Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache bei mehreren voneinander unabhängigen Begründungen in der Entscheidung
der Vorinstanz
Gründe:
I
Die Klägerin ist Trägerin eines zur Versorgung der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Krankenhauses.
Die beklagte Krankenkasse (KK) behielt im Zusammenhang mit der Anschubfinanzierung für Maßnahmen der integrierten Versorgung
im Zeitraum vom 1.4. bis 31.12.2004 von Rechnungen der Klägerin 18 537,94 Euro ein. Während das SG die Klage auf Zahlung der einbehaltenen Beträge abgewiesen hat, hat das LSG die Beklagte zur Zahlung von 18 537,94 Euro nebst
Zinsen verurteilt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ua ausgeführt, die Einbehalte seien unzulässig, weil die
Voraussetzungen einer integrierten Versorgung iSv §
140a Abs
1 S 1
SGB V nicht erfüllt seien. Für das Vorliegen einer integrierten Versorgung sei eine die Leistungen der Regelversorgung ersetzende
"interdisziplinär-fachübergreifende" oder "verschiedene Leistungssektoren übergreifende" Versorgung erforderlich. Hieran fehle
es. Gegenstand der Verträge seien Operationen, die durch kooperierende Ärzte in der jeweiligen Klinik erbracht werden sollten.
Es sei nicht erkennbar, worin eine Änderung zur üblichen stationären Versorgung gemäß §
39 Abs
1 SGB V liegen solle. Allein der Austausch des Operateurs ohne Einbeziehung einer üblicherweise ambulant erbrachten Leistung sei
keine sektorenübergreifende Versorgung (Urteil vom 17.3.2016).
Mit ihrer dagegen eingelegten Beschwerde wendet sich die Beklagte gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde der Beklagten ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2
SGG iVm §
169 S 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 S 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der Divergenz, der grundsätzlichen
Bedeutung und des Verfahrensmangels.
1. Die Beklagte legt eine Divergenz nicht hinreichend dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil
des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar
sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 19.9.2007 - B 1 KR 52/07 B - Juris RdNr 6) und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (BSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B - Juris RdNr 9). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich
fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung der Beklagten nicht.
Die Beklagte macht Abweichungen des Berufungsurteils von Entscheidungen des BSG geltend (BSGE 100, 52 = SozR 4-2500 § 140d Nr 1; BSG Beschluss vom 2.7.2014 - B 6 KA 16/14 B - Juris). Das BSG habe folgenden Rechtssatz aufgestellt:
"Neben dem Erfordernis der leistungssektorenübergreifenden Versorgung sind Verträge der in §
140b Abs
1 SGB V genannten Vertragspartner nur dann solche der integrierten Versorgung, wenn durch sie auch Leistungen, die bislang Gegenstand
der vertragsärztlichen Versorgung sind, künftig ersetzt werden."
Hiervon abweichend habe das LSG folgenden Rechtsatz aufgestellt:
"In beiden Anwendungsbereichen (sektorenübergreifend und interdisziplinär) ist es erforderlich, dass außerhalb der überkommenen
Struktur eine alternative Versorgungsform zur Verfügung gestellt wird, in der innovativ eine bessere, effektivere, die Angebote
der Sektoren integrierende und die Ressourcen schonende Versorgung der Versicherten 'aus einer Hand' bewirkt wird."
Die Beklagte erläutert aber nicht schlüssig, weshalb diese Rechtssätze miteinander unvereinbar sein sollen. Soweit sie die
vermeintliche Unvereinbarkeit in den Worten "außerhalb der überkommenen Struktur" sieht, setzt sie sich nicht damit auseinander,
dass diese Worte mit dem Begriff der "alternativen Versorgungsstruktur" harmonieren und das BSG in der vermeintlich divergierenden Entscheidung die integrierte Versorgung selbst als eine gegenüber der bisherigen Regelversorgung
alternative Versorgungsstruktur bezeichnet. Die Abweichung wird auch nicht mit der Begründung nachvollziehbar dargelegt, dass
es nach Auffassung des LSG nicht erkennbar sei, worin eine Änderung zur üblichen stationären Versorgung gemäß §
39 Abs
1 SGB V liegen solle. Soweit das LSG mit dieser Aussage eine sektorenübergreifende Versorgung verneint, wird nicht schlüssig aufgezeigt,
weshalb hierin ein Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG liegt.
Nichts anderes gilt auch für den zweiten Halbsatz des vom LSG aufgestellten Rechtssatzes ("in der innovativ eine bessere,
effektivere, die Angebote der Sektoren integrierende und die Ressourcen schonende Versorgung der Versicherten 'aus einer Hand'
bewirkt wird"). Die Beklagte setzt sich nicht damit auseinander, dass das BSG bezüglich der integrierten Versorgung selbst von einer Innovation spricht, in der eine "bessere, effektivere, die Angebote
der Sektoren integrierende und die Ressourcen schonende Versorgung der Versicherten bewirkt wird" (BSGE 100, 52 = SozR 4-2500 § 140d Nr 1, RdNr 17). Die Beklagte legt deshalb auch nicht nachvollziehbar dar, weshalb der bezeichnete zweite
Halbsatz des vom LSG aufgestellten Rechtssatzes, der der (angeblich divergierenden) Entscheidung des BSG entstammt, von folgendem weiteren Rechtssatz einer Entscheidung desselben BSG-Senats (BSG Beschluss vom 2.7.2014 - B 6 KA 16/14 B - Juris RdNr 14) abweichen soll:
"Über die Regelversorgung 'hinausreichen' muss die in den Integrationsverträgen geregelte Versorgung nur insofern, als es
sich nach §
140a Abs.
1 Satz 1
SGB V um eine entweder 'interdisziplinär-fachübergreifende' oder 'verschiedene Leistungssektoren übergreifende' Versorgung handeln
muss."
2. Die Beklagte legt auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dar. Wer sich - wie hier die Beklagte
- auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die Beklagte richtet ihr Vorbringen hieran nicht aus.
a) Die Beklagte formuliert als erste Rechtsfrage,
"ob eine sektorenübergreifende Versorgung im Sinne von §
140a Abs.
1 SGB V a.F. stets vertragliche Leistungen aus unterschiedlichen Leistungssektoren voraussetzt, oder ob es ausreicht, wenn Leistungserbringer
aus unterschiedlichen Leistungssektoren am Versorgungsgeschehen beteiligt sind".
Die Beklagte zeigt aber den Klärungsbedarf nicht hinreichend auf. Sie legt nicht ausreichend dar, wieso mit Blick auf die
Rechtsprechung des BSG zur Begriffsdefinition der sektorenübergreifenden Versorgung noch Klärungsbedarf bestehen soll. Hierzu hat das BSG ausgeführt (BSGE 100, 52 = SozR 4-2500 § 140d Nr 1, RdNr 15, 18): "Der Begriff der Leistungssektoren iS des §
140a Abs
1 S 1
SGB V ist gesetzlich nicht definiert (so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S 129, Zu Nr
113 [§ 140a], Zu Buchst a). Sein Inhalt ist deshalb nur durch eine am Zweck der integrierten Versorgung orientierte Auslegung
zu bestimmen (Beule, Rechtsfragen der integrierten Versorgung, 2003, S 25). Die Zielrichtung dieser Versorgungsform besteht
zunächst darin, die starren Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu durchbrechen und den KKn die Möglichkeit
zu eröffnen, außerhalb der bisherigen Regelversorgung eine alternative Versorgungsstruktur zu entwickeln. ... Daraus kann
allerdings nicht abgeleitet werden, nur solche Verträge seien von §
140a Abs
1 SGB V erfasst, die Leistungen aus den beiden 'Hauptsektoren' anbieten. Vielmehr sind unter Zugrundelegung eines funktionellen Ansatzes
sowohl innerhalb des ambulanten als auch innerhalb des stationären Hauptsektors weitere Leistungssektoren zu unterscheiden,
die Gegenstand von Integrationsverträgen sein können."
Die Beklagte erläutert nicht, weshalb sich die Beantwortung der von ihr aufgeworfenen Frage nicht ohne Weiteres der BSG-Rspr entnehmen lässt, die ausdrücklich auf die Leistungssektoren, nicht aber auf die Leistungserbringer abstellt. Sie legt
auch keinen erneuten Klärungsbedarf dar. Ist eine Frage bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, ist
sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig (vgl zB BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7 mwN). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig
werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige
Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 7). Daran fehlt es. Die Beklagte legt nicht dar, dass der Rechtsprechung des BSG in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird.
b) Den Anforderungen an die Begründung einer grundsätzlichen Bedeutung genügen auch nicht die Ausführungen zu der weiteren
von der Beklagten aufgeworfenen Rechtsfrage,
"ob die Mitteilungen der Krankenkassen an die BQS-Registrierungsstelle ausreichend sind, um die 'Erforderlichkeit' des Einbehalts
gemäß §
140d SGB V a.F. nachzuweisen, oder ob hierzu weitergehende prognostische Kalkulationen erforderlich sind".
Die Beklagte legt die Klärungsfähigkeit dieser Rechtsfrage schon deshalb nicht ausreichend dar, weil sich die Frage auch nach
ihrem Vortrag nur stellen kann, wenn die streitgegenständlichen Integrationsverträge eine sektorenübergreifende Versorgung
vorsehen, woran es nach der Entscheidung des LSG gerade fehlt. Ist das Urteil des LSG - wie hier - auf zwei voneinander unabhängige
Begründungen gestützt, muss der geltend gemachte Zulassungsgrund für alle Begründungen gelten oder für jede Begründung ein
Zulassungsgrund dargelegt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 5; BSG SozR 1500 § 160a Nr 38; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 21 RdNr 17). Zur - nach Auffassung des LSG - fehlenden sektorenübergreifenden Versorgung hat die Beklagte weder die Divergenz
zur Rspr des BSG noch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hinreichend dargelegt (dazu II. 1. und II. 2. a).
3. Die Beklagte legt auch einen Verfahrensmangel nicht hinreichend dar. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann. Der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 und §
128 Abs
1 S 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet
werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Die Beklagte richtet ihren Vortrag nicht danach aus. Sie macht geltend, das LSG habe den Streitgegenstand verkannt,
weil es seine Entscheidung auch darauf gestützt habe, dass eine plausible prognostische Kalkulation dazu fehle, dass die Einbehalte
rechnerisch zur Umsetzung der konkreten integrierten Versorgungsform erforderlich gewesen seien. Streitgegenständlich und
entscheidend sei nur gewesen, ob die abgeschlossenen Verträge überhaupt Integrationsverträge im Sinne der Rspr seien.
Ob die Beklagte damit einen Verfahrensfehler darlegt, kann offenbleiben. Sie legt angesichts der alternativen Begründung für
die Entscheidung des LSG (s II. 2. aE) jedenfalls nicht dar, dass die Entscheidung des LSG hierauf beruht.
4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 3
SGG iVm §
154 Abs
2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm §
63 Abs
2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.