Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
Die am 00.00.1956 geborene Klägerin ist seit 1989 geschieden und Mutter einer Tochter, der sie 1999 eine Niere spendete. Das
Versorgungsamt C stellte deswegen bei ihr 2002 einen GdB von 30 fest. Verschlimmerungsanträge in 2005 und 2007 blieben ohne
Erfolg. Auf einen Verschlimmerungsantrag aus 2012 und ein erfolgloses Verwaltungs- und Vorverfahren einigten sich die Beteiligten
in einem sozialgerichtlichen Klageverfahren (S 5 SB 1064/12) nach Einholung von Befundberichten auf die Feststellung eines GdB von 40, den der Beklagte entsprechend mit Bescheid vom
07.10.2013 feststellte. Der Vergleich ging zurück auf den Hinweis der damaligen Vorsitzenden der zuständigen Kammer des Sozialgerichts,
dass eine rheumatische Erkrankung, die sich im Bereich der Hände und der Füße äußere, vor dem Hintergrund der Einnierigkeit
nicht ausreichend therapierbar sei. Auch wenn ein Einzel-GdB von 30 hierfür großzügig sei und die Einnierigkeit eigentlich
nur einen Einzel-GdB von 25 bedinge, sei ein Gesamt-GdB von 40 eben angemessen. 2016 stellte die Klägerin einen weiteren erfolglosen
Verschlimmerungsantrag.
Am 08.11.2017 stellte die Klägerin den hier gegenständlichen Verschlimmerungsantrag und beantragte zugleich die Feststellung
der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G". Der Beklagte holte diverse Befundberichte und eine versorgungsärztliche
Stellungnahme von Dr. L ein. Dieser führte aus, die Einnierigkeit und eine Funktionsstörung der Hände seien mit Einzel-GdB
von jeweils 30 zu bewerten. Darüber hinaus lägen eine psychovegetative Störung/Migräne, eine Funktionsstörung der Wirbelsäule,
eine periphere Nervenstörung, eine Funktionsstörung des rechten Schultergelenks und Schwindel/Ohrgeräusche vor, die jeweils
mit Einzel-GdB von 10 zu bewerten seien. Der GdB betrage insgesamt weiter 40. Der Beklagte lehnte darauf den Antrag der Klägerin
ab. Diese legte am 19.02.2018 Widerspruch ein, den die Bezirksregierung Münster mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2018 zurückwies.
Am 22.03.2018 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, u.a. wegen der Versorgung der nierenkranken Tochter bestehe
eine höhergradige psychische Erkrankung, die nunmehr im Vordergrund stehe. In den eingeholten Befundberichten werde ein entsprechender
Verdacht geäußert. Sie sei allerdings nicht in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung. Im Laufe des Verfahrens
hat sie nur noch einen höheren GdB begehrt und die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G"
nicht mehr geltend gemacht.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 01.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 07.03.2018 zu verurteilen, bei ihr ab dem 08.11.2017 einen GdB von 50 festzustellen. Der Beklagte hat beantragt, die Klage
abzuweisen. Das Sozialgericht hat von Amts wegen diverse Behandlungsunterlagen beigezogen und ein Sachverständigengutachten
aufgrund ambulanter Untersuchung des Facharztes für Nervenheilkunde, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin,
Spezielle Schmerztherapie Dr. Dr. X eingeholt. Dieser hat ausgeführt, es sei insofern eine Verschlimmerung eingetreten, als
sich die Funktionseinschränkung der Fingergelenke infolge einer fortschreitenden Polyarthrose verschlimmert habe und es durch
eine diabetogene sensible Polyneuropathie in Verbindung mit beiderseitigem Fersensporn zu einer Verschlechterung des Gangbildes
gekommen sei. Der Verlust der Niere und die Funktionseinschränkung der Fingergelenke bedingten Einzel-GdB von jeweils 30,
der Diabetes mellitus unter Einschluss der dadurch bedingten Polyneuropathie und des beidseitigen Fersensporns bedinge einen
Einzel-GdB von 20. Der GdB insgesamt betrage 50, da keine Überschneidungen vorlägen. Die gesundheitlichen Voraussetzungen
des Merkzeichens "G" lägen nicht vor. Für den Beklagten hat Dr. W zu den Befundberichten vorgetragen, aus diesen ergebe sich
keine Einschränkung der Nierenfunktion. Die Beeinträchtigung der Finger und der Wirbelsäule bedinge jeweils nur Einzel-GdB
von 10. Zum Gutachten von Dr. Dr. X hat sie vorgetragen, der Diabetes mellitus selbst bedinge keinen Einzel-GdB, da dieser
lediglich mit Metformin behandelt werde. Die Folgeschäden im Sinne einer Polyneuropathie seien dem Funktionssystem der unteren
Extremitäten zuzuordnen und bedingten isoliert einen Einzel-GdB von 10. Ein Einzel-GdB von 20 für die unteren Extremitäten
sei auch unter Berücksichtigung des beidseitigen Fersensporns außergewöhnlich hoch. Insgesamt komme ein GdB von 50 nicht in
Betracht, da aus der Einnierigkeit keine funktionellen Einschränkungen resultierten. Das Sozialgericht hat den Beklagten mit
Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 09.05.2019 verurteilt, bei der Klägerin ab dem 08.11.2017 einen GdB von 50 festzustellen
und die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten zu tragen. Dr. Dr. X sei sowohl hinsichtlich der Einzel-GdB, als auch hinsichtlich
des Gesamt-GdB zu folgen. Aus der Entscheidung des BSG vom 27.01.1976 (8 RU 264/74) sowie der Kommentierung von Wendler/Schillings folge, dass sich aus der Einnierigkeit durchaus Einschränkungen im Erwerbsleben
ergäben und der Einzel-GdB erhöhend zu berücksichtigen sei. Der Beklagte hat gegen das ihm am 03.06.2019 zugestellte Urteil
am 13.06.2019 Berufung eingelegt. Er trägt unter Vorlage versorgungsärztlicher Stellungnahmen von Dr. W vor, die Einnierigkeit
sei mangels funktioneller Beeinträchtigungen nach den VMG nur mit einem Einzel-GdB von 25 zu bewerten. Die Notwendigkeit einer
besonderen Schonung aufgrund der Einnierigkeit sei nicht belegt. Das vom Sozialgericht in Bezug genommene Urteil des BSG betreffe die gesetzliche Unfallversicherung. Hier seien dagegen die VMG maßgebend. Im Übrigen habe das BSG im dortigen Fall eine MdE von 20 v.H. angenommen. Die unteren Extremitäten seien nicht mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten.
Selbst wenn dies der Fall wäre, ergäben sich die maßgeblichen funktionellen Beeinträchtigungen eben nur aus denen der oberen
und unteren Extremitäten, die zusammen nicht mit Katalogfällen eines GdB von 50 vergleichbar seien. Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 09.05.2019 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf das Gutachten von Dr. Dr. X und das angefochtene Urteil. Der Vorsitzende des Senats hat einen Antrag des
Beklagten auf Aussetzung der Vollstreckung des angefochtenen Urteils mit Beschluss vom 10.07.2019 abgelehnt. Der Senat hat
weitere Behandlungsunterlagen beigezogen und von Amts wegen ein Sachverständigengutachten der Fachärztin für Chirurgie, Sozialmedizin
Dr. E aus C1 eingeholt. Zunächst ist eine Begutachtung aufgrund ambulanter Behandlung angeordnet worden. Die Klägerin hat
mit Verweis auf eine Inkontinenzproblematik und Schmerzen im Beckenbereich infolge einer Anfang 2019 durchgeführten Descensus-Operation
eine wohnortnähere Begutachtung begehrt und nach deren Ablehnung durch den Senat unter Vorlage eines Attests des Internisten
Dr. H, wonach ein Krankentransport und eine Übernachtung am Ort der Begutachtung erforderlich seien, zunächst erklärt, sie
benötige einen Liegendtransport. Später hat sie erklärt, es sei eine Anreise mittels eines Taxi erforderlich. Es sei ihr nicht
zumutbar, Toiletten in Zügen zu nutzen. Nach Nachfrage des Senats bei Dr. H und Befragung von Dr. E nach Aktenlage hat der
Senat darauf hingewiesen, dass die Notwendigkeit einer Anreise mittels Liegendtransport bzw. Taxi nicht glaubhaft gemacht
sei und eine Begutachtung nach Aktenlage veranlasst. Dr. E hat zunächst ausgeführt, die Einnierigkeit bedinge nach den VMG
einen Einzel-GdB von 25. Soweit zuletzt eine leichte Nierenfunktionsstörung beschrieben worden sei, sei diese derart geringfügig,
dass eine Anhebung auf einen Einzel-GdB von 30 nicht gerechtfertigt sei. Die funktionellen Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten
und der unteren Extremitäten bedingten Einzel-GdB von jeweils schwach 20. Die dokumentierten Beeinträchtigungen im Bereich
der Hände seien nicht vergleichbar mit dem Verlust zweier Finger einschließlich des Daumens. Hinsichtlich der unteren Extremitäten
sähen die VMG einen Einzel-GdB von 20 vor bei Versteifung eines oberen Sprunggelenkes. Hinsichtlich der neurologischen Schäden
sähen die VMG einen Einzel-GdB von 20 bei Ausfall des Nervus peronaeus superficialis vor. Hiermit sei die Gesamtheit der Beeinträchtigungen
der unteren Extremitäten der Klägerin vergleichbar. Ein höherer Einzel-GdB, wie er etwa bei der Versteifung eines Kniegelenkes
angenommen werde, käme aber keinesfalls in Betracht. Im Übrigen lägen in Übereinstimmung mit Dr. Dr. X keine weiteren Leiden
vor, die einen Einzel-GdB von mindestens 20 rechtfertigten. Der GdB insgesamt betrage 40. Ob auch urologische Störungen vorlägen,
sei aktuell nicht beurteilbar. Die Vorsitzende der im Verfahren S 5 SB 1064/12 zuständigen Kammer des Sozialgerichts sei unzutreffend von einer rheumatischen Erkrankung ausgegangen. Sie habe seinerzeit
zudem einen Einzel-GdB von 30 für die Beeinträchtigung der Hände und der Füße zusammen angenommen. Nach erneuter Vorlage der
Akten einschließlich zwischenzeitlich beigezogener Behandlungsunterlagen aus der Zeit nach der Descensus-Operation hat Dr.-
E ausgeführt, ab Januar 2019 könne eine Belastungsinkontinenz Grad I-II angenommen und mit einem weiteren Einzel-GdB von 20
bewertet werden. Der GdB insgesamt betrage weiter 40. Die Klägerin hat angekündigt, einen Arzt nach §
109 SGG zu benennen. Der Senat hat darauf hingewiesen, dass eine Begutachtung nach §
109 SGG aufgrund ambulanter Untersuchung nicht in Betracht komme, da die Klägerin ohne einen wichtigen Grund glaubhaft gemacht zu
haben an einer entsprechenden Begutachtung nach §
106 SGG nicht mitgewirkt habe.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten
des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die Gerichtsakte des beigezogenen Gerichtsverfahrens S 5 SB 1064/12 und die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß §
124 Abs.
2 SGG.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, da diese zwar zulässig, aber unbegründet ist. Die Klägerin ist durch
die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG beschwert, da diese rechtmäßig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 SGB X. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung
vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Eine wesentliche
Änderung liegt im Schwerbehindertenrecht vor, wenn geänderte gesundheitliche Verhältnisse einen um 10 höheren oder niedrigeren
GdB begründen (vgl. Teil A Nr. 7a Satz 1 VMG und etwa BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R, juris Rn. 26). Vergleichsmaßstab sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Bescheides vom 07.10.2013.
Im Vergleich der Verhältnisse am 07.10.2013 und denen im Zeitraum von der Antragstellung am 08.11.2017 bis zur Entscheidung
des Senats ist eine wesentliche Änderung in diesem Sinne nicht eingetreten. Der GdB beträgt weiterhin nicht mehr als 40.
Nach §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX in der ab dem 01.01.2018 gültigen Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige
oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten
Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Die Auswirkungen auf die
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, §
152 Abs.
1 Satz 5
SGB IX in der ab dem 01.01.2018 gültigen Fassung (zuvor §
69 Abs.
1 Satz 5
SGB IX). Nach § 241 Abs. 5
SGB IX in der ab dem 01.01.2018 gültigen Fassung (zuvor §
159 Abs.
7 SGB IX) gelten - in Ermangelung einer Verordnung nach §
153 Abs.
2 SGB IX - die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnungen - insbesondere Anlage 2 zur Versorgungsmedizinverordnung (Versorgungsmedizinische Grundsätze
- VMG) - entsprechend und zwar im Gesetzesrang (vgl. BSG, Urteil vom 24.10.2019 - B 9 SB 1/18 R, juris Rn. 12 a.E.).
Die Bemessung des (Gesamt-)GdB ist in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl. BSG, Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B, juris Rn. 5 m.w.N.). In einem ersten Schritt sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden
Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß §
2 Abs.
1 SGB IX und die sich daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. In einem zweiten Schritt sind diese den in den
VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann, in der
Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB, in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen
Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der maßgebliche (Gesamt-)GdB zu bilden (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R, juris Rn. 18 m.w.N.). Außerdem sind nach Teil A Nr. 3b VMG bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen,
für die in der Tabelle der VMG feste GdB-Werte angegeben sind (vgl. BSG, Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R, juris Rn. 25; vgl. zum Ganzen auch LSG NRW, Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11, juris Rn. 42 ff. und daran anschließend BSG, Beschluss vom 17.04.2013 - B 9 SB 69/12 B, juris Rn. 8 ff.).
Die Klägerin leidet an dauerhaften und für die Bildung des GdB relevanten Erkrankungen im Bereich der Funktionssysteme Harnorgane,
Arme und Beine. Die darüber hinaus vorliegenden Erkrankungen insbesondere im Bereich der Funktionssysteme Gehirn einschließlich
Psyche, Rumpf, Stoffwechsel und innere Sekretion bedingen nach übereinstimmenden Beurteilungen der gehörten Sachverständigen
und des Beklagten keinen Einzel-GdB von mehr als 10 und sind damit nach Teil A Nr. 3.d.ee Satz 1 VMG mangels Vorliegens von
Ausnahmefällen für die Bildung des Gesamt-GdB nicht relevant. Die Klägerin ist dem nicht substantiiert entgegengetreten.
Im Bereich des Funktionssystems Harnorgane leidet die Klägerin zum einen an einer Einnierigkeit, die als solche nach Teil
B Nr. 12.1.1 VMG mit einem Einzel-GdB von 25 zu bewerten ist. Da es sich nicht um das einzige Leiden handelt, ist eine Aufrundung
auf einen GdB von 30 nicht geboten (Wendler/Schillings, VMG, 9. Aufl. 2018, S. 25; vgl. auch Urteil des Senats vom 30.01.2015
- L 13 SB 381/13, juris Rn. 21). Eine Bewertung mit einem GdB von 30 ergibt sich auch nicht aus einem krankhaften Befund der verbliebenen
Niere. Nach den überzeugenden versorgungsärztlichen Stellungnahmen lag ein solcher krankhafter Befund bis zuletzt nicht vor.
Soweit das MVZ Herford-Bünde in seinem Bericht vom 22.08.2019 erstmals eine "geringfügig eingeschränkte Nierenfunktion" angibt,
führt Dr. E überzeugend aus, dass lediglich geringfügige Urinveränderungen beschrieben werden, die eine Anhebung nicht rechtfertigen.
Ebenfalls dem Funktionssystem Harnorgane ist die 2019 hinzugetretene Blasenentleerungsstörung bzw. Harninkontinenz zuzurechnen.
Blasenentleerungsstörungen leichten Grades bedingen gemäß Teil B Nr. 12.2.2 VMG einen GdB von 10. Bei stärkeren Störungen,
die etwa bei Notwendigkeit manueller Entleerung, Anwendung eines Blasenschrittmachers, erheblicher Restharnbildung, schmerzhaftem
Harnlassen angenommen werden, ist ein GdB von 20-40 anzusetzen. Gemäß Teil B Nr. 12.2.4 VMG bedingt eine relative Harninkontinenz
mit leichtem Harnabgang bei Belastung einen GdB von 0-10, bei Harnabgang tags und nachts im Sinne einer Stressinkontinenz
Grad II-III einen GdB von 20-40. Im Entlassungsbericht des UKM vom 05.10.2019 heißt es, anamnestisch bestehe eine Belastungsinkontinenz
Grad I-II, die aber nicht objektivierbar gewesen sei und eine neurogene Blasenentleerungsstörung. Auch wenn die Inkontinenz
dort nicht objektivierbar war und selbst nach den Angaben der Klägerin lediglich zwischen Grad I und II anzusiedeln ist, kann
unter Berücksichtigung der Blasenentleerungsstörung und eines sekundären Beckenschmerzsyndroms entsprechend den Ausführungen
von Dr. E ein Einzel-GdB von 20 angenommen werden.
Dr. E führt diese beiden Werte zu einem Einzel-GdB von 30 für das Funktionssystem Harnorgane zusammen. Der Senat lässt dahinstehen,
ob dies angesichts des Fehlens funktioneller Beeinträchtigungen infolge der Einnierigkeit zutreffend ist (s. dazu sogleich
im Rahmen der Gesamt-GdB-Bildung).
Im Bereich der oberen Extremitäten besteht neben einer von Dr. Dr. X als endgradig beschriebenen Einschränkung der Beweglichkeit
der rechten Schulter insbesondere eine Beeinträchtigung der Hände aufgrund arthrotischer Veränderungen und nachgelagert auch
aufgrund sensibler Beeinträchtigungen. In den Berichten verschiedener Behandler wurde eine Einschränkung des Faustschlusses
bis zu 1cm angegeben. Dr. Dr. X sah eine deutliche Kraftminderung beim Faustschluss. Ihm gegenüber gab die Klägerin allerdings
auch an, weiterhin zu nähen, etwa Gardinen und Kreuzworträtsel zu lösen. Dr. E führt überzeugend aus, dass bei diesem Befund
keine Vergleichbarkeit mit Katalogfällen für einen GdB von 30 im Bereich der Hände gegeben ist. Nach Teil B Nr. 18.13 VMG
ist ein GdB von 30 im Bereich der Hände erst vorgesehen bei Verlust zweier Finger einschließlich eines Daumens oder der Versteifung
eines Handgelenkes in ungünstiger Stellung.
Im Bereich der unteren Extremitäten finden sich funktionelle Beeinträchtigungen durch das Zusammenwirken von arthrotischen
Veränderungen, Fersensporn und sensiblen Beeinträchtigungen in Folge der diabetogenen Polyneuropathie, die sich nach den Ausführungen
von Dr. Dr. X in einem etwas schleifenden Gangbild äußern. Sowohl Dr. Dr. X, als auch Dr. E bewerten dies mit einem Einzel-GdB
von 20. Eine Vergleichbarkeit mit einem vollständigen Ausfall des Nervus tibialis oder einer Versteifung des oberen und unteren
Sprunggelenkes in günstiger Stellung, die nach Teil B Nr. 18.14 VMG jeweils erst einen Einzel-GdB von 30 erlauben, liegt danach
nicht vor.
Auch wenn das Funktionssystem Harnorgane mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten und als das führende Leiden anzusehen sein
sollte, wird dieser Wert durch die beiden Einzel-GdB von 20 für Arme und Beine nicht auf 50 erhöht. Zwar betreffen diese drei
Einzel-GdB unterschiedliche Funktionssysteme und es liegt auch keine Überschneidung der funktionellen Auswirkungen vor. Die
Funktionsbeeinträchtigungen verstärken sich aber auch nicht gegenseitig. Laut Dr. E sind die Einzel-GdB von 20 eher schwache
Werte, was gegen ihre erhöhende Wirkung spricht.
Entscheidend ist aus Sicht des Senats, dass die Einnierigkeit praktisch zu keinen funktionellen Beeinträchtigungen führt.
Dass bei Einnierigkeit gefährliche Sportarten oder vergleichbare körperliche Tätigkeiten vermieden werden sollten, fällt praktisch
kaum ins Gewicht (vgl. Urteil des Senats vom 30.01.2015 - L 13 SB 381/13, juris Rn. 28). Die Klägerin schildert passend hierzu auch keine Beeinträchtigungen aufgrund der Einnierigkeit. Allein die
Vergabe eines Wertes von 25 in den VMG führt nicht zwangsläufig zu einer erhöhenden Wirkung. Das Urteil des BSG vom 27.01.1976 (8 RU 264/74) führt zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen erging es zum Recht der gesetzlichen Unfallversicherung. Zum anderen wird dort
als Mindestsatz eine MdE von lediglich 20 v.H. angenommen. Entscheidend ist aber, dass es im dortigen Fall allein um ein einzelnes
Leiden und nicht um die Beurteilung mehrerer Leiden in ihrer Gesamtheit ging. Wendler/Schillings (a.a.O, S. 272) leiten aus
dem Urteil des BSG zwar ab, dass eine Einnierigkeit erhöhend wirke, solange die Auswirkungen der übrigen Gesundheitsstörungen die des Nierenverlustes
nicht völlig in den Hintergrund treten ließen. Abgesehen davon, dass die Annahme einer grundsätzlich erhöhenden Wirkung nicht
überzeugt und aus dem Urteil des BSG auch nicht folgt, lässt die Beschwerdeschilderung der Klägerin aber gerade die Annahme zu, dass die Folgen der Einnierigkeit
bei ihr keine Rolle spielen.
Schließlich lässt der abschließend gebotene Gesamtvergleich die Annahme eines GdB von 50 nicht zu. Die VMG sehen einen GdB
von 50 etwa bei folgenden Einzelleiden vor: Nierenfunktionseinschränkung mittleren Grades (Teil B Nr. 12.1.3), völlige Harninkontinenz
(Teil B Nr. 12.2.4), Verlust der ganzen Hand (Teil B Nr. 18.13) oder Verlust eines Beines im Unterschenkel (Teil B Nr. 18.14
VMG). Hiermit ist die Gesamtheit der funktionellen Beeinträchtigungen der Klägerin, die maßgeblich unter eher leichten Beeinträchtigungen
im Bereich der Hände und Füße sowie Blasenentleerungsstörungen leidet und selbständig ihren Haushalt führt, nicht vergleichbar.
Eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen in Form der Einholung eines weiteren Gutachtens durch einen Arzt in Wohnortnähe
der Klägerin ist nicht erforderlich. Der Klägerin war es nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. E möglich und zumutbar,
zu der zunächst angeordneten persönlichen Untersuchung in C1 zu erscheinen. Da sie dies nicht getan hat, war die gerichtliche
Sachaufklärungspflicht beschränkt (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
103 Rn. 16). Die Mitwirkung an einer Begutachtung aufgrund ambulanter Untersuchung gehört zu den prozessualen Mitwirkungspflichten
im Sozialgerichtsprozess (vgl. Schmidt, a.a.O., Rn. 14a). Die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr eine Anreise
nach C1 nicht möglich bzw. zumutbar war. Sie hat insbesondere geltend gemacht, aufgrund der Inkontinenzsymptomatik regelmäßig
eine Toilette aufsuchen zu müssen. Die Nutzung von Toiletten in Zügen sei ihr aber nicht möglich. Außerdem bestünden Beckenschmerzen
infolge der Descensus-Operation, die längeres Sitzen verhinderten. Die Anreise vom Wohnort der Klägerin bis zum Sitz der Sachverständigen
dauert bei Nutzung eines KfZ laut google maps gut zwei Stunden pro Strecke. Von dem neben dem Wohnort der Klägerin liegenden
C2 fährt ein Zug in ca. eineinhalb Stunden bis C1. Gerade wenn längeres Sitzen für die Klägerin ein Problem darstellte, wäre
eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln, in denen sie jederzeit aufstehen könnte, vorzugswürdig gewesen. Dass die Nutzung
von Toiletten in Zügen nicht zumutbar sein sollte, ist nicht überzeugend. Die Bescheinigung des behandelnden Arztes Dr. H
enthielt keine Begründung. Auf ausdrückliche Nachfrage des Senats wollte der Arzt sich nicht weiter äußern. Gegen die Glaubhaftigkeit
der Angaben der Klägerin und von Dr. H sprechen zudem die sich teils widersprechenden und wechselhaften Angaben. Laut Dr.
H sollten ein Liegendtransport und eine Übernachtung am Begutachtungsort erforderlich sein. Die Klägerin schränkte dies direkt
dahingehend ein, dass nur ein Liegendtransport notwendig sei. Später machte sie nur noch die Notwendigkeit einer Anreise mittels
eines Taxis geltend.
Dem zwischenzeitlich gestellten Antrag auf Einholung eines Gutachtens aufgrund ambulanter Untersuchung nach §
109 SGG war nicht stattzugeben. Abgesehen davon, dass die Klägerin keinen konkreten Arzt benannt und den Antrag mit bzw. nach Zustimmung
zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht ausdrücklich aufrecht erhalten hat (vgl. hierzu jeweils Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
109 Rn. 4 und Leitherer, ebda., §
160 Rn. 18c), ist bei Nichtmitwirkung an einer Begutachtung aufgrund ambulanter Untersuchung nach §
106 SGG ohne wichtigen Grund auch kein entsprechendes Gutachten nach §
109 SGG zuzulassen (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.12.2018 - L 8 R 2569/17, juris Rn. 39; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11.12.2019 - L 13 SB 4/19, juris Rn. 38; Pitz in: jurisPK-
SGG, Stand: 28.02.2019, §
109 SGG Rn. 33.1; Mushoff in:, jurisPK-
SGG, Stand: 11.11.2020, §
103 SGG Rn. 38.1; Roller, in: Berchtold,
SGG, 6. Aufl. 2021, §
109 Rn. 23).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Anlass, die Revision nach §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, besteht nicht.