Blindengeld nach dem BayBlindG
Formelle und inhaltliche Anforderungen an eine Nichtzulassungsbeschwerde
Gründe
I
In der Hauptsache erstrebt die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin ihres am 31.1.2016 verstorbenen Ehemanns die Gewährung
von Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG). Mit Urteil vom 28.7.2020 hat das LSG einen Anspruch des an schweren zerebralen Schäden leidenden Verstorbenen verneint.
Zum einen sei schon keine Blindheit im Sinne des BayBlindG nachgewiesen. Zum anderen schließe nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens das konkrete Krankheitsbild blindheitsbedingte
Mehraufwendungen aus. Der Beklagte habe erfolgreich den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung erhoben. Der Mangel
an Sehvermögen des Verstorbenen habe krankheitsbedingt durch keine Maßnahmen ausgeglichen werden können. Aufwendungen für
die allgemeine pflegerische Betreuung, wie sie vorliegend ausschließlich bestanden hätten, seien durch das sehr schwere Krankheitsbild
des Verstorbenen verursacht worden, welches die Störung seines Sehvermögens bei Weitem überlagert habe.
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich auf Verfahrensmängel, Divergenz und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsache.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil
sie keinen der von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan hat (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Anders als rechtlich geboten, hat die Klägerin bereits den Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil des LSG zugrunde liegt,
nicht hinreichend mitgeteilt. Ihren Schilderungen in der Beschwerdebegründung können allenfalls Fragmente der entscheidungserheblichen
Tatsachen entnommen werden. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen an die Darlegung
bzw Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes; denn es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens
die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 6.8.2019 - B 9 V 14/19 B - juris RdNr 4; Senatsbeschluss vom 16.4.2018 - B 9 V 8/18 B - juris RdNr 4; Senatsbeschluss vom 21.8.2017 - B 9 SB 3/17 B - juris RdNr 6).
Ohne Sachverhaltswiedergabe kann das BSG nicht beurteilen, ob sich entscheidungserheblich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, ob eine Divergenz
zu einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG besteht oder ob ein Verfahrensmangel
vorliegt, auf dem die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtene vorinstanzliche Entscheidung beruhen kann. Dies gilt
umso mehr, wenn es sich - wie hier - um einen umfangreichen Lebenssachverhalt handelt. In einer solchen Situation ist vom
Beschwerdeführer zu erwarten, dass die Tatsachenfeststellungen, die für das LSG und aus Sicht der Beschwerde entscheidungserheblich
sind, in einer geordneten Abhandlung und nicht, wie hier erfolgt, im Rahmen der Begründung fragmentarisch dargelegt werden
(vgl Senatsbeschluss vom 6.8.2019 - B 9 V 14/19 B - juris RdNr 5; Senatsbeschluss vom 16.4.2018 - B 9 V 8/18 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 10.10.2017 - B 13 R 247/17 B - juris RdNr 4).
2. Soweit die Klägerin eine "rechtsfehlerhafte Tatsachenfeststellung" rügt, weil sich das LSG "bei seiner Tatsachenfeststellung
(…) mit den zur Rechtslage vor 2015 eingeholten, auf die überholte Differenzierung zwischen Erkennen- oder Benennenkönnen
abstellenden gutachterlichen Stellungnahmen" begnügt habe und "keine validen Aussagen zur Frage, ob eine ausreichende Störung
der Reizverarbeitung" vorliege, getroffen habe, hat sie keinen Verfahrensmangel iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG bezeichnet. Die Klägerin hat in ihrer Beschwerdebegründung bereits keine bundesrechtliche Verfahrensnorm benannt, die das
Berufungsgericht verletzt haben soll (vgl zu diesem Erfordernis: Senatsbeschluss vom 17.4.1989 - 9 BV 8/89 - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 7.6.2019 - B 10 EG 17/18 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 12.7.2012 - B 13 R 463/11 B - juris RdNr 6). Im Übrigen wendet sie sich mit ihrem diesbezüglichen Vortrag im Kern gegen die Auswertung und Würdigung der eingeholten
gutachterlichen Stellungnahmen durch das LSG. Damit rügt sie dessen Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 Satz 1
SGG). Die Beweiswürdigung des LSG ist aber nach §
160 Abs
2 Nr
3 Teilsatz 2
SGG der Beurteilung durch das Beschwerdegericht vollständig entzogen (Senatsbeschluss vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris RdNr 15 mwN). Sollte die Klägerin in diesem Kontext mit der Sachaufklärung des LSG (§
103 SGG) nicht einverstanden sein, erfüllt ihr Vortrag nicht die besonderen Darlegungsanforderungen einer Sachaufklärungsrüge (s hierzu allgemein Senatsbeschluss vom 21.12.2017 - B 9 SB 70/17 B - juris RdNr 3). Auf den Verfahrensmangel einer unterlassenen Sachaufklärung kann sich die Klägerin im Übrigen schon deshalb nicht mit Erfolg
berufen, weil sie keinen vor dem LSG bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag benannt hat, den das Berufungsgericht übergangen
haben könnte (vgl §
160 Abs
2 Nr
3 Teilsatz 3
SGG).
Entsprechendes gilt, soweit die Klägerin eine "rechtsfehlerhafte Tatsachenfeststellung" des Berufungsgerichts darin sieht,
dass es den Verstorbenen "in unzutreffender Weise als mehr oder weniger sinnesaktiven Menschen" darstelle, der deswegen "nicht
blind" im Sinne des BayBlindG sei, weil er "nicht vollständig im Koma liege, sondern etwa vereinzelte (reflexartige) Augenfolgebewegungen" aufweise. Im
Übrigen macht die Klägerin mit diesem Vortrag die - vermeintliche - inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG geltend.
Auch hierauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.
3. Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen.
Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten
Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat.
Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die
Zulassung der Revision wegen Abweichung (Senatsbeschluss vom 29.10.2018 - B 9 SB 41/18 B - juris RdNr 4).
Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss daher entscheidungstragende
abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung
des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein
sollen und inwieweit das LSG von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen ist (Senatsbeschluss vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - juris RdNr
23). Die Bezeichnung einer Abweichung iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG setzt daher die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil infrage stellt.
Dafür genügt es nicht, wenn das LSG eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich
verkannt oder einen höchstrichterlichen Rechtssatz missverstanden oder übersehen und deshalb das Recht fehlerhaft angewendet
haben sollte (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 6.3.2020 - B 9 SB 86/19 B - juris RdNr 10 mwN).
An diesen notwendigen Darlegungen einer Divergenzrüge fehlt es. Die Klägerin arbeitet in ihrer Beschwerdebegründung bereits
keinen von den von ihr in Bezug genommenen BSG-Entscheidungen divergierenden abstrakten Rechtssatz aus dem angefochtenen LSG-Urteil heraus. Vielmehr kritisiert sie lediglich
unter Darstellung ihrer eigenen Rechtsansicht die Subsumtion und Rechtsanwendung des LSG im Einzelfall ihres verstorbenen
Ehemanns.
Allein die Behauptungen, das LSG habe eine von der Rechtsprechung des BSG "abweichende Rechtsauffassung" zur Frage, wann eine hochgradige, generalisierende Kognitionsstörung vorliege, die Blindheit
begründen könne, wann also die Fähigkeit zum Sehen fehle, und zur Frage, wann es ausgeschlossen sei, dass blindheitsbedingte
Mehraufwendungen entstehen könnten, reichen nicht. Entsprechendes gilt für die Rüge, das LSG weiche systematisch von der Rechtsprechung
des BSG ab.
Vielmehr hat sich das LSG in seinem Urteil ausdrücklich auf die aktuelle Senatsrechtsprechung zu Fragen der Blindheit und
von blindheitsbedingten Mehraufwendungen bezogen. Die Darlegungen der Klägerin, warum selbst nach den Tatsachenfeststellungen
des LSG dessen "Subsumtion (…) schwer haltbar" sei bzw "insgesamt als rechtsfehlerhaft" erscheine, das LSG aus Sicht der Klägerin
die "Rechtsprechungsänderung" des BSG "schlichtweg ad absurdum" geführt und in der Sache letztlich falsch entschieden habe, gehen im Ergebnis über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
unbeachtliche Rüge eines bloßen Rechtsanwendungsfehlers (Subsumtionsrüge) nicht hinaus (vgl Senatsbeschluss vom 25.5.2020 - B 9 V 3/20 B - juris RdNr 6; Senatsbeschluss vom 9.6.2017 - B 9 V 88/16 B - juris RdNr 11, jeweils mwN).
4. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG), wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts
einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts
und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht
geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich
ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht
zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit)
sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen
(vgl Senatsbeschluss vom 26.8.2019 - B 9 SB 25/19 B - juris RdNr 4 mwN). Auch diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin hat - anders als notwendig - bereits keine klare Rechtsfrage zur Auslegung oder zum Anwendungsbereich einer revisiblen
Norm (§
162 SGG) bezeichnet.
Es genügt nicht, lediglich darauf hinzuweisen, dass es sich hier um "Fragen der Auslegung der Begriffe der Blindheit infolge
des Vorliegens einer schwersten Reizverarbeitungsstörung und des Entstehenkönnens von blindheitsbedingtem Mehraufwand" handele.
Denn es ist schon nicht klar, ob die Klägerin damit insgesamt entscheidungserhebliche Fragen des revisiblen Rechts (§
162 SGG) aufwirft, die in einem späteren Revisionsverfahren der Klärung zugänglich wären (vgl Senatsbeschluss vom 30.6.2014 - B 9 BL 2/13 B - juris RdNr 9 mwN). Nach §
162 SGG kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts
oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk
des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (vgl Senatsbeschluss vom 26.10.2020 - B 9 BL 2/20 B - juris RdNr 6 mwN).
Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht
die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann. Es gehört nicht zu den Aufgaben des BSG, aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers selbst eine entsprechende Rechtsfrage herauszufiltern und zu formulieren (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 11.7.2017 - B 9 SB 15/17 B - juris RdNr 7 mwN).
Da die Klägerin - wie oben aufgezeigt - schon keine klaren Ausführungen zu dem vom LSG festgestellten Sachverhalt macht, bleibt
auch im Übrigen unklar, welche konkreten Rechtsfragen in dem angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden könnten. Zudem
untersucht die Klägerin in diesem Kontext nicht, ob sich für die angedeuteten Fragestellungen nicht schon aus der bereits
ergangenen und von ihr auch zitierten Rechtsprechung des Senats zu Fragen der Blindheit und blindheitsbedingten Mehraufwendungen
Anhaltspunkte für deren Beantwortung ergeben. Auf die vermeintliche inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG bei
der Subsumtion im Einzelfall kann die Nichtzulassungsbeschwerde - wie oben bereits ausgeführt - nicht gestützt werden. Die
auf die Breitenwirkung abzielende Behauptung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache "für Patienten, die sich im Wachkoma
oder einem wachkomaähnlichen Zustand befinden", hilft nicht weiter. Insbesondere legt die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung
auch den geltend gemachten Verstoß gegen Art
3 Abs
1 und Abs
3 Satz 2
GG nicht hinreichend dar. Allein die Darstellung der eigenen Rechtsansicht über einen vermeintlichen Verfassungsverstoß reicht
nicht aus (vgl Senatsbeschluss 26.8.2019 - B 9 SB 25/19 B - juris RdNr 8 mwN). Denn wer sich auf die Verfassungswidrigkeit einer Regelung beruft, darf sich nicht auf die Benennung angeblich verletzter
Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der infrage
stehenden einfach gesetzlichen Norm aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung
der konkreten Regelung des
GG dargelegt werden. Daran fehlt es ebenso wie an einer Auseinandersetzung mit der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung
zu Art
3 Abs
1 und Abs
3 Satz 2
GG (vgl Senatsbeschluss vom 30.6.2014 - B 9 BL 2/13 B - juris RdNr 10 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
5. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 SGG).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG. Das Beschwerdeverfahren ist für die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des Verstorbenen (§
56 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGG) gerichtskostenfrei (§
183 Satz 1
SGG).