Anerkennung eines Wegeunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung; Verzögerung der Antritts der Fahrt aus eigenwirtschaftlichen
Gründen; Berücksichtigung einer Zwei-Stunden-Grenze
Gründe:
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte den Verkehrsunfall des Klägers vom 17. Dezember 1993 als Arbeitsunfall
festzustellen hat.
Der Kläger betrieb zur Zeit des Unfalls in L - als Einzelunternehmer den "L O" sowie eine Sportagentur, in deren Rahmen er
Profifußballspieler insbesondere des damaligen 1. FC D an westdeutsche Vereine vermittelte. Am 16. Dezember 1993 war er beim
Oberlandesgericht (OLG) Dresden in einem Rechtsstreit auf 14.00 Uhr als Zeuge geladen. Er war dort bis ca. 16 Uhr anwesend.
Nach Abschluss des Gerichtstermins besuchte er den Dresdner Strietzelmarkt.
Am 17. Dezember 1993, 0.27 Uhr, verunglückte der Kläger von Dresden kommend mit seinem Pkw bei Niederaula/Hattenbach, Kreis
Hersfeld-Rotenburg, als von einem unbekannten Fahrzeug eine Hartfaserplatte vor sein Fahrzeug fiel, er mit seinem Pkw von
der Fahrbahn abkam, sich überschlug und einen Totalschaden erlitt. Der Kläger zog sich dabei schwere Verletzungen zu. Wegen
der Folgen des Unfalls steht er unter Betreuung.
Zunächst wurde der Unfall von der Geschäftsführerin des Unternehmens "L O" der für dieses Unternehmen zuständigen Berufsgenossenschaft
(BG) für den Einzelhandel gemeldet. Die BG lehnte die Feststellung eines Arbeitsunfalls ab (Bescheid vom 10. Januar 1996,
Widerspruchsbescheid vom 16. April 1996). Die hiergegen beim Sozialgericht Köln (SG) erhobene Klage nahm der Kläger später zurück.
Er beantragte nun bei der beklagten Unfallkasse die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall, da er diesen auf einem Weg
erlitten habe, den er infolge seiner Heranziehung als Zeuge zurückgelegt habe (§ 539 Abs 1 Nr 13
Reichsversicherungsordnung [RVO]). Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab (Bescheid vom 29. Juli 1998, Widerspruchsbescheid
vom 30. März 1999). Aufgrund der Dauer der Unterbrechung habe auf dem Weg von Dresden nach Leverkusen kein Unfallversicherungsschutz
bestanden.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19.12.2003). Das Gericht hat sich nicht davon überzeugen können, dass die versicherte
Tätigkeit lediglich für eine Dauer von höchstens zwei Stunden unterbrochen gewesen sei.
Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 17.10.2007). Zwar sei der Kläger am 16.12.1993 als Zeuge zu einer Gerichtsverhandlung
beim OLG Dresden geladen gewesen. Er sei bis 16 Uhr bei Gericht anwesend gewesen. Während des weiteren Aufenthalts in Dresden
hätten weder der Besuch des Dresdner Strietzelmarktes noch ein mögliches Treffen mit dem früheren Präsidenten des 1. FC D
in sachlichem Zusammenhang mit der versicherten Heranziehung als Zeuge gestanden. Es könne nicht festgestellt werden, dass
vom Ende des Gerichtstermins bis zum Antritt der Heimfahrt von Dresden nach Leverkusen nicht mehr als zwei Stunden vergangen
seien und deshalb eine Lösung vom Versicherungsschutz nicht eingetreten sei.
Der Kläger hat die von Senat zugelassene Revision eingelegt. Er trägt vor, die Versicherung habe mit dem Antritt der Rückreise
von Dresden wieder eingesetzt, nachdem sie durch den Besuch des Weihnachtsmarktes in Dresden unterbrochen gewesen sei. Von
entscheidender Bedeutung sei, wie lange die Unterbrechung zwischen dem Gerichtstermin und dem Antritt der Rückreise gedauert
habe. Er habe Beweis angetreten, dass die Unterbrechung nicht mehr als zwei Stunden gedauert habe. Nach der Rechtsprechung
des 5. Senats des Bundessozialgerichts - BSG - (Urteil vom 20. August 1987 - 5a RKnU 1/86 - BSGE 62, 100) liege die Beweislast, dass die Unterbrechung der versicherten Tätigkeit länger als zwei Stunden angedauert habe, allerdings
bei der Beklagten. Da nicht bewiesen werden könne, für welchen Zeitraum der Versicherte den Heimweg unterbrochen habe, sei
zu seinen Gunsten von einer kürzeren Unterbrechung auszugehen. Im Übrigen habe er Beweis dafür angeboten, dass er die Rückreise
zwischen ca 17.45 und 18 Uhr angetreten habe, die Fahrbahn regennass gewesen sei, er mehrere Baustellen habe passieren müssen,
er in der Raststätte Kirchhain eine Pause eingelegt und sich auch verfahren habe. In einem späteren Schriftsatz hat er erläutert,
er rüge auch Verfahrensmängel im Urteil des LSG. Dieses habe eine fehlerhafte Beweiswürdigung vorgenommen und die angebotenen
Beweise nicht ausgeschöpft.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Oktober 2007 und das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 19. Dezember
2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 1999 aufzuheben
und festzustellen, dass der Verkehrsunfall des Klägers vom 17. Dezember 1993 auf der BAB 5 bei Niederaula-Hattenbach ein Arbeitsunfall
ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Bei dem Umstand, ob eine Unterbrechung der versicherten Tätigkeit länger als zwei Stunden angedauert habe, handle es sich
nicht um eine rechtshindernde oder rechtsvernichtende Tatsache. Vielmehr müsse der Kläger beweisen, dass er den Weg nach seiner
Entlassung als Zeuge in einem Zeitraum von zwei Stunden angetreten oder fortgesetzt habe.
Die Beteiligten sind auf die Entscheidung des Senats vom 2.12.2008 (B 2 U 26/06 R) hingewiesen worden.
II
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das angefochtene Urteil des LSG verletzt nicht das Bundesrecht. Eine zulässige
Verfahrensrüge hat er nicht erhoben.
1. Der Kläger hat mit der Revision nur noch das kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsbegehren (§
54 Abs
1, §
55 Abs
1 Nr
1 des Sozialgerichtsgesetzes -
SGG) verfolgt, die ablehnenden Verwaltungsakte der Beklagten aufzuheben und festzustellen, dass der umstrittene Unfall ein Arbeitsunfall
ist (vgl dazu auch BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 46/03 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 3 RdNr 4 f; vom 13.12.2005 - B 2 U 29/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 16 RdNr 10).
Maßgeblich für die Beurteilung des Begehrens sind die bis zum 31.12.1996 geltenden Vorschriften der
RVO, nicht aber die Bestimmungen des ab dem 1.1.1997 geltenden
SGB VII, da der Kläger ein Ereignis vom 17.12.1993 als Arbeitsunfall festgestellt wissen möchte (vgl §§
212 ff
SGB VII).
Nach § 548 Abs 1 Satz 1
RVO ist ein Unfall ein Arbeitsunfall, wenn ein Versicherter diesen bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545
RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Als Arbeitsunfall gilt zwar gemäß § 550 Abs 1
RVO auch ein Unfall eines Versicherten auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545
RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Die in § 550 Abs 1
RVO gebrauchte Formulierung "auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg" kennzeichnet den sachlichen Zusammenhang des unfallbringenden Weges
mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit. Dieser besteht, wenn der Weg wesentlich zu dem Zweck zurückgelegt wird, den Ort
der Tätigkeit oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung zu erreichen. Die darauf gerichtete Handlungstendenz
muss durch die objektiven Umstände bestätigt werden (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 29/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 25 mwN RdNr 12). Dieser Schutz setzt voraus, dass der Weg mit der versicherten Haupttätigkeit nach §§
539, 540 oder 543 bis 545 zusammenhängt, weil er nur dann nach § 550 Abs 1
RVO versichert ist, solange und soweit er eng mit der Aufnahme oder der Beendigung der Haupttätigkeit verbunden ist. Fehlt es
an diesem Zusammenhang, ist das Zurücklegen des Weges auch dann keine versicherte Tätigkeit, wenn der Versicherte dieselbe
Strecke zurücklegt, die er als Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt (BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Der Kläger war zwar auf Grund seiner Ladung als Zeuge zu einem Termin beim OLG Dresden sowohl bei der Anwesenheit im Gericht
als auch auf dem Weg von und zu dem Termin grundsätzlich nach § 539 Abs 1 Nr 13, § 550 Abs 1
RVO versichert. Dennoch ist der Unfall, den er auf dem Weg von Dresden zu seinem Wohnort erlitten hat, kein Arbeitsunfall. Das
LSG hat zutreffend entschieden, dass die Verrichtung des Klägers zur Zeit des Unfallereignisses - die Fahrt im Anschluss an
die Wahrnehmung des Gerichtstermins und einer sich anschließenden längeren Unterbrechung - nicht im sachlichen Zusammenhang
mit seiner versicherten Tätigkeit gestanden hat. Der Kläger befand sich zwar zum Unfallzeitpunkt auf dem unmittelbaren Weg
zwischen dem Gerichtsort Dresden und seiner Wohnung. Die versicherte Tätigkeit hatte er aber unterbrochen, um den Dresdner
Strietzelmarkt zu besuchen. Dies war eine unversicherte Tätigkeit. Wird der Weg vom Ort der Tätigkeit durch unversicherte
Tätigkeiten unterbrochen, endet der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Die Heimreise wäre daher nur dann versichert
gewesen, wenn er sie binnen zwei Stunden nach dem Ende seiner versicherten Tätigkeit, also bis 18.00 Uhr angetreten hätte.
Dies ist nicht festgestellt und nicht feststellbar.
Nimmt der Versicherte den ursprünglich angetretenen Weg nach der Beendigung der eigenwirtschaftlichen Verrichtung wieder auf,
handelt es sich nur dann erneut um einen versicherten Weg iS des § 550 Abs 1
RVO, wenn nach Dauer und Art der Unterbrechung keine endgültige Lösung von dem Zurücklegen des Weges als der versicherten Tätigkeit
vorliegt. Für Wege vom Ort der Tätigkeit ist vom BSG im Interesse einer gleichmäßigen und rechtssicheren Handhabung eine zeitliche
Grenze von zwei Stunden festgelegt worden, bis zu der der Antritt oder die Fortsetzung des Weges (wieder) eine versicherte
Tätigkeit ist. Wird die genannte Zeitgrenze dagegen überschritten, ist die versicherte Tätigkeit grundsätzlich endgültig beendet
(BSG Urteil vom 10.10.2006 - B 2 U 20/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 19 RdNr 16 mwN).
Vorliegend hat der Versicherte den Weg von dem Ort der versicherten Tätigkeit durch eine eigenwirtschaftlichen Zwecken dienende
Verrichtung unterbrochen. Der Kläger wäre im Anschluss an den Besuch des Strietzelmarkts nur dann erneut einer bei der Beklagten
versicherten Tätigkeit nachgegangen, wenn er den Rückweg nach einer Unterbrechung von höchstens zwei Stunden wieder aufgenommen
(oder fortgesetzt) hätte. Bei der Dauer der unversicherten Unterbrechung, insbesondere dem Zeitpunkt ihrer Beendigung, handelt
es sich um eine rechtsbegründende Tatsache. Der Zusammenhang des Heimweges mit der versicherten Tätigkeit ist eine rechtsbegründende
Voraussetzung dafür, dass der Weg versichert ist. Er besteht jedenfalls nicht mehr, wenn die unversicherte Unterbrechung länger
als zwei Stunden dauert. Lassen sich die Umstände für eine rechtzeitige Wiederaufnahme des Weges nach Ausschöpfung aller Beweismittel
nicht feststellen, geht dies zu Lasten des Beteiligten, der einen Anspruch auf Feststellung eines Versicherungsfalls geltend
macht. Da nicht feststeht und nicht feststellbar ist, dass der Kläger den Weg rechtzeitig aufgenommen oder fortgesetzt hat,
steht nicht fest, dass er sich auf einem versicherten Weg befand. Der fehlende Nachweis dieser Tatsachen geht zu seinen Lasten
(vgl BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; zustimmend: Wolfgang Keller, jurisPR-SozR 14/2009 Anm 5).
2. Der Kläger hat gegen die Feststellungen des LSG keine zulässigen Verfahrensrügen erhoben.
Die Begründung einer Verfahrensrüge erfordert die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben (§
164 Abs
2 Satz 3
SGG), und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Erforderlich
ist eine Darlegung, die das Revisionsgericht in die Lage versetzt, sich anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber
zu bilden, ob der angegriffenen Entscheidung ein Verfahrensmangel zu Grunde liegt und ob die Entscheidung hierauf beruhen
kann (BSG vom 11.7.1985 - 5b RJ 88/84; insoweit in BSGE 58, 239 und SozR 2200 § 1246 Nr 129 nicht mit abgedruckt).
Der Kläger hat in der Revisionsbegründung vom 4.8.2008 ausgeführt, er habe für bestimmte Tatsachen betreffend den Verlauf
der Rückreise von Dresden Zeugen benannt. Damit habe er Beweis angetreten, dass der Unfall auf einem versicherten Weg geschehen
sei. Das Überschreiten der Zwei-Stunden-Grenze müsse die Beklagte beweisen. Aus diesen Ausführungen ergibt sich schon nicht,
dass und ggf. welcher Verfahrensmangel geltend gemacht werden soll.
Ob der Kläger in den Schriftsätzen vom 5.6.2009 Verfahrensrügen erhoben hat, kann dahingestellt bleiben, weil sie erst nach
dem Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (§
164 Abs
2 Satz 1
SGG) eingegangen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§
183,
193 SGG.