Anspruch auf Asylbewerberleistungen
Beschränkung des Leistungsanspruchs auf Reisebeihilfen bei Wohnsitznahme außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Leistungsträgers
auch bei Wohnsitzauflage
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.
Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§
173 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist angesichts der offenen Antragstellung - begehrt werden unspezifisch
die weitere Gewährung von Leistungen und die Zahlung dieser Leistungen durch Kontoüberweisung - angesichts des prozessualen
Meistbegünstigungsgrundsatzes von der Statthaftigkeit der Beschwerde (vgl. §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG) auszugehen.
Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung abgelehnt.
Soweit es dem Antragsteller insbesondere um die Auszahlung für den Monat Oktober 2018 bewilligter Leistungen geht, die der
Antragsgegner verweigert, weil er - der Antragsteller - sich in diesem Zeitraum durchgehend außerhalb seines Gebiets und damit
der Wohnsitzauflage zuwider aufgehalten habe, fehlt es bereits an der für den Anordnungsgrund erforderlichen Eilbedürftigkeit.
Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes scheidet die Verpflichtung zur Gewährung von Leistungen für in der Vergangenheit
liegende Zeiträume grundsätzlich aus. Der Antragsteller hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass eine durch die Vorenthaltung
dieser Leistungen in der Vergangenheit möglicherweise entstandene Notlage bis heute fortwirkt. Ihm ist deshalb ein Abwarten
der Hauptsacheentscheidung zuzumuten.
Soweit der Antragsteller aktuell die Zahlung von Leistungen begehrt, fehlt es ebenfalls an einem Anordnungsgrund. Dabei berücksichtigt
der Senat, dass der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 10. August 2018 Leistungen nach §
2 Abs.
1 und
2 Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG) für den Zeitraum bis 31. Januar 2019 in Höhe von monatlich 597,77 EUR - auszuzahlen an den Antragsteller in Höhe von monatlich
382,69 EUR per Scheck - bewilligt und diese Bewilligungsentscheidung bisher augenscheinlich nicht aufgehoben hat. Der Antragsteller
müsste nur in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners zurückkehren und dort entsprechend der Wohnsitzauflage seinen Wohnsitz
nehmen, um existenzsichernde Leistungen in gesetzlicher Höhe auch tatsächlich in Anspruch nehmen zu können. Dies ist dem Antragsteller
nach Lage der Dinge auch ohne Weiteres zuzumuten. Die Frage, inwieweit eine Umverteilung des Antragstellers bzw. die Aufhebung
der Wohnsitzauflage aus persönlichen Gründen (Herstellung einer Lebensgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin) beansprucht
werden kann, ist eine asyl- bzw. aufenthaltsrechtliche Frage, die der gerichtlichen Überprüfung durch die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit
vorbehalten ist.
Soweit der Antragsteller die Auszahlung der ihm bewilligten Leistungen durch Kontoüberweisung begehrt, fehlt es an einem Anordnungsanspruch.
Dies gilt schon deshalb, weil sein Leistungsanspruch durch Wohnsitznahme außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Antragsgegners
nach §
11 Abs.
2 AsylbLG auf - hier nicht begehrte - Reisebeihilfen beschränkt ist.
Nach §
11 Abs.
2 Satz 1
AsylbLG darf Leistungsberechtigten in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie sich einer asyl- oder ausländerrechtlichen
räumlichen Beschränkung zuwider aufhalten, von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde regelmäßig nur
eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Reise zu ihrem rechtmäßigen Aufenthaltsort gewährt werden.
Diese Vorschrift ist auch auf Personen anwendbar, die entgegen einer Wohnsitzauflage ihren Wohnsitz an einem anderen Ort genommen
haben (so Groth in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014 § 11 Rn. 29.1; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 11 Rn. 3; Deibel, ZFSH/SGB 2015, S. 117, 127; a.A. Siefert in: dies.,
AsylbLG, 1. Aufl. 2018, §
11 Rn. 25). Zwar ist - im Sinne der asyl- und aufenthaltsrechtlichen Begrifflichkeiten - die Wohnsitzauflage kein Unterfall
der räumlichen Beschränkungen; darauf deutet insbesondere die Systematik des § 61 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) hin.
Es entspricht jedoch dem klaren gesetzgeberischen Willen und dem Sinn und Zweck der Regelung, dass §
11 Abs.
2 AsylbLG auch für denjenigen Personenkreis gelten soll, der das Gebiet, für das eine Wohnsitzauflage erteilt ist, nicht nur vorübergehend
verlässt, sondern sich gewöhnlich außerhalb dieses Gebiets aufhält oder gar dauerhaft außerhalb dieses Gebiets seinen Wohnsitz
nimmt. So heißt es in der Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten
Ausländern (vom 23. Dezember 2014 [BGBl. I S. 2439]) ausdrücklich:
"Nach der Systematik der gesetzlichen Regelungen soll eine gerechte Verteilung der Sozialkosten zwischen den Ländern dadurch
gewährleistet werden, dass Sozialleistungen lediglich an dem Wohnort erbracht werden, auf den sich die Wohnsitzauflage bezieht.
Insbesondere sollen Asylbewerber und geduldete Ausländer, die unter Verstoß gegen eine Wohnsitzauflage in ein anderes Bundesland
umzuziehen, dort keine Ansprüche nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz geltend machen können." (BT-Drucks. 18/3144, S. 10).
Dieser Gedanke ist in der Begründung zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (vom 20. Oktober 2015 [BGBl. I S. 1722]), mit
dem der Gesetzgeber die Änderungen in §§ 10a, 11 Abs. 2
AsylbLG vorgenommen hat, nochmals aufgegriffen worden (BT-Drs. 18/6185, S. 47).
Die klare Zielsetzung der gesetzlichen Regelung würde konterkariert werden, würde man die Wohnsitzauflage nicht den räumlichen
Beschränkungen i.S. des §
11 Abs.
2 Satz 1
AsylbLG zurechnen. Dann nämlich bliebe der für den Ort der Wohnsitzauflage zuständige Leistungsträger auch bei einer tatsächlich
abweichenden Wohnsitznahme nach §
10a Abs.
1 Satz 1
AsylbLG für die Leistungsgewährung zuständig und müsste, weil die Voraussetzungen des §
11 Abs.
2 AsylbLG nicht erfüllt wären, dort dauerhaft ungekürzte Leistungen erbringen. Das auch aus Gründen der gerechten Verteilung der Sozialkosten
eingeführte Instrumentarium der Wohnsitzauflage könnte so keine Steuerungswirkung entfalten.
Ist die Regelung des §
11 Abs.
2 Satz 1
AsylbLG auf den Antragsteller anwendbar, steht sie dem geltend gemachten Anspruch entgegen, auch wenn der Antragsgegner seine Bewilligungsentscheidung
vom 10. August 2018 bisher nicht nach § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben hat. Denn der Antragsteller begehrt mit der Überweisung der Leistungen anstelle der Auszahlung mittels Scheck
einen anderen als den bisher gewährten Zahlungsweg. Er macht einen weitergehenden Anspruch geltend, für den die formellen
und materiellen Leistungsvoraussetzungen ungeachtet der fortwirkenden Bewilligungsentscheidung erneut zu überprüfen sind.
An einem Anordnungsanspruch würde es aber selbst dann fehlen, wenn §
11 Abs.
2 AsylbLG auf den Antragsteller nicht anwendbar wäre. Auch dann hätte der Antragsteller keinen spruchreifen Anspruch auf Auszahlung
der Leistungen durch Kontoüberweisung. Allerdings ist die Vorschrift des §
3 Abs.
6 Satz 1
AsylbLG, nach der Leistungen in Geld dem Leistungsberechtigten persönlich ausgehändigt werden sollen, auf den Antragsteller nicht
anwendbar. Der Antragsteller erhält und beansprucht Leistungen nach §
2 AsylbLG, so dass sich Art und Umfang der Leistungsgewährung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) richten. Dort gibt es - anders als etwa in § 42 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - keine spezifische Regelung dazu, in welcher Form Geldleistungen zu erbringen sind (vgl. § 10 SGB XII), so dass der zuständige Träger darüber nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen hat (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SGB XII). Eine Ermessensreduzierung auf Null zugunsten einer Kontoüberweisung vermag der Senat allerdings nicht zu erkennen, zumal
die Zahlung der Leistungen durch Scheck die Einhaltung der Wohnsitzauflage, die auch leistungsspezifischen Zwecken dient,
zumindest zu fördern vermag.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend §
193 Abs.
1 Satz 1, Abs.
4 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).