergänzenden Stellungnahmen, auf deren Inhalt verwiesen wird, festgehalten
(Stellungnahmen vom 2. März 2018 und vom 13. April 2018).
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und den Inhalt der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist (noch) der von dem Kläger verfolgte Anspruch auf eine sachleistungsersetzende Kostenerstattung
für die Selbstbeschaffung des Arzneimittels Crestor® im Zeitraum vom 24. März 2010 bis zum 27. Februar 2019 in Höhe von 3.857,02
EUR. Eine künftige festbetragsfreie Vollversorgung mit diesem Arzneimittel als Sachleistung begehrt er - wie er in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat erklärt hat - nicht mehr. Gegenstand des Verfahrens ist ebenso wenig die unmittelbare Überprüfung
der Festbetragsfestsetzung selbst (vgl. §
35 Abs.
7 Sätze 2 und 3
SGB V; hierzu BSG, Urteil vom 1. März 2011 - B 1 KR 10/10 R -, SozR 4-2500 § 35 Nr. 4).
II. Die am 17. November 2015 schriftlich eingelegte Berufung des Klägers gegen das ihm am 31. Oktober 2015 zugestellte Urteil
des SG Dortmund vom 20. Oktober 2015 ist zulässig, insbesondere ohne gerichtliche Zulassung statthaft (§§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§§
151 Abs.
1, Abs.
3,
64 Abs.
1, Abs.
2,
63 SGG).
III. Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die auf Verurteilung der Beklagten zur Kostenerstattung gerichtete Klage ist zulässig
(hierzu 1.), aber nicht begründet (hierzu 2.).
1. Für das auf sachleistungsersetzende Kostenerstattung für selbstbeschaffte Arzneimittel gerichtete Begehren ist die kombinierte
Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage nach §
54 Abs.
1 Satz 1 Alt. 1 und Abs.
4 SGG statthaft (BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 - B 1 KR 22/11 R -). Die Klage ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht (§§
90 Satz 1,
87 Abs.
1 Satz 1
SGG) am 26. Oktober 2010 binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2010 erhoben worden.
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger kann die Erstattung der den Festbetrag und die gesetzliche Zuzahlung übersteigenden
Kostenanteile für die Selbstbeschaffung des Arzneimittels Crestor® vom 24. März 2010 bis zum 27. Februar 2019 in Höhe von
3.857,02 EUR nicht beanspruchen.
Gemäß §
13 Abs.
3 Satz 1
SGB V (i.d.F. durch Art. 1 Nr. 5 Buchst. b des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz - GSG) vom 21. Dezember 1992, BGBl. I 2266) hat eine Krankenkasse, die eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen
kann oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, dem Versicherten die dadurch entstandenen Kosten für die selbstbeschaffte
Leistung zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der hiernach eingeräumte Anspruch auf Kostenerstattung für die Vergangenheit
reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte bzw.
zukünftig zu beschaffende Behandlung zu den Leistungen gehört, die die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung
zu erbringen haben (vgl. z.B. BSGE 79, 125, 126 f. = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 S. 51 f m.w.N.; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 9, Rn. 13 m.w.N. ("Lorenzos Öl"); BSG, SozR 4-2500 § 31 Nr. 15 Rn. 19 (Ritalin)).
Nach dieser Maßgabe kann der Kläger eine Kostenerstattung nicht beanspruchen, weil die Beklagte die - nicht im Sinne des §
13 Abs.
3 Satz 1 Fall 1
SGB V "unaufschiebbare" (vgl. zur Unaufschiebbarkeit einer Leistung u.a. BSG, Urteil vom 25. September 2000 - B 1 KR 5/99 R -) - Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt hat. Der Bescheid vom 23. Juni 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.
September 2010 ist rechtmäßig. Der Kläger konnte eine festbetragsfreie Vollversorgung mit Crestor® als Naturalleistung nicht
beanspruchen.
Rechtsgrundlage des Anspruchs auf eine festbetragsfreie Arzneimittelversorgung mit Crestor® als Naturalleistung ist §
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
3, §
31 SGB V. Hiernach erhalten Versicherte grundsätzlich die krankheitsbedingt notwendigen, nicht der Eigenverantwortung (§
2 Abs.
1 Satz 1
SGB V) zugeordneten Arzneimittel (§
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
3 SGB V) aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund vertragsärztlicher Verordnung. Ist für ein Arzneimittel
wirksam ein Festbetrag festgesetzt, trägt die Krankenkasse grundsätzlich - abgesehen von der Zuzahlung (§
31 Abs.
3 SGB V i.d.F. GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14. November 2003 (BGBl. I 2190)) - die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags (§
31 Abs.
2 Sätze 1 bis 5
SGB V i.d.F. durch Art. 1 Nr. 1 Buchst. a Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG) vom 26. April 2006, BGBl.
I 984). Für andere Arznei- oder Verbandmittel trägt die Krankenkasse dagegen regelmäßig die vollen Kosten abzüglich der vom
Versicherten zu leistenden Zuzahlung (§
31 Abs.
2 Satz 1 Halbs. 2
SGB V; zur Verfassungsmäßigkeit der Zuzahlungsregelungen BSG, Urteil vom 22. April 2008 - B 1 KR 10/07 R -, BSGE 100, 221 = SozR 4-2500 § 62 Nr 6; zur Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens zur Festbetragsfestsetzung für Arznei- und Hilfsmittel auch
BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - 1 BvL 28/95 -, BVerfGE 106, 275 ff.).
Im Fall der wirksamen Festsetzung eines Festbetrages erfüllt die Krankenkasse regelmäßig mit diesem ihre Leistungspflicht
gegenüber dem Versicherten (§
12 Abs.
2 SGB V; zum Ganzen BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 - B 1 KR 22/11 R - SozR 4-2500 §
35 Nr.
6). Die Festbetragsregelung ist Ausdruck des Wirtschaftlichkeitsgebots (§
12 Abs.
1 SGB V; BVerfGE 106, 275, 301, 302, 303 = SozR 3-2500 § 35 Nr. 2 Seite 19, 20, 21). Arzneimittel, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen oder unwirtschaftlich
sind, weil sie gegenüber gleich geeigneten, ausreichenden und erforderlichen Mitteln teurer sind, sind aus dem Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich ausgeschlossen. Die Reichweite des Wirtschaftlichkeitsgebots begrenzt gleichzeitig
die Wirkkraft der Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel (zum Ganzen BSG, Urteil vom 3. Juli 2012, a.a.O.). Es greift nicht ein, wenn überhaupt nur eine Leistung in Rede steht (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 1996 - 6 RKa 62/94 -, SozR 3-2500 § 92 Nr. 6 S. 46). Hingegen entspricht es dem Wirtschaftlichkeitsgebot, bei gleicher Eignung im individuellen
Fall ein anderes, nicht unter die Festbetragsregelung fallendes, preisgünstigeres Arzneimittel beanspruchen zu können.
Nach Maßgabe des §
35 Abs.
1 Satz 2
SGB V gilt die Festbetragsfestsetzung jeweils für eine Gruppe von Arzneimitteln und setzt hierfür die Geldbeträge fest, mit denen
einerseits eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet, andererseits aber ein Preiswettbewerb unter den Herstellern
ermöglicht werden soll (§
35 Abs.
5 Satz 1 und 2
SGB V). In diesen Gruppen sollen Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen (Nr. 1), mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren
Wirkstoffen, insbesondere chemisch verwandten Stoffen (Nr. 2) sowie solche mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung, insbesondere
Arzneimittelkombinationen (Nr. 3) zusammengefasst werden. Die gesetzlich vorgegebenen Kriterien der Festbetragsfestsetzung
sind nicht an den individuellen Verhältnissen des einzelnen Patienten ausgerichtet, sondern orientieren sich in generalisierender
Weise an allen Versicherten (vgl. näher BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 26). Dementsprechend sind die Festbeträge so festzusetzen, dass sie lediglich "im Allgemeinen"
eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten (§
35 Abs.
5 Satz 1
SGB V). Diesem Regelungskonzept entspricht es, dass eine Leistungsbeschränkung auf den Festbetrag (nur) dann nicht eingreift, wenn
ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, in dem - trotz Gewährleistung einer ausreichenden Arzneimittelversorgung durch die Festbetragsfestsetzung
im Allgemeinen - aufgrund ungewöhnlicher Individualverhältnisse keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich ist (BSG, Urteil vom 3. Juli 2012, a.a.O.).
Aufgrund ungewöhnlicher Individualverhältnisse ist eine ausreichende Versorgung zum Festbetrag nicht mehr möglich, wenn die
zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel unerwünschte Nebenwirkungen verursachen, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen
hinausgehen und die Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit (§
27 Abs.
1 Satz 1
SGB V) erreichen (BSG, Urteil vom 3. Juli 2012, a.a.O.). Eine eigenanteilsfreie Versorgung mit einem nur oberhalb des Festbetrags erhältlichen
Festbetragsarzneimittel erfordert demnach, dass bei dem Versicherten zumindest objektiv nachweisbar eine zusätzliche behandlungsbedürftige
Krankheit oder eine behandlungsbedürftige Verschlimmerung einer bereits vorliegenden Krankheit nach indikationsgerechter Nutzung
aller anwendbaren, preislich den Festbetrag unterschreitenden Arzneimittel eintritt. Darüber hinaus muss die zusätzliche Erkrankung
bzw. Krankheitsverschlimmerung zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit jeweils wesentlich durch die Anwendung der den
Festbetrag im Preis unterschreitenden Arzneimittel bedingt sein und die Anwendung des nicht zum Festbetrag verfügbaren Festbetragsarzneimittels
dagegen ohne Nebenwirkungen im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Krankheit bleiben (BSG, Urteil vom 3. Juli 2012, a.a.O.; BSG, Beschluss vom 25. Januar 2017 - B 1 KR 8/16 BH -; Senat, Urteil vom 12. Juli 2017 - L 11 KR 366/17 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. Juni 2016 - L 16 KR 664/13 -).
Nach diesen Maßstäben konnte der Kläger zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der Arzneimittel (zum maßgeblichen Zeitpunkt der
Sach- und Rechtslage im Fall der Selbstbeschaffung Helbig, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, §
13 Rn. 56 m.w.N.) eine festbetragsfreie Versorgung mit Crestor® nicht beanspruchen. Nach dem Gesamtergebnis der gerichtlichen
Feststellungen ist nicht festzustellen, dass die zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittelalternativen Nebenwirkungen verursachen,
die über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen hinausgehen und damit die Qualität einer behandlungsbedürftigen
Krankheit im Sinne des §
27 Abs.
1 Satz 1
SGB V erreichen.
Zur Festbetragsgruppe der HMG-CoA-Reduktasehemmer (Statine) gehörten in maßgeblichen Streitzeitraum Arzneimittel mit dem Wirkstoff
Atorvastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin, Simvastatin sowie - infolge des Inkrafttretens des Beschlusses des G-BA
vom 15. Oktober 2009 (BAnz. Nr. 184, S. 4.112 vom 4. Dezember 2009) - solche, die auf dem Wirkstoff Rosuvastatin basieren.
a) Außer Betracht lässt der Senat bei seiner Würdigung das von dem Kläger in der Vergangenheit bereits verwendete, aber in
seinem Fall wirkungslos gebliebene Arzneimittel mit dem lipidsenkenden Wirkstoff Cerivastatin (Lipobay®, Baycol®). Dieses
Arzneimittel ist infolge unerwünschter Nebenwirkungen im Jahr 2001 vom Markt genommen worden.
b) Von den Arzneimitteln der maßgeblichen Festbetragsgruppe hat der Kläger HMG-CoA-Reduktasehemmer mit den Wirkstoffen Atorvastatin
(Sortis®) sowie Simvastatin (Inegy®) eingenommen. Der Senat geht insoweit zugunsten des Klägers davon aus, dass ein Verweis
auf Arzneimittel mit diesen Wirkstoffen aus medizinischen Gründen aufgrund medizinisch erheblicher Nebenwirkungen nicht in
Betracht kam. So hat der Kläger erläutert, dass nach Einnahme dieser Medikamente eine Myopathie mit Muskelschmerzen und eine
erhöhte Kreatinkinase aufgetreten sei. Der Sachverständige Dr. D hat dargelegt, dass es sich bei diesen Erscheinungen um mögliche
Nebenwirkungen handelt, die über das Maß einer bloßen Unannehmlichkeit bzw. Befindlichkeit hinausgehen und eine echte Muskelzerstörung
mit entsprechenden Muskelschmerzen mit einem laborchemisch objektivierbaren Muskeluntergang bewirken. Nach den Ausführungen
des Sachverständigen hatten diese Nebenwirkungen die Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit, weshalb die zuvor verwendeten
Arzneimittel abgesetzt werden mussten.
c) Der Senat unterstellt zugunsten des Klägers ebenfalls, dass aufgrund individueller Verhältnisse Arzneimittel mit dem Wirkstoff
Lovastatin ausscheiden. Nach dem Inhalt der Tragenden Gründe zum Beschluss des G-BA vom 15. Oktober 2009 (Stand 23. Juni 2010)
ist Lovastatin (z.B. Mevicanor®) zur Senkung erhöhter Gesamt- und LDL-Cholesterinspiegel im Serum zugelassen, wenn eine Diät
und andere nicht pharmakologische Maßnahmen (z.B. körperliches Training und Gewichtsabnahme) allein eine ungenügende Wirkung
zeigten und es sich um Patienten mit primärer Hypercholesterinämie oder solche mit kombinierter Hypercholesterinämie und Hypertrigylzeridämie
handelt, wenn die Hypercholesterinämie im Vordergrund der therapeutischen Bemühungen steht. Zugleich weisen die Tragenden
Gründe darauf hin, dass Mevicanor® einen nur mäßigen Effekt auf die Trigylzeride besitzt und nicht indiziert ist, wenn bei
der Fettstoffwechselstörung die Hypertrigylzeridämie im Vordergrund steht. Zudem seien für den Fall der Hyperlipidämie Typ
III keine ausreichenden Erfahrungen gewonnen worden (Zusammenfassende Dokumentation, Stand 23. Juni 2010, S. 42).
d) Der Annahme eines atypischen Ausnahmefalles steht jedoch entgegen, dass der Kläger HMG-CoA-Reduktasehemmer mit dem Wirkstoff
Fluvastatin nicht über einen therapeutisch relevanten Zeitraum in vorgeschriebener Weise angewendet hatte.
aa) Arzneimittel mit diesem Wirkstoff waren zu einem Festbetrag erhältlich. Hierauf hat die Beklagte bereits frühzeitig hingewiesen
(siehe auch Übersicht der Arzneimittel-Festbetragsfestsetzungsbeschlüsse, abrufbar unter www.gkv-spitzenverband.de). Dieses
wird von dem Kläger auch nicht bestritten. Insoweit weist der Senat nur ergänzend darauf hin, dass auch das BSG bereits betont hat, dass innerhalb der vorliegenden Festbetragsgruppe die Wirkstoffe Fluvastatin und Lovastatin zum Festbetrag
erhältlich sind (BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 - B 1 KR 22/11 R -, Rn. 27).
bb) Dieser Wirkstoff ist eingedenk der nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme festgestellten Individualverhältnisse des Klägers
medizinisch geeignet, weshalb Letzterer auf eine (zumindest testweise) Einnahme von Arzneimitteln mit diesem Wirkstoff über
einen therapeutisch relevanten Zeitraum verwiesen werden kann.
(1) Der Sachverständige Dr. D hat nach Auswertung der von dem Gericht beigezogenen Befund- und Behandlungsberichte sowie der
weiteren medizinischen Befunde und nach persönlicher Untersuchung des Klägers schlüssig und widerspruchsfrei dargelegt, dass
der Wirkstoff Fluvastatin zur Behandlung der Gesundheitsstörungen grundsätzlich in Betracht kommt. Dem steht auch nicht entgegen,
dass der Sachverständige ausgeführt hat, dass bei der Verwendung dieses Arzneimittels Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen
sind. Der Sachverständige hat nämlich erläutert, dass Nebenwirkungen im Sinne einer Myopathie bei allen Statinen möglich sind.
Im Hinblick auf etwaige Nebenwirkungen sind folglich sämtliche Wirkstoffe der maßgeblichen Wirkstoffgruppe gleichermaßen risikobehaftet.
Dieses gilt im Übrigen auch für eine lipidsenkende Therapie mit dem von dem Kläger favorisierten Wirkstoff Rosuvastatin. Hierauf
hat der Sachverständige ausdrücklich hingewiesen. Auch der von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegte "Ambulanzbrief"
der Frau Dr. P vom 26. September 2019 geht von dieser Prämisse aus. In diesem wird nämlich ausgeführt, dass "alle Lipidsenker
zu Muskelschmerzen [führen], unter Rosuvastatin erträglich."
(2) Soweit der Kläger im gerichtlichen Verfahren wiederholt bekundet hat, der Sachverhalt bedürfe einer weitergehenden Aufklärung,
ist dem nicht zu folgen. Dieses gilt auch im Hinblick auf den vom Kläger angenommenen Ermittlungsbedarf zur Frage des Vorliegens
einer familiären Hypercholesterinämie. Hierbei handelt es sich um einen Gendefekt im Bereich des Apolipoprotein-G-Gens bzw.
des LDL-Rezeptors. Die vom Kläger angegebene molekulargenetische Störung im Bereich des Apolipoprotein E ist nach den Ausführungen
des Sachverständigen eine äußerst seltene Hypercholesterinämie Typ III, die in der homozygoten Form schneller zur Expression
kommt unter Übergewicht und Diabetes. Bei dieser Erscheinungsform sind nicht nur deutlich erhöhte Cholesterinwerte, sondern
auch deutlich erhöhte Triglyceride nachweisbar. Die dieses pathologische Erscheinungsbild kennzeichnenden Werte sind nach
den Feststellungen des Sachverständigen bei dem Kläger nicht gegeben. Auch aus den weiteren, vom Kläger zum Gegenstand des
Verfahrens gemachten Befunden ergibt sich kein dahingehender Nachweis. So heißt es in dem Bericht des Herrn L, Facharzt für
Innere Medizin und Nephrologie, Lipidologie, Witten, vom 7. Mai 2018, dass bei dem Kläger ein ApoE-Genotyp E3/E4 festgestellt
worden sei. Anlässlich der durchgeführten Untersuchungen habe sich indes kein Hinweis auf das Vorliegen einer familiären Hypercholesterinämie
aufgrund einer Mutation im ApoB-Gen ergeben. Im Bericht des MVZ Labor PD Dr. W, K vom 27. April 2018 heißt es insoweit übereinstimmend,
der erhobene Befund ergebe keinen Hinweis auf das Vorliegen einer familiären Hypercholesterinämie aufgrund einer Mutation
im APOB-Gen.
Letztlich bedarf es auch keiner abschließenden Entscheidung des Senats, ob die Erkrankung des Klägers die besondere Erscheinungsform
einer familiären Hypercholesterinämie aufweist. Für die Einschätzung der Wirksamkeit einer Behandlung mit Statinen ist nach
den Ausführungen des Sachverständigen nicht relevant, ob eine familiäre Hypercholesterinämie vorliegt oder nicht. Auch das
Fehlen eines "Anwendungskreuzes" bei einer heterozygoten und einer homozygoten familiären Hypercholesterinämie schließt die
Anwendung des Wirkstoffs Fluvastatin nicht aus. So wird auch in den Tragenden Gründen zum Beschluss des G-BA über die Einleitung
eines Stellungnahmeverfahrens zur Änderung der AM-RL betont, dass alle Wirkstoffe der Festbetragsgruppe [ ] eine gemeinsame
b-, d-Dihydoxy-n-Carbonsäure-Struktur sowie eine gemeinsame molekulare räumliche Struktur haben, die die spezifische Interaktion
Wirkstoff-Enzym ermöglicht. Die Wirkstoffe der Festbetragsgruppe haben eine vergleichbare chemische Grundstruktur. Ihnen ist
ein die pharmakologische Vergleichbarkeit maßgeblich bestimmender vergleichbarer Wirkmechanismus gemein. Darüber hinaus haben
alle von der Festbetragsgruppe umfassten HMG-CoA-Reduktasehemmer aufgrund ihrer arzneimittelrechtlichen Zulassung in dem Anwendungsgebiet
"Primäre Hypercholesterinämie und kombinierte Hyperlipidämie" einen gemeinsamen Bezugspunkt, aus dem sich die therapeutische
Vergleichbarkeit im Sinne des §
35 Abs.
1 Satz 2 Nr.
2 SGB V ergibt.
Auch der in der mündlichen Verhandlung vorgelegte "Ambulanzbrief" der Frau Dr. P vom 26. September 2019 begründet keine Veranlassung,
den medizinischen Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären. Der auf der Grundlage einer etwa sieben Monate nach Ende
des Streitzeitraums durchgeführten und nur einmaligen ärztlichen Untersuchung vom 26. September 2019 erstattete Bericht skizziert
eingangs die bisher durchgeführte lipidsenkende Therapie. Diese Feststellungen sind keineswegs neu und entsprechen im Wesentlichen
den Annahmen des bereits von Amts wegen gehörten Sachverständigen. Soweit in dem Bericht im Textabschnitt "Zusammenfassung"
zum Ausdruck gebracht wird, dass "die restlichen auf dem Markt erhältlichen Statine schwächer wirksam und somit keine Option
dar[stellen], da keine ausreichende Lipidsenkung erwartet wird", handelt es sich um lediglich kurze und nicht vertieft begründete
Annahmen der behandelnden Ärztin, die die schlüssigen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht substantiiert
in Frage stellen.
(3) Soweit der Kläger erklärt, er wolle "kein Versuchskaninchen" sein, liegt dieser Einwand neben der Sache. Die zur Verfügung
stehenden therapeutischen Alternativen sind nach dem Arzneimittelgesetz zugelassen und klinisch erprobt. Die Wirksamkeit und Verträglichkeit eines Arzneimittels bei dem jeweiligen Versicherten
muss sich selbstverständlich in einem konkreten Einsatz erweisen. Insoweit unterscheidet sich der Kläger nicht von anderen
Patienten, bei denen die Wirksamkeit eines konkreten Arzneimittels in einem therapeutisch relevanten Zeitraum getestet werden
muss.
Gründe im Sinne des §
160 Abs.
2 SGG zur Zulassung der Revision sind nicht gegeben.