Unzulässigkeit der Anhörungsrüge im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
Gründe
Der Senat hat in der vorliegenden Besetzung über die Rechtsbehelfe des Klägers zu entscheiden, wobei anstelle der im Urlaub
befindlichen Richterin am Landessozialgericht G die nach dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan zur Vertretung berufene
Richterin am Sozialgericht N mitwirkt. Der Kläger hat zudem mit Schriftsatz vom 14.07.2021 klargestellt, dass er keinen Befangenheitsantrag
gegen die am Beschluss vom 17.06.2021 mitwirkenden Richterinnen und Richter stellen möchte.
Die mit Schriftsätzen vom 23.06.2021 und 04.07.2021 eingelegten Rechtsbehelfe gegen den Beschluss des Senats vom 17.06.2021
im Verfahren L 15 U 151/21 B ER sind unzulässig.
1. Die vom Antragsteller ausdrücklich erhobene, nach Maßgabe von §
178a Abs.
1 Nr.
1 SGG statthafte und auch gemäß §
178a Abs.
3 Satz 1
SGG fristgerecht eingelegte Anhörungsrüge ist unzulässig, weil der Antragsteller nicht, wie es §
178a Abs.
2 Satz 5
SGG verlangt, dargelegt hat, dass der Senat den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör gemäß §
62 SGG, Art.
103 Abs.
1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Sie ist deshalb als unzulässig zu verwerfen (§
178a Abs.
4 Satz 1
SGG).
Die Darlegung einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erfordert einen substantiierten
Vortrag, aus dem sich ableiten lässt, in welcher Weise das rechtliche Gehör nicht gewährt worden ist; zumindest sind im Wege
einer eigenständigen Auseinandersetzung schlüssig die Umstände aufzuzeigen, aus denen sich die Verletzung des rechtlichen
Gehörs durch das Gericht ergibt. Dabei sind diese Maßstäbe für anwaltlich nicht vertretene Beteiligte weniger streng zu handhaben
(vgl. BSG, Beschl. v. 07.11.2017 - B 10 ÜG 21/17 C -, juris Rn. 10 m.w.N.). Auch bei diesen genügen indes nicht pauschale und allgemein
gehaltene Behauptungen von Gehörsverletzungen (Flint, in: jurisPK-
SGG, §
178a Rn. 68).
Art
103 Abs.
1 GG verpflichtet ebenso wie §
62 SGG die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot der Gewährung
rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, welche ihren Grund
in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. Dieses Gebot verpflichtet
die Gerichte allerdings nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl. BVerfGK 14, 238, 241 f. unter Hinweis auf
BVerfGE 64, 1, 12 und BVerfGE 87, 1, 33). Art.
103 Abs.
1 GG gewährt auch keinen Anspruch auf eine "richtige" Entscheidung (BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Zweiten Senats v. 31.03.2016
- 2 BvR 1576/13 -, juris Rn. 71). Ebenso wenig brauchen Gerichte jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden; es muss nur
das Wesentliche der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden
(stRspr des BVerfG, z.B. BVerfGK 13, 303, 304 f.; BVerfGK 7, 485, 488), soweit dieses nicht nach dem Rechtsstandpunkt des
erkennenden Gerichts unerheblich oder unsubstantiiert war (BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Ersten Senats v. 12.09.2016 -
1 BvR 1311/16 -, juris Rn. 3) und wobei als Regel davon auszugehen ist, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten
auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Zweiten Senats v. 23.07.2003 - 2 BvR 624/01 -, juris Rn. 16).
Für eine zulässige Anhörungsrüge bedarf es daher nach §
178a Abs
2 S 5
SGG einer in sich schlüssigen Darstellung, dass trotz der genannten Grenzen des Prozessgrundrechts eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs in entscheidungserheblicher Weise vorliege (BSG, Beschl. v. 26.10.2012 - B 6 KA 3/12 C -, juris Rn. 4). Hierzu gehört auch die Darlegung, weshalb ohne die vermeintliche
Gehörsverletzung ausgehend von der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts eine für den Rügeführer günstigere
Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann (BSG, Beschl. v. 25.04.2017 - B 12 KR 2/17 C -, juris Rn. 4 m.w.N). Soweit dagegen die zur Begründung der vermeintlichen Gehörsverletzung
gemachten Ausführungen nur darauf abzielen, die Richtigkeit einer angegriffenen Entscheidung zu beanstanden, verfehlt dies
den Zweck der Anhörungsrüge und macht sie insgesamt unzulässig (BSG, Beschl. v. 07.01.2016 - B 9 V 4/15 C - juris Rn. 6 m.w.N.). Die Anhörungsrüge kann deshalb nicht dazu dienen, das Gericht unabhängig vom Vorliegen eines Gehörsverstoßes
zur Überprüfung einer dem Beteiligten ungünstigen Rechtsauffassung zu veranlassen (Flint, in: jurisPK-
SGG, §
178a Rn. 72). Auch die Behauptung des rügenden Beteiligten, das Gericht habe dem Vortrag nicht die richtige Bedeutung für weitere
tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen, ist dementsprechend als Rüge einer Verletzung rechtlichen Gehörs offensichtlich
ungeeignet (vgl. BVerfG, Beschl. der 2. Kammer des Zweiten Senats v. 11.09.2015 - 2 BvR 1586/15 -, juris Rn. 4).
Nach diesen Grundsätzen genügt das Vorbringen des Antragstellers den Anforderungen von §
178a Abs.
2 Satz 5
SGG offensichtlich nicht. Der Antragsteller wendet sich allein gegen die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des Senats,
die er mehrfach als "rechtsfehlerhaft" oder "willkürlich" bezeichnet. Ausdrücklich sieht er die angebliche Verletzung rechtlichen
Gehörs durch den Senat darin, dass dieser die Angaben des Antragstellers "nicht vollständig berücksichtigt, seine Angaben
nicht abgewägt (...) und die unvollständigen bzw. unterlassenen Amtsermittlungen durch das Vordergericht und die Ag. bzw.
Bg. nicht berücksichtigt sowie bei der zwingend gebotenen Abwägung ignoriert" habe. Damit erhebt er eine zur Geltendmachung
einer Verletzung von Art.
103 Abs.
1 GG von vornherein ungeeignete Rüge. Auch im Übrigen legt der Antragsteller nicht dar, welchen konkreten, nach der Rechtsauffassung
des Senats relevanten und erheblichen Vortrag im einstweiligen Anordnungs- und im Beschwerdeverfahren der Senat bei seiner
Entscheidung nicht berücksichtigt haben soll und aufgrund welcher besonderen Umstände davon auszugehen sein soll, dass der
Senat abweichend von der geltenden Regelvermutung diesen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen und erwogen haben soll. Soweit
er schließlich die unterbliebene Beiladung der Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit rügt, legt er nicht
dar, dass er einen entsprechenden Beiladungsantrag im einstweiligen Anordnungsverfahren überhaupt gestellt und im Beschwerdeverfahren
aufrecht erhalten hat sowie dass und warum die Entscheidung des Senats auf der fehlenden Beiladung beruhen können soll, obwohl
noch nicht einmal die Voraussetzungen für eine einfache Beiladung nach §
75 Abs.
1 Satz 1
SGG, nämlich berechtigte Interessen der Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, vorlagen, die Entscheidung
über die einfache Beiladung im Ermessen des Senats stand und auf einer unterbliebenen einfachen Beiladung eine Entscheidung
grundsätzlich nicht beruhen kann (vgl. Gall, in: jurisPK-
SGG, §
75 Rn. 177).
2. Da der anwaltlich nicht vertretene Antragsteller mehrfach den Begriff der "Gegenvorstellung" verwendet hat, geht der Senat
davon aus, dass der Antragsteller neben der Anhörungsrüge, deren Inhalt und Reichweite er zudem nach den vorstehenden Ausführungen
grundlegend verkennt, auch eine Gegenvorstellung erheben möchte. Diese ist ebenfalls unzulässig.
Der Senat folgt der mittlerweile überwiegend vertretenen Auffassung, dass eine Gegenvorstellung gegen nicht mehr abänderbare
Entscheidungen nicht statthaft ist (so z.B. BSG, Beschl. v. 17.10.2017 - B 6 KA 5/17 C -, juris Rn. 6; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
178a Rn. 12, jeweils m.w.N.). Hierzu gehören auch die gemäß §
177 SGG unanfechtbaren Entscheidungen des Landessozialgerichts in Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, die in materielle
Rechtskraft erwachsen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.04.2016 - L 9 KR 150/16 B ER RG -, juris Rn. 12).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
178a Abs.
4 Satz 3
SGG).