Jugendwohlfahrt- und Jugendförderungsrecht: Aufschiebende Wirkung des Widerspruchs eines Elternteils gegen Kostenbeitragsbescheid
im Jugendhilferecht - aufschiebende, Jugendhilfe, Kostenbeitrag, Widerspruch, Wirkung
Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den im Tenor genannten Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main ist zulässig,
insbesondere statthaft und rechtzeitig erhoben. Die Antragstellerin begehrt mit ihrer Beschwerde offensichtlich nicht mehr
die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes für ihren Widerspruch gegen einen weiteren Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. April
2006 bezüglich eines Kostenbeitrages für den Zeitraum vor dem 1. April 2006. Insofern folgt die Antragstellerin offenbar den
Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass dem von der Klägerin hiergegen eingelegten Widerspruch aufschiebende Wirkung zukomme,
was für diesen Bescheid von der Antragsgegnerin auch nicht bestritten werde, so dass es der Antragstellerin am Rechtsschutzinteresse
mangele.
Die so verstandene, auf den Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. April 2006 hinsichtlich eines Kostenbeitrages
für den Zeitraum ab dem 1. April 2006 beschränkte Beschwerde der Antragstellerin ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht
hätte den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht ablehnen dürfen.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts und der Antragsgegnerin hat der Widerspruch der Antragstellerin gegen den
im Tenor genannten Bescheid der Antragsgegnerin gemäß §
80 Abs.
1 S. 1
VwGO aufschiebende Wirkung. Da die Antragsgegnerin entgegen dieser Rechtslage die sofortige Vollziehbarkeit des genannten Bescheides
behauptet, ist auf Antrag der Antragstellerin festzustellen, dass ihr Widerspruch aufschiebende Wirkung hat.
Insbesondere ist im vorliegenden Fall die aufschiebende Wirkung nicht gemäß §
80 Abs.
2 S. 1 Nr.
1 VwGO entfallen. Nach der genannten Vorschrift entfällt die aufschiebende Wirkung unter anderem bei der Anforderung von öffentlichen
Abgaben und Kosten. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auf Seite 6 des Entscheidungsumdruckes ausgeführt, dass der festgesetzte
Kostenbeitrag nach §§ 91 ff. SGB VIII grundsätzlich nicht dem Begriff der öffentlichen Abgaben und Kosten in §
80 Abs.
2 S. 1 Nr.
1 VwGO unterfällt, weil hierunter nur solche Geldforderungen zu verstehen sind, die der Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs der
Verwaltung dienen. Auch wenn hierin nicht der alleinige Zweck bestehen muss, muss gleichwohl zumindest ein Ziel die Deckung
des allgemeinen Finanzbedarfs darstellen, weil nur insofern der Wegfall der aufschiebenden Wirkung gerechtfertigt erscheint.
Die Vorschrift ist als Ausnahmeregelung eng auszulegen (Kopp/Schenke,
VwGO, 14. Auflage, § 80, Rdnr. 56). Die Kostenbeiträge nach §§ 91 ff. SGB VIII stellen jedoch nach ihrem Zweck Zahlungen dar, die den Nachrang der Jugendhilfe wiederherstellen sollen. Sie sind an typischen
sozialrechtlichen Billigkeitsregelungen orientiert, die so im Bereich des allgemeinen Abgabenrechts fremd sind. Sie unterfallen
daher nicht den öffentlichen Abgaben und Kosten im Sinne von §
80 Abs.
2 S. 1 Nr.
1 VwGO. Diese Auffassung entsprach offenbar jedenfalls für den Zeitraum vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Weiterentwicklung der
Kinder - und Jugendhilfe vom 8. September 2005 (BGBl. I Seite 2729) allgemeiner Meinung (Hamburgisches OVG, Beschluss vom 25. Juli 1990 - Bs IV 180/90 - FEVS 41, 331 für die Regelungen nach dem früheren Jugendwohlfahrtsgesetz; OVG Greifswald, Beschluss vom 3. März 1999 -
1 M 4/99 -, NVwZ-RR 2000, 63; VG Ansbach, Beschluss vom 18. Januar 2005 - AN 14 S. 04.03142 - , Juris-Ausdruck; Schellhorn, in: Schellhorn u.a., SGB VIII/KJHG,
§
93, Rdnr. 11; Redeker/ v. Oertzen,
VwGO, 14. Aufl., §
80, Rdnr. 16). Anders lautende Gerichtsentscheidungen oder Literaturstellen aus dieser Zeit sind dem Senat nicht bekannt. Durch
die Neuregelung des Kostenbeitragsrechts in §§ 91 ff. SGB VIII durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe vom 8. September 2005 (a.a.O.) mit Wirkung ab dem 1. Oktober
2005 und Übergangsfristen bis zum 30. März 2006 (§ 97b SGB VIII in der derzeit geltenden Fassung) ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts eine Änderung dieser Rechtslage nicht
eingetreten.
Solches ergibt sich insbesondere nicht aus der Regelung in § 92 Abs. 2 SGB VIII derzeitige Fassung, wonach die Heranziehung durch Erhebung eines Kostenbeitrages erfolgt, der durch Leistungsbescheid festgesetzt
wird. Zwar hat die Bundesregierung in der Begründung zu ihrem Gesetzentwurf (BT-Drucks. 15/3676, S. 41) ausgeführt, die Vorschrift
bestimme, dass die Heranziehung künftig ausschließlich öffentlich-rechtlich durch Kostenbescheid erfolge und ersetze Abs.
1 der bisherigen Fassung, woraus gleichzeitig die Folgerung abgeleitet wurde, die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und
Anfechtungsklage gegen den Leistungsbescheid sei gemäß §
80 Abs.
2 Nr.
1 VwGO ausgeschlossen. Durch diese Fassung des § 92 Abs. 2 SGB VIII ist jedoch eine grundsätzliche Neuregelung der Rechtslage nicht erfolgt. Soweit das Verwaltungsgericht ausführt, eine entsprechende
Regelung habe seinerzeit § 91 SGB VIII in der früheren Fassung nicht enthalten, hat es wohl die Bestimmung in § 93 Abs. 1 S. 2 SGB VIII übersehen, der schon in der bis zum 30. September 2005 geltenden Fassung festlegte, dass der Kostenbeitrag durch Leistungsbescheid
festgesetzt wird. Hierauf bezogen sich offensichtlich auch die Ausführungen der Bundesregierung in der oben genannten Begründung
zum Gesetzentwurf, in dem ausgeführt wird, die (neue) Vorschrift ersetze Absatz 1 der bisherigen Fassung. Da somit bereits
nach der früher geltenden Regelung die Erhebung des Kostenbeitrages durch Leistungsbescheid vorgesehen war, ist mit der Neuregelung
in § 92 Abs. 2 SGB VIII insofern eine substantielle Änderung der Rechtslage nicht eingetreten. Zudem kann die von der Bundesregierung für ihren Gesetzentwurf
gegebene Begründung nicht in Gesetzeskraft erwachsen. Zwar mag bei der Bundesregierung und nachfolgend auch beim Bundestag
und Bundesrat die Auffassung vorgeherrscht haben, die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den
Leistungsbescheid entfalle nach §
80 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 VwGO, jedoch ist diese Auffassung nicht Inhalt des Gesetzes und damit nicht rechtsverbindlich geworden. Der Gesetzgeber hätte
die Möglichkeit gehabt, in Anbetracht der bisherigen, oben bereits aufgeführten Rechtsprechung eine Klarstellung vorzunehmen,
durch Anordnung der sofortigen Vollziehung unter Anwendung von §
80 Abs.
2 S. 1 Nr.
3 VwGO. Er hat dazu wohl keine Veranlassung gesehen, weil er von einem Wegfall der aufschiebenden Wirkung unter Anwendung der Nr.
1 der Vorschrift ausgegangen ist. Diese Bewertung ist jedoch nicht verbindlich, insbesondere nicht für die die Regelung in
§
80 Abs.
2 VwGO anwendenden Gerichte. Nach der Auffassung des Senats muss es daher auch nach der Neuregelung des § 92 Abs. 2 SGB VIII dabei bleiben, dass die Kostenbeiträge nach §§ 91 ff. SGB VIII nicht unter die öffentlichen Abgaben und Kosten des §
80 Abs.
2 S. 1 Nr.
1 VwGO fallen (so auch Stähr, in: Hauck, SGB VIII, Stand Mai 2006, § 90, Rdnr. 16; Kunkel, in: LPK-SGB VIII, 3. Auflage, § 90, Rdnr. 10 und Anhang Verfahren, Rdnr. 58; a.A. Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl. § 92, Rdnr. 11, der sich für diese Auffassung ebenfalls nur auf die Regierungsbegründung zum Gesetzentwurf beruft, und Schleswig-Holsteinisches
VG, Beschluss vom 12. Juni 2006 - 15 B 24/06 -, Juris-Ausdruck).
Insofern ist auch nicht der Stellungnahme des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht vom 21. Dezember 2005
zu folgen, von der die Antragsgegnerin im erstinstanzlichen Verfahren eine Kopie zur Gerichtsakte gereicht hat. Zunächst überzeugt
nicht der dort vorgenommene Vergleich mit der Erhebung von Elternbeiträgen für den Besuch einer Kindertageseinrichtung, die
von verschiedenen Gerichten als "öffentliche Abgaben" angesehen worden sind (vergleiche neben dem vom genannten Institut aufgeführten
VG Berlin etwa OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. September 1993 - 16 B 2069/93 -, NVwZ 1994, 198; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 17. August 1995 - BS IV 90/95 -, FamRZ 1996, 573 - nur Leitsatz). Zum einen ergingen diese Entscheidungen jeweils auf der einschlägigen landesrechtlichen Grundlage und zum
anderen hat etwa das Hamburgische OVG in seinem aufgeführten Beschluss seine Rechtsansicht ausdrücklich damit begründet, dass
nach der einschlägigen Verordnung generell für die Inanspruchnahme von Förderungsangeboten in Tageseinrichtungen Beiträge
erhoben werden, die sich nach fest umrissenen Tatbestandsmerkmalen und tabellarischen Tarifen richten. Es hat zudem in derselben
Entscheidung zuvor seine Auffassung bekräftigt, dass Kostenbeiträge nach §§ 91 ff. SGB VIII nicht unter den Regelungsbereich des §
80 Abs.
2 S. 1 Nr.
1 VwGO fallen. Die Erhebung von Teilnahmebeiträgen für Kindertageseinrichtungen erfolgt weitgehend pauschaliert und dient der Deckung
der Kosten der Einrichtung. Aus diesem Grunde scheint es nahe liegend, diese Beiträge den "Abgaben und Kosten" im Sinne von
§
80 Abs.
2 S. 1 Nr.
1 VwGO zuzuordnen, weil sie zum einen der Deckung der Kosten für die Einrichtung zu dienen bestimmt sind und zum anderen weitgehend
nach festen Sätzen erhoben werden, wie dies bei sonstigen Abgaben und Kosten ebenfalls der Fall zu sein pflegt. Der Anlass
der Maßnahmen, für die nach § 91 SGB VIII Kostenbeiträge verlangt werden können, ist hingegen wesentlich vielseitiger und vor allem individueller, so dass weder der
Umfang der notwendigen Maßnahmen, noch die hierfür aufzuwendenden Kosten einigermaßen abgeschätzt werden können. Auch die
Höhe des zu fordernden Kostenbeitrages ist in viel stärkerem Maße individuell bestimmt. Zwar werden nach der auf der Rechtsgrundlage
des § 94 Abs. 5 S. 1 SGB VIII erlassenen Kostenbeitragsverordnung vom 1. Oktober 2005 (BGBl. I Seite 2907) die Kostenbeiträge nach einer festgelegten Tabelle erhoben, die sowohl das maßgebliche Einkommen des Elternteils berücksichtigt,
als auch die Zahl der untergebrachten Kinder, jedoch sind nach wie vor auch in großem Umfang individuelle Umstände zu berücksichtigen.
So bestimmt etwa § 92 Abs. 4 S. 1 SGB VIII derzeitige Fassung, dass ein Kostenbeitrag nur erhoben werden kann, soweit Unterhaltsansprüche vorrangig Berechtigter nicht
geschmälert werden. Abs. 5 Satz 1 der Bestimmung sieht vor, dass von der Heranziehung im Einzelfall ganz oder teilweise abgesehen
werden soll, wenn sonst Ziel und Zweck der Leistung gefährdet würden oder sich aus der Heranziehung eine besondere Härte ergäbe.
Bei der Berechnung des Einkommens sind nach § 93 Abs. 3 S. 2 SGB VIII weitere Belastungen zu berücksichtigen, darunter auch Schuldverpflichtungen. Zwar sieht Satz 3 der Regelung vor, dass der
Abzug durch eine pauschale Kürzung des zuvor errechneten Betrages um 25 vom Hundert erfolgt, jedoch lässt Satz 4 der Bestimmung
auch die Berücksichtigung der darüber hinausgehenden Belastungen unter bestimmten Voraussetzungen zu. Aus all diesen Regelungen
folgt, dass der Jugendhilfeträger auch nach den derzeit geltenden Regelungen in erheblichem Umfang individuelle Umstände sowohl
bei der Frage berücksichtigen muss, ob überhaupt ein Kostenbeitrag erhoben wird, als auch bei der Berechnung des Einkommens
und damit der Höhe des zu erhebenden Beitrages. Ein Vergleich mit den Teilnehmerbeiträgen für Kindertageseinrichtungen, die
weit gehend pauschaliert erhoben werden, verbietet sich von daher.
Aufgrund der soeben dargestellten Erwägungen kann auch nicht angenommen werden, dass die Kostenbeiträge nach §§ 91 ff. SGB VIII derzeitige Fassung zumindest überwiegend der Deckung des Finanzbedarfs der öffentlichen Hand zu dienen bestimmt sind, wie
das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht in der genannten Stellungnahme vom 21. Dezember 2005 am Ende ausführt.
Wegen der soeben aufgeführten Berücksichtigung individueller Umstände kann nämlich der Umfang der durch Kostenbeiträge zu
erbringenden Einnahmen auch nicht annähernd abgeschätzt werden. Auch in diesem Punkt vermag der Senat somit durch die neue
Rechtslage eine gegenüber der früheren Rechtslage grundlegende Änderung nicht zu erkennen, die eine Einbeziehung der Kostenbeiträge
nach §§ 91 ff. SGB VIII in die Sonderregelung des §
80 Abs.
2 S. 1 Nr.
1 VwGO nunmehr rechtfertigen könnte.
Nach alledem hat der Widerspruch der Antragstellerin gegen den im Tenor genannten Bescheid der Antragsgegnerin aufschiebende
Wirkung, was im Tenor dieses Beschlusses festzustellen ist, da sich die Antragsgegnerin der sofortigen Vollziehbarkeit des
Bescheides berühmt. Da die Antragstellerin somit bereits mit ihrem Hauptantrag Erfolg hat, bedarf es keines Eingehens auf
die erkennbar nur hilfsweise gestellten weiteren Anträge. Der Senat geht davon aus, dass die Antragsgegnerin etwa bereits
eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Antragstellerin aufheben oder rückgängig machen wird.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind gemäß §
154 Abs.
1 VwGO der Antragsgegnerin als unterliegendem Teil aufzuerlegen. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sind hingegen gemäß
§
155 Abs.
1 S. 1
VwGO verhältnismäßig zu teilen, weil es insofern am teilweisen Unterliegen der Antragstellerin und damit teilweisen Obsiegen der
Antragsgegnerin verbleibt, nämlich soweit Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens der Widerspruch der Antragstellerin
gegen einen weiteren Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. April 2006 bezüglich eines Kostenbeitrages für den Zeitraum vor
dem 1. April 2006 war, für den die Antragstellerin ihren Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Beschwerdeverfahren
nicht mehr weiter verfolgt hat. Dieser Bescheid der Antragsgegnerin betrifft den Zeitraum von drei Monaten, nämlich von Januar
bis März 2006, während der den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens bildende Bescheid vom 27. April 2006 den Zeitraum ab April
2006 betrifft. Dieser Bescheid ist daher in Anlehnung an § 41 GKG gedanklich mit einer Dauer von einem Jahr in den zu verteilenden Gesamtwert des erstinstanzlichen Verfahrens einzubeziehen,
so dass ungeachtet der geringfügigen Abweichung in der Höhe des monatlich geforderten Kostenbeitrages eine Verteilung der
Kosten wie im Tenor ausgesprochen angemessen erscheint.
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus §
188 S. 2
VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
152 Abs.
1 VwGO).