Rechtmäßigkeit eines Regressbescheides gegen einen Vertragsarzt wegen der Verordnung von Megestat und Dronabinol bei Bronchialkrebs
und Tumoren der Thoraxorgane
Gründe:
I
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Regressbescheides wegen der Verordnung eines Arzneimittels außerhalb der in der Arzneimittelzulassung
ausgewiesenen Indikation.
Der Kläger ist Facharzt für Innere Medizin (Arzt für Onkologie und für Pneumologie [Lungenarzt]), Chefarzt des onkologischen
Schwerpunktes eines Krankenhauses mit einem Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie und zur Teilnahme an der vertragsärztlichen
Versorgung ermächtigt. Er verordnete in den Quartalen IV/2000 bis II/2001 bei Patienten, die bei der zu 1. beigeladenen Krankenkasse
(KK) bzw bei deren Rechtsvorgängerin versichert waren, das Arzneimittel Megestat. Auf Antrag der Beigeladenen zu 1. setzte
der Prüfungsausschuss gegen den Kläger einen Regress von ca 4155 Euro fest; die beklagte Prüfungseinrichtung wies den Widerspruch
des Klägers zurück (Bescheid vom 18.7.2002 mit Berichtigung vom 29.7.2002 sowie Widerspruchsbescheid vom 20.1.2005): Megestat
sei nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) nur zur palliativen Behandlung fortgeschrittener Karzinome der Brust und der Gebärmutter zugelassen; der vom Kläger behandelte
Patient sei dagegen an Bronchialkrebs erkrankt gewesen.
Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 30.4.2008; Urteil des LSG vom 6.10.2009, veröffentlicht in NZS 2010, 394, und Kurzfassung in MedR 2010, 256). Im Urteil des LSG ist unter anderem ausgeführt, der Kläger habe das Arzneimittel Megestat nicht zu Lasten der gesetzlichen
KK verordnen dürfen. Megestat sei nur zur palliativen Behandlung fortgeschrittener Karzinome der Brust und der Gebärmutter
zugelassen. Die vom Kläger vorgenommenen Verordnungen bei anderen Tumorerkrankungen zur Behebung der Kachexie (Appetitlosigkeit
mit der Folge körperlicher Auszehrung) stellten keinen zulässigen Off-Label-Use dar. Ausreichende wissenschaftlich nachprüfbare
Studien, die die Eignung und Unbedenklichkeit der Arzneimittel auch im Falle anderer Krebsarten, insbesondere bei Bronchialkrebs,
belegen könnten, ergäben sich aus den vorliegenden und den vom Kläger angeführten Stellungnahmen nicht. Es fehle auch an der
erforderlichen Gewichtung und Abwägung der Risiken thromboembolischer und vaskulärer Komplikationen. Die Zulässigkeit der
Verordnungen von Megestat ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der abgeschwächten Anforderungen des BVerfG-Beschlusses
vom 6.12.2005. Denn die vom Kläger vorgenommenen Verordnungen dieser Arzneimittel seien nicht darauf angelegt, auf die lebensbedrohliche
(Krebs-)Erkrankung selbst einzuwirken, sondern hätten sich allein gegen die im Endstadium dieser Erkrankung auftretende Kachexie
gerichtet. Der Gesichtspunkt, dass dies die Lebensqualität des Erkrankten in seiner Endphase insgesamt deutlich verbessert
habe, reiche nicht aus.
Mit seiner Revision erhebt der Kläger sowohl inhaltliche als auch verfahrensbezogene Rügen. Das LSG habe verkannt, dass ausreichende
Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit der von ihm - dem Kläger - vorgenommenen Behandlungen vorgelegen hätten. Als Beleg
dürften außerhalb des AMG-Zulassungsverfahrens keine sog Phase III-Studien gefordert werden, vielmehr reiche der Konsens in einschlägigen Fachkreisen
über den voraussichtlichen Nutzen aus. Dieser Konsens werde durch die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgelegten Veröffentlichungen
und Stellungnahmen, insbesondere auch die zusammenfassenden Metaanalysen, belegt. Das LSG habe die vorgelegten umfangreichen
Studien nicht angemessen ausgewertet. Wenn das LSG diese nicht als ausreichend angesehen habe, hätte es ein Sachverständigengutachten
einholen müssen; hierzu hätte es sich angesichts der Mängel des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung
(MDK) gedrängt fühlen müssen. Bei verfahrensfehlerfreiem Vorgehen des LSG hätte sich ergeben, dass schon im Zeitpunkt der
von ihm - dem Kläger - durchgeführten Behandlungen ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit vorgelegen hätten
und ein Konsens in Fachkreisen bestanden habe. Die Rechtswidrigkeit des Regresses ergebe sich ferner daraus, dass ein Anspruch
der Versicherten auf die durchgeführten Behandlungen aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) bestanden habe. Außer einer - auch vom LSG anerkannten - lebensbedrohlichen Erkrankung und dem Fehlen
einer Therapiealternative habe auch eine Aussicht auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden. Zwar
seien die Behandlungen mit Megestat nicht auf die Heilung des Tumors als solchen angelegt gewesen, aber sie seien gegen die
mit diesem Grundleiden einhergehende - nicht eigenständige - (Begleit-)Erkrankung der (Tumor-)Kachexie gerichtet gewesen und
durch die Bekämpfung der damit einhergehenden weiteren Krankheitsauswirkungen wie starke Abmagerung, allgemeiner Kräfteverfall,
Appetitlosigkeit und Apathie geeignet gewesen, eine Gewichtszunahme, eine Stärkung des Organismus und eine Förderung des psychischen
Wohlbefindens und des Lebenswillens zu bewirken und damit zu einer Verlängerung der lebenswerten Lebenszeit und auch zu einer
- manchmal sogar signifikanten - Verlängerung des Lebens insgesamt zu führen. Die Annahme des LSG, er - der Kläger - habe
die Verlängerung der Lebensdauer nicht als Behandlungsziel angegeben, sei unrichtig; wenn das LSG sein Vorbringen derart eingeschränkt
gesehen habe, hätte es ihn zumindest darauf hinweisen müssen. Die Auffassung, die Anwendungen von Megestat seien ausschließlich
auf die Verbesserung der Lebensqualität und nicht auf die Verlängerung der Lebensdauer gerichtet gewesen, verletze die Grenzen
der freien Beweiswürdigung; sie sei auch weder als Erfahrungssatz noch medizinisch begründbar. Aber selbst wenn man die Lebensverlängerung
außer Betracht lasse, sei nach den Vorgaben des BVerfG eine Leistungspflicht anzuerkennen. Der Entscheidung vom 6.12.2005
sei nicht zu entnehmen, dass sich die spürbare positive Auswirkung auf die lebensbedrohliche Krankheit selbst beziehen müsse.
Der vorliegende Fall der Linderung von Krankheitsbeschwerden einer lebensbedrohlichen Erkrankung werde von den Grundsätzen
des Beschlusses des BVerfG mitumfasst. Nicht tragfähig sei schließlich das Argument des LSG, durch Akzeptieren der Behandlung
mit Megestat würde das Erfordernis der Arzneimittelzulassung und das Arzneimittelzulassungsverfahren entwertet. Bei schwerwiegenden
Krebserkrankungen falle nach dem Grundsatz "je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation, desto geringere
Anforderungen", die Nutzen-Risiko-Analyse eindeutig positiv aus. Dabei sei eine den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende
Behandlung durch den Kläger als langjährigem Chefarzt des onkologischen Schwerpunktes an dem einer Universität angeschlossenen
Lehrkrankenhaus evident gewährleistet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Oktober 2009, das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 30.
April 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2005 aufzuheben, hilfsweise, das Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgerichts vom 6. Oktober 2009 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht
zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des LSG. Das LSG habe zu Recht verneint, dass die Eignung und Unbedenklichkeit der vom Kläger durchgeführten
Behandlungen mit Megestat hinreichend belegt seien. Die Studien belegten auch keinen Konsens über eine Verbesserung der Lebensqualität
durch solche Behandlungen, zumal nicht für den Zeitpunkt der durchgeführten Behandlung. Jedenfalls sei dessen Einsatz nicht
darauf ausgerichtet gewesen, auf die lebensbedrohliche Tumorerkrankung selbst einzuwirken. Zudem würden unkalkulierbare Risiken
in Kauf genommen, sodass ein Heilversuch vorliege, der gesonderten Regelungen und Voraussetzungen unterliege. Es reiche nicht
aus, dass der Kläger für seine Patienten angebe, diese hätten von der Arzneigabe kurzfristig profitiert. Auch hätte er die
Entwicklung bei seinen Patienten umfassend dokumentieren müssen.
Die Beigeladenen geben im Revisionsverfahren keine Stellungnahme ab.
II
Die Revision des Klägers ist sowohl mit dem Haupt- als auch mit dem Hilfsantrag unbegründet. Das angefochtene Urteil des LSG
lässt keine Verletzung von Bundesrecht erkennen. Der angefochtene Arzneikostenregress ist nicht zu beanstanden.
A. Rechtsgrundlage des angefochtenen Arzneikostenregresses ist §
106 Abs
2 SGB V (hier zugrunde zu legen idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22.12.1999, BGBl I 2626, die auch in den weiteren
Jahren 2000/2001 galt; zur Maßgeblichkeit des §
106 Abs
2 SGB V für Verordnungsregresse in Fallkonstellationen der vorliegenden Art vgl zuletzt BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG
vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - RdNr 14 iVm 21 ff mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 16 iVm 25 f mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter
anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen, entweder nach Durchschnittswerten oder
anhand von Richtgrößenvolumina (§ 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1) und/oder auf der Grundlage von Stichproben (aaO Satz 1 Nr 2), geprüft.
Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der KKn mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) gemäß §
106 Abs
2 Satz 4
SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (vgl BSG SozR 4-2500 §
106 Nr 17 RdNr 12 f mwN; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 16). Diese Prüfvereinbarungen ermächtigen regelmäßig auch zu Einzelfallprüfungen. Einzelfallprüfungen sind insbesondere
dann sachgerecht - und die Wahl dieser Prüfmethode rechtmäßig -, wenn das individuelle Vorgehen eines Arztes in bestimmten
einzelnen Behandlungsfällen hinsichtlich des Behandlungs- oder Verordnungsumfangs am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebots
überprüft werden soll (s BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 5.5.2010 aaO RdNr
14).
Wie sich aus den Urteilen des Senats vom 5.5.2010 und vom 18.8.2010 ergibt, handelt es sich bei den vorliegenden Streitigkeiten
über die vertragsarztrechtliche Zulässigkeit von Arzneiverordnungen um einen Fall des §
106 SGB V und nicht um einen Regress "wegen sonstigen Schadens" im Sinne des §
48 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - RdNr 20 bis 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, und BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 25 f, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Denn vorliegend steht ein Fehler der Verordnung selbst in Frage, wie
dies bei Verstößen gegen die Arzneimittel-Richtlinie bzw bei Verordnungen nicht verordnungsfähiger Arzneimittel und auch bei
Verordnungen außerhalb der nach dem AMG erteilten Zulassung der Fall ist (vgl BSG vom 18.8.2010 aaO RdNr 25 am Ende).
B. Der Regressbescheid war rechtmäßig. Die Voraussetzungen für einen Regress im Wege der Einzelfallprüfung gemäß §
106 SGB V waren erfüllt. Der Kläger durfte das Arzneimittel Megestat nicht zur Behandlung der Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge
körperlicher Auszehrung) bei Bronchialkarzinomen verordnen.
Dies folgt daraus, dass die Zulassung von Megestat nach dem AMG nur für die Anwendung bei der Kachexie im Falle von Brust- und Gebärmutterkrebs erfolgt war, sodass die Verordnung von Megestat
bei anderen Krebsarten einen Off-Label-Use darstellte. Dessen Voraussetzungen waren nicht erfüllt, insbesondere waren die
Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes dieses Arzneimittels nicht ausreichend belegt (unten 1.). Die Verordnung von Megestat
kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung und den dafür vom BVerfG herausgestellten
abgeschwächten Anforderungen gerechtfertigt werden (unten 2.).
1. Die Verordnungsfähigkeit eines Fertigarzneimittels wie Megestat ist in erster Linie danach zu beurteilen, mit welchen Maßgaben
es im Arzneimittelzulassungsverfahren nach dem AMG zugelassen wurde. In diesem Verfahren werden Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit anhand vom Arzneimittelhersteller
vorzulegender Studien überprüft (vgl §§ 21, 22, 24, 25 Abs 5 Satz 1 AMG). Die Zulassung des Arzneimittels erfolgt nicht unbegrenzt, sondern nur nach Maßgabe der anhand der Studien ausgewiesenen
und überprüften Anwendungsgebiete (vgl § 22 Abs 1 Nr 6 AMG und dazu BSGE 89, 184, 186 f = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 30 f). So erfolgte die Zulassung von Megestat, wie im Urteil des LSG festgestellt worden ist, für die palliative Behandlung
bei Brust- und Gebärmutterkrebs und hier für den Einsatz gegen die bei solchen Krebsbehandlungen auftretende Kachexie.
Der Kläger setzte Megestat indessen nicht in diesem Anwendungsgebiet ein. Zwar waren die Verordnungen des Klägers auch gegen
die bei Krebsbehandlungen auftretende Kachexie gerichtet, aber nicht im Zusammenhang mit Brust- und Gebärmutterkrebs von Frauen.
Er verordnete Megestat vielmehr gegen die Kachexie insbesondere bei fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen. Mithin lag ein
Off-Label-Use vor.
Ein Off-Label-Use ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nicht das Verfahren
nach dem AMG durchlaufen wurde, das mit der Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auf die Gewährleistung von Arzneimittelsicherheit
angelegt ist. Wie vom 1. Senat des BSG in langjähriger Rechtsprechung wiederholt herausgestellt und vom 6. Senat weitergeführt
worden ist, müssen für einen zulässigen Off-Label-Use - zum einen - eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen (dh eine die
Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung), und es darf - zum anderen - keine andere - zugelassene
- Therapie verfügbar sein, und - zum dritten - aufgrund der Datenlage muss die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem
betroffenen Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (so zB BSG vom 28.2.2008, SozR
4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 21, 23, 26 mit Hinweis auf die stRspr; vgl auch Senatsurteile vom 5.5.2010, zB - B 6 KA 6/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 27 RdNr 51 f und - B 6 KA 20/09 R - in RdNr 46 f sowie - B 6 KA 24/09 R - in RdNr 18 ff). Abzustellen ist dabei auf die im Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (BSG vom 28.2.2008
aaO RdNr 21). Das Erfordernis der Aussicht auf einen Behandlungserfolg umfasst dabei nicht nur die Qualität und Wirksamkeit
eines Arzneimittels, sondern schließt auch ein, dass mit der Medikation keine unvertretbaren Nebenwirkungen und Risiken verbunden
sein dürfen. Gerade die Notwendigkeit der Analyse und Gewichtung eventueller unzuträglicher Nebenwirkungen ist ein zentrales
Element des Überprüfungsstandards, auf den die Neugestaltung des AMG vom 24.8.1976 ausgerichtet ist, deren Konzeption ihren Ursprung in den Erfahrungen der 1960er Jahre mit den nicht ausreichend
analysierten Nebenwirkungen von Contergan hat (vgl hierzu BR-Drucks 552/74 S 43 und BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 21).
Soll die Verordnung eines Arzneimittels ausnahmsweise ohne derartige Gewähr der Arzneimittelsicherheit in Betracht kommen,
so müssen für diesen Off-Label-Use anderweitig Qualitätsstandards, die dem Einsatz im Rahmen der Zulassungsindikation vergleichbar
sind, gewährleistet und hinreichend belegt sein. Dabei muss auch gesichert sein, dass von der Off-Label-Medikation keine unzuträglichen
Nebenwirkungen ausgehen; die Patienten sollen vor unkalkulierbaren Risiken geschützt werden (vgl BSGE 104, 160 = SozR 4-2500 § 13 Nr 22, RdNr 18 mwN; s auch zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 18; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 33).
Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, sind nicht alle für einen Off-Label-Use bestehenden Regelvoraussetzungen erfüllt. Das
LSG hat, ohne dass seine Ausführungen insoweit revisionsgerichtlich zu beanstanden wären (zu den vom Kläger dagegen erhobenen
Verfahrensrügen siehe unten D.), ausgeführt, dass es sich zwar bei fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen um schwerwiegende
Erkrankungen handelt. Das LSG hat auch die weitere Voraussetzung, dass keine andere zugelassene Therapie zur Verfügung gestanden
hat, tendenziell bejaht: Es hat dargelegt, die Ansicht der Beklagten sei unzutreffend, die Patienten könnten auf die Gabe
hochkalorischer Kost verwiesen werden; denn dies stelle keine gleichwertige Alternative dar. Damit würde zwar die tumorinduzierte
Kachexie behandelt, aber nicht - wie mit Megestat - erreicht, dass der Patient wieder mit Appetit natürliche Nahrung zu sich
nehme. Ferner hat das LSG ins Feld geführt, dass die Gabe hochkalorischer Kost nicht selten zu Verdauungsproblemen führe (Diarrhoe).
Das LSG hat über das Vorliegen dieser Voraussetzung (Fehlen einer anderen zugelassenen Therapie) allerdings nicht abschließend
entschieden, dies vielmehr offengelassen, weil es jedenfalls an der dritten Voraussetzung fehle, nämlich an ausreichenden
Belegen für eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg: Das LSG hat hierzu ausgeführt, dass diese dritte Voraussetzung
nur dann erfüllt wäre, wenn im Behandlungszeitpunkt entweder bereits eine klinische Prüfung mit Phase III-Studien veröffentlicht
und ein entsprechender Zulassungsantrag gestellt worden wäre oder wenn sonstwie zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare
Aussagen vorgelegen hätten, aufgrund derer sich in den einschlägigen Fachkreisen ein Konsens über den voraussichtlichen Nutzen
der angewendeten Methode gebildet hätte. Das LSG hat die dritte Voraussetzung für einen zulässigen Off-LabelUse in unbedenklicher
Weise als nicht erfüllt angesehen.
Im Einzelnen hat das LSG - unter anderem unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK vom 17.4.2003, das im Widerspruchsverfahren
von der Beklagten eingeholt worden war - Folgendes ausgeführt: Bis 2003 gab es keine Phase III-Studien zum Einsatz von Megestat
zur Bekämpfung der Kachexie bei anderen Krebsarten als Brust- und Gebärmutterkrebs. Die Studie, an der auch der Kläger selbst
beteiligt war, betraf nur 33 Patienten; zudem wurde darin konzediert, dass noch eine Reihe von Fragen offen geblieben war
und noch eine Placebokontrollierte Doppelblindstudie erforderlich sei. Andere Studien kamen zwar zum Ergebnis einer Verbesserung
der Kachexie, aber vielfach mit der Einschränkung, dass dies nicht mit einer Verbesserung der Lebensqualität einhergehe. Es
wurden auch erhebliche Nebenwirkungen beschrieben wie Übelkeit/Erbrechen, Diarrhoe, Sodbrennen, Muskelkrämpfe, Müdigkeit,
Kopfschmerzen und, wie das LSG weiterhin hervorgehoben hat, auch Thrombose und Embolie, womit tödliche Komplikationen und
Lebensverkürzungen verbunden sein könnten.
Das LSG hat weiter rechtsfehlerfrei aufgezeigt, dass sich nichts anderes aus der Zusammenfassung (dem sog abstract) einer
Metaanalyse von Berenstein und Ortiz aus dem Jahr 2005 ergibt. Abgesehen davon, dass diese schon nicht ohne Weiteres für den
früher gelegenen Verordnungs- und Regresszeitraum (2000/2001) maßgeblich sein kann, ergibt sie, dass auch im Jahr 2005 noch
keine ausreichenden Belege für eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg mit Megestat bei Bronchialkarzinom vorlagen.
Auch sie erfüllten nicht die Voraussetzungen einer Phase III-Studie an einem größeren Patientenkollektiv. Zwar bezogen sie
auch andere Studien - und damit insgesamt 4000 Patienten ein -, die aber teilweise andere Erkrankungen als Krebs betrafen;
zudem bestätigten sie zwar, dass Megestat den Appetit verbessere und zur Gewichtszunahme führe, ergaben aber nicht den Schluss
auf eine Verbesserung der Lebensqualität. Auch die Zusammenfassung (das sog abstract) einer Metaanalyse von Lesniak/Bala/Jaeschke/Krzakowski
aus dem Jahr 2008 ergab, wie im Urteil des LSG festgestellt, keine vorteilhaften Auswirkungen der Behandlung mit Megestat
auf die gesamte Lebensqualität. Für eine valide Beurteilung wurde eine neue Studie für erforderlich gehalten.
Gegen die Eignung und Unbedenklichkeit von Megestat für die Behandlung von Kachexie in Fällen von Bronchialkarzinomen spricht
auch die aktualisierte Fachinformation mit Stand vom Januar 2009: In ihr sind, wie das LSG dargestellt hat, als Indikation
nur die palliative Behandlung von Mammakarzinomen und Endometriumkarzinomen (Innenhaut der Gebärmutter) genannt, und die Anwendung
von Megestat zur Behandlung anderer neoplastischer Erkrankungen wird ausdrücklich nicht empfohlen.
Demnach fehlte es bei den vom Kläger vorgenommenen Verordnungen von Megestat an einer begründeten Aussicht auf einen Behandlungserfolg.
Wie dargelegt, erfordert dies ausreichende Belege für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit (oben RdNr 16). Dies
haben die im Verfahren eingeholten und die vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen nicht ausreichend belegt. Wie das LSG ausgeführt
hat, war der Kläger an einer der Studien zu Megestat sogar selbst beteiligt und diese ergab zusammengefasst, dass noch eine
Reihe von Fragen offen war, sodass noch weiterer Überprüfungsbedarf gesehen wurde. Mithin war unter eigener Beteiligung des
Klägers klargestellt, dass die Überprüfungen noch nicht zu einem abschließenden positiven Ergebnis gelangt waren, die Erprobungsphase
vielmehr noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden konnte. Dabei ist auch von Bedeutung, dass die zahlreichen Studien
keine Abwägung mit eventuell zu befürchtenden Nebenwirkungen im Falle anderer Krebsarten als Brust- und Gebärmutterkrebs enthielten,
solche aber im Zusammenhang mit dem Einsatz von Megestat in vielfältiger und schwerwiegender Gestalt diskutiert wurden, bis
hin zu lebensgefährdenden Komplikationen wie Thrombose und Embolie (zur Ausrichtung des AMG auf Arzneimittelsicherheit vgl oben RdNr 16).
Demgegenüber greift keine der vom Kläger erhobenen Einwendungen durch. Weder die von ihm gegen die Verfahrensweise des LSG
vorgebrachten Rügen (hierzu im Einzelnen s unten D.) noch seine Einwände gegen die vom LSG zugrunde gelegten inhaltlichen
Maßstäbe haben Erfolg. Der Senat folgt schon nicht seiner Ansicht, die vom LSG gestellten Anforderungen an die Qualität der
wissenschaftlichen Erkenntnisse für einen zulässigen Off-Label-Use seien überzogen. Der Kläger meint, es werde mehr gefordert,
als an wissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt möglich und ethisch vertretbar sei. Für Krankheitsfälle der hier vorliegenden
Art lasse sich kein Patientenkollektiv finden, das für eine Phase III-Studie ausreichend groß sei, das weiterhin einheitlich
vorbehandelt werde und bei dem die Parameter zur Lebensqualität und Toxizität standardisiert erfasst werden könnten. Es müsse
ausreichen, dass in den einschlägigen Fachkreisen aufgrund einer Vielzahl der veröffentlichten Erkenntnisse mit positiven
Ergebnissen zur Appetitsteigerung und Gewichtszunahme sowie zum Allgemeinbefinden ein Konsens über den Nutzen einer Verabreichung
von Megestat bestanden habe, wogegen etwaige Nachteile durch Nebenwirkungen und Risiken nicht ins Gewicht fallen könnten und
zu vernachlässigen seien. Abgesehen davon, dass nach den Feststellungen des LSG für den Off-Label-Use von Megestat keine Phase
III-Studien vorliegen, konnten auch den anderen - weniger validen - Studien keine ausreichenden Belege für die Eignung und
Unbedenklichkeit des Einsatzes von Megestat entnommen werden. Insbesondere ergab die Studie, an der der Kläger selbst teilnahm,
dass - wie schon erwähnt - die Erprobungsphase noch nicht als abgeschlossen angesehen werden konnte. Das LSG hat auch keinen
Konsens über die Eignung und Unbedenklichkeit der Anwendung von Megestat feststellen können, es hat vielmehr formuliert, dass
für das Vorliegen eines Konsenses keine Anhaltspunkte vorlagen. Dieser Feststellung hat der Kläger mit seinem Einwand, schon
im Zeitpunkt seiner Medikation habe in den Fachkreisen Konsens über Qualität und Wirksamkeit von Megestat bei Tumor-Kachexie
bestanden, lediglich seine gegenteilige Ansicht entgegengesetzt. Den vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen, die vom
Revisionsgericht grundsätzlich als verbindlich zugrunde zu legen sind (§
163 SGG), lediglich die Behauptung anderer Tatsachen entgegenzusetzen, reicht revisionsrechtlich nicht aus (vgl BSGE 89, 250, 252 = SozR 3-4100 § 119 Nr 24 S 123 mwN; BSG vom 1.7.2010 - B 11 AL 1/09 R - RdNr 25, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Die "Regel"voraussetzungen eines zulässigen Off-Label-Use bei den vom Kläger vorgenommenen Verordnungen von Megestat sind
damit nicht erfüllt. Aber auch die vom BVerfG herausgestellten Anforderungen greifen nicht ein, wie noch unter 2. darzulegen
ist.
2. Auch die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des BVerfG der Einsatz eines Arzneimittels unter Außerachtlassung
der Begrenzungen durch das AMG zulässig sein kann, lagen nicht vor. Allerdings hat das BVerfG in Erkrankungsfällen, die als hoffnungslos erscheinen, aus
Art
2 Abs
1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art
2 Abs
2 Satz 1
GG iVm der daraus abzuleitenden Schutzpflicht entnommen, dass Therapiemethoden, die nach dem AMG oder dem
SGB V an sich nicht angewendet werden dürfen, unter bestimmten Voraussetzungen doch zulässig sind. Das BVerfG hat insoweit dem
Versicherten einen erweiterten Behandlungsanspruch gemäß §§
27 ff
SGB V eingeräumt, was reziprok bedeutet, dass dann in entsprechender Weise der Arzt zur Gewährung der Behandlung bzw zur Verordnung
des Arzneimittels berechtigt und verpflichtet ist.
a) Das BVerfG hat - zunächst für nicht anerkannte Behandlungsmethoden - aus Art
2 Abs
1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art
2 Abs
2 Satz 1
GG iVm der sich daraus ergebenden Schutzpflicht abgeleitet, dass in Fällen, in denen eine lebensbedrohliche oder in der Regel
tödlich verlaufende Krankheit vorliegt und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht
zur Verfügung steht, der Versicherte nicht von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode
ausgeschlossen werden darf, wenn diese eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf
eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bietet (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Es muss eine durch nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage gegeben sein
(BVerfG [Kammer] vom 30.6.2008, NJW 2008, 3556 RdNr 10; an die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung anknüpfend BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 35; BSG vom 14.12.2006, SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 20; BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 238;
BSG vom 28.2.2008, BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32; BSG vom 16.12.2008, USK 2008-73 S 575). Das BVerfG hat in einer speziellen Situation -
Apheresebehandlung in einem besonderen Fall - ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich erst in einigen Jahren
zum Tod führt (BVerfG [Kammer] vom 6.2.2007 - 1 BvR 3101/06 - RdNr 22, in Juris dokumentiert).
Diese Grundsätze haben das BVerfG und das BSG auf den Bereich der Versorgung mit Arzneimitteln übertragen. Sofern eine im
vorgenannten Sinne lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt (oder - wie das BSG es formuliert - eine wertungsmäßig vergleichbare
Erkrankung, vgl dazu BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 am Ende; BSG vom 14.12.2006, USK 2006-111 S 767/768; BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 237 unter 2.; BSG vom 28.2.2008, BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9 RdNr 32 am Ende) und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht
zur Verfügung steht, erstreckt sich der Versorgungsanspruch des Versicherten über die Beschränkungen der arzneimittelrechtlichen
Zulassung hinaus - dh sowohl bei Fehlen jeglicher Arzneimittelzulassung als auch bei Einsatz außerhalb des in der Zulassung
ausgewiesenen Anwendungsbereichs - auf die Versorgung mit solchen Arzneimitteln, die eine auf Indizien gestützte, nicht ganz
fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bieten (s hierzu BVerfG
vom 30.6.2008 aaO; ebenso zB BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 19; BSG vom 28.2.2008, SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 30 mwN). Dies bedeutet, verglichen mit den
"Regel"voraussetzungen für einen Off-LabelUse, dass - über eine schwerwiegende Erkrankung hinausgehend - eine lebensbedrohliche
oder in der Regel tödlich verlaufende Krankheit vorliegen muss: Nur unter dieser Voraussetzung ist das Erfordernis ausreichender
Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes des Arzneimittels bzw der Behandlungsmethode dahin abzuschwächen,
dass eine nicht ganz fern liegende Aussicht positiver Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ausreicht.
Hat der erkrankte Versicherte nach diesen rechtlichen Maßstäben Anspruch auf die Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel,
so darf nicht wegen der Verordnung dieses Medikaments ein Regress gegen den verordnenden Arzt festgesetzt werden.
28 b) Dabei ist stets der Ausgangspunkt des BVerfG zu beachten, nämlich dass nur insoweit, als eine lebensbedrohliche Erkrankung
und deren Heilung in Frage steht, die erweiternde Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des
SGB V geboten ist. Dementsprechend gilt der Maßstab, dass eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung
oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ausreicht, nur insoweit, als eine Aussicht auf Heilung
der Grunderkrankung selbst oder auf positive Einwirkung auf den Verlauf der Grunderkrankung als solcher besteht. Nur in einer
solchen Situation ist die dargelegte verfassungskonforme Erweiterung des Leistungsanspruchs des Versicherten gemäß §§
27 ff
SGB V veranlasst und gerechtfertigt. Diese (str)enge Sicht ist nicht etwa, wie gelegentlich geltend gemacht wird, durch die Entscheidung
des BVerfG vom 6.2.2007 in Frage gestellt worden (BVerfG [Kammer] - 1 BvR 3101/06 -, in Juris dokumentiert). Hierin hat das BVerfG lediglich klargestellt, dass bei der Frage, ob eine Behandlung auf eine
lebensbedrohliche Erkrankung einwirkt, das sog Gesamtrisikoprofil mitzuberücksichtigen ist in dem Sinne, dass die Einwirkung
auf einen Faktor im Gesamtrisikoprofil ausreicht. Damit ist aber nicht in Zweifel gezogen, dass es sich auch in solchen Fällen
um die Einwirkung auf die lebensbedrohliche Erkrankung selbst handeln muss.
Diesen rechtlichen Ausgangspunkt hat auch das LSG zugrunde gelegt. Dementsprechend hat es das Erfordernis einer auf Indizien
gestützten, nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
als nicht erfüllt angesehen, denn die vom Kläger praktizierte Anwendung von Megestat bei Patienten mit einem fortgeschrittenen
Bronchialkarzinom war nicht darauf gerichtet, die lebensbedrohliche Erkrankung als solche zu heilen oder positiv auf ihren
Verlauf einzuwirken, sondern der Einsatz von Megestat zielte "nur" auf die Verbesserung der Lebensqualität in dem Sinne, dass
der Erkrankte wieder mit Appetit natürliche Nahrung zu sich nimmt und dadurch der tumorinduzierten Kachexie (Appetitlosigkeit
mit der Folge körperlicher Auszehrung) entgegengewirkt wird. Der Kläger wollte mit der Anwendung von Megestat also nicht auf
die lebensbedrohliche Erkrankung als solche einwirken, sondern nur deren weitere Auswirkungen abmildern. Dementsprechend hat
das LSG zu Recht für den vorliegenden Fall die Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 als nicht einschlägig erachtet.
Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es hier nicht darauf an, ob durch den Einsatz von Megestat der Appetit von Patienten,
die er wegen eines Bronchialkarzinoms behandelte, wiederhergestellt und ob dadurch eine günstigere Prognose hinsichtlich der
diesen noch verbleibenden Lebenszeit erreicht werden konnte. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33) soll dem Patienten - bildlich gesprochen - der Strohhalm der Hoffnung auf Heilung, an
den er sich klammert, nicht wegen Fehlens wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verweigert werden. Hoffnungen in diesem Sinne
kann ein Patient aber nur mit Behandlungsmethoden verbinden, die darauf gerichtet sind, auf seine mutmaßlich tödlich verlaufende
Grunderkrankung als solche einzuwirken. Für Behandlungsverfahren, die dies nach ihrem eigenen methodischen Ansatz nicht leisten,
gelten die reduzierten Wirksamkeitsanforderungen der Rechtsprechung des BVerfG von vornherein nicht. Soweit mit dem in §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V genannten Behandlungsziel "Krankheitsbeschwerden zu lindern" jede Verbesserung der Lebensqualität eines schwerkranken Patienten
verbunden wird, ist dieses Ziel nicht von der Ausweitung der Leistungsansprüche der Versicherten gemäß dem Beschluss des BVerfG
vom 6.12.2005 erfasst. Allein die Hoffnung einer - unter Umständen ganz geringen - Chance auf Heilung der Krankheit oder auf
nachhaltige, nicht nur wenige Tage oder Wochen umfassende, Lebensverlängerung rechtfertigt es, die Voraussetzungen an den
Nachweis der Wirksamkeit von Behandlungsmethoden so weit zu reduzieren, wie das in dem Beschluss des BVerfG erfolgt ist.
Dem wird die Ansicht des Klägers nicht gerecht, jede Verbesserung des Appetits des Patienten könne dessen subjektive Lebensqualität
verbessern und so mittelbar - ungeachtet des dadurch nicht beeinflussten Wachstums des Tumors - eine (geringfügige) Lebensverlängerung
bewirken. Nicht jede Verbesserung der Lebensqualität - zumal wenn diese in der Gesamtschau mit den möglichen vielfältigen
und schwerwiegenden Nebenwirkungen zweifelhaft erscheint -, sondern nur die Erfüllung der Hoffnung des Patienten auf eine
rettende Behandlung in einer aussichtslosen gesundheitlichen Situation indiziert die vom BVerfG beschriebene notstandsähnliche
Lage, in der (nahezu) jeder Behandlungsansatz auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich sein soll.
Sind demnach die vom BVerfG herausgestellten Voraussetzungen für erweiterte Behandlungsmöglichkeiten ohne die Beschränkungen
durch das AMG für den Einsatz von Megestat nicht erfüllt, so kommt es auf die weiteren Voraussetzungen für die Anwendung der Rechtsprechung
des BVerfG nicht an. Das BVerfG und das BSG haben in ihren Entscheidungen insbesondere klargestellt, dass in Fällen, in denen
die genannte Rechtsprechung des BVerfG einschlägig ist, immer auch die Voraussetzung erfüllt sein muss, dass keine Alternative
einer allgemein anerkannten - dh nach dem AMG zulässigen -, dem medizinischem Standard entsprechenden Behandlung besteht. Hierauf einzugehen, erübrigt sich, weil es schon
an den "Grund"-voraussetzungen für eine Anwendung der BVerfG-Rechtsprechung fehlt.
33 C. Bei allem ist schließlich darauf hinzuweisen, dass der Kläger das Risiko eines Regresses, wie er ihm gegenüber festgesetzt
worden ist, hätte vermeiden können: Er hätte - worauf der Senat in ständiger Rechtsprechung hinweist -, für den Versicherten
ein Privatrezept ausstellen und es diesem überlassen können, sich bei seiner KK um Erstattung der Kosten zu bemühen. Ermöglicht
der Vertragsarzt indessen nicht auf diese Weise eine Vorab-Prüfung durch die KK, sondern stellt er ohne vorherige Rückfrage
bei dieser eine vertragsärztliche Verordnung aus und löst der Patient diese in der Apotheke ein, so sind damit die Arzneikosten
angefallen und die KK kann nur noch im Regressweg geltend machen, ihre Leistungspflicht habe nicht bestanden. Verhindert der
Vertragsarzt durch diesen Weg der vertragsärztlichen Verordnung bei einem medizinisch umstrittenen Arzneieinsatz ohne dementsprechende
Zulassung eine Vorab-Prüfung durch die KK und übernimmt er damit das Risiko, dass später die Leistungspflicht der KK verneint
wird, so kann ein entsprechender Regress nicht beanstandet werden (stRspr, zB BSG vom 31.5.2006, MedR 2007, 557, 560, und - ausführlich - BSG vom 5.5.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 27 RdNr 43 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
D. Die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens steht im Ermessen des Gerichts. Eine Pflicht zur Einholung besteht nur dann,
wenn sich dem Gericht dessen Einholung aufdrängen muss (stRspr, vgl zB BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 20/09 R -, Juris RdNr 49, und - B 6 KA 24/09 R -, Juris RdNr 20 - jeweils mwN; vgl auch BSG vom 3.2.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 37). Das war hier nicht der Fall.
Nach der für die Beurteilung der Notwendigkeit (weiterer) Beweiserhebung maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG hat dieses
kein Gutachten einholen müssen. Das LSG hat als maßgeblich erachtet, dass es im maßgeblichen Zeitraum der Jahre 2000/2001
keinen fachwissenschaftlichen Konsens zum Einsatz von Megestat auch bei Bronchialkarzinomen gegeben hat. Die Anregungen des
Klägers zur Einholung eines Gutachtens sind darauf gerichtet gewesen, Belege dafür zu gewinnen, dass dieser Einsatz auch Befürworter
hatte. Dem hat das LSG nicht ohne Weiteres nachgehen müssen, weil das zur Feststellung eines allgemeinen Konsenses, den das
LSG aus Rechtsgründen für erforderlich gehalten hat, nichts Entscheidendes hätte beitragen können.
Die Rüge des Klägers, das LSG habe die von ihm im Berufungsverfahren eingereichten Studien nicht ausgewertet, scheitert daran,
dass grundsätzlich die Vermutung besteht, dass das Gericht alles Eingereichte zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen
einbezogen hat (stRspr des BVerfG und des BSG, vgl zB BSG vom 2.9.2009, SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 20 mit zahlreichen BVerfG-
und BSG-Angaben). Gegenteiliges bedürfte besonderer Anhaltspunkte, die der Kläger nicht aufgezeigt hat und auch nicht ersichtlich
sind.
Ebenso wenig dringt der Kläger mit seiner Rüge durch, das LSG habe das Vorliegen eines Konsenses in Fachkreisen nicht erkannt.
Hierin liegt lediglich die Rüge, das LSG sei von einem falschen Ausgangspunkt ausgegangen. Dem lediglich die abweichende Sicht
eines anderen Ausgangspunktes entgegenzusetzen, reicht für eine Verfahrensrüge nicht aus (vgl oben RdNr 22 am Ende).
Schließlich greift auch seine Rüge der Verkennung der Grenzen der freien Beweiswürdigung nicht durch. Er bringt dazu vor,
die Feststellungen des LSG, dass die Anwendung von Megestat ausschließlich auf die Verbesserung der Lebensqualität und nicht
auf die Verlängerung der Lebensdauer gerichtet sei, seien weder als Erfahrungssatz noch medizinisch begründbar. Dies ist schon
nicht entscheidungserheblich, wie aus obigen Ausführungen zu C. folgt, wonach eine nur geringfügige Lebensverlängerung bei
einem Behandlungsansatz, der von vornherein nicht auf eine Beeinflussung des Grundleidens zielt, nicht der vom BVerfG herausgearbeiteten
Ausnahme von den Verordnungsvoraussetzungen gemäß dem AMG entspricht (vgl RdNr 30). Vor allem ist nicht ersichtlich, dass das LSG insoweit einen Erfahrungssatz hätte aufstellen wollen.
Vielmehr setzt auch hier der Kläger nur seine eigene Auffassung derjenigen des LSG entgegen.
E. Dem Regress stehen schließlich auch keine Grundrechtspositionen des Klägers entgegen. Insbesondere ist das Grundrecht der
Berufsfreiheit gemäß Art
12 Abs
1 GG nicht verletzt. Dieses Grundrecht unterliegt - ebenso wie Art
14 Abs
1 GG - einem Gesetzesvorbehalt, darf also durch Gesetz eingeschränkt werden. Das ist durch die vorliegend einschlägigen Bestimmungen
des AMG und des §
106 SGB V geschehen. Die Anwendung dieser Regelungen belastet den Kläger nicht unverhältnismäßig (vgl BSG vom 3.2.2010, SozR 4-2500
§ 106 Nr 26 RdNr 46 iVm 48).
Dabei kommt es nicht darauf an, ob die zu 1. beigeladene KK bei Nichtverordnung von Megestat Kosten für andere Behandlungsarten
hätte tragen müssen - sog Vorteilsausgleichung - (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 39 Nr 3 RdNr 14 mwN; BSGE 101, 252 = SozR 4-2500 § 115b Nr 2 RdNr 21; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 47).
F. Nach alledem ist nicht nur der Hauptantrag des Klägers auf Bescheidaufhebung zurückzuweisen, sondern ebenso der Hilfsantrag:
Für die hilfsweise begehrte Zurückverweisung der Sache an das LSG ist kein Raum, denn der gegenüber dem Kläger ausgesprochene
Regress hat sich im Revisionsverfahren gemäß vorstehenden Ausführungen abschließend als rechtmäßig erwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von §
154 Abs
2 iVm §
162 Abs
3 VwGO. Der Kläger trägt als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten des Revisionsverfahrens (§
154 Abs
2 VwGO). Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten von Beigeladenen ist nicht veranlasst, weil diese im Verfahren keine Anträge
gestellt haben (vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).