Beanstandung und Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung; Rechtmäßigkeit des Ausschlusses
des Erstattungsanspruchs für Zeiträume der Beitragsentrichtung vor dem Jahr 2008
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung (RV).
Der Kläger ist seit 1993 im Unternehmen seiner Ehefrau tätig. Hierfür wurden nach Anzeige der Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen
Tätigkeit gegenüber der zuständigen Krankenkasse als Einzugsstelle in den folgenden Jahren regelmäßig Sozialversicherungsbeiträge
abgeführt. Nachdem die Einzugsstelle auf eine im November 2006 hin beantragte Statusfeststellung hin das Bestehen von Versicherungspflicht
festgestellt hatte, entschied das SG Aurich durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 28.5.2008, dass der Kläger seit August
1993 nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist.
Im Juli 2008 beantragten der Kläger und seine Ehefrau daraufhin bei der Einzugsstelle die Erstattung der zu Unrecht entrichteten
Beiträge. Die insoweit betroffenen RV-Beiträge sollten nicht als Beiträge zur freiwilligen Versicherung beim RV-Träger verbleiben.
Auf die Rechte nach §
202 SGB VI verzichtete der Kläger ebenso wie auf einen ggf bestehenden Beanstandungsschutz. Unter Hinweis auf eine in Teilen bereits
eingetretene Verjährung der Erstattungsforderung leitete die Einzugsstelle den Antrag hinsichtlich der RV-Beiträge zur abschließenden
Bearbeitung an die beklagte Deutsche RV Braunschweig-Hannover weiter. Im Oktober 2008 trat der Kläger seinen Anspruch auf
Erstattung der Arbeitnehmeranteile an den für ihn entrichteten RV-Beiträgen an das beigeladene Kreditinstitut ab. Die Beklagte
entsprach dem Erstattungsbegehren hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile für die Zeit vom 1.12.2003 bis 31.5.2008 in Höhe von
18 833,79 Euro. Für den vorangegangenen Zeitraum vom 1.8.1993 bis 30.11.2003 lehnte sie hingegen eine Beitragserstattung -
auch bezogen auf die Arbeitnehmeranteile - mit der Begründung ab, dass dieser Anspruch nach Maßgabe des §
26 Abs
1 S 3 iVm §
27 Abs
2 S 1
SGB IV bereits verjährt sei (Bescheid vom 11.11.2008, Widerspruchsbescheid vom 29.4.2009).
Das SG hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 10.5.2011). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Ein
Beitragserstattungsanspruch hinsichtlich des noch streitigen Zeitraums sei nicht gegeben, weil die insoweit geleisteten Beiträge
bei fehlender Beanstandungsmöglichkeit gemäß §
26 Abs
1 S 3
SGB IV in der ab 1.1.2008 geltenden Fassung die Qualität zu Recht entrichteter Pflichtbeiträge hätten. Die Regelung ordne keine
Verjährung der Beitragserstattungsforderungen an, sondern nehme eine materiell-rechtliche Umgestaltung der anfänglich zu Unrecht
gezahlten Beiträge in zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge vor. Die Grundsätze des intertemporalen Sozialrechts gäben keinen
Anlass, den Anwendungsbereich des §
26 Abs
1 S 3
SGB IV so zu interpretieren, dass hierunter nur Beiträge fielen, die erst nach ihrem Inkrafttreten am 1.1.2008 entrichtet worden
seien. Der Kläger habe einen Erstattungsantrag erst unter Geltung des neuen Rechts im Juli 2008 gestellt. Bei dem vorangegangenen
Statusfeststellungsbegehren handele es sich um ein von dem Erstattungsverfahren zu trennendes Verfahren, weil die Geltendmachung
einer Erstattung im Ermessen des Betroffenen liege, er die Möglichkeit habe, die Beiträge als freiwillige Beiträge fortbestehen
zu lassen und in letzterem Verfahren geklärt werden müsse, ob nicht bereits Leistungen erbracht worden seien (Urteil vom 7.12.2011).
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision, mit der er eine Verletzung von §
26 Abs
1 S 3
SGB IV iVm den Grundsätzen über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch rügt und weiter die vollständige Erstattung der Arbeitnehmeranteile
an den gezahlten RV-Beiträgen begehrt. Anzuwenden sei die Gesetzeslage aus der Zeit vor dem 1.1.2008. Durch die vorangegangene
Statusfeststellung sei nämlich eine Verzögerung von zwei Jahren eingetreten, die die Einzugsstelle verschuldet habe. Er (der
Kläger) sei so zu stellen, wie wenn die Einzugsstelle von Anfang an ordnungsgemäß gehandelt hätte. Unstreitig hätte sein Begehren
bei einer vor dem 1.1.2008 beantragten Beitragserstattung Erfolg gehabt. Aufgrund des rechtskräftigen Urteils im Statusfeststellungverfahren
stehe fest, dass die Einzugsstelle fehlerhaft entschieden habe, was nun im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
auszugleichen sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 7. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Aurich vom 10. Mai
2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 11. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 29. April 2009 zu verurteilen, die Arbeitnehmeranteile der für ihn für den Zeitraum 1. August 1993 bis 30. November 2003
entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung an die Beigeladene zu erstatten, hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts
aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.
Zutreffend hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende SG-Urteil zurückgewiesen. Der Kläger kann von der Beklagten die Erstattung der Arbeitnehmeranteile der für ihn für den Zeitraum
1.8.1993 bis 30.11.2003 entrichteten Beiträge zur gesetzlichen RV an die Beigeladene nicht verlangen. Die dieses ablehnenden
angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig.
1. Zu Recht hat das LSG seinem Urteil zugrunde gelegt, dass der Kläger trotz der Abtretung seines/seiner (vermeintlichen)
Beitragserstattungsanspruchs/Beitragserstattungsansprüche an das beigeladene Kreditinstitut im vorliegenden Rechtsstreit zur
Prozessführung befugt ist. Grundsätzlich bestehen gegen die Wirksamkeit einer entsprechend §§
398 ff
BGB vorgenommenen Abtretung eines Erstattungsanspruchs selbst unter dem Blickwinkel des §
53 Abs
1 SGB I keine Bedenken, weil dieser ein vermögensrechtlicher Ausgleichsanspruch und nicht als Sozialleistung iS des §
11 SGB I zu qualifizieren ist (vgl BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, Leitsatz 1 und RdNr 11 ff mwN; BSG Urteil vom 26.6.1986 - 7 RAr 121/84 -, Juris mwN). Ohne selbst noch Inhaber des (vermeintlichen) Anspruchs zu sein, ist der Kläger zur Prozessführung im Wege
einer gewillkürten Prozessstandschaft berechtigt (vgl hierzu allgemein Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, §
54 RdNr 11a mwN). Das LSG hat ausgehend von den der Abtretung zugrundeliegenden Vertragsbedingungen zwischen Kläger und Beigeladener
angenommen, dass dieser auch nach Abtretung seines (vermeintlichen) Anspruchs zu einer gerichtlichen Geltendmachung legitimiert
ist. Dem hat die Beigeladene auf ausdrückliche Nachfrage des LSG nicht widersprochen. Es ist auch ein eigenes Rechtsschutzbedürfnis
des Klägers anzunehmen, das fremde Recht im eigenen Namen geltend zu machen (vgl zB BSGE 10, 131, 134; 37, 33, 35; BSG SozR 2200 § 639 Nr 1 S 2), da sich seine Vermögenslage im Falle seines Obsiegens verbessern würde.
2. Gegenstand des Rechtsstreits ist der an den Kläger gerichtete Bescheid der Beklagten vom 11.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 29.4.2009 nur insoweit, als die Beklagte darin den Erstattungsantrag des Klägers hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile
der für ihn für die Zeit vom 1.8.1993 bis 30.11.2003 gezahlten Beiträge zur gesetzlichen RV abgelehnt hat, nicht betroffen
sind dagegen Beiträge aus anderen Zweigen der Sozialversicherung.
3. In der Sache kann der Kläger von der Beklagten die Arbeitnehmeranteile der für die Zeit vom 1.8.1993 bis 30.11.2003 für
ihn entrichteten Beiträge zur gesetzlichen RV nicht zugunsten der Beigeladenen erstattet verlangen. Zwar war(en) sein(e) Anspruch
(Ansprüche) auf Beitragserstattung insoweit im Zeitpunkt ihrer Entrichtung entstanden und fällig geworden (dazu a). Ab 1.1.2008
ist eine Erstattung jedoch ausgeschlossen, weil die ursprünglich zu Unrecht entrichteten Beiträge als zu Recht entrichtete
Pflichtbeiträge gelten (dazu b). Der Kläger kann eine Beitragserstattung auch nicht nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs beanspruchen (dazu c). Gegen dieses Ergebnis bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (dazu d).
a) Nach §
26 Abs
2 Halbs 1
SGB IV sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zur gesetzlichen RV zu erstatten; eine Erstattung solcher Beiträge kommt nach §
26 Abs
2 Halbs 1
SGB IV nur dann in Betracht, wenn der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge
oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, keine Leistungen erbracht oder zu erbringen
hat (sog Verfallklausel). Gemäß §
26 Abs
3 S 1
SGB IV steht der ein (entstandener) Erstattungsanspruch (vgl zum Entstehen von Beitragserstattungsansprüchen allgemein BSG SozR 3-2400 § 28 Nr 1 S 4) demjenigen zu, der die Beiträge getragen hat.
Die von dem Kläger im streitigen Zeitraum getragenen Beiträge (Arbeitnehmeranteile) zur gesetzlichen RV wurden - wie inzwischen
feststeht - ursprünglich iS von §
26 Abs
2 Halbs 1
SGB IV zu Unrecht entrichtet; denn das SG Aurich stellte mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 28.5.2008 fest, dass der Kläger
im Unternehmen seiner Ehefrau seit 1.8.1993 nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Der Kläger machte seinen Beitragserstattungsanspruch
dann erstmals im Juli 2008 gegenüber der Einzugsstelle geltend; bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte Leistungen an den
Kläger nicht erbracht. Die Beklagte erkannte einen Beitragserstattungsanspruch bzw Beitragserstattungsansprüche für die von
Dezember 2003 bis Mai 2008 entrichteten Beiträge hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile auch an.
b) Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erstattung der Arbeitnehmeranteile hinsichtlich der für den darüber hinausgehend im streitigen
Zeitraum entrichteten RV-Beiträge nicht zu, weil die (ursprünglich zu Unrecht) entrichteten Beiträge für diesen Zeitraum als
zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge gelten.
Nach §
26 Abs
1 S 3 iVm S 2
SGB IV gelten zu Unrecht entrichtete Beiträge nach Ablauf der in §
27 Abs
2 S 1
SGB IV bestimmten Frist als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge. Die in Bezug genommene Vorschrift des §
27 Abs
2 S 1
SGB IV regelt, dass der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden
sind, verjährt.
aa) Zutreffend hat das LSG angenommen, dass §
26 Abs
1 S 3
SGB IV im Falle des Klägers zur Anwendung gelangt. Die Norm wurde durch Art 1 Nr 14 des Gesetzes zur Änderung des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19.12.2007 (BGBl I 3024) angefügt und ist gemäß Art 21 Abs 1 des vorgenannten Gesetzes am 1.1.2008
ohne Übergangsvorschriften in Kraft getreten.
bb) Zu Recht hat das LSG entschieden, dass die für den streitigen Zeitraum entrichteten Beiträge von §
26 Abs
1 S 3
SGB IV erfasst werden, weil die Norm grundsätzlich auch (ursprünglich) zu Unrecht entrichtete Beiträge erfasst, die für Zeiträume
entrichtet wurden, die vor dem Inkrafttreten der Norm, also vor dem 1.1.2008, liegen (vgl in diesem Sinne auch LSG BadenWürttemberg
Urteil vom 21.1.2011 - L 4 KR 4672/10 - Juris; Bayerisches LSG Urteil vom 30.1.2013 - L 13 R 598/10 - Juris; KomGRV, §
26 SGB IV RdNr 2, Stand Einzelkommentierung 2010; Kreikebohm,
SGB IV, 2008, §
26 RdNr 9; Roßbach in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 3. Aufl 2013, §
26 SGB IV RdNr 6; zur Frage, ob die Norm auch abgeschlossene Sachverhalte erfasst, in denen in der Vergangenheit zu Unrecht entrichtete
Beiträge bereits erstattet wurden, vgl Waßer in jurisPK-
SGB IV, §
26 RdNr 41.1, Stand Januar 2014).
Werden materielle Anspruchsvoraussetzungen eines sozialrechtlichen Leistungsgesetzes geändert, gilt grundsätzlich das Versicherungsfall-
bzw Leistungsfallprinzip. Hiernach ist ein Rechtssatz nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten
verwirklicht werden. Spätere Änderungen eines Rechtssatzes sind danach für die Beurteilung von vor seinem Inkrafttreten entstandenen
Lebensverhältnissen unerheblich, es sei denn, dass das Gesetz seine zeitliche Geltung auf solche Verhältnisse erstreckt. Dementsprechend
geht das BSG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw Rechtsverhältnisse
grundsätzlich nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit des Vorliegens der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten
hat. Das Versicherungsfall- bzw Leistungsfallprinzip ist allerdings nicht anzuwenden, soweit später in Kraft gesetztes Recht
ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt. Dann kommt der Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts auch
auf nach altem Recht entstandene Rechte und Rechtsverhältnisse zum Tragen. Welcher der genannten Grundsätze des intertemporalen
Rechts zur Anwendung gelangt, richtet sich letztlich danach, wie das einschlägige Recht ausgestaltet bzw auszulegen ist (vgl
zum Ganzen ausführlich BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R -, Juris RdNr 42 f mit umfangreichen Nachweisen, ferner zB Schlegel, VSSR 2004, 313, 314 ff).
Dem Wortlaut der Regelung in §
26 Abs
1 S 3
SGB IV kann ebenso wenig wie ihrer systematischen Stellung eine eindeutige Antwort auf die Frage ihrer Geltung für Beitragszeiträume
bereits vor dem 1.1.2008 entnommen werden. Allerdings folgt eine Geltung der Vorschrift mit hinreichender Klarheit jedenfalls
aus den Gesetzesmaterialien. Nach den - im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht in Zweifel gezogenen - Ausführungen der Gesetzesbegründung
der Bundesregierung zu der genannten Bestimmung sollte nämlich gerade die bis dahin geltende Rechtslage geändert werden, wonach
zu Unrecht entrichtete Beiträge zur gesetzlichen RV im Einzelfall "noch für viele Jahre rückwirkend" erstattet werden mussten;
derartig zu Unrecht entrichtete Beiträge sollten aufgrund der Neuregelung nach Ablauf der Verjährungsfrist von vier Jahren
nach §
27 Abs
2 S 1
SGB IV vielmehr als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge gelten und die Beiträge als solche erhalten bleiben, eine Erstattung dagegen
nicht mehr möglich sein (so Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Änderung des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze, BT-Drucks 16/6540 S 23 f zu Nr 14 [§ 26]). Dieses vom Gesetzgeber formulierte Ziel ließ sich konsequenterweise
nur durch eine unmittelbar und zeitnah greifende Rechtsänderung verwirklichen, indem von der Neuregelung auch schon in Zeiträumen
vor dem Inkrafttreten der Norm entrichtete Beiträge erfasst wurden und nicht erst Beiträge, die nach dem 1.1.2008 entrichtet
wurden und bei denen die neu angeordneten Rechtsfolgen dann wiederum erst nach weiteren vier Jahren greifen würden. Anhaltspunkte
dafür, dass der Gesetzgeber trotz des von ihm angenommenen Handlungsbedarfs eine erst Jahre später eintretende Wirkung der
Rechtsänderung beabsichtigte, sind jedoch den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen.
cc) Rechtsfehlerfrei hat das LSG schließlich angenommen, dass die in §
26 Abs
1 S 3 iVm §
27 Abs
2 S 1
SGB IV genannte Frist hinsichtlich der für den streitigen Zeitraum geleisteten Beiträge verstrichen ist, nachdem der Kläger erst
im Juli 2008 einen Antrag auf Erstattung gestellt hat. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, was in Fällen eines vor dem
1.1.2008 gestellten Erstattungsantrags gilt (für die Geltung der früheren Rechtslage: KomGRV, §
26 SGB IV RdNr 2, Stand Einzelkommentierung 2010; Kreikebohm,
SGB IV, aaO, §
26 RdNr
9). Ebenso kann offenbleiben, ob die in §
26 Abs
1 S 3
SGB IV genannte Voraussetzung des Ablaufs der in §
27 Abs
2 S 1
SGB IV genannten Frist als bloße Definition des maßgebenden Zeitraums (vier Jahre) oder darüber hinaus als Erfordernis eines Ablaufs
der "Verjährungsfrist" (so Gesetzentwurf, aaO, BT-Drucks 16/6540 S 23 f) unter Berücksichtigung der Regelung insbesondere
über die Hemmung der Verjährung in §
27 Abs
3 SGB IV (hierzu Waßer in jurisPK-
SGB IV, aaO, §
26 RdNr 41.1) zu verstehen ist. Anhaltspunkte für eine Hemmung oder Unterbrechung der Frist des §
27 Abs
2 S 1
SGB IV sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Kläger einen schriftlichen Antrag auf Erstattung, der geeignet sein
könnte, die Verjährung(sfrist) zu unterbrechen (vgl §
27 Abs
3 S 2
SGB IV), erst im Juli 2008 und damit erst nach Inkrafttreten von §
26 Abs
1 S 3
SGB IV gestellt. Seine (möglicherweise) bestehende Unkenntnis von den Beitragserstattungsansprüchen und der Möglichkeit, sie (rechtzeitig)
geltend zu machen, wären für die Frage des Fristablaufs ohne Bedeutung (vgl zur Verjährung von Beitragserstattungsansprüchen
BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 1 RdNr 11 mwN; BSG Urteil vom 29.7.2003 - B 12 AL 3/03 R - AuB 2003, 341).
c) Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich ein anderes Ergebnis auch nicht über eine Anwendung der Grundsätze über
den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch herleiten. Dieses von der Rechtsprechung des BSG ergänzend zu den gesetzlich geregelten Korrekturmöglichkeiten bei fehlerhaftem Verwaltungshandeln entwickelte Rechtsinstitut
greift - im Sinne eines öffentlich-rechtlichen Nachteilsausgleichs - ein, wenn ein Sozialleistungsträger durch Verletzung
einer ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis obliegenden Pflicht, insbesondere zur Beratung und Betreuung (vgl §§
14,
15 SGB I), nachteilige Folgen für die Rechtsposition des Betroffenen herbeigeführt hat und diese Folgen durch ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln
wieder beseitigt werden können (stRspr; zu den Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen vgl zuletzt zB BSG SozR 4-4300 § 28a Nr 3 RdNr 22 mwN; ferner BSG SozR 4-1200 § 14 Nr 15 RdNr 12).
Es kann offenbleiben, ob sich der Kläger schon deshalb nicht auf die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
stützen kann, weil der Erstattungsanspruch nach §
26 Abs
2 SGB IV, der unabhängig von den Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gegeben ist, die Beitragserstattung wegen
eines behaupteten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ausschließt (so bereits BSG SozR 3-2400 § 26 Nr 10 S 49; BSG Urteil vom 29.11.2006 - B 12 KR 30/05 R - Juris RdNr 15 mwN; Seewald in Kasseler Komm, §
26 SGB IV RdNr 27, Stand Einzelkommentierung Oktober 2008). Selbst wenn man eine Anwendbarkeit der Grundsätze über den sozialrechtlichen
Herstellungsanspruch neben §
26 Abs
2 SGB IV bejahen wollte, würde es an dessen Voraussetzungen fehlen, weil nicht ein Verwaltungshandeln der Einzugsstelle unmittelbar
zum Ausschluss der vom Kläger als nachteilig empfundenen fehlenden Erstattungsfähigkeit der für den streitigen Zeitraum geleisteten
RV-Beiträge führte; denn eine Neuqualifizierung der Beiträge als zu Recht entrichtete Beiträge wurde erst durch eine gesetzliche
Neuregelung und nicht durch ein (möglicherweise fehlerhaftes) Verwaltungshandeln vorgenommen. Auch aus dem Umstand allein,
dass die Einzugsstelle zunächst - vom Kläger selbst seit 1993 beanstandet gelassen und im Betrieb seiner Ehefrau entsprechend
über lange Jahre hinweg so praktiziert - zunächst von einem der Versicherungspflicht unterliegenden Beschäftigungsverhältnis
ausging und erst das SG Aurich in seinem Urteil vom 28.5.2008 auf fehlende Versicherungspflicht erkannte, kann ebenfalls nichts
zu Gunsten des Klägers hergeleitet werden. Dafür, dass er auf seinen Statusfeststellungsantrag hin durch eine zögerliche Bearbeitungsweise
der Einzugsstelle davon abgehalten wurde, einen Erstattungsantrag schon vor dem 1.1.2008 zu stellen, hat das LSG nichts festgestellt
und ist auch sonst nichts ersichtlich. Der Kläger stellte erst im Juli 2008 einen Antrag auf Erstattung der RV-Beiträge unter
Verzicht auf Beanstandungsschutz und nicht bereits - zB vorsorglich und gestuft - zu einem früheren Zeitpunkt, etwa zeitgleich
mit der Einleitung des Statusfeststellungsverfahrens im November 2006. Unbeschadet dessen erscheint fraglich, ob der - den
anderen am Beitragseinzugsverfahren beteiligten und durch den Gesamtsozialversicherungsbeitrag begünstigten Versicherungsträgern
gleichermaßen zur Beachtung der Regelungen des Versicherungs- und Beitragsrechts verpflichteten - Einzugsstelle (vgl §
28h Abs
2 SGB IV) schon deshalb eine Betreuungspflichtverletzung speziell gegenüber dem Kläger angelastet werden könnte, weil sie in ihrer
Einschätzung über die Versicherungspflicht zunächst zu einem anderen Ergebnis gelangte als später das SG.
Ein anderes Ergebnis ließe sich auch nicht dadurch herbeiführen, dass weitere Verwaltungshandlungen und Verfahrensabschnitte
aus der Zeit vor dem 1.1.2008 in den Blick genommen werden. Auch in der Zeit vor dem 1.1.2008 wäre(n) der/die bereits mit
der Beitragsentrichtung entstandene(n) Beitragserstattungsanspruch/Beitragserstattungsansprüche des Klägers schon allein deshalb
nicht ohne Weiteres realisierbar gewesen, weil auch nach altem Recht gemäß §
26 Abs
1 S 2
SGB IV nicht mehr beanstandungsfähige Beiträge als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge galten. Darüber hinaus ist ein konkreter
Anlass für bestimmte Handlungen der Beklagten als Träger der gesetzlichen RV - zB für eine Beratung des Klägers gemäß §
14 SGB I im vorliegend interessierenden Zusammenhang - nicht ersichtlich. Hieran ändert auch die Einleitung und Durchführung eines
Verwaltungsverfahrens zur Statusfeststellung bei der Einzugsstelle nichts: Aus einem solchen Verfahren kann nicht automatisch
geschlossen werden, der Betroffene werde bei der von der Einzugsstelle getroffenen Feststellung, dass mangels Versicherungspflicht
Beiträge zu Unrecht entrichtet worden seien - in jedem Fall automatisch ebenfalls die umfassende Erstattung aller in den einzelnen
Zweigen der Sozialversicherung entrichteten Beiträge geltend machen. Vielmehr hat der Betroffene gerade in Bezug auf RVBeiträge
Gestaltungsmöglichkeiten (zB kein Verzicht auf Beanstandungsschutz mit der Rechtsfolge des §
26 Abs
1 S 2
SGB IV, Umwandlung in freiwillige Beiträge gemäß §
202 SGB VI), die im wohlverstandenen Eigeninteresse zuvor entsprechende Überlegungen erfordern.
d) Der sich damit ergebende Ausschluss der Erstattungsfähigkeit der Arbeitnehmeranteile der vom 1.8.1993 bis 30.11.2003 für
den Kläger entrichteten RV-Beiträge verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG begrenzen das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte die Befugnis des Gesetzgebers,
Rechtsänderungen vorzunehmen, die an Sachverhalte der Vergangenheit anknüpfen. Dabei findet das Rückwirkungsverbot seinen
Grund im Vertrauensschutz (vgl aus jüngerer Zeit zB BVerfGE 132, 302, RdNr 41; BVerfGE 126, 369, 393 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 75 mwN). Jedoch geht der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz nicht so weit, den Staatsbürger
vor jeglicher Enttäuschung seiner Erwartung in die Dauerhaftigkeit der Rechtslage zu schützen. Die schlichte Erwartung, das
geltende Recht werde auch in der Zukunft unverändert fortbestehen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt (vgl BVerfGE 128,
90, 106 = SozR 4-1100 Art 14 Nr 23 RdNr 43 mwN). Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung ist zwischen einer echten Rückwirkung
und einer unechten Rückwirkung bzw tatbestandlichen Rückanknüpfung zu differenzieren. Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn
ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift oder wenn der Beginn
seiner zeitlichen Anwendung auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm durch ihre Verkündung
rechtlich existent, das heißt gültig geworden ist (BVerfGE 128, 90, 106 = SozR 4-1100 Art 14 Nr 23 RdNr 45 mwN). Eine unechte Rückwirkung oder tatbestandliche Rückanknüpfung liegt vor, wenn
eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit
zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet oder wenn die Rechtsfolgen einer Norm zwar erst nach ihrer Verkündung
eintreten, deren Tatbestand aber Sachverhalte erfasst, die bereits vor der Verkündung "ins Werk gesetzt" worden sind (BVerfGE
128, 90, 107 = SozR aaO RdNr 47 mwN). Während eine echte Rückwirkung verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig ist, gelten für
eine unechte Rückwirkung bzw tatbestandliche Rückanknüpfung weniger strenge Beschränkungen (vgl BVerfGE 109, 133, 181).
Hiernach ist vorliegend (nur) von einer unechten Rückwirkung bzw tatbestandlichen Rückanknüpfung auszugehen, weil §
26 Abs
1 S 3
SGB IV die mangels Versicherungspflicht zu Unrecht für den streitigen Zeitraum entrichteten Beiträge rückwirkend als zu Recht entrichtet
qualifiziert.
bb) §
26 Abs
1 S 3
SGB IV verstößt nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, soweit sie Beiträge, die (ursprünglich zu Unrecht) für länger
als vier Jahre zurückliegende Zeiträume entrichtet wurden, als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge qualifiziert.
(1) Es kann offenbleiben, ob in dem damit einhergehenden Ausschluss der Geltendmachung von ursprünglich gegebenen Beitragserstattungsansprüchen
überhaupt ein relevanter Eingriff in die verfassungsrechtliche Position des Betroffenen liegt. Es liegt bereits nicht die
Situation des Eintritts von Verjährung verbunden mit einem Leistungsverweigerungsrecht oder die Auflösung des Versicherungsverhältnisses
vor, wie dies etwa bei den Regelungen zur sog Heiratserstattung der Fall ist (vgl hierzu BVerfGE 36, 237 = SozR Nr 99 zu Art
3 GG; BVerfG SozR 4-2600 § 282 Nr 1; BSG SozR 3-2600 §
58 Nr 19 mwN) vor. Auch entspricht die durch §
26 Abs
1 S 3
SGB IV angeordnete Rechtsfolge gerade der der Beitragsentrichtung ursprünglich zugrunde liegenden Annahme der Beteiligten über die
Rechtmäßigkeit der Beitragsentrichtung und damit über das Bestehen von Versicherungspflicht wegen Beschäftigung. Hiermit korrespondiert
die gesetzgeberische Intention, wonach keine Schlechterstellung gegenüber der Situation entstehen soll, wenn der Betroffene
tatsächlich pflichtversichert gewesen wäre, wovon er bis zur Feststellung des Nichtvorliegens der Versicherungspflicht bzw
bis zur Einleitung der von der Einzugsstelle begehrten Statusfeststellung auch ausgegangen ist (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung,
aaO, BT-Drucks 16/6540 S 23 zu Nr 14 [§ 26]).
(2) Jedenfalls wäre ein Eingriff in Rechte des Klägers verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die tatbestandliche Rückanknüpfung
kann Grundrechte zum Schutz solcher Sachverhalte berühren, die mit der Verwirklichung des jeweiligen Tatbestandsmerkmals vor
Verkündung der Norm "ins Werk gesetzt" worden sind. An diesen Grundrechten sind die betreffenden Gesetze zu messen. Die rechtsstaatlichen
Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit wirken - beschränkt auf den Gesichtspunkt
der Vergangenheitsanknüpfung - auf die grundrechtliche Bewertung in der Weise ein, wie dies allgemein bei der Auslegung und
Anwendung von Grundrechten im Hinblick auf die Fragen des materiellen Rechts geschieht. Die Grenzen gesetzgeberischer Regelungsbefugnis
ergeben sich dabei aus einer Abwägung zwischen dem Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange und der Bedeutung des gesetzgeberischen
Anliegens für das Gemeinwohl (vgl stellvertretend BVerfGE 109, 133, 182 mwN). Soweit man als Bezugspunkt eines schützenswerten Vertrauens des Betroffenen die Wirksamkeit der Entrichtung von
Beiträgen zur gesetzlichen RV ansieht, enttäuscht §
26 Abs
1 S 3
SGB IV dieses Vertrauen nicht, sondern schützt dieses, indem die Regelung die ursprünglich zu Unrecht entrichteten Beiträge als
zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge qualifiziert. Soweit man demgegenüber die Erwartung des Betroffenen, wegen instanzgerichtlich
verneinter Versicherungspflicht müssten ihm ursprünglich zu Unrecht entrichtete Beiträge uneingeschränkt, dh uU auch nach
Jahren und Jahrzehnten, erstattet werden, als Bezugspunkt seines Vertrauens ansieht, wäre dieses Vertrauen jedenfalls nicht
schutzwürdig: Das geltende Recht sieht im Zusammenhang mit der Versicherungspflicht in der gesetzlichen RV aufgrund (abhängiger)
Beschäftigung nämlich grundsätzlich keine Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten vor. Vielmehr tritt Versicherungspflicht kraft
Gesetzes bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen ein (vgl §
1 S 1 Nr
1 SGB VI iVm §
7 Abs
1 S 1
SGB IV). Hat ein Versicherter und/oder sein Arbeitgeber aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse Zweifel am (Fort-)Bestehen von Versicherungspflicht
aufgrund einer (abhängigen) Beschäftigung, besteht für ihn/sie jederzeit die Möglichkeit, zeitnah - entweder unmittelbar bei
Aufnahme der Tätigkeit oder bei einem Wandel ihrer Merkmale - das (Fort-)Bestehen von Versicherungspflicht verbindlich klären
zu lassen (vgl §
7a Abs
1 S 1, §
28h Abs
2 S 1
SGB IV). Eine in Klein- und/oder Familienbetrieben bestehende faktische Steuerungsmöglichkeit hinsichtlich der Klärung der Versicherungspflicht
durch eine erst Jahre oder Jahrzehnte später erfolgende "Offenlegung" der wahren tatsächlichen Verhältnisse im Zusammenhang
mit der ausgeübten Tätigkeit entspricht weder der Systematik des Eintritts von Versicherungspflicht in der Sozialversicherung
noch ist sie verfassungsrechtlich schützenswert (vgl zum Ganzen ausführlich: Kreikebohm,
SGB IV, aaO, §
26 RdNr 9).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.