Verfassungsmäßigkeit der Zahnersatzversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung, unrichtige Rechtsanwendung als Zulassungsgrund
für Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I. Der 1948 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger hat einen zahnlosen und atrophierten Oberkiefer, was
er auf die chemotherapeutische Behandlung nach einer Hodentumor-Operation zurückführt. Er begehrt - bislang erfolglos - die
volle Erstattung der Kosten für die Versorgung mit Zahnimplantaten einschließlich Suprakonstruktion. Die Beklagte setzte den
Zuschuss dafür im Dezember 2002 lediglich auf 65 % zuzüglich 6,05 Euro je Abrechnungseinheit Metallkosten fest (Restkosten
ca 8.000 Euro). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen
und ua ausgeführt, bei dem Kläger liege ausgehend von dem im Klageverfahren eingeholten Sachverständigengutachten keine Ausnahme-Indikation
nach §
28 Abs
2 Satz 9
SGB V iV mit den Zahnbehandlungs-Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen vor (größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt,
extreme Mundtrockenheit, genetische Nichtanlage von Zähnen, muskuläre Fehlfunktion). Die darin liegende Leistungsbegrenzung
sei - wie das Bundessozialgerichts (BSG) 2001 und 2004 entschieden habe - nicht verfassungswidrig, selbst wenn man unterstelle,
dass sein Zahnverlust nicht anders als mit einer Implantatversorgung zu behandeln sei. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 - bewirke nichts anderes, weil es nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende bzw eine gleichwertige
Krankheit gehe (Urteil vom 14.2.2007).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung, mit der geltend gemacht wird, das LSG sei "von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
im Grundsätzlichen" abgewichen, entspricht trotz umfänglicher Ausführungen nicht den aus §
160a Abs
3 Satz 2
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung von Revisionszulassungsgründen.
1. Dass das LSG im Gegensatz zum BVerfG iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG einen der Divergenz fähigen abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, auf dem sein Urteilsausspruch beruht, lässt sich der Beschwerdebegründung
nicht entnehmen. Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss nämlich, um den Anforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG zu genügen, entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einer höchstrichterlichen
Entscheidung andererseits gegenüberstellen und ausführen, weshalb beide Rechtssätze miteinander unvereinbar sein sollen (vgl
zB Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl 2005, §
160a RdNr 15, §
160 RdNr 10 ff jeweils mwN). Das geschieht nicht, schon weil in der Beschwerdebegründung Sachverhaltsdarstellungen und rechtliche
Bewertungen aus Klägersicht, Ausführungen zur vermeintlichen Divergenz, zum Zulassungsgrund des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG und zur Interpretation des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 ungegliedert miteinander vermengt ineinander übergehen, wobei
der Bezug zu den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Zugang zum Revisionsverfahren nicht durchgehend erkennbar ist.
Die Beschwerdebegründung führt im Kern aus, aus dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) ergebe sich, dass die Vorenthaltung einer implantatgestützten Oberkieferprothese als hier einzig
zumutbare Versorgungsmöglichkeit bei dem Kläger die "Menschenwürde verletze" und dass "vorrangiger Prüfungsmaßstab" für die
verfassungsrechtliche Prüfung das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit sowie die aus dem Sozialstaatsgebot folgende staatliche
Fürsorgepflicht seien. Das LSG habe demgegenüber den Rechtssatz aufgestellt, verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab sei "im
Wesentlichen das Gebot des allgemeinen Gleichheitssatzes"; es habe die gebotene verfassungsrechtliche Prüfung "offenbar gänzlich
unterlassen" und zudem den Beschluss des BVerfG zu Unrecht auf Fälle lebensbedrohlicher oder regelmäßig tödlicher Erkrankungen
beschränkt. Dieses Vorbringen verkennt, dass das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde auch beim Zulassungsgrund der Divergenz
nicht dazu dient, die von einem Beschwerdeführer angezweifelte inhaltliche Richtigkeit des LSG-Urteils - auch in Bezug auf
die Beachtung und Einhaltung von Maßstäben aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung - nochmals allgemein überprüfen zu lassen;
das bloße Berufen auf eine unrichtige Rechtsanwendung ist kein Zulassungsgrund (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Vor diesem
Hintergrund ist es ohne Belang, dass das LSG den Gleichheitssatz als wesentlichen Prüfungsmaßstab bezeichnet hat, da es den
Fall jedenfalls zusätzlich auch im Lichte der Rechtssätze des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 gewürdigt und entschieden
hat (wenn auch mit einem von der Beschwerde für unrichtig erachteten Ergebnis). Die Beschwerde legt dagegen nicht dar, dass
das LSG ausdrücklich oder mittelbar entgegen dem BVerfG eine über den Gleichheitssatz hinausgehende verfassungsrechtliche
Prüfung in vergleichbaren Fällen allgemein für entbehrlich hält und dass aus dem LSG-Urteil ein für den Zulassungsgrund des
§
160 Abs
2 Nr
2 SGG erforderliches Bedürfnis nach Herbeiführung von Rechtseinheit in einem Revisionsverfahren abzuleiten ist.
2. Auch wenn man das Beschwerdevorbringen sinngemäß unter dem Blickwinkel des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung
der Rechtssache nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG würdigen wollte, wäre dies nicht den Anforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gemäß dargelegt worden. Hierzu muss eine Rechtsfrage klar formuliert und ausgeführt werden, inwiefern diese Frage im angestrebten
Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB
BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Daran fehlt es,
weil die Frage "Für welche Krankheitsfälle gelten die Grundsätze des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005?" nicht (mehr) klärungsbedürftig
ist. Schon der Leitsatz des BVerfG bezieht sich nur auf eine "lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung", die
bei dem Kläger auf der insoweit maßgeblichen Grundlage der Feststellungen des LSG (vgl §
163 SGG) in Bezug auf seine hier behandelte Kieferkrankheit nicht vorliegt. Zudem hat das BSG inzwischen präzisiert, wann Krankheiten
den vom BVerfG geforderten Schweregrad erfüllen bzw ihm gleichstehen (vgl Urteile vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R - SozR 4-2500 § 31 Nr 4 RdNr 21, 30 mwN - Tomudex; - B 1 KR 12/05 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 36 - Interstitielle Brachytherapie, und - B 1 KR 12/04 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 7 RdNr 31 f - D-Ribose; Urteil vom 26.9.2006 - B 1 KR 3/06 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 34 - Neuropsychologische Therapie; Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R - RdNr 17 ff - Idebenone). Mit dieser Rechtsprechung setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Ebenso hat das BSG - wie
bereits von den Vorinstanzen zitiert - entschieden, dass §
28 Abs
2 Satz 9
SGB V und die darauf beruhenden Richtlinien verfassungsrechtlichen Anforderungen auch in Fällen entsprechen, in denen die gesetzlich
ausgeschlossene Art der Zahnersatzversorgung als einzig medizinisch sinnvolle Leistung in Betracht kommt (zB Urteil vom 13.7.2004
- B 1 KR 37/02 R - ArztuR 2005, 134 ff; BSG SozR 4-2500 § 28 Nr 2 RdNr 7, jeweils mwN; vgl auch Beschluss vom 5.10.2005 - B 1 KR 42/05 B -, bestätigt durch BVerfG [Kammer] vom 9.1.2006 - 1 BvR 2344/05).
3. Einen Verfahrensfehler (Zulassungsgrund des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG) legt die Beschwerde ebenfalls nicht dar. Dass das LSG den Kläger vor seiner Entscheidung hätte darüber in Kenntnis setzen
sollen, "dass es irrtümlich die abstrakte Allgemeingültigkeit der Ausführungen des BVerfG im Hinblick auf den Prüfungsmaßstab
einer Leistungsbeschränkung in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erkannt hat", ist abwegig. Unbeschadet dessen ist
ein Gericht nur bei besonderen Umständen gehalten, den Beteiligten seine Rechtsansicht schon vor Ergehen der Entscheidung
bekannt zu geben (vgl zB Keller in: aaO, § 62 RdNr 8a ff mwN).
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat analog §
160a Abs
4 Satz 3 Halbsatz 2
SGG ab.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.