Tatbestand
Streitig ist die Rücknahme der Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Laut Unfallanzeige erlitt die 1969 geborene Klägerin am 27. Juni 2011 während einer Baubesichtigung mit ihrem damaligen Arbeitgeber
einen Zeckenbiss (Unfallanzeige der m_____________ GmbH vom 2. Dezember 2012). Die Beklagte nahm daraufhin entsprechende Ermittlungen
auf, holte diverse Befund- bzw. Behandlungsberichte ein und teilte schließlich der Krankenkasse der Klägerin mit, dass sie
den Zeckenbiss vom 27. Juni 2011 als Arbeitsunfall anerkenne und dass nachträglich Verletztengeld auszuzahlen sei (Schreiben
vom 12. Februar 2014). Außerdem übersandte die Beklagte an die Klägerin eine Abschrift der Mitteilung an die Krankenkasse
mit der Bitte, diese zu ihren Unterlagen zu nehmen (weiteres Schreiben vom 12. Februar 2014).
Nach ergänzend eingeholten Befund- und Entlassungsberichten nahm die Beklagte das "Schreiben" vom 12. Februar 2014 ohne eine
vorherige Anhörung der Klägerin nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft wieder zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass zum einen nicht im Vollbeweis bewiesen sei,
dass der Zeckenstich tatsächlich während der Arbeitszeit bzw. der versicherten Tätigkeit erfolgt sei. Zum anderen lasse sich
nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisen, dass die bei der Klägerin diagnostizierte Lyme-Borrelliose durch den
am 27. Juni 2011 entdeckten Zeckenstich hervorgerufen worden sei. Die Klägerin sei mehrfach von Zecken gestochen worden; außerdem
sei eine Saugdauer von ca. 2 1/2 Stunden für die Übertragung von Borrellien nicht ausreichend (Bescheid vom 25. November 2014).
Den hiergegen am 15. Dezember 2014 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte zurück. Dabei führte sie als einen weiteren Grund
für die Rücknahmeentscheidung an, dass außerdem der Zusammenhang zwischen dem Zeckenbiss und der versicherten Tätigkeit fraglich
sei. Ein solcher Zusammenhang wäre erst dann gegeben, wenn die Zecke während des Aufenthaltes auf der Baustelle auf den Körper
der Klägerin gelangt sei. Nach den Erfahrungen des täglichen Lebens dauere es aber oft mehrere Stunden, bis es nach dem Auflesen
der Zecke zu dem Stich komme. Es sei daher davon auszugehen, dass die Klägerin die Zecke bereits vor dem Betreten der Baustelle
aufgelesen und sich bei dem späteren Stich kein Risiko der beruflichen Tätigkeit verwirklicht habe (Widerspruchbescheid vom
5. Mai 2015).
Hiergegen hat die Klägerin am 4. Juni 2015 beim Sozialgericht Lübeck Klage erhoben und geltend gemacht, dass sie den Zeckenstich
unstreitig während ihrer Arbeitszeit erlitten habe. Es liege in der Natur der Sache, dass ihr Arbeitgeber und der weiter auf
der Baustelle befindliche Zeuge den Vorgang des Zeckenstichs nicht hätten wahrnehmen können. Dennoch sei das Ereignis örtlich
und zeitlich bestimmbar, weil die Zecke von zwei Zeugen während des dienstlichen Aufenthalts der Klägerin festgestellt worden
sei. Dabei könne aufgrund des Zeckenstichs im Halsbereich ausgeschlossen werden, dass sich dieser außerhalb der Dienstzeit
ereignet habe. Anderenfalls wäre die Zecke an einem so sichtbaren Körperbereich entdeckt worden. Soweit sich nach den Feststellungen
der S_________ Kliniken mehrere Zeckenstiche ereignet haben sollen, sei zu berücksichtigen, dass die beschriebenen Behandlungen
und Diagnosen nicht der Feststellung eines Arbeitsunfalls gedient hätten. Auch der Bericht von Dr. M___ bezöge sich auf angebliche
Angaben der Klägerin, sie hätte zwei Zeckenstiche erlitten, was aber nicht den Tatsachen entspreche.
Das Sozialgericht hat zu dem Verfahren die Verwaltungsakten beigezogen und die Klage mit Urteil vom 28. September 2017 abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der zurückgenommene Bescheid vom 12. Februar 2014 sei von Anfang an rechtswidrig
gewesen, weil ein Arbeitsunfall nicht vorgelegen habe. Ein solcher sei nicht nachgewiesen. Es stehe nicht fest, dass sich
der Zeckenstich während der Arbeitszeit ereignet habe. Dass sich der Zeckenstich bereits zuvor ereignet habe, sei ebenso möglich,
denn die Klägerin habe sich am Wochenende in der Natur aufgehalten. Auch für den Fall, dass die Klägerin die Zecke zuvor aufgelesen
und diese erst während der versicherten Tätigkeit zugestochen habe, sei der Nachweis eines Arbeitsunfalls abzulehnen, weil
sich dann nicht das Risiko der versicherten Tätigkeit verwirklicht habe.
Gegen das Urteil (zugestellt am 23. November 2017) wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung vom 20. Dezember 2020. Zur
Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, das Sozialgericht stütze seine Entscheidung allein auf die Feststellung eines fehlenden
Beweises hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen des §
8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII). Auch berufe sich das Sozialgericht auf eine nicht näher begründete und dargelegte Sachkenntnis hinsichtlich des Verhaltens
blutsaugender Ektoparasiten. Zudem lasse es den zum Teil unstreitigen und/oder unter Beweis gestellten Sachverhalt der Klägerin
außer Betracht. Dabei stelle das Sozialgericht in rechtswidriger Weise Beweisanforderungen auf, die den Anspruch der Klägerin
von vornherein ausschlösse. Auch schöpfe es nicht die zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen für den Sachverhalt aus. Es
stehe fest, dass sie - die Klägerin - am 27. Juni 2011 einen Zeckenstich erlitten habe. Dieser könne bezeugt werden und sei
von Dr. B_____ diagnostiziert worden. Schon dieser Umstand stelle eine Gesundheitsbeschädigung dar. Soweit die Beklagte in
Abrede stelle, dass sich der Zeckenstich während der Arbeitszeit ereignet habe, könne das durch die auf der Baustelle Anwesenden
bezeugt werden. Das Sozialgericht habe es ferner unterlassen, sich mit dem unter Beweis gestellten Sachvortrag auseinanderzusetzen.
Der Ort der Verletzung - Halsbereich - schließe es nahezu aus, dass sich der Zeckenstich vor der Arbeitszeit ereignet habe.
Das Sozialgericht habe schließlich auch keine alternativen Handlungsabläufe festgestellt, die begründete Zweifel an dem geschilderten
Geschehensablauf zuließen. Eine Anhörung der Klägerin hierzu habe nicht stattgefunden. Zudem sei in Wissenschaft und Lehre
anerkannt, dass bei einer unfachmännischen Entfernung einer Zecke bzw. bei Ausübung von Druck auf den Körper des Tieres, bereits
Borrelien in die Stichwunde austreten könnten. Ein solcher Geschehensablauf sei wahrscheinlicher als die Behauptung, dass
durch einen nicht näher bestimmten alternativen Geschehensablauf Borrelien in den Blutkreislauf der Klägerin gelangt seien.
Zudem sei die herrschende ärztlich-wissenschaftliche Lehrmeinung maßgeblich, weshalb als Ausgangsbasis für die Feststellung
des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes Fachbücher und Standardwerke heranzuziehen seien, insbesondere zur Begutachtung
im jeweiligen Bereich. Die vorliegend unstreitig festgestellte Erkrankung einer Lyme-Borreliose stelle eine nach dem aktuellen
wissenschaftlichen Erkenntnisstand typische Erkrankung infolge der durch einen Zeckenstich übertragenen Erreger dar. Nach
alledem fehle es an dem Nachweis der Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Bescheides.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 28. September 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 25. November 2014 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2015 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Zur Klärung des Sachverhalts hat der Senat die Klägerin zunächst um konkrete Auskünfte hinsichtlich der örtlichen Begebenheiten
auf der betreffenden Baustelle sowie um Angaben ihrer Tätigkeiten am Wochenende zuvor gebeten. Hierauf hat die Klägerin mit
Schriftsatz vom 23. Dezember 2019 entsprechende Angaben gemacht. So habe es sich bei dem 27. Juni 2011 um einen warmen und
sonnigen, mit bis zu 28 Grad Celsius warmen Tag gehandelt; am Tag zuvor sei es bedeckt gewesen, am 25. Juni 2011 habe es geregnet.
Bei der betreffenden Baustelle habe es sich um ein Grundstück gehandelt, auf dem sich ein Einfamilienhaus befunden habe, das
von Rasen umgeben und von zwei Seiten mit einem Knick mit Gräsern, Gestrüpp und Bewuchs umfriedet gewesen sei. Sie habe am
27. Juni 2011 festes Schuhwerk mit Füßlingen, eine hochgekrempelte dunkle Jeans, ein nicht enganliegendes dunkelblaues T-Shirt
und darunter einen BH getragen. Am 25. Juni 2011 habe sie im Wesentlichen im Büro private und geschäftliche Steuererklärungen
gefertigt; zuvor und im Anschluss sei sie zu Hause gewesen. Am 26. Juni 2011 sei sie mit ihrer Familie zu Hause geblieben;
sie gehe davon aus, dass sie die Ferienwohnung geputzt habe.
Daneben hat der Senat noch gemäß §
103 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf zoologischem Fachgebiet Frau Prof. Dr. Ma__________ gehört, die mit schriftlichen Ausführungen vom 28. September 2020
im Wesentlichen mitgeteilt hat, dass Zecken, die auf den Wirt gelangt sind, meistens wandern, aber nicht immer, bevor sie
zustechen. Bevorzugt seien Körperstellen, die feucht sind; prinzipiell könnten sie aber auch überall zustechen. Es sei nicht
ungewöhnlich, dass Zecken erst nach einer gewissen Zeit zustechen. Der Zeitraum könne allerdings zwischen wenigen Minuten
bis mehreren Stunden liegen. Auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin am 27. Juni 2011 getragenen Kleidung könne der
Zeitraum des Herumwanderns einer Zecke nicht näher eingegrenzt werden, weil es zum Beispiel davon abhinge, in welcher Höhe
die Zecke von der Klägerin abgestreift wurde und um welches Entwicklungsstadium der Zecke es sich gehandelt habe. Bei einer
Temperatur von 28 Grad Celsius seien Zecken, insbesondere wirtssuchende Exemplare, aktiv. Habe es sich um einen Holzbock gehandelt,
werde darauf hingewiesen, dass sich es sich dabei um keine sich schnell bewegende Zeckenart handle. Erwachsene Zecken bewegten
sich üblicherweise schneller als wenige Millimeter große Nymphen. Wenn die Klägerin freiliegende Knöchel gehabt habe, sei
es möglich, dass eine Zecke von dort aus auf die Klägerin übergangen sei. Ebenso sei möglich, dass die Zecke vom Arm in das
T-Shirt gewandert sei. Genauer könne das nachträglich nicht geklärt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der Senatsberatung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat ihre Klage zu Unrecht abgewiesen.
1. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Anfechtungsklage (§
54 Abs.
1 SGG) der Klägerin hat Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 25. November 2014 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 5. Mai
2015 (die Rücknahme der Anerkennung des Arbeitsunfalls vom 27. Juni 2011) ist rechtswidrig und kann keinen Bestand haben.
2. Zwar kann ein Verwaltungsakt, der einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet hat (hier: das Schreiben vom 12. Februar
2014 über die Anerkennung eines Arbeitsunfalls), nach den Maßgaben in § 45 SGB X auch dann noch mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden, wenn er schon unanfechtbar geworden ist. Das setzt formalrechtlich
aber zunächst voraus, dass derjenige, in dessen Rechte durch die Rücknahmeentscheidung eingegriffen wird, vorher Gelegenheit
gehabt hat, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern (§ 24 SGB X).
a) Vorliegend hat es die Beklagte aber versäumt, die Klägerin vor der beabsichtigten Rücknahmeentscheidung anzuhören. Dieser
Mangel ist - anders als das Sozialgericht meint - im Vorverfahren nicht geheilt worden.
Zwar kann eine versäumte Anhörung noch im Verwaltungsverfahren bis zu dessen Abschluss durch den Erlass eines Widerspruchsbescheides
als auch im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden. Ausreichend ist das aber nur, wenn dem Beteiligten in dem angefochtenen
Bescheid die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte mitgeteilt werden und er Gelegenheit zur sachgerechten Äußerung im Widerspruchsverfahren
erhält. Wichtig ist dabei stets, dass dem Beteiligten alle entscheidungserheblichen Tatsachen in dem im Vorverfahren angefochtenen
Bescheid genannt werden. Abzustellen ist hierbei auf die Sichtweise der Behörde, d.h. es müssen im Bescheid alle aus ihrer
materiell-rechtlichen Rechtsansicht erforderlichen entscheidungserheblichen Tatsachen enthalten sein. Werden demgegenüber
nicht alle entscheidungsrelevanten Tatsachen in den Bescheid aufgenommen, kann auch im Widerspruchsverfahren keine Heilung
hinsichtlich der zuvor versäumten Anhörung eintreten (vgl hierzu Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2.Aufl., § 24 SGB X <Stand: 1. Dezember 2017>, Rn. 65 m.w.N.).
Davon ist vorliegend aber auszugehen: So stützt die Beklagte ihre Entscheidung in dem Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2015
nicht nur auf die in dem angefochtenen Ausgangsbescheid vom 25. November 2014 benannten Aspekte (kein Vollbeweis für einen
Zeckenstich, kein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen Zeckenstich und Lyme-Borreliose), sondern maßgeblich
noch darauf, dass selbst im Fall eines während der Arbeitszeit erlittenen Zeckenstichs ein Zusammenhang mit der versicherten
Tätigkeit nur dann gegeben wäre, wenn die Zecke während des Aufenthaltes auf der Baustelle auf ihren Körper gelangt, aber
im Fall der Klägerin nicht nachgewiesen sei. Bezogen auf diesen, mit Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2015 erstmalig benannten
Umstand, konnte die unterbliebene Anhörung nicht gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X geheilt werden mit der weiteren Folge, dass die Beklagte die Aufhebung nicht auf diesen Aspekt stützen kann und eine gerichtliche
Prüfung insoweit nicht möglich ist.
b) Zudem liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides vom 12. Februar 2014 auch in materieller Hinsicht nicht
vor.
Anwendbarkeits- und Tatbestandsvoraussetzung für die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts (dazu aa) ist nach § 45 Abs. 1 SGB X, dass dieser rechtswidrig (dazu bb) ist. Von einer Rechtswidrigkeit in diesem Sinne ist auch dann auszugehen, wenn die in
dem zurückzunehmenden Bescheid eingeräumte begünstigende Rechtsposition erst auf der Grundlage später zu Tage getretener Erkenntnisse
bereits aus damaliger Sicht rechtsfehlerhaft war. Dabei muss die Rechtswidrigkeit der begünstigenden Entscheidung aber feststehen;
bloße Zweifel am Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen genügen nicht (vgl hierzu Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 2. April 2009 - B 2 U 25/07 R - juris m.w.N.).
aa) In diesem Zusammenhang bewertet der Senat das an die Klägerin gerichtete "Schreiben" der Beklagten vom 12. Februar 2014
zunächst als einen - begünstigenden - Verwaltungsakt. Ob ein Versicherter ein Schreiben der beklagten Berufsgenossenschaft
als bloße Mitteilung oder nach dem von der Beklagten darin zum Ausdruck gebrachten Willen als Verwaltungsakt i.S.d. § 31 SGB X verstehen muss, ist nach seiner Form, Wortlaut und Inhalt aus dem "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten auszulegen
(vgl. BSG, Beschluss vom 11. April 2018 - B 5 R 366/17 B -, juris; Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 31 SGB X <Stand: 27. November 2018>, Rn. 40.1).
Zwar hat die Beklagte mit diesem Schreiben lediglich ein weiteres, an die zuständige Krankenversicherung gerichtetes Schreiben
vom gleichen Tag zur Kenntnisnahme übermittelt, dem erst zu entnehmen ist, dass der Zeckenbiss vom 27. Juni 2011 als Arbeitsunfall
anerkannt wird. Angesichts des Umstands, dass die Beklagte das an die Krankenversicherung gerichtete Schreiben zur Kenntnis
beigefügt und die Klägerin mit dem an sie gerichteten Schreiben weiter den Hinweis darauf erhalten hat, dass es sich bei der
Verletztengeldzahlung um eine Leistung der gesetzlichen Unfallversicherung handelt, stellt bei Auslegung und aus Sicht eines
objektivierten Empfängers das an die Klägerin gerichtete Schreiben vom 12. Februar 2014 ersichtlich eine verbindliche Regelung
im Sinne des § 31 SGB X (hier: über die Anerkennung eines Arbeitsunfalls) dar. Dass dies auch die Absicht der Beklagten gewesen ist, hat deren Vertreterin
in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich eingeräumt.
bb) Maßgebliche Voraussetzung für die Rücknahme dieses (begünstigenden) Verwaltungsakts ist nach den vorangestellten Darlegungen,
dass er im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen ist. Dabei muss die Rechtswidrigkeit feststehen, weshalb eine Rücknahme
nur dann in Betracht kommt, wenn objektiv und im Sinne des Vollbeweises geklärt ist, dass unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse
die Voraussetzungen für den Erlass des begünstigenden Verwaltungsaktes nicht vorgelegen haben (vgl hierzu BSG , Urteil vom 2. April 2009 - B 2 U 25/07 R -, juris; auch BSG, Urteil vom 24. November 1988 - 9/9a RV 8/87 -, juris). Dies gilt selbst dann, wenn die in einem Bescheid eingeräumte Rechtsposition erst auf der Grundlage nachträglicher Erkenntnisse
bereits aus damaliger Sicht rechtsfehlerhaft war (vgl BSG, Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 27/06 R -, juris, Rn. 5). Insoweit trägt die materielle Beweislast für die die Rechtswidrigkeit ausfüllenden Tatsachen grundsätzlich die den begünstigenden
Verwaltungsakt zurücknehmende Behörde (vgl BSG, Urteil vom 19. März 1998 - B 7 AL 44/97 R -, juris, Rn. 25; BSG, Urteil vom 21. März 2007 - B 11a AL 21/06 R -, juris, Rn 18; BSG, Urteil vom 28. August 2007 - B 7/7a AL 10/06 R -, juris, Rn. 17; von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, Rn. 29 m.w.N.).
In dem hier anhängigen Verfahren steht aber gerade nicht fest (sondern ist allenfalls offen), ob der die Klägerin begünstigende
Verwaltungsakt vom 12. Februar 2014 tatsächlich - wie die Beklagte fortlaufend geltend macht - rechtsfehlerhaft ergangen ist.
Die Beklagte hat weder im Verwaltungs- noch im sozialgerichtlichen Verfahren Umstände benennen können, die eine Rechtswidrigkeit
für die Anerkennung des Arbeitsunfalls vom 27. Juni 2011 in dem dafür erforderlichen Beweismaßstab (Vollbeweis für die Tatbestandsmerkmale
eines Arbeitsunfalls, hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Ursachenzusammenhänge) belegen könnten. Allein die mittlerweile
bestehenden Zweifel der Beklagten daran, dass die Klägerin die Zecke tatsächlich während der am Unfalltag ausgeübten versicherten
Tätigkeit aufgelesen hat und dass sie von dem Tier tatsächlich während der Ausübung der Tätigkeit gestochen worden ist, reichen
ersichtlich nicht aus, um die hier angefochtene Rücknahmeentscheidung zu rechtfertigen. Hieran vermögen die weiteren Spekulationen
der Beklagten darüber, auf welche Art und Weise und bei welcher u.U. privaten Verrichtung die Klägerin sonst die Zecke aufgelesen
haben könnte, nichts zu ändern.
Auch anhand der im Berufungsverfahren durchgeführten Amtsermittlungen (§§
103,
106 SGG) lässt sich die Rücknahmeentscheidung der Beklagten nicht rechtfertigen. Nach den Angaben der vom Senat gehörten Sachverständigen
Prof. Dr. Mb_________ "wandern" Zecken zwar häufig, nachdem sie ein Wirt aufgelesen hat. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass
die Tiere erst nach gewisser Zeit zustechen; allerdings lässt sich weder der Zeitraum des "Herumwanderns" noch der bis zu
dem Stich näher eingrenzen. Letzterer kann zwischen wenigen Minuten bis zu mehreren Stunden betragen. Insgesamt gibt es aus
naturwissenschaftlicher Sicht eine Vielzahl von Möglichkeiten, wann und bei welcher Gelegenheit die Klägerin die Zecke aufgelesen
haben könnte.
Fest steht daher lediglich, dass bei der Klägerin am 27. Juni 2011 während der Ausübung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit
eine Zecke im Halsbereich entdeckt worden ist. Daneben ist weder bewiesen, dass die Klägerin die Zecke bei der Ausübung der
versicherten Tätigkeit aufgelesen hat und dass sie während der Ausübung der versicherten Tätigkeit von dem Tier gestochen
worden ist, noch hat sich der Senat vom Gegenteil überzeugen können. Bei einem solchen "non liquet" steht daher auch nicht
fest, dass die Klägerin zu dem vorliegend maßgeblichen Unfallzeitpunkt am 27. Juni 2011 - konkret: dem Stich durch die Zecke
- keine in sachlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende Verrichtung ausgeübt hat. Da sich auch im Übrigen
die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsakts vom 12. Februar 2014 über die Anerkennung des Arbeitsunfalls vom 27.
Juni 2011 nicht feststellen lässt, kann die Rücknahmeentscheidung der Beklagten keinen Bestand haben.
Abschließend weist der Senat darauf hin, dass die Beklagte in dem begünstigenden Bescheid vom 12. Februar 2014 zwar einen
Arbeitsunfall (mit einem Zeckenstich als Gesundheitsschaden) anerkannt hat; eine bestimmte Unfallfolge des Zeckenstichs (insbesondere:
die bei der Klägerin später diagnostizierte Lyme-Borrelliose) ist in dem Bescheid aber nicht ausdrücklich festgestellt worden.
Insofern kann sich aus dem Umstand, dass sich ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Zeckenstich am Unfalltag und der später
bei der Klägerin im Anschluss festgestellten Gesundheitsstörung u.U. bislang nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit
hat feststellen lassen, auch keine Berechtigung für die Rücknahmeentscheidung der Beklagten ergeben.
3. Schließlich ergibt sich die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 12. Februar 2014 auch nicht deshalb, weil andere Voraussetzungen
des Anspruchs auf Anerkennung des Arbeitsunfalls nicht vorgelegen haben.
Fehlt es demnach bereits an einem Nachweis der Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Bescheides, kam es auf die Frage einer
ermessensfehlerfreien (Rücknahme-)Entscheidung nicht mehr an.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch von einer Entscheidung eines
Obergerichts abgewichen wird (§
160 Abs.
2 SGG).