Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - keine Entscheidungserheblichkeit der
Rechtsfrage bei fehlerhafter Rechtsanwendung - Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Angemessenheitsprüfung - schlüssiges
Konzept - Produkttheorie - keine Überschreitung der Gesamtangemessenheitsgrenze
Gründe
I.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Klägerin) begehrt die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts
(SG) Dessau-Roßlau und die Durchführung des Berufungsverfahrens zu ihrer Klage, mit der sie sich gegen eine Erstattungsforderung
von 633,08 € bei endgültiger Festsetzung für die Monate Januar, Februar, September und Oktober 2017 wendet.
Die im Jahr 1960 geborene Klägerin bezieht vom Beklagten und Beschwerdegegner (im Folgenden: Beklagter) Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Sie lebt gemeinsam mit ihrem Ehemann, der Altersrente bezieht, zur Miete in einem Einfamilienhaus. Die Miete (ohne Stromkosten)
beträgt insgesamt 353 € (Grundmiete 286 €, Betriebskosten 67 €). Heizkosten gab die Klägerin gegenüber dem Beklagten nicht
an. Die Warmwasserbereitung erfolgt dezentral. Im Oktober 2017 zahlten die Klägerin und ihr Ehemann die Abfallgrundgebühr
von 14,05 €.
Die Klägerin erzielte im streitigen Zeitraum ein geringfügiges Einkommen aus ihrer selbstständigen Tätigkeit (jeweils unter
100 € monatlich). Ihr Ehemann bezog Altersrente in Höhe von monatlich 456,41 € im Januar und Februar 2017 und von 470,99 €
im September und Oktober 2017. Zudem erzielte er Einkommen aus Tätigkeiten bei der TSG T. Gebäudedienstleistungen GmbH und der Werkzeugprofi KG. Im Januar 2017 flossen ihm 822,91 € (brutto 918,58 €) sowie aus
Dezember 2016 weitere 161,41 € zu. Im Februar 2017 erzielte er Einkommen mit Zufluss im laufenden Monat in Höhe von 242,65
€ (brutto 271,50 €). Im August 2017 erzielte er Einkommen in Höhe von 251,94 € und im September 2017 in Höhe von 209,95 €.
Der Zufluss erfolgte im Folgemonat.
Mit vorläufigem Bescheid vom 24. November 2016 in der Fassung des vorläufigen Änderungsbescheids vom 26. November 2016 bewilligte
der Beklagte der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Mai 2017 Leistungen der Grundsicherung in Höhe von monatlich
534,26 €. Bei der Leistungsberechnung berücksichtigte der Beklagte für die Klägerin Kosten der Unterkunft (KdU) in Höhe von
157,80 € und im Rahmen der fiktiven Leistungsberechnung des Ehemanns der Klägerin dessen Einkommen aus der Altersrente.
Mit vorläufigem Bescheid vom 31. Mai 2017 in der Fassung des vorläufigen Änderungsbescheids vom 26. November 2016 bewilligte
der Beklagte der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Juni bis zum 30. November 2017 Leistungen der Grundsicherung in Höhe von
monatlich 534,56 € (im Oktober 548,61 €). Bei der Leistungsberechnung berücksichtigte der Beklagte für die Klägerin KdU in
Höhe von 158,10 € und im Rahmen der fiktiven Leistungsberechnung des Ehemanns der Klägerin dessen Einkommen aus der Altersrente.
Im Rahmen eines Datenabgleichs erlangte der Beklagte Kenntnis über die Einkommenserzielung des Ehemanns der Klägerin.
Mit Bescheid vom 2. Februar 2018 setzte der Beklagte die Leistungen der Klägerin endgültig fest: im Januar in Höhe von 0 €,
im Februar in Höhe von 503,76 €. Mit Bescheid vom gleichen Tag setzte der Beklagte die Leistungen der Klägerin endgültig fest:
im September in Höhe von 476,58 € und im Oktober in Höhe von 538,27 €. Mit Erstattungsbescheiden vom gleichen Tag machte er
gegenüber der Klägerin eine Erstattung von insgesamt 564,76 € für Januar und Februar 2017 und von insgesamt 68,32 € für September
und Oktober 2017 geltend.
Die dagegen gerichteten Widersprüche der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 30. April 2018 zurück:
Neben der Altersrente sei das erzielte Einkommen des Ehemanns zu berücksichtigen gewesen. Soweit es dessen Bedarf überstieg,
sei es bei der Klägerin bedarfsmindernd anzurechnen gewesen.
Dagegen hat die Klägerin unter dem 8. Mai 2018 Klage vor dem SG erhoben und zur Begründung vorgetragen, ihr Ehemann sei Altersrentner und somit nicht erwerbsfähig. Damit handle es sich
nicht mehr um eine Bedarfsgemeinschaft. Er könne sich etwas zu seiner Rente hinzuverdienen, ohne dass dies bei ihr bedarfsmindernd
zu berücksichtigen sei.
Mit Urteil vom 26. Oktober 2020 hat das SG die Klage abgewiesen: Die tatsächliche Gesamtmiete von 353 € habe der Beklagte wegen Unangemessenheit auf den angemessenen
Wert von 316,20 € gekürzt, wodurch sich für die Klägerin anteilige KdU von 158,10 € ergäben. Das Einkommen des Ehemanns der
Klägerin sei im Rahmen der sog. gemischten Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen gewesen, soweit es dessen eigenen Bedarf
überstiegen hat. Dessen Einkommen aus Erwerbstätigkeit sei um den Grundfreibetrag von 100 € nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II und den Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 3 Satz 2 SGB II zu bereinigen gewesen. Die Berufung sei nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung habe noch von
der obergerichtlichen Rechtsprechung abweiche.
Unter dem 17. Dezember 2020 hat die Klägerin wegen der Nichtzulassung der Berufung in dem ihr am 24. November 2020 zugestellten
Urteil Beschwerde beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt erhoben: Sie rügt die Besetzung der Richterbank. Im Termin
zur Erörterung der Sach- und Rechtslage habe nur eine Richterin den Vorsitz gehabt, während nunmehr das Urteil durch drei
Richter ergangen sei. Zudem gäben die Urteilsbegründung und die zitierten Paragraphen nicht die Rechtslage wieder. Zwar normiere
§ 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II ein Auskunftsverlangen gegenüber ihrem Ehemann, sie habe jedoch vom Beklagten nie Anfragen zu dessen Einkommen erhalten.
Darüber hinaus seien der Grundfreibetrag nach § 11b Abs. 2 SGB II und der Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 3 SGB II bei einer fiktiven Bedarfsgemeinschaft vom Gesamteinkommen (Zuverdienst und Altersrente) zu berücksichtigen. Ferner sei auch
die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) nicht eingehalten worden.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 26. Oktober 2020 zuzulassen und das Berufungsverfahren
durchzuführen.
Der Beklagte beantragt,
die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten
ergänzend Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.
II.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung ist zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdefrist von einem Monat gemäß
§
145 Abs.
1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) gewahrt.
Sie ist jedoch unbegründet. Nachdem die Berufung aufgrund des Streitgegenstands nicht bereits gesetzlich eröffnet ist (hierzu
unter 1.), hat das SG die Berufung gegen das Urteil vom 26. Oktober 2020 zu Recht nicht zugelassen, weil keiner der gesetzlichen Zulassungsgründe
(hierzu unter 2.) vorliegt.
1.
Ohne Zulassung ist die Berufung bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten
Verwaltungsakt betrifft, nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 750 € übersteigt. Die hier streitige
Erstattungsforderung über insgesamt 633,08 € überschreitet nicht den Wert von 750 €.
Da die Klage auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft, hätte die Berufung der Zulassung
durch das SG bedurft.
2.
Ist die Berufung nicht bereits gesetzlich eröffnet, ist sie gemäß §
144 Abs.
2 SGG zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr.
1), das Urteil von einer Entscheidung des LSG, des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser
Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird
und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr.3).
a) Der Entscheidung in der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn
ein Verfahren bisher nicht geklärte, aber klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfragen aufwirft, deren Klärung im allgemeinen
Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
Kommentar zum
SGG, 13. Auflage 2020, §
144 Rn. 28). Ungeklärte Rechtsfragen sind weder von den Beteiligten aufgeworfen noch aus dem Inhalt der Verfahrensakten für den
Senat ersichtlich.
Soweit das SG lediglich KdU von anteilig 157,80 € bzw. 158,10 € als Bedarf der Klägerin berücksichtigt und dies auf die vom Beklagten wegen
Unangemessenheit vorgenommene Kürzung gestützt hat, wäre zwar möglicherweise die zugrundeliegende Richtlinie des Beklagten
zur Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung auf ihre Schlüssigkeit hin zu prüfen gewesen (sog. schlüssiges Konzept).
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergibt sich hieraus gleichwohl nicht, da die Frage der Rechtmäßigkeit der Unterkunftsrichtlinie
nicht entscheidungserheblich ist. Denn der Beklagte hätte auch bei angenommener Unangemessenheit der Bruttokaltmiete eine
Absenkung der Aufwendungen nicht vornehmen dürfen, wenn sich - wie hier - die Unwirtschaftlichkeit eines Wohnungswechsels
aufdrängt (§ 22 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit Abs. 10 SGB II). Da die Klägerin keine Heizkosten geltend gemacht hat, hätten im Rahmen der Gesamtangemessenheit die tatsächlichen KdU übernommen
werden müssen. Auf die Frage der der Schlüssigkeit des zugrundeliegenden Konzepts des Beklagten kommt es nicht an.
Die rechtlichen Maßgaben der Anrechnung von Einkommen bei gemischten Bedarfsgemeinschaften sind geklärt (BSG, Urteil vom 15. April 2008, B 14/7b AS 58/06 R, juris).
b) Das SG weicht mit seiner Entscheidung auch nicht von der Rechtsprechung der in §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte ab (Divergenz). Der Zulassungsgrund liegt nur dann vor, wenn das Urteil des SG entscheidungstragend auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der von dem zur gleichen Rechtsfrage aufgestellten Rechtssatz
in einer Entscheidung eines der in §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte abweicht. Das SG müsste daher objektiv von einer höhergerichtlichen Entscheidung abgewichen sein.
Soweit das SG die eigene Prüfung der zu berücksichtigenden KdU unterlassen hat, handelt sich um einen Rechtsanwendungsfehler, der die Nichtzulassungsbeschwerde
nicht zu begründen vermag. Denn eine fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall unterfällt gerade nicht den in §
144 Abs.
2 SGG enumerativ aufgezählten Zulassungsgründen. Das SG hat in seinem Urteil hierzu gerade keinen eigenen abstrakten Rechtssatz aufgestellt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das SG die Einkommensbereinigung des Erwerbseinkommens ihres Ehemanns im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG nach § 11b Abs. 2 und 3 SGB II vorgenommen. Danach sind für die Einkommensberechnung die Vorschriften des SGB II anzuwenden, da es keine Rechtfertigung dafür gibt, den Altersrente beziehenden Ehemann hinsichtlich der vom Einkommen abzusetzenden
Beträge anders zu behandeln als ein potentiell anspruchsberechtigtes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft und dessen Einkommen
sich nach dem SGB II berechnet (BSG, a.a.O. Rn. 46). Entgegen der Auffassung der Klägerin finden § 11b Abs. 2 und 3 SGB II nur auf Erwerbseinkommen, nicht aber auf Einkommen aus Rente Anwendung.
c) Schließlich hat die Klägerin keinen beachtlichen Verfahrensmangel im Sinne des §
144 Abs.
2 Nr.
3 SGG gerügt. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift zum Ablauf des sozialgerichtlichen Verfahrens, deren Inhalt
zwingend zu beachten ist. Insofern kann die Beschwerde nicht auf einen sachlichen bzw. inhaltlichen Mangel der Entscheidung,
sondern nur auf das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg dorthin gestützt werden. Bei der Beurteilung, ob ein die
Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel unterlaufen ist, muss von der Rechtsauffassung des SG ausgegangen werden (zum Vorstehenden vgl. Leitherer a.a.O. § 144 Rn. 32 f.).
Soweit die Klägerin die fehlerhafte Besetzung der Richterbank rügt, hat das SG nicht gegen eine Vorschrift des äußeren Verfahrensgangs verstoßen. Gemäß §
12 Abs.
1 SGG wird die Kammer des SG mit einem Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen Richtern als Beisitzern zur Urteilsfällung - sei es aufgrund mündlicher Verhandlung,
sei es wie hier im schriftlichen Verfahren - tätig. Die Beteiligten haben auch ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne
mündliche Verhandlung nach §
124 Abs.
2 SGG erklärt.
Ferner bezieht sich die Rüge der Klägerin eines unberechtigten Datenabgleichs des Beklagten nur auf einen möglichen Rechtsfehler
im Rahmen des Verwaltungsverfahrens und nicht des Gerichts auf dem Weg zum Urteil. Gleiches gilt für die Rüge einer eventuellen
Nichteinhaltung der Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X. Weitere Verfahrensrügen lassen sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).